Winterhilfe statt "Sondervermögen Bundeswehr"

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Vielleicht haben es die Generäle bereits bemerkt und geben deshalb krude Einschätzungen ab, aber allen anderen ist es entgangen: Die Sicherheit Europas wird heute entschieden und zwar in der Ukraine und in kalten Wohnzimmern und Bäckereien. Die hundertmilliarden für die mittelfristige Aufrüstung der Bundeswehr sind aus welcher Sicht auch immer in den Sand gesetztes Geld, das eigentlich zur Abfederung einer Winterkrise viel, viel besser eingesetzt wäre. Ein Kommentar.

Nach dem 200-Mrd. Wumms: In etwa gleichzeitig mit dem Kommentar hat die Regierung ein Hilfsprogramm verkündet. An dem Programm ist selbst Scholz noch ziemlich vieles unklar. Aber eines ist sicher, dass Geld nur im Märchen vom Himmel fällt. Angesichts des notwendigen Hilfsprogramms ist es noch unsinniger geworden, gleichzeitig eine Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren.
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06:19 min, 5928 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.09.2022 / 14:51

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Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Mittagsmagazin
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 29.09.2022
CC BY-NC-SA
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wenn man sich die Äußerungen deutscher Generäle zum Krieg gegen die Ukraine ansieht, so stellt man fest, dass sie immer weit daneben lagen. Der Chef der Marine irrlichterte in seinen Aussagen bereits vor Kriegsbeginn so sehr umher, dass er zu einem Admiral im Ruhestand wurde. Andere Generäle wurden durch die Ereignisse rasch widerlegt. Zuletzt musste sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn von ausländischen Experten unisono anhören, seine Einschätzungen seien erstaunlich dürftig. Dabei berücksichtigten die Kritiker allerdings nicht den mutmaßlichen politischen Zweck seiner Expertise. Offensichtlich möchte der General keinen alten Stiefel aus Bundeswehrbeständen an die Ukraine abgeben. Doch das dürfte nicht alles sein, indem er ukrainische Erfolge kleinredet, lenkt er davon ab, dass sich dadurch auch das Bedrohungsszenario wesentlich geändert hat. Nun die rhetorische Frage: Lohnt es sich, einem solchen unfähigen Haufen von Generälen 100 Milliarden Euro Sondervermögen Bundeswehr anzuvertrauen? Auch die Befürworter des Sondervermögens müssten eigentlich sehen, dass die große Aufrüstung auf einer anderen Geschäftsgrundlage beschlossen wurde. Olaf Scholz hat die Idee am dritten Tag nach dem russischen Überfall verkündet als noch kaum jemand damit rechnete, die Ukraine könne militärisch überleben. Es ist noch immer nicht klar, wie dieser Krieg enden wird, aber so viel lässt sich sagen, dass sich gegenüber dem 27. Februar 2022 vieles verändert hat.
Abgesehen von der Möglichkeit, dass Putin doch zu Atomwaffen greift, wogegen keine Aufrüstung der Bundeswehr hilft, sind vor allem zwei Bedrohungen geblieben und auch bei keiner dieser beiden Bedrohungen hilft das „Sondervermögen Bundeswehr“. Die eine Gefahr ist, dass Putin doch noch eine Art Sieg in der Ukraine erringt. Dann ist die Wiederholung eines solchen Angriffskrieges sicherlich möglich. Wird Putins Krieg in der Ukraine aber zu einem Fehlschlag, jedenfalls aus russischer Sicht, dann ist eine Wiederholung nicht so bald zu befürchten.
