Geschichte wiederholt sich (vielleicht nicht?) Teil 3

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Eine abgelegene wilde Berggegend an der Südgrenze des gewaltigen russischen Reichs erweckt seit mehr als 100 Jahre die Begehrlichkeiten der Moskauer Herrscher. Hier erschließt sich die Möglichkeit, an das Meer vorzustoßen und strategisch wichtige eisfreie Häfen zu erobern.
Lange Zeit waren die Bemühungen von fehlendem Erfolg gekrönt. Aber nach langen Jahren der Infiltration hat eine moskautreue Regierungsclique die Macht erobert und die lang gehegten imperialen Träume scheinen wahr zu werden. Doch die politische Landschaft des Landes ist instabil, starke Gegensätze entzweien die Gesellschaft und Machtkämpfe sind an der Tagesordnung. Schon bald ist die moskauhörige Clique wieder gestürzt und in der russische Zentrale ist man nicht gewillt, das hinzunehmen. Wenig später überschreitet die rote Armee die Grenze, ein Fallschirmkommando landet in der Hauptstadt, tötet den Machthaber und setzt eine Marionette ein. Nein, es ist (erneut) nicht von der Ukraine die Rede.

Teil 1: https://www.freie-radios.net/114869
Teil 2: https://www.freie-radios.net/115701
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08:38 min, 7330 kB, mp3
mp3, 115 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 29.05.2022 / 11:27

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Mel
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 29.05.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Eine abgelegene wilde Berggegend an der Südgrenze des gewaltigen russischen Reichs erweckt seit mehr als 100 Jahre die Begehrlichkeiten der Moskauer Herrscher. Hier erschließt sich die Möglichkeit, an das Meer vorzustoßen und strategisch wichtige eisfreie Häfen zu erobern.
Lange Zeit waren die Bemühungen von fehlendem Erfolg gekrönt. Aber nach langen Jahren der Infiltration hat eine moskautreue Regierungsclique die Macht erobert und die lang gehegten imperialen Träume scheinen wahr zu werden. Doch die politische Landschaft des Landes ist instabil, starke Gegensätze entzweien die Gesellschaft und Machtkämpfe sind an der Tagesordnung. Schon bald ist die moskauhörige Clique wieder gestürzt und in der russische Zentrale ist man nicht gewillt, das hinzunehmen. Wenig später überschreitet die rote Armee die Grenze, ein Fallschirmkommando landet in der Hauptstadt, tötet den Machthaber und setzt eine Marionette ein. Nein, es ist (erneut) nicht von der Ukraine die Rede.


