Kapitalismuskritik in Zeiten des G8-Gipfels Teil 2

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Vor etwa einem Monat war in der deutschen Öffentlichkeit eine Debatte „hoch gekocht“, deren Heftigkeit überraschend war.

30 Jahre nach dem so genannten „Deutschen Herbst“ im Jahre 1977 wird ein neuer heraufbeschworen. Der „deutsche Frühling“ dieser Tage eben. Aber, was in diesen Augenblicken sich zeigt, ist im Wesentlichen die Zelebrierung eines Triumphes. Der des Staates und des Kapitals vielleicht?
Augenscheinlich kümmern sich als Exekutive auch so manche Redakteure.
„Vermummte Grammatik Unverhüllte Logik“, so Thomas Assheuer in der Zeit.
„Düsteres Grußwort“, so Klaus Christian Malzahn in Spiegel-Online.
Verschiedene als Fakten anerkannte Wahrheiten erschweren so die Suche. Aber wonach?
Woher der Zorn der PolitikerInnen auf ihre Untergebenen? Müssen die sich wehren gegen die Zumutungen des Kapitalismus? In diesem Jahr wird jedenfalls nach unten getreten. Damit der Stiefel richtig sitzt, braucht nicht geschmiert zu werden. Arbeitsplätze gibt es nur im Negativ zu verteilen, dafür werden umso mehr Zäune gebaut. In Heiligendamm zum Beispiel.

Im Vordergrund aber, steht eine Opferdebatte ins Haus. Die muss gefüttert sein. Mit Flucht und Vertreibung, zum Beispiel. Der „deutsche“ Frühling soll endlich ausbrechen. Die Tornados sind schon mal durchgestartet.

Dem allgemeinen Aufbegehren soll es gleich, oder besser vorher besorgt werden. – Erfahrungen sammeln deutsche Polizisten und Soldaten im Auslandseinsatz, in Abschiebeanstalten und anderen no-go-areas. Nach Möglichkeit werden alle hier Gebliebenen mit allen technischen Mitteln überwacht. Gewürzt mit Rassismus und Brutalität.

Wahlweise ausgesperrt oder eingesperrt sollen die bleiben, welche sich wehren oder nicht ordentlich profitieren. Das ist die eine Seite. Die andere: Mehr Opfer braucht Land und Kapital.

An anderen Stellen heißt es dann auch: Sparen ist der Leitspruch! Die Vermehrung der Opfer wird zelebriert. Ist der Triumph nicht aufzuhalten?

Was? Da gibt es ja immer noch welche, dies nicht fluffich finden? Die denken, dass es Zurichtungen gibt? Gewalt? Welche noch dazu vom Staate ausgeht?

Aus der Abschlusserklärung der Rostocker Aktionskonferenz gegen den G8-Gipfel:

„In nur noch 50 Tagen treffen sich die politischen Führungen der 7 mächtigsten Staaten des Westens und Russlands im Ostseebad Heiligendamm. Wie seit Seattle üblich, werden sie ihre Geschäfte hinter kilometerlangen Sperrzäunen und abgeschirmt von Tausenden sogenannter Sicherheitskräfte zu verrichten haben.“

Ja, vielleicht ist die Angst der Führungen ja berechtigt.

Die möglichen Freilassungen und Haftlockerungen früherer RAF-Mitglieder jedenfalls werden herangezogen, um den Zaun in den Köpfen mit zu errichten.
Oder sollten dies Versöhnungsmaßnahmen sein? Die Debatte um die Freilassung der RAF-Gefangenen ließe sich in vielerlei Hinsicht untersuchen.

Heute wollen wir weder einschlägige sozialwissenschaftliche, geschichtliche oder juristische Fragestellungen diskutieren. Was uns interessiert, ist die Möglichkeit einer kritischen Praxis. Wir suchen nach einer ablehnenden Haltung, die uns andere Räume öffnet. Wider den Zäunen!

