Nicaragua: "Die Wahlen werden nichts als eine Farce sein"

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Wir sprechen mit Héctor Mairena, einem nicaraguanischen Journalisten und Anwalt und Mitglied der "blau-weißen nationalen Einheit", über die Wahlen in Nicaragua am kommenden Sonntag.14:53
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14:53 min, 34 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 03.11.2021 / 15:38

Dateizugriffe: 137

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 03.11.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Meike: ich bin jetzt verbunden mit héctor mairena. Hallo und herzlich willkommen hektor!

Héctor: Hallo und vielen Dank Meike!

meike: du bist journalist und anwalt aus nicaragüense. Das letzte mal als wir sprachen sagtest du du arbeitest in deutschland – jetzt bist du gerade in den usa. Du bist mitglied der kommission unidad nacional azul y blanco, der wörtlich übersetzt “blau-weißen einheit” das ist ein gorßes bündnis der oppostition. Am sonntag sind in nicaragua “wahlen” in anführungszeichen und wenn wir die massenmedien in deutshcland ansehen, dann scheint es einen konsens dahin zu geben, daß das das regime ortega-murillo eine autoritäre, repressive dictatur ist. So hast du es auch beim letzten mal als wir sprachen ausgeführt. Das regime macht weiter mit entführungen von oppositionsmitgliedern, die gefängnisse sind voll mit politischen gefangenen. Aber es gibt auch andere leisere stimmen der kommunistischen oder sgen wir konservativen linken, die von einer rechtskonservativen imperialistischen opposition spricht, die sich mit unterstützung der usa gegen die regierung verschworen hat. Das letzte mal als wir sprachen sagtest du, daß die opposition nicht vereint sei. Es gibt in der opposition rufe wie “es lebe die Contra”. Aber was gibt es da noch? Ich habe gehört, die opposition sei dominiert von Liberalen – wie setzt sie sich wirklich zusasmmen?

Héctor: Vielen Dank für die Frage. Das Regime von Daniel Ortega hat seit Mai diesen Jahres eine Repressionsspirale ausgelöst, die ganz neue Charakteristika hat. Das Resultat ist, daß heute, im November 2021, es mehr als 150 politische Gefangene gibt. 39 davon wurden in den letzten drei Monaten gefangengenommen. Darunter sind auch die sieben Präsidentschaftskandidierenden, die die meisten Chancen beim Antritt gegen Ortega hatten. Mit dieser Repressionsspirale des Regimes will Daniel Ortega die Opposition enthaupten und gleichzeitig unabhängige Medien und Stimmen zum Schweigen bringen. Mit alldem was Ortega tat, löschte er die Möglichkeit aus, daß am 7. November freie und transparente Wahlen stattfinden können. Was jetzt am Sonntag passieren wird, ist eine Farce. Ortega hat nur erlaubt, daß diejenigen an der Wahl teilnehmen, die er für harmlos hält. Das sind total unbekannte Kandidierende und Parteien – vor allem unbekannte Kandidierende. Das wird dazu führen, daß er sich am Folgetag oder innerhalb von sechs Tagen zum vierten Mal in Folge zum Präsidenten macht. In Nicaragua haben wir immer die Meinung aufrechterhalten: das Problem besteht nicht zwischen Linken und Rechten, sondern zwischen Demokratie und Diktatur. Und Ortega, obwohl er einen verschleierten Diskurs führt und so tut als sei er links, hat in Wahrheit eine lupenreine und harte Diktatur etabliert. Es ist bedauerlich, daß – auch wenn man sagen muß, daß es nur wenige sind – ein paar aus der postkommunistischen Linken übrig bleiben, die an Kindermärchen glauben. Daß die Opposition gegen die Revolution konspirieren würde, daß Ortega Revolutionär sei undsoweiter undsofort. Ortega manipuliert diesen idealisierten, romantischen Glauben an die Revolution. Er ist weder links noch demokratisch, er ist ein populistischer Diktator. Ich muß sagen, wir als Opposition konnten bis heute noch nicht an dem Wahlgeschehen teilnehmen, denn das wurde verhindert. Aber es gibt diese Opposition, die mit den grundlegenden Forderungen übereinstimmt, wie der Freilassung der politischen Gefangenen, der Forderung der Wiederherstellung aller Freiheiten und der Forderung nach echten und transparenten Wahlen. In dieser Repressionsspirale, die Ortega seit Mai entfesselt hat, hat er die führenden politischen und sozialen Persönlichkeiten des Landes ins Gefängnis werfen lassen. Ortega hat im Gefängnis die Opposition vereinigt, denn dort sind Unternehmer*innen, Journalist*innen, Liberale, Leute aus meiner Partei UNAMOS (der erneuernden demokratischen Union) Leute aus dem Oppositionsbündnis. Wie ich sagte: Ortega hat die Linke im Gefängnis vereint.

