recycling: "Wenn du ankündigst, dass du furzt, dann wundere dich nicht, wenn es anfängt zu stinken." – Antisemitismus auf der Documenta (05.09.2022)

ID 117274
 
AnhörenDownload
Am 18. Juni eröffnete in Kassel die documenta fifteen. Lange bereits im Vorfeld hatte es Kritik am Konzept gegeben und es wurde mehrfach die Befürchtung geäußert, dass die Kunstausstellung zur Plattform und Präsentationsfläche für Antizionismus werden würde. Es kam deutlich schlimmer als erwartet: auf einem auf einem zentrale Platz ausgestellten Bild der indonesischen Künstlerinnengruppe Taring Padi mit dem Titel Peopel's Justice wurde blanker Antisemitismus präsentiert. Der daraufhin stattfindende Skandal machte vor allem den Unwillen der Verantwortlichen der documenta deutlich, sich dem Problem zu stellen. Gleichzeitig verdeckte der Skandal eine Auseinandersetzung mit der bereits vorgebrachten Kritik am Konzept der Ausstellung. Mit dem Bündnis gegen Antisemitismus Kassel und Farrukh sprechen wir über die Genese des Skandals, Neokolonialismus und Safe Spaces für Jüdinnen und Juden.
Audio
01:39:41 h, 85 MB, oga
vorbis, 119 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.09.2022 / 19:29

Dateizugriffe: 2513

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: recycling - Redaktion3
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 02.09.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dokumentation Pressemitteilung einer Aktion:

""Erinnern", "gedenken", bewältigen" oder "aufarbeiten", diese pflichtbewussten Begriffe für das Verhältnis der Deutschen zu ihren Verbrechen, trennen fein säuberlich das "Vergangene" von der Gegenwart. Dieses Mal Kassel. Voll gegenwärtig wird der indonesischen Gruppe ruangrupa, welche diese documenta kuratiert, die Schuld am nunmehr öffentlichen Desaster zugeschoben.

Somit sind es nicht-deutsche Täter. Wir möchten uns vorstellen, dass die anderen Mitorganisatoren und Künstler froh sind, wenn diese documenta mit all der für sie negativen Presse vorübergezogen ist. Die Gruppe ruangrupa ist hier wie in der Vorbereitung ein nützliches Vehikel, hinter dem sich die Mitwisser unter den Organisatoren, wie z.B. die Mitglieder in dem internationalen
documenta Beirat, verstecken konnten. Die Gruppe ruangrupa genießt internationales Ansehen, welches sie in zahlreichen Kooperationsprojekten seit 2002 demonstrieren konnten.

Der negativen Presse geschuldet, werden nun gemachte Fehler zumindest öffentlich selbstkritisch als solche eingestanden. Nur besteht Kunst nicht aus Kuratorengruppen und Organisatoren, sondern in erster Linie aus Künstler und Künstlerin. Das ist was sie ausmacht.
In dieser documenta Debatte sind Künsterler Innen nicht präsent. Ist es Opportunismus oder ist es Vorsatz? Beides vermutlich.
Israelische Künstler:innen wurden von niemandem nach Deutschland auf die documenta15 eingeladen. Und um nun zu verhindern, dass sie aus Versehen doch hier auflaufen, wurden sie nochmals explizit als unerwünscht erklärt.

Jüdisch-israelische Künstler:innen sind nicht präsent, weil die anderen Künstler:innen hier nicht dafür gesorgt haben, dass diese Veranstaltung nicht ohne Israel stattfinden kann - -weil kollektiver Antisemitismus wieder Mal mit deutscher Präzision zielsicher exekutiert wurde. Der einzige gemeinsame Nenner all derer, die hier nicht gehandelt haben, ist: Antisemitismus.
Der hat auch an diesem Ort Tradition. Durch den ersten „Querdenker Beuys“ (Zitat aus dem Spiegel vom 19.3.21) hatte die documenta erstmals nicht nur in der elitären sondern auch in einer breiteren Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erfahren.
Würde man eine Sensibilität oder gar Schamgefühl vermuten -
Fehlanzeige.


Wie auch? Wo kein Schamgefühl ist, nützt es auch nichts, an dieses zu appellieren. Es war nicht da, als Juden aus ihren Häusern von dem Nazi-Mob in den Tod getrieben wurden. Es war nicht da, als der Mob das Eigentum der Opfer unter sich aufteilte. Es zeigte sich auch nicht im Angesicht ihrer Opfer, Männer, Frauen oder Kinder. Das was dann folgte, sollte nur
noch schlimmer sein. Möglich durch die De-humanisierung von Juden. Diese bleibt in Deutschland und nicht nur hier.
Israel und Israelis - ihre de-Humanisierung ist, und das zeigt diese documenta, weltumspannend international, wie wir hier sehen über alle Sprachen und Kulturen hinweg, jenseits von Religion oder Geschlecht, nicht mehr nur im Stillen, sondern auf dem Podest laut und offen ausgelebt. Und – bewusst unbewusst – erfährt mit dieser documenta der Antisemitismus seine einzigartig-internationale Performance Plattform. Selbst der Skandal eignet sich zur weiteren public relation. Der Veranstalter, der Beirat, die Stadt und die Künstler. Wie ein fein abgestimmtes Zahnrad.

Wieder wurden Israelis nicht als Subjekte betrachtet, das geht in Deutschland immer nicht. Wenn Juden auftauchen, dann bitte wie gewohnt als Opfer.