Ins Visier des imperialen russischen Machtstrebens im 19. Jahrhundert geriet nach Eroberung und Kolonisierung weiter Teile Zentralasiens jener Landstrich, der heute etwa den Staat Afghanistan umfasst. Dies kollidierte mit den Interessen der damals führende Weltmacht, England, das seine wertvollste Kolonie auf dem indischen Subkontinent bedroht sah. Innerhalb eines Jahrzehnte anhaltenden Konflikts niedriger Intensität, von britischen Politkern ebenso euphemistisch wie entlarvend ‚The Great-Game‘ genannt, wurden wechselseitigen Militärinterventionen und Konflikte geführt. In der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts stabilisieren imperialen Weltaufteilung der Großmächte wurde das Gebiet des heutigen Afghanistans als Pufferstaat zwischen den russischen und britischen Interessen geschaffen und mit von beiden Seiten gekauften lokalen Machthabern verwaltet.
Durch die Ereignisse des 1. Weltkriegs und die nachfolgende Oktoberrevolution ließen sich die russischen Interessen an Afghanistan für einige Zeit nicht mehr zielführend verfolgen. 1921 erhielt Afghanistan vertraglich die volle Unabhängigkeit von Russland und England.
Daran fühlten sich die Moskauer Machthaber nach 1945 nicht mehr gebunden. Das Erreichen eines Zugangs zum Indischen Ozean war weiterhin ein zentrales strategisches Ziel des mittlerweile von der Elbe bis zum Pazifik angewachsenen Imperiums. Es brauchte jedoch einige Jahrzehnte der Infiltration und Unterstützung, bis eine ausreichend schlagkräftige moskauorientierte Gruppierung aufgebaut war, die dann mittels eines blutigen Putsches die Macht übernahm. Entsprechend der damaligen autoritär-kommunistischen Ausrichtung der Moskauer Herrschaftsausübung wurde 1978 eine sogenannte Volksdemokratie errichtet und sowjetische Berater und Militärs ins Land geholt. Endlich war der Indische Ozean in greifbare Nähe gerückt.
Aber die Freude im Kreml hielt nicht lange an, schon 1979 putschten andere Gruppierungen und der Moskauer Zentrale drohte das gerade unter Kontrolle gebrachte Gebiet wieder zu entgleiten. Dies war die sowjetische Führung unter Diktator Breschnew nicht bereit zu akzeptieren. Am Weihnachtstag 1979 überschritten russische Truppen von Norden die Grenze. Ein Fallschirmkommando landete in der Hauptstadt Kabul und Spezialeinheiten töteten die Führungsspitze des Landes – ungefähr so hatte es sich Breschnews Urenkel Putin für Kiew ebenfalls vorgestellt. Änalog zu den Hilferufen russischer Separatisten in der Ukraine wurden auch für diesen militärischen Überfall sogenannte Hilfsgesuche moskautreuer Gruppierungen als Vorwand präsentiert.
Militärisch gelang der sowjetischen Armee in der größten Militäraktion nach dem 2. Weltkrieg rasch, in einem großräumig angelegten zweiseitigen Zangenangriff die wichtigsten Städte des Landes zu erobern. Der größte Teil der afghanischen Armee leistete Widerstand, war jedoch bei veralteter Ausrüstung und uneinheitlicher Führung zu einer effektiven Gegenwehr im Sinne eines symmetrischen Konflikts nicht in der Lage. Viel erfolgreicher waren in dem sehr strukturschwachen und gebirgigen Land jedoch Guerilla Taktiken, zu denen die Widerstandskämpfer bald übergingen. Es gelang der russischen Militärmaschinerie nie, mehr als die zentralen Städte unter ihre unmittelbare Kontrolle zu bringen.
Im Rahmen des damaligen Systemkonflikts war der Westen, insbesondere die USA, unmittelbar bereit, den afghanischen Widerstand gegen die sowjetische Aggression zu unterstützen. In der Logik des Kalten Krieges durfte ein so wichtiger Dominostein wie Afghanistan nicht verloren gehen, auch weil der Westen durch die zeitgleiche iranische Revolution gerade den Einfluss auf das Nachbarland Iran verloren hatte.
Entsprechend lieferte USA in großem Stil Waffen an die Mudschahidin, sogenannte Gotteskrieger. Der Widerstand in Afghanistan rekrutierte sich überwiegend aus religiös-reaktionären Kräften ohne jeden progressiven Anspruch. Dies war für die westliche Unterstützung jedoch unerheblich. Es ging darum, den großen Systemgegner Sowjetunion zu bekämpfen und wer immer das tat, konnte mit Waffen und Geld rechnen. Kampf gegen den Kommunismus war in der Sichtweise des Kalten Krieges stets Kampf für die Freiheit, auch wenn unterstützten Kräfte selbst von westlichen Werten und Menschenrechten überhaupt nichts wissen wollten.
Es entwickelte sich ein 10 Jahre dauernder militärischer Konflikt, von dem sich spätestens ab 1985 abzeichnete, dass die Sowjetunion ihn nicht gewinnen würde. Im Gegenteil trugen die enormen Belastungen zur Destabilisierung der ohnehin stark unter Druck stehenden russischen Wirtschaft und Gesellschaft bei. Nachdem es der Moskauer Führung schon ab etwa 1975 immer schlechter gelungen war, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und im Systemwettlauf mit dem Westen einigermaßen Schritt zu halten, wirkten sich die immensen Kosten des anhaltenden Krieges katastrophal aus. Apropos Krieg – auch damals durfte er nicht so genannt werden, es war stets von ‚Entsendung eines begrenzten Kontigents‘ die Rede – das klingt noch verschwurbelter als Putins ‚Spezialoperation‘.
In der Bevölkerung aber auch in den unteren Verwaltungsebenen wuchs die Distanz zur Moskauer Führung. Der Sinn eines Krieges, in dem rund 15000 Soldaten starben und 60.000 verwundet wurden, um einige trockene Felsen am uninteressanten Ende der Welt zu erobern, war auch der Kummer gewohnten sowjetischen Gesellschaft nicht zu vermitteln. Insbesondere aber schränkten die Kosten die Handlungsspielräume der spätkommunistischen Moskauer Politclique zunehmend ein und ein hellerer Kopf wie Gorbatschow erkannte, dass dieser Krieg zum Sargnagel des sowjetischen Imperiums werden könnte.
In der Tat sind sich heute die meisten Historiker einig, dass der Afghanistankrieg das Ende der Sowjetunion erheblich beschleunigt hat – ob auf Putins imperiales Russland mit dem Ukrainekrieg ein ähnliches Schicksal wartet, wird die Geschichte zeigen.