Im Süden nichts Neues - eine Nachbetrachtung zur Landtagswahl in BaWü

ID 12136
 
Was war eigentlich interessant an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg? Auf den ersten Blick könnte man sagen: Im Süden nichts Neues, aber wagen wir einen zweiten Blick.
Audio
08:26 min, 3956 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 30.03.2006 / 16:33

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Tuefunk
Entstehung

AutorInnen: Andreas Linder
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 30.03.2006
keine Linzenz
Skript

Punkt 1: Die CDU hat gewonnen
Hat jemand etwas anderes erwartet? Wohl kaum. Die derzeitig regierende Burschenregie unter Ministerpräsident Oettinger ist offenbar konkurrenzlos. Die CDU verspricht die Sicherung von Privilegien für die Bevölkerung im reichsten deutschen Bundesland, im Speckgürtel des globalen Kapitalismus. Nichts konnte das Wahlvolk abhalten, diese Partei mehrheitlich zu wählen, auch nicht der angesagte Ausstieg aus dem Atomausstieg und erst recht nicht der unsägliche Einbürgerungsfragebogen. Die Rechnung der CDU ist aufgegangen: Wer Stabilität und Wirtschaftswachstum verspricht und noch ein paar rassistische Töne reinmischt, macht es in Baden-Württemberg richtig. Oettinger wird nun von den Medien als politischer Modellathlet rumgereicht. Verdient hat er diese Aufwertung nicht.

Punkt 2 Mit sozialer Gerechtigkeit lassen sich keine Wahlen gewinnen.
Jedenfalls nicht in Baden-Württemberg. Das zeigt der Absturz der SPD. Das zeigt aber auch die Bedeutungslosigkeit der WASG. Die SPD hat sich zwar die üblichen sozialen Gerechtigkeits-Floskeln auf die Wahlplakate geschrieben, ihre Top-Wahlkampfthemen waren aber Atompolitik und Bildung. Das dürfte einen einfachen Grund haben. Die SPD hat es schon längst nicht mehr mit der sozialen Gerechtigkeit, sondern schwimmt auf der neoliberalen Welle. Die Partei hat kein soziales Profil mehr. Wenn es darauf ankommt, vertritt sie die Interessen der Lobbys. Das macht unglaubwürdig und das führt dazu, dass diese Partei nur noch von ihren unverbesserlichen Daueranhängern gewählt wird. Die Spitzenkandidatin Ute Vogt kann ihrem Gegenüber Günther Oettinger sicher politisch das Wasser reichen und würde vieles progressiver angehen. Aber was nutzt das in einer Partei, die sich selbst aufgegeben hat?

Punkt 3: Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie nie zuvor.
Gleich nach der Wahl ist das Klagelied auf die geringe Wahlbeteiligung angestimmt worden. Es wurde fieberhaft nach Gründen gesucht, warum so wenig Menschen an die Urnen gingen und zwar bei allen Wahlen am vergangenen Sonntag. Das am häufigsten genannte Argument für diesen Umstand war die Existenz der großen Koalition in Berlin. Diese habe eine neue Zufriedenheit mit der Politik ausgelöst, die Dinge seien im Fluss und lassen das, was in den Bundesländern geschehe, zweitrangig werden. Diese Einschätzung widerspricht der von den Wahlen von vielen vertretenen Auffassung, dass die große Koalition in Berlin ermögliche, dass es bei den Landtagswahlen mal wirklich nur um Landesthemen gehe. Doch offenbar wirkt sich die Situation in Berlin doch auf die Stimmung vor Ort aus. Mir scheint aber noch ein anderer Aspekt wichtig zu sein. Sagen wir es so: Es gab einfach nichts zu wählen. Die Parteien, die sich da zur Wahl gestellt haben, unterscheiden sich kaum voneinander, jedenfalls, wenn man das Resultat anschaut. Ein Kurt Beck in Rheinland-Pfalz macht kaum andere Politik als ein Oettinger in BaWü. Es wird wieder viel von Politikverdrossenheit geredet. Mir scheint der Begriff Parteienverdrossenheit genauer. Fassen wir das noch mal mit anderen Worten zusammen: Bei diesen Wahlen haben so wenige Menschen ihr Kreuz gemacht, weil es letztlich um nichts ging. Die Hälfte der Wahlberechtigkeiten hat brav seine Bürgerpflicht erledigt, das ist doch eigentlich ein Erfolg. Aber nun wieder zurück nach Baden-Württemberg