Meike: die aktivitin Mónica Baltodano hat die prognose gemacht – so wie du auch – daß die wahlen ein betrug sein werden. Das manifestiert sich ja auch in der festnahme von politischen gegnerinnen und gegnern, im verbot der oppositionsparteien oder ihrer “enthauptung”, wie du es gesagt hast. Das eltzte mal als wir sprachen sagtest du “ortega wird so oder so verlieren”. Denn die europäische kommiscion z.b. hat schon angekündigt, daß sie das ergebnis eines wahlbetrugs nicht akzeptieren wird. Jetzt ist die frage, welche rolle die internacionale gemeinschaft überhaupt in dieser sache spielt? Wieviel druck ist ortega wirklich ausgesetzt?

Héctor: Verschiedene Akteur*innen der internationalen Gemeinschaft, wie die Europäische Union, die Organisation Amerikanischer Staaten und besonders einzelne Regierungen haben angekündigt, daß sie das Ergebnis des 7. November nicht akzeptieren würden, weil es eine Farce ist, ein Zirkus. Wir glauben, daß der Druck der internationalen Gemeinschaft grundlegend wichtig ist, um Ortega zu isolieren und ihn zu zwingen, zu gehen oder echte, freie und transparente Wahlen zu erlauben. Obwohl wir auch sagen, daß das ergänzend ist. Weil insbesondere in Nicaragua selbst der Orteguismo isoliert werden muß. Ich sage es nocheinmal – die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist grundlegend wichtig. Es zeigt sich – und das sehen wir gerade – daß die nicaraguanische Opposition von der internationalen Gemeinschaft die Aberkennung der Rechtmäßigkeit dessen fordert, was bei dieser sogenannten “Wahl” herauskommt. In der Vergangenheit hat der Rat der Außenminster*innen der Europäischen Union, vor dem Regime Ortegas gewarnt. Wir hoffen, daß dies in konkreten Maßnahmen der Europäischen Union mündet, genauer gesagt in Sanktionen. Das richtet sich an die verbrecherischen Beamten, die verantwortlich sind für Menschenrechtsverletzungen. Wir warten auch auf den Beschluß der Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten am 10. November. Und bei dieser Gelegenheit, dessen sind wir uns sicher, – wir haben uns den Termin schon im Kalender angestrichen – wird die Situation in Nicaragua in Angriff genommen. Außerdem müssen wir darauf warten, was die internationale Gemeinschaft für Maßnahmen ergreifen wird.

Meike: Sanktionen lassen die Bevölkerung natürlich auch leiden. Ich möchte anknüpfen an die aberkennung der legitimität, die du gerade angesprochen hast– mit der kampagne des oppositionsbündnis im netz: “mach der diktatur die tür nicht auf. bleib Diesen 7. november zuhause!” um ablehnung zu demonstrieren. Ist das lediglich eine symbolische kampagne oder was ist das ziel dessen?