Und so wollen wir uns zuerst den Verlauf der Debatte um die Freilassung der RAF-Gefangenen anschauen. Eingegrenzt auf die Zeit von Ende Januar bis Anfang April 2007.
Im zweiten Teil der Sendung ist von Interesse, wie linke Stimmen die Debatte analysierten.
2. Verlauf der Debatte

Nach mehr als 24 Jahren Haft hatte Brigitte Mohnhaupt zum wiederholten Mal Haftentlassung beantragt. Sie wurde am 21. Januar dazu vom Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart angehört. Die Bundesanwaltschaft unterstützte ihren Antrag und beantragte Haftentlassung.
Bei Christian Klar ist ein anderes Verfahren vorgesehen. Die für ihn festgesetzte Mindestverbüßungszeit läuft erst Anfang 2009 ab. Vorher soll nur der Bundespräsident ihm auf dem Gnadenweg die Freiheit geben können. Das Gnadengesuch hatte Christian Klar schon bei Präsident Johannes Rau eingereicht, der darüber jedoch nicht entschieden hatte.

Die Mainstream-Medien mahnen allenthalben Reue an. Die Vorlage dazu machen Schleyers Witwe und Bubacks Sohn.

Am 23. Januar äußert sich Michael Buback, der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, in der Süddeutschen Zeitung, weil er
„mehrfach und nachdrücklich zu einer ausführlicheren Stellungnahme aufgefordert wurde“ :

Es stört mich, dass ich nicht weiß, wer meinen Vater erschossen hat, und es verwundert mich, dass ein Täter ohne Bekenntnis zu seiner Tat und ohne Reue eine Begnadigung erwartet und dass er nicht zur Klärung des Ablaufs einer Tat beiträgt, für die er bereits eine seit etwa 24 Jahren andauernde Haft verbüßt hat.

Reue und Aufklärung bei den Tathergängen bleiben für die rechtskonservativen PolitikerInnen die zentralen Punkte, wenn sie sich zu dem Thema äußern:

Für RAF-Terroristen, die keine Spur von Reue zeigen, darf es keine Bewährung oder Begnadigung geben«, erklärte CSU-Generalsekretär Markus Söder. Ein solcher Schritt wäre ein »Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen.“

Im Focus vom 31. Januar empfindet man Christian Klars Gnadengesuch als

„dreist. Christian Klar hat nie Reue gezeigt und nie ein Geständnis abgelegt. Bis heute hat er, genau wie die bald freie Mitmörderin Brigitte Mohnhaupt, nichts zu dem RAF-Terror gesagt, dem insgesamt 34 Menschen zum Opfer fielen.“

Am 12. Februar entschied das Oberlandesgericht Stuttgart, dass Mohnhaupts Gefängnisstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Dagegen sei ja nichts einzuwenden, doch:

„Im Interesse der Opfer und Angehörigen ist es […] „dringend notwendig und wünschenswert, dass Frau Mohnhaupt auch öffentlich Reue bekennt“, so SPD- Generalsekretär Hubertus Heil.

„Stoiber kritisierte die Freilassung und erklärte, eine Entschuldigung bei den Hinterbliebenen der Opfer sei »zwingend notwendig“.

Beckstein sagte, weil Mohnhaupt schweige, seien heute immer noch Straftaten der RAF unaufgeklärt:

„Vor diesem Hintergrund ist für mich die Vorstellung, dass Brigitte Mohnhaupt nach ihrer Haftentlassung mit diesem Wissen durch Talkshows tingelt und womöglich den RAF-Terrorismus nostalgisch verklärt, nur schwer erträglich.“

Sie sollte so lange inhaftiert bleiben, bis sie zu einer Aussage bereit sei – eben notfalls bis an ihr Lebensende.

Mit diesen Positionen steht man noch relativ alleine da. Von liberaler Seite wird dezent darauf hingewiesen, dass Reue, Entschuldigung und Tataufklärung nicht Vorraussetzung für eine Freilassung sein können. Und dass sich bei einer Entscheidung gegen die Haftentlassung Mohnhaupts die Justiz „doch noch auf die Logik der RAF-Terroristen eingelassen“ hätte.

„Mit der Entscheidung, die ehemalige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt freizulassen, erweist sich der Rechtsstaat als selbstbewusst und human. Die Gesellschaft sollte daraus lernen.“

Heißt es in einem Kommentar in Zeit online vom 12. Februar 2007.