Punkt 4: Es geht weiter nach rechts
Gehen wir mal davon aus, dass die Grünen die Hälfte ihrer Stimmen nur deswegen bekommen haben, weil sie eine grün angestrichene CDU sind und dies auch immer wieder betonen wie z.B. Winfried Kretschmann gleich nach der Wahl hervorhob, dass die Grünen die Partei seien, die Ökologie und Kapitalismus in Einklang bringen wollen. Gehen wir außerdem davon aus, dass die sonstigen Parteien wie sie alle heißen im politischen Spektrum rechts von der CDU anzusiedeln sind, also die FDP, DPP, Zentrum, Graue, Republikaner, NPD, Tierschutzpartei, RSB, PBC, Unabhängige und so weiter. Nehmen wir ferner freundlicherweise an, dass die WASG und diejenigen, die die SPD gewählt haben, links sind und zählen die Hälfte der Grünenstimmen dazu, dann ergibt das insgesamt ca. 33%. d.h. zwei Drittel des Wahlvolks in Baden-Württemberg wählt rechts, ein Drittel wählt links. Tendenz steigend. In einigen Kommunen hat das Schwarz gar nur ein paar winzige grüne oder rote Flecken. Die NPD konnte die Anzahl ihrer Stimmen fast vervierfachen, bleibt aber mit 0,7 Prozent unbedeutend. Dennoch geht von dieser Partei eine massive Gefahr aus, da sie mittlerweile auch aufstrebende Jung-Neonazis wie Lars Käppler aufgenommen hat, die die rechtsextreme Trommel rühren. Die Reps sind weiter abgesackt auf jetzt 2,5 %, aber das ist auch kein Wunder, denn das, was die Reps wollen, macht die CDU viel besser. Wagen wir nun den Umkehrschluß:

Punkt 5: Es gibt keine linke Alternative in Baden-Württemberg
Neben dem desolaten Zustand der SPD, der sich nun auch aufs Wahlergebnis niedergeschlagen hat, steht der Neuling WASG mindestens genauso desolat da. Von diversen Berliner Parteifunktionären wurden die rund 3% in Baden-Württemberg wie auch in Rheinland-Pfalz als Erfolg dargestellt. Nun, da wollen wir hoffen, dass die Partei nicht mal einen Misserfolg einfährt. Fakt ist, dass die PDS im Westen bei vergangenen Wahlen genauso viele Prozente eingefahren hat wie ihr Westgewächs WASG. Dieses Projekt ist also nicht aus den Startlöchern gekommen. Biederkeit und Nichtattraktivität bestimmen das Erscheinungsbild dieser Partei. Nicht mal von der Schwäche der SPD konnte diese Partei profitieren, die SPD hat ihre Wähler vor allem an die Grünen verloren.

Punkt 6: Und Tübingen?
Unser geliebtes Tübingen scheint sich dem Trend mal wieder zu widersetzen. 32 % Grünenwähler sind wohl nur zum Teil auf den eifrigen Wahlkämpfer Boris Palmer zurück zu führen. Das sind nicht nur Palmer-Stimmen, sondern es ist das Tübinger Gschmäckle, dieses überheblich weltoffene und neureiche Bildungsbürgertum, das nur Luxusprobleme hat. Dieses selbstzufriedene Grünen-Klientel hat seinen Stammsitz im Französischen Viertel. Dort baut es ökologisch und sozial korrekte Wohnprojekte und Dreizimmerwohnungen, kann sich teure Bioprodukte leisten und lässt sich von den Ein-Euro-Jobbern der Stadt den Abfall von der Straße auflesen.