"Der Kolonialismus hat nie aufgehört" - Widerstand in Sápmi

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colonierna.se ist ein Medienprojekt, das den Widerstand gegen den Kolonialismus dokumentiert, so steht es in ihrem Twitterprofil.
Und: kolonierna.se begann als ein Projekt, das die Invasion und Kolonialisierung durch Städte, Länder und Konzerne zeigen soll, das besagt die Website. Wir sprachen mit Johan. Er ist Umweltaktivist und lebt in dem von Schweden okkupierten Gebiet von Sápmi.
Audio
08:33 min, 20 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 28.03.2023 / 09:20

Dateizugriffe: 73

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 28.03.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Johan: Ich bin seit etwas über 10 Jahren aktiv in der Umweltbewegung auf dem Gebiet des von Schweden okkupierten Sápmi. Wir sind hier oben nicht immer besonders viele Leute, daher ist es schwierig, Dinge zu erledigen. Aber wir haben die eine oder andere Blockade und Besetzung realisieren können. Es ist eine aufregende Zeit gewesen, bis heute.


im Januar dieses Jahres lautete die frohe Botschaft in den deutschen mainstreamMedien unisono: "Die Entdeckung eines riesigen Vorkommens an Seltenen Erden im schwedischen Kiruna könnte Europas Abhängigkeit vom Ausland deutlich verringern". Mehr als eine Million Tonnen Metalloxide sollen den Übergang in das Zeitalter der nachhaltigen Energie ermöglichen. Jedoch werden durch die förderung dieser seltenen erden in Sapmi, die angestammten gebiete der sami zerstört. Skandinaviens einzige indigene nation wurde einst von Finnland, Schweden, Norwegen und Russland kolonisiert. Sie wurden gewaltsam assimiliert, unterdrückt, studiert und sind bis heute rassistischer diskriminierung ausgesetzt. Vielleicht kannst du das ein bißchen ausführen?

Johan: Das ist ein großes Thema. Als erstes kann ich sagen, daß ich selbst nicht Sámi bin. Aber ich kämpfe zusammen mit Sámi in der Umweltbewegung.
Das Konzept namens „grüner Kolonialismus“ wird immer gängiger. Und die Leute hier sagen: „der Kolonialismus hat nie aufgehört. Er dauert seit Jahrhunderten an, ohne Unterbrechung und zeigt nun lediglich ein anderes Gesicht.“ Er wird grün genannt, ist aber definitiv nicht grün – er ist alles andere, nur das nicht! Die Energiewende bedeutet für uns hier, daß die Natur immer weiter ausgebeutet und zerstört wird. Für die Rentierzüchter*innen, die seit Jahrhunderten von ihren Herden leben, könnte es die letzte Generation sein, die dies noch tun kann. Mit all der Industrie, die hier auftaucht, wird die nomadische Lebensweise mit Rentierherden immer schwieriger bis unmöglich. Die Indigene Bevölkerung ist dazu noch besonders betroffen von der globalen Erwärmung. In Schweden ist das ein großes Thema – vor allem im Norden: Die „grüne Transition“ wird beschworen und alle wiederholen das ewig gleiche Mantra; mensch bräuchte all diese Mineralien und all diese Windturbinen um die Energiewende umzusetzen, aber es ist alles Bullshit. Es ist keine wirkliche nachhaltige Energiewende.
Ich möchte ein bißchen darauf eingehen, wie wichtig Schweden in Europa ist für die grüne Energiewende generell: Die schwedischen Exporte – oder genauer gesagt die Exporte aus Sápmi – gehen gerade massiv hoch. Der Energiekonsum wird in unmittelbarer Zukunft auch drastisch zunehmen. Das schwedische Unternehmen Northvolt errichtet z.B. gerade neue Industriekomplexe um Lithiumbatterien für sogenannte „grüne“ Autos herzustellen. Neuerdings sind alle Fabriken hier in der Region grün; selbst die Stahlproduktion wird einem Greenwashing unterzogen. Aber sie verbrauchen dennoch riesige Mengen Strom, denn sie möchten gerne alles elektrifizieren: den Bergbau, die Autos und die Maschinen. Dafür sollen nochmal 1.000 Windkraftwerke gebaut werden. Damit hätten wir hier vermutlich den größten Windpark Europas. Und die Anzahl der Bergwerke soll ebenfalls verdoppelt werden. Derzeit haben wir hier etwa zehn bis 15 und es sollen nochmal zehn bis 15 Minen mehr werden. Und damit nicht genug – nicht nur die Anzahl verdoppelt sich, auch werden sie größer und die alten Industrieanlagen werden modernisiert. Das gleiche gilt für die Windturbinen und die Holzindustrie. Der Wald soll jetzt in dreifacher Geschwindigkeit ausgebeutet werden; die ganze Infrastruktur wie das Transportwesen, Straßen, Schienen und das Stromnetz wird erneuert. Das alles soll noch in diesem Jahrzehnt passieren. Das bedeutet eine massive Ausbeutung der Region..
Diese Konzerne werden vermutlich den Bedarf an elektrischem Strom in Schweden verdoppeln oder sogar verdreifachen. Das sind die Dimensionen, von denen wir hier sprechen.
Und viele Leute in Schweden und in Sápmi wissen nichts davon