Der ehemalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel warb 1992 öffentlich für Haftentlassungen und tat dies nun im Januar wieder. „Man muss einen Menschen nicht bis zum Ende seines Lebens richten“ sagte er in der Süddeutschen Zeitung am 23. Januar und plädierte für eine Haftentlassung sowohl von Brigitte Mohnhaupt als auch von Christian Klar.

Kern der Auseinandersetzung ist die Frage, ob sich der Staat mit einer Freilassung einen Gefallen tut oder eben nicht.

Die Stimmung ändert sich, als Report Mainz am 26. Februar ein Grußwort Christian Klars sensationsheischend aufbereitete, welches bereits Mitte Januar veröffentlicht wurde. Das Grußwort war an die TeilnehmerInnen der Rosa-Luxemburg-Konferenz gerichtet. Bei Report Mainz wittert man eine „sensationelle“ Entdeckung:

Sein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten steht vor der Entscheidung. Ein Gutachten fiel positiv aus. Doch reicht das? Kann es Gnade ohne Reue, ohne Mithilfe bei der Aufklärung seiner Taten geben?

Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz meldet sich Klar überraschend zu Wort. Nach Jahren des Schweigens. In einem Grußwort, vorgetragen von PDS-Mann Heinrich Fink. Die breite Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit. Reue ist im Grußwort kein Thema, statt dessen ein politisches Statement.

Da auch Report Mainz klar ist, dass hier ein heikles Thema behandelt wird, gibt es am Ende folgende Abmoderation:

Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich kann auch Christian Klar ultralinke Positionen vertreten. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt auch für ihn. Doch in einer Zeit, wo der höchste Repräsentant des Staates über einen Gnadengesuch zu entscheiden hat, ist es unsere Pflicht, Äußerungen wie die von Christian Klar öffentlich zu machen und einzuordnen.

Die „pflichtgemäße“ öffentliche Einordnung der Äußerungen Christian Klars führte jedoch schnell dazu, dass eben das Recht auf Meinungsfreiheit für den Häftling Christian Klar nur noch bedingt galt.
Am folgenden Tag zweifelte Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) das vorher erstellte kriminologische Gutachten im Focus an:

„Man kann die jüngsten Äußerungen des Gefangenen Klar durchaus im Zusammenhang mit der Frage seiner Gefährlichkeit sehen. Wir ziehen deshalb in Erwägung, das Lockerungsgutachten ergänzen zu lassen oder ein neues Gutachten in Auftrag zu geben“.

28. Februar. Ein Tag darauf. Christian Klar bekommt aufgrund seines Grußwortes die unmittelbar bevorstehenden Vollzugslockerungen doch nicht gewährt. Stattdessen wurde ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben. Zu der Frage, ob von Christian Klar immer noch eine Gefahr ausgehe.

Zahlreiche Politiker warnten derweil Bundespräsident Horst Köhler vor einer Begnadigung Christian Klars. Die Mobilisierung des Volkszorns hat nun augenscheinlich die Oberhand gewonnen. Wir haben ein paar Statements eingefangen:

Focus, 27. Februar:

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, sagte, Klar habe mit seiner Grußadresse an die Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Umsturz der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgerufen.
„Wenn hier eine Begnadigung erfolgen würde, wäre das ein wirklich fataler Schlag gegen das Rechtsbewusstsein der überwältigenden Mehrheit parteiübergreifend in der Bevölkerung.“

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: „Man kann einfach nur mit dem Kopf schütteln, wie jemand für sich erwartet, eine Gnadenentscheidung zu bekommen, der selber politisch überhaupt uneinsichtig ist.“

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) sagte, der aggressive Ton und die ideologische Verbohrtheit der Grußbotschaft machten deutlich, dass Klar ein unverbesserlicher terroristischer Verbrecher sei.

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte, Klar habe sich nicht glaubwürdig von dem Treiben und Gedankengut der Roten Armee Fraktion (RAF) der 70er-Jahre gelöst.

Auch nach Auffassung von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) dürfte die Erklärung Klars Einfluss auf die Entscheidung über das Gnadengesuch haben. Klar habe offenbar nicht sehr viel gelernt, weil er sich derselben Art ideologisierten Sprache wie vor 30 Jahren bediene, sagte Thierse.