Und so können Landsleute hierzulande routiniert und wieder "erinnern", "gedenken", bewältigen", "aufarbeiten". Diese pflichtschuldigen Begriffe für das Verhältnis der Deutschen zu ihren Verbrechen; sie trennen fein säuberlich das "Vergangene" von der Gegenwart.
Dieses Mal Kassel."

---------------------------------------------------
Zusätzliche Dokumentation einer Werkbeschreibung:

"“How to explain“ ist eine Kunstaktion, bestehend aus einem graphischen Teil und dessen Installation, kombiniert mit einer musikalischen Darbietung. Die Kunstaktion findet an der Documenta-Halle in Kassel statt.
Der graphische Teil des Werkes, bestehend aus ca. 90 Digitaldrucken, welche in Aneinanderreihung ein Gesamtbild ergeben. Das Gesamtflächenmaß der Arbeit beträgt ca. 35 m². Die Bildelemente sind im Au-ßenbereich der Haupteingangsseite der Documenta-Halle sowie im rechten äußeren Seitenbereich der Halle
installiert.
Die Frontseite des Gebäudes zeigt eine Abstraktion der Synagogenmauer in der Stadt Halle. Die Syna-goge wurde am 9 Oktober 2019, am jüdischen Feiertag Jom Kippur, zum Ziel eines antisemitischen An-schlags. Der Täter sagte vor Gericht aus, er hätte Juden töten wollen. Der Täter wurde über soziale Me-dien und rechtsextreme Internetseiten politisiert, Orte des Hasses, der Hetze, des antisemitischen sowie antizionistischen Austausches. Das auf der rechten Seite der Documenta-Halle gezeigte Symbol, be-steht aus der Abbildung eines Hasenkopfes und einem Schriftzug, welcher das Wort Lumbung zeigt, unterhalb des Symbols ist der Titel der Arbeit zu finden „“How to explain“, mit der Widmung, “Hommage an Joseph Sassoon Semah, ein israelisch-niederländischer, bildender Künstler.
Der Name “How to explain“ bezieht sich auf die Arbeit von Joseph Semah, „How to explain hare hunting to a dead German artist“, aus dem Jahre 1986. Semah bezieht sich mit dieser Arbeit auf die Perfor-mance von Joseph Beuys, aus dem Jahr.1965,“Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“, in welcher Beuys in einer Düsseldorfer Galerie, mit einem toten Hasen im Arm, diesem seine dort ausgestellten Bilder erklärt.

In einem Interview mit Mati Shemoelof für die Berliner Zeitung erläutert Semah die Bedeutung des Ha-sen, im Kontext der genannten Beuys Arbeit (Zitat Joseph Saasson Sehma, Artikel Berliner Zeitung vom 8.01.2021)“Eines der Codewörter der Wehrmacht war "Jagt den Hasen". Und sie meinten: Wir werden die Juden jagen. Beuys hätte sich jedes andere Tier aussuchen können. Aber natürlich wählte er den Hasen. Er begab sich mit dem toten Kaninchen in jene Galerie, in welcher er seine Performance präsentierte und ihm die Gemälde erklärte, welche er mit seinem eigenen Blut in eine Sprache gewandelt hatte, welche niemand verstand. Ich kam zu dem Schluss, dass er ver-suchte, mit dem Hasen auf hebräisch zu sprechen.“

Beuys stellte auf der Documenta 7 einen goldenen Hasen aus, dafür schmolz er einen Nachbau der Krone von Iwan dem Schrecklichen ein und goss aus der Masse diesen Hasen.

Das Kuratoren-Kollektiv der Documenta und anderer ausstellender Künstler*innen bezogen die kriti-schen gesellschaftlichen Reaktionen und die entstandene Empörung auf die antisemitischen und anti-zionistischen Bilddarstellungen, im Rahmen der Documenta 15, sowie die Kritik an der Ausgrenzung israelischer und jüdischer Künstler*innen, auf eine nationale gegebene Sensibilität, basierend auf dem Historie Deutschlands, in Bezug auf die Shoa.
Die gezeigte Synagogenmauer von Halle ist ein Symbol für den Antisemitismus und Antizionismus der Gegenwart, der Titel der Kunstaktion, “How to explain“ schafft einen Bezug zu der vorgenannten Arbeit von Semah und somit auch zu dem Documenta-Teilnehmer Joseph Beuys, welcher an Kritik am Hasen und Respektlosigkeit gegenüber dem Hasen zeitlebens nicht sparte.
Der zum vorgenannten Symbol gehörende indonesische Begriff Lumbung, steht ursprünglich für eine Reisscheune, in welcher die Gemeinschaft ihre Ernte einlagert, bei Bedarf steht das Gehortete dem Kollektiv zur Verfügung.
Das Symbol mit der Hasengraphik, eine Detailzeichnung von einer Fotografie der genannten Beuys Performance, stellt eine Art Lumbung dar, ein Topf, welcher durch die Gemeinschaft über viele Jahre reich gefüllt wurde und gefüllt wird, aus welchem sich die “internationale Gemeinschaft“ jederzeit bei Bedarf bedienen kann, ein Lumbung der Hetze, der Ausgrenzung, der Diskriminierung und der Verach-tung.

Das Musikprogramm sowie die Kunstaktion entstand in Zusammenarbeit mit israelischen Künstlern.

Wer schweigt stimmt zu!"