Meike: ich habe im netzt eine Zehn Jahre alte Nachrichten vom August 2013 gefunden. Daheißt es: Schweden: Anhaltende Straßenblockade gegen Bergbau im Saami-Territorium. Und weiter: "In Sapmi, dem traditionellen Territorium der Saami, hat sich eine Gruppe indigener und nicht-indigener Aktivist*innen zusammengeschlossen, um das in Großbritannien ansässige Bergbauunternehmen Beowulf daran zu hindern, ein weiteres Bohrprogramm in Kallak (Saami: Gállok) durchzuführen, einem Gebiet von großer spiritueller und kultureller Bedeutung für die Saami."
gallok ging in die geschichte ein als ein kampf, um eine wunderschöne wilde Kulturlandschaft vor einer Eisenmine zu bewahren! Das Problem mit Gállok ist, dass die von dem Unternehmen geplante Mine die Rentierweiden der nomadischen Rentierzüchter*innen zerstören und somit gravierende Auswirkungen auf die traditionelle Lebensweise der Sami haben könnte. Die von indigenen und nicht-indigenen Aktivist*innen im Jahr 2013 errichtete Blockade sollte das Unternehmen daran hindern, Probebohrungen nach Eisenerz durchzuführen. Diese Genehmigung wurde 2020 von der schwedischen Regierung verweigert und dann 2022 erneut erteilt. Kannst du über den Fall Gallok und diese anhaltenden Kämpfe sprechen?

Johan: Die Umweltbewegung in Schweden hat so etwas wie einen Neustart im Jahr 2012 in auf der Insel Gotland erfahren. Dort gab es eine Waldbesetzung mit großer Beteiligung rebellischer Aktivisti*, mit Blockaden von Forstmaschinen. Im Sommer darauf folgte der Kampf um das geplante Bergwerk Gállok, wo die Sámibevölkerung aus den Dörfern und Sámi Aktivisti* miteinbezogen wurden. Das wurde eine Riesensache in Schweden und inzwischen ist die Mine international in den Medien und sehr bekannt. Gállok ist so etwas wie ein symbolischer Kampf geworden und dieser dauert bis heute an. Es gibt organisierte Treffen ungefähr alle zwei Jahre seit 2013, das Netzwerk wächst stetig und wir organisieren uns nach wie vor!

Meike: Im Jahr 2013 sagen die Menschen in interview, dass dies nur der Anfang eines indigenen Aktes der Selbstverteidigung sei. War es das erste Mal, dass indigene und nicht-indigene Menschen in Sveden gemeinsam gegen ein großes multinationales Unternehmen gekämpft haben?
Johan: Ich weiß, daß es im norwegischen Alta zuvor bereits indigenen Widerstand gegen ein Wasserkraftwerk gegeben hat. Das war Ende der 1970er. Aber in Schweden habe ich zumindest noch nichts davon gehört, daß es so etwas wie Gállok zuvor schon einmal gegeben hätte. Viele Sámi Leute haben mir bestätigt, daß sie vorher nie so etwas wie zivilen Ungehorsam geleistet hätten – also ihre Körper nutzen, um Widerstand auszuüben.

Kommentare
29.03.2023 / 22:48 gesendet am 29.03 in sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
Vielen
Dank!
 
31.03.2023 / 14:44 Klaus/, Freie RadioCooperative Husum, Westküste
am 31.3. im FRC-Infomagazin
besten Dank !