FDP-Chef Guido Westerwelle betonte: „Wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient.“ Klar sei ein verurteilter Serienmörder, dessen Begnadigung er strikt ablehne.

CSU-Generalsekretär Markus Söder erklärte, die Äußerungen Klars zeigten, »daß so ein Mann nie auf freien Fuß kommen darf«.

Und Roland Koch moniert in der FAZ vom 1. März 2007, dass:

„seit Wochen mehr Aufhebens um die Täter als um die Opfer gemacht werde. Und es ist tatsächlich mehr über die Mörder und die an den Morden Beteiligten und ihre früheren Sympathisanten zu lesen. Nicht annähernd so viel wird über die Witwen der Ermordeten oder ihre Kinder, die ohne Vater groß geworden sind, gesprochen. Diese Beobachtung machen viele Menschen, und sie empfinden sie als ungerecht.
Ein Zweites kommt hinzu. Da werden Aussagen durch die Republik geweht oder solidarische Erklärungen abgegeben, die mehr als haarsträubend sind. […] Was ist das für ein Signal an junge Menschen?“

fragt Roland Koch. Auch Bernd Neumann (CDU), Staatsminister im Kanzleramt, sprach sich gegen eine Freilassung aus:

»Herr Klar hat gegenüber den Hinterbliebenen keine Reue gezeigt. Vor diesem Hintergrund wäre eine Begnadigung den Angehörigen der Opfer schwer zu vermitteln«.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) legt nach. Beckstein stellt selbst die im Jahr 2009 mögliche Haftentlassung Klars auf Bewährung in Frage:

„Die Richter müßten sehr sorgfältig prüfen, ob »nicht von Klar weiter Sicherheitsgefahren ausgehen«. Der »aggressive Ton und die ideologische Verbohrtheit« seiner Grußbotschaft an eine marxistische Konferenz zeigten ihn als einen »einen unverbesserlichen Terroristen«.

Beckstein in nichts nachstehen will auch Stoiber. Er sieht in der Grußadresse:

einen Aufruf »zum Kampf gegen die deutsche Gesellschaft«.

Die faschistoide Legitimation liefert Philipp Missfelder, der Vorsitzende der Jungen Union:

Denn ein »Staatsfeind«, meint Philipp Mißfelder, […], hat »keine Gnade verdient«.

Das ist der endgültige Startschuss für die Redaktionen. Alles ist nun erlaubt.

Der Leiter des Politik-Ressort bei Spiegel Online, Claus Christian Malzahn, macht mit der einfachen Rechnung »Raus mit der Wahrheit – dann raus aus dem Knast« Erpressung hoffähig. »Hallo Ex-RAF – hier ist der Deal: Sagt uns endlich, wer geschossen hat, dann reden wir über Gnade. Denn wir wissen noch immer nicht, wer Hanns Martin Schleyer auf dem Gewissen hat.«

Mit seinem »düsteren Grußwort«, schreibt Claus Christian Malzahn in Spiegel Online, habe sich Christian Klar »um Kopf und Kragen« geredet.

Malzahn gibt sich trotz allem tolerant: »Klar träumt in seiner Zelle davon, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen«. Solange er nur davon träumt und nicht wieder zur Waffe greift, ist das nicht verboten«.
Das will Thomas Assheuer in seinem Kommentar für Die Zeit so nicht gelten lassen. Für ihn kommen in Klars Traum die bekannten Gewaltphantasien der RAF zum Vorschein.
»In der vermummten Grammatik«, schreibt er, »steckt eine unverhüllte Logik: Wer ›vernichtende Rezepte‹ anwendet, ja selbst wer dem Kapital ›propagandistisch‹ vorarbeitet, ist vor der Geschichte schuldig geworden – und muß offenbar kaltgestellt werden.

Die Kampagne gegen die mögliche Freilassung des früheren RAF-Mitglieds Christian Klar geht nun durch alle bürgerlichen Lager. Nur wenige sprachen sich eindeutig für dessen Begnadigung aus. Stattdessen nutzen alle parlamentarisch Organisierten das Thema, um sich zu profilieren.
Der Intendant des Berliner Ensembles Claus Peymann ist einer der wenigen Intellektuellen, die sich auch inhaltlich voll hinter Klars kurze Erklärung stellen.