Die zweite Gefahr geht von den hohen Energiepreisen aus. Schon das Tragen sinnvoller Gesichtsmasken wurde ja von vielen als unmögliche Zumutung gesehen. Was erst, wenn es den Leuten ernsthaft an den Geldbeutel geht? Wenn über Nacht Betriebe schließen müssen? Das kann zu einer ernsten politischen Krise führen. Man sollte sich nichts vormachen, Sahra Wagenknecht wird immer populärer. Angesichts der Misere auf den Energierechnungen deutscher Haushalte ist auch wieder mit einem Griff in den demagogischen Teil des politischen Werkzeugkastens zu rechnen. Ableitung der Empörung auf schwächere, insbesondere nicht wahlberechtigte. Die CDU hat sich ja gegen ukrainische Flüchtlinge schon mal vorsichtig eingeschossen.
Okay, die Ampel bosselt, nachdem man es über den Sommer verschlafen hat, jetzt an allerlei Preisbremsen und Hilfen. Ob es reichen wird ist fraglich. Derweil schlummert von der Welt vergessen ein mittlerweile sinnlos gewordenes Hundertmilliarden-Paket im politischen Safe der Bundeswehr.
Warum nicht die 100 Mrd. Sondervermögen Bundeswehr wirklich dort einsetzen, wo Gefahr droht? Ein großer Batzen sollte an die Ukraine gehen, vor allem auch für ökonomische und humanitäre Hilfen im Winter. Meiner Meinung nach braucht die Ukraine auch mehr Waffen, alleine schon um Putin zu zeigen, dass seine Eskalation nichts bringt. Aber das ist eine andere Diskussion.
Dann bleibt aber immer noch eine riesige Summe übrig. Damit ließe sich ein zusätzliches Winterhilfsprogramm auflegen. Das sollte nach sozialen und ökologischen Kriterien aufgestellt sein und auch besonders gefährdete Branchen, Stichwort Bäckereien, Stichwort Düngemittel etc. stützen.
Nun wurde die Verschuldung um 100 Mrd. Euro, darum handelt es sich ja im Grunde beim „Sondervermögen“, aus Gründen der politischen Choreographie ins Grundgesetz geschrieben. Das steht einer raschen Änderung entgegen, wie auch der Umstand, dass Kanzler Scholz die Sache als seine originäre Idee sehen kann. Aber in Zeiten großer Krisen ist politische Lernfähigkeit nun mal notwendig, nicht nur bei der Gasumlage. Notfalls könnte man die 100 Mrd. ja auch in größeren Tranchen bei den geplanten Verteidigungshaushalten wieder abziehen.
Wenn Deutschland mit einer dem Militär abgezwackten Winterhilfe einigermaßen durch den Winter kommt, hat Putin ein von langer Hand eingefädeltes, großes Spiel verloren. Europa ist sicherer geworden und der Aggressor ist der Dumme. Zwar war der Überfall auf die Ukraine für die russischen Energiefirmen zunächst ein Gewinn, weil ein geringeres Exportvolumen durch den höheren Preis mehr als ausgeglichen wurde. Doch die Zahlen stammen aus dem ersten Halbjahr und erst im Juni wurden Gaslieferungen erheblich reduziert. Der mittlerweile totale Ausfall von Nord Stream 1 dürfte sich durch andere Exporte kaum noch ausgleichen lassen. Schon im August ist Putins Haushalt trotz hoher Energiepreise in die roten Zahlen gerutscht. Wenn die Europäer*innen durchhalten und keine russischen Siegesnachrichten von der Front kommen, lässt sich das auf Dauer nicht mehr so leicht ignorieren. Gleichzeitig treibt die Mobilmachung die Kosten des Krieges in die Höhe und schürt Unzufriedenheit. Wenn Putin nach dem Winter sehen muss, dass alle seine Trümpfe nicht gestochen haben, kann man vielleicht auch endlich an aussichtsreiche Friedensverhandlungen gehen. Zumindest besteht eine Chance darauf. Die Aufrüstung der Bundeswehr trägt hingegen nichts zur Lösung der aktuellen Probleme bei. Ein riesiger Batzen Geld, einfach aufs falsche Pferd gesetzt.

Kommentare
03.10.2022 / 17:58 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 3.10.. Vielen Dank !