Héctor: Zuerst möchte ich anmerken, daß die wirtschaftliche Situation derzeit so schlecht ist, daß sie schlechter nicht sein könnte. Das verdanken wir dem Orteguismo. Wenn wir an mögliche Sanktionen denken, die die Bevölkerung betreffen könnten, – wenn die möglichen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft Auswirkungen haben sollten – dann ist der Orteguismo dafür verantwortlich. Ortega hat das Land in diese Situation gebracht.
Wir haben diese Kampagne “Bleib zuhause” lanciert und rufen die Leute auf, nicht zur Wahl zu gehen, um der Diktatur zu zeigen, wie sehr wir sie ablehnen. Denn das ist ein materielles und nicht nur symbolisches Mittel, mit dem wir demonstrieren können, daß die Wahlen unrechtmäßig und von der Bevölkerung nicht anerkannt sind. Wahlen, an denen die niemand teilnimmt – da stellt sich ganz offensichtlich die Frage der demokratischen und partizipativen Natur. Die Meinungsumfragen, die gerade durchgeführt werden, haben einen sehr hohen Prozentsatz von Nichtwählenden zum Ergebnis. Ohne Zweifel wird die Diktatur das manipulieren und demonstrieren, daß es eine massive Wahlbeteiligung gab; daß die Schlangen endlos lang waren. Aber die Wahrheit ist, sie zwingen Beamt*innen, Polizist*innen und Soldat*innen daran teilzunehmen. Es ist nicht nur eine symbolische sondern eine materielle Kampagne und es wird unsere wichtigste Demonstration gegenüber der internationalen Gemeinschaft sein, zu zeigen, daß die Wahlen unrechtmäßig sind. Und es ist unser wesentliches Mittel, um wirklich freie Wahlen zu fordern.

Meike: welche rolle hat die kirche in dieser sache?

Héctor: Die Rolle der Kirche als Institution hat in dieser Sache sehr klar Stellung bezogen zur Notwendigkeit freier Wahlen und daß die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger respektiert werden soll. Viele Priester und Bischöfe äußern oft und ich würde sagen in den letzten Tagen immer öfter und überschwenglicher, daß Werte wie Freiheit, Demokratie und freie Wahlen notwendig sind. Zusammengefaßt scheint mir, die katholische Kirche in Nicaragua vermittelt eine positive Botschaft und steht hinter den Forderungen der meisten Nicaraguaner*innen. Wir bedauern, daß in dieser Position der Vatikan bislang eine gewisse Standhaftigkeit und Willensstärke vermissen läßt. Es gibt Pfarrer, die bedroht und verfolgt werden. Und der Vatikan hat seine Stimme nicht erhoben, wie er es hätte tun sollen. Aber ja, was ich sagen kann, ist, daß die Priester und Pfarrer ihre Stimme erheben.

Meike: wir haben shcon festgestellt , daß die leute leiden. Sie leiden unter der diktatur und der wirtschaftlichen situation in nicaragua. Welches sind die perspectiven für die nicaraguanishe bevölkerung nach den wahlen?

Héctor: Die Perspektiven für die nicaraguanische Bevölkerung sind nicht rosig, denn Ortega wird eine Situation der Repression aufrechterhalten und die Freiheit weiter einschränken. Das ist auch nicht förderlich für die Wirtschaft; das schreckt Investor*innen ab. Diese vergangenen Monate hat Ortega mit positiven Wirtschaftszahlen hantiert, weil er eine internationale Finanzspritze, bekommen hatte. Das war vor allem eine Hilfe in der COVID-Pandemie. Aber das wird nicht anhalten. Deswegen muß ich dir leider sagen, daß wenn Ortega an der Macht bleibt, das der Wirtschaft schaden wird. Die Bevölkerung wird dann mehr Arbeitslosigkeit und einen noch stärkeren Konjunkturrückgang erleben.

Meike: zum abschluß – kannst du uns vielleicht ein paar positive prognosen geben, irgendetwas gutes für die zukunft?

Héctor: Ich bin von Natur aus positiv. Wie ich vorhin erwähnte, liegt Hoffnung auf einigen nicaraguanischen Bischöfen. Gerade herrscht eine traurige Stimmung, denn wir nicaraguanischen Demokrat*innen hatten auf den 7. November gesetzt als eine Möglichkeit, die Dinge in Nicaragua zu ändern. Aber Ortega hat das verhindert, indem er die Wahlen auslöschte. Trotzdem sind wir im Begriff, eine neue Etappe zu beginnen. Ich habe nicht die kleinsten Zweifel, daß wir Nicaraguaner*innen uns auf die neuen historischen Bedingungen einstellen werden können. In der Einheit der Opposition, die weiter fortschreitet, werden wir den bürgerlichen zivilen Widerstand wiederbeleben und Demokratie für Nicaragua erkämpfen, immer zusammen mit der internationalen Gemeinschaft. Deswegen bin ich optimistisch.

Kommentare
03.11.2021 / 18:00 gesendet in sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
am 03.11
Danke!