„Das sind auch meine Ansichten«, erklärte Peymann in der Mittwochausgabe der tageszeitung. »Das, was Klar sagt, ist doch eigentlich die Meinung von fünf Milliarden Menschen auf der Welt.« Er spreche das aus, was der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb Westeuropas und der USA denke. »Es kann ja nicht sein, daß dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluß ist. Wer einen halbwegs klaren Kopf hat, weiß doch, daß es nur eine Chance für die Zukunft gibt, wenn wir das System ändern«, so der BE-Chef weiter. »Das System ist bis ins Mark faul. Das weiß jeder Klarsichtige – apropos Klar.«

Für dieses Zeichen der Solidarität erntete Claus Peymann dann auch heftige Kritik.
Dass die Linke allgemein gemeint ist, veranlasst nun erstmals auch populäre VertreterInnen der globalisierungskritischen Bewegung, sich zu dem Thema zu äußern.

»ATTAC hat mit den Praktiken der RAF nichts zu tun, aber selbstverständlich ist es legitim, ja sogar notwendig, den Kapitalismus zu kritisieren«, betonte Professor Elmar Altvater, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks. »Nur wer sich in der besten aller möglichen Welten wähnt, wird eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus für veraltet und überflüssig halten.«
„Wenn Justizminister Goll den in Bruchsal gefangenen Klar wegen seiner kapitalismuskritischen Äußerungen keine Haftlockerungen gewährt, sei dies »vordemokratisch« und mit einem liberalen Verständnis von Politik nicht vereinbar, kritisierte Altvater. Die Forderung zahlreicher Politiker, Christian Klar müsse aufgrund seiner Gesinnung lebenslang hinter Gittern bleiben, sei mit dem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar.“

Der Streit um eine mögliche Begnadigung verschärfte sich weiter.
In der Linkspartei/PDS stritten sich unterdessen Ulla Jelpke und Bodo Ramelow darüber, ob die Mehrheit der Bundestagsfraktion der Meinung ist, dass der Kapitalismus weiter bekämpft werden müsse.

Die FAZ schreibt gegen

„schwer erträgliche, ja zynische Botschaften aus der einstigen RAF. Soll die demokratische Öffentlichkeit, die Politik darauf reagieren?“

Die FAZ kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Altlinken Christian Klar für eine Kampagne benutzen:

„ Endlich, so meinen diese Leute, kämen sie wieder in die Offensive.“

Die Zeit zieht dann auch Parallelen zwischen islamistischen Attentätern und dem westlichen Terrorismus.

Vieles, was unter dem Namen Islamismus oder Islamofaschismus Schlagzeilen gemacht hat – der Todeskult, der Größenwahn, die pfauenhafte Eitelkeit der Führer –, finden wir bei westlichen Vorgängern Osama bin Ladens vorgebildet.

Die Reuedebatte kocht unterdessen weiter. Sie ist das treibende Motiv für den anzustachelnden Volkszorn.

Die Kampagne hat noch andere Facetten und wird auch im März ungemindert fortgesetzt.
In den Mainstream-Medien wird „Die Geschichte der RAF“ und „Die RAF – Unser schlechtes Gewissen“ bearbeitet.
Der Kampf um die Deutungshoheit über das Jahr 1977 hat gerade erst begonnen.

Wir brechen an dieser Stelle aber ab.
Wir wenden uns an die Linke – was sagt sie dazu?

3. Linke Stimmen

Schon am 9. Februar erklärte Lucy Redler (WASG):

Die eigentliche Botschaft derjenigen bürgerlichen Politiker, die sich vehement gegen eine Freilassung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt aussprechen ist: Wer sich mit System und Staat anlegt, der bekommt keine Gnade. Sie kommen nur raus, wenn sie zu Kreuze kriechen. Die liberalen Vertreter des Kapitalismus befürworten eine vorzeitige Haftentlassung. Sie wollen das Kapitel RAF abschließen und damit auch eine Botschaft transportieren: Der Kampf ist endgültig vorbei. Es gibt keinen Grund mehr, gegen das System zu rebellieren.

Ilse Schwipper, selbst einstmals militante Aktivistin, konstatiert in einem Interview:

Das ist keine primitive oder naive Debatte, sondern in meinen Augen eine reaktionäre Konterrevolution, die den Sinn haben soll, allen künftigen Generationen die Lust auf Freiheit und Revolution zu nehmen.

Dissent, das ist die Linksradikale Koordinierung gegen den G8-Gipfel 2007. Aus diesem Spektrum wurde eine Erklärung zum Thema erarbeit:

Die Kampagne gegen Christian Klar deutet an, wohin die Reise gehen soll. Sie richtet sich nur vordergründig gegen Christian Klar, gemeint sind aber alle antikapitalistisch eingestellten Menschen und Projekte.
Die jüngste Geschichte aus dem deutschen NS-Faschismus sollte hier sensibel machen und Mahnung sein.


Kriminell sind nicht die Kritker_innen des Kapitalismus, sondern die Protagonist_innen des Neoliberalismus und der kapitalistischen Globalisierung, die weltweit für Hunger, Elend, Krieg und Umweltkatastrophen verantwortlich sind.
Deshalb rufen wir auch dazu auf, gegen das Treffen von Vertreter_innen der kapitalistischen Zentren (G8) im Juni dieses Jahres in Heiligendamm ein deutliches antikapitalistisches Signal zu setzen.

Soweit einige Stimmen aus dem Dissent-Spektrum. Dann gibt es noch die Gruppe Für eine linke Strömung – kurz: fels.

Man fühlt sich wie in einem schlechten Film. (...) Amtierende Politiker, pensionierte Richter und öffentlichkeitssüchtige Talkshow-Dauergäste legen einen derart ungewohnten Eifer an den Tag, wenn es darum geht zu begründen, warum Gnade für ehemalige RAF-Kämpfer nicht in Frage kommt, daß man sich fragt, wie hoch die Prämie ist, die auf den extravagantesten Vorschlag ausgelobt ist. Da kommt keiner auf die Idee zu fragen, ob es einem bürgerlichen Rechtsstaat angemessen ist, Menschen über zwanzig Jahre einzusperren, obwohl ihnen keine persönliche Verantwortung für die ihnen vorgeworfenen Taten nachgewiesen werden kann. (Noch mal zur Erinnerung: Kein einziger NS-Verbrecher saß so lange in einem deutschen Gefängnis.) Statt dessen wird von den Inhaftierten eine obrigkeitsstaatliche Geste verlangt – die Verurteilten sollen zur Aufklärung der Fälle endlich ihren Beitrag leisten und öffentlich Reue zeigen. Das ist – auch innerhalb der Logik des bürgerlichen Rechtsverständnisses – gelinde gesagt eine absurde Situation.

Fels abschließend dazu:

Für eine radikale linke Politik ist es deshalb nicht nur notwendig, sich kritisch und selbstkritisch mit der Geschichte des bewaffneten Kampfs auseinanderzusetzen. Zudem und vor allem ist es wichtig, Staatskritik zu üben. Was aber nicht fehlen darf, ist die Solidarität. Die Solidarität mit den Gefangenen eines außer Rand und Band geratenen Rechtsstaats.

Georg Polikeit, langjähriger Chefredakteur der Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei äußert sich folgendermaßen:

Mit der kriminalisierenden Verteufelung von Klars Äußerungen soll das Eintreten für gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus generell getroffen werden.
[Die] hysterische Reaktion eines Teils der herrschenden Klasse auf das Klar-Grußwort ist durchaus symptomatisch. Sie zeigt, wohin sie die Entwicklung in diesem Land gern treiben möchten. Nämlich dahin, daß niemand es mehr wagt, die kapitalistischen Verhältnisse in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite zeigt es auch, daß sich diese Kreise von den sich entwickelnden Gegenbewegungen in ihren Vorhaben behindert und von der Perspektive ihrer Weiterentwicklung bedroht fühlen. Offenbar sind die Zeiten, in denen sich diese Herrschaften als die endgültigen Sieger der Geschichte fühlten, doch schon wieder im Abklingen.
Man reagiert mit der ideologischen Bekämpfung und Isolierung linker Bewegungen und gleichzeitig mit der Schaffung zusätzlicher Instrumentarien für polizeistaatliche Repression.

Am 10. März trifft sich die sog. Antikapitalistische Linke in Erfurt. Sie verabschiedet eine Erklärung, aus der wir den folgenden Ausschnitt zitieren:

Kapitalismus ist keine Lösung – Antikapitalismus ist kein Verbrechen! Schluß mit der Kriminalisierung antikapitalistischer Meinungen!
Am Fall Christian Klar wird versucht, ein Exempel zu statuieren: Antikapitalismus soll bestraft werden. Politiker/innen und Medien im Spektrum von Grün bis zur CSU, von der taz bis zu Springer machen aus Klars »Gnadengesuch« eine Frage der Rache. Sie versuchen, Christian Klar einen Strick aus seinem antikapitalistischen Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz zu drehen.
Die Klar-Debatte wird von den Befürworterinnen und Befürwortern des Kapitalismus dazu benutzt, jegliche antikapitalistische Meinung zu kriminalisieren und in die Nähe des Terrorismus zu rücken. Wer den Kapitalismus ablehnt, der gehört in den Knast, lautet die Botschaft. Mit sehr ähnlichen Begründungen geht die Staatsgewalt gegen alle vor, die nach gesellschaftlichen Alternativen suchen.

Die Jungleworld glänzt unterdessen mit einer Textanalyse der Grußadresse von Christian Klar. Sie bemerkt,

„dass der Häftling sich zur Sozialdemokratie bekennt. […] Wenn ein Gefangener aus der RAF im Jahr 1977 eine solche Grußadresse verschickt und aus der Zelle heraus über seinen zukünftigen Arbeitsplatz verhandelt hätte, wäre das als sensationeller Resozialisierungserfolg gefeiert worden.
[Der] Sicherheits- und Wettbewerbsstaat des 21. Jahrunderts kann sich nicht mit passiver Akzeptanz zufrieden geben. Die besondere Treue, die nicht mehr nur den Beamten abverlangt wird, muss durch »Eigeninitiative« unter Beweis gestellt werden.

Seit den 70er Jahren,

[…] sind die Anpassungsanforderungen, nicht nur für politische Gefangene, immens gewachsen, und es wird immer leichter, ein Staatsfeind zu sein. »Ein kluges Wort, und schon bist du Kommunist«, sagte man in den siebziger Jahren. Mittlerweile ist nicht einmal das mehr nötig.

Jörn Schulz von der Wochenzeitung Jungleworld, stellt die scharfsinnige Frage:

Geht es auch bei den Reaktionen auf Klars Grußadresse um Prävention? Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Sozialabbau könnten eine größere Motivation zur Entführung von Arbeitgeberpräsidenten sein als die vergleichsweise paradiesischen Verhältnisse in den siebziger Jahren. Doch der Gipfel der Militanz ist schon erreicht, wenn jemand die Schlösser beim Arbeitsamt zuklebt.

Die Bejahung des Kapitalismus ist da eine Selbstverständlichkeit. Im »Deutschen Herbst« konnte auch ein CDU-Minister schwerlich die SPD kriminalisieren, die das Godesberger Programm erst 1989 ersetzte.

Noch sieht die »Grundordnung«, […], ein Verbot der Kapitalismuskritik nicht vor. Die EU-Verfassung aber wird die »unternehmerische Freiheit« zum Menschenrecht erheben. Das bedeutet vorläufig nicht, dass neue Hochsicherheitstrakte für Attac-Mitglieder gebaut werden. […] Deutlich wird jedoch das Bestreben, noch restriktiver zu definieren, was »Kritik aus demokratischer Verantwortung« ist. In der staatlichen Politik gegenüber der RAF ging es immer darum klarzustellen, dass niemand sich ungestraft gegen Staat und Kapital erhebt.
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27:17 min, 16 MB, mp3
mp3, 80 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 26.01.2008 / 00:52

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Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: G8 - Radioforum - Raise-your-voice
Entstehung

AutorInnen: Franzi
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 22.04.2007
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