Genua-Repression geht nach hinten los - Schub für italienische Linke

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Die Mobilisierung gegen den CSU-Parteitag mit dem "Besuch" Silvio Berlusconis
steht in engen Zusammenhang mit den Ereignissen in Genua. Die Bewegung gegen
die kapitalistische Globalisierung wurde dort mit einem bisher unbekannten Ausmaß
an staatlicher Repression konfrontiert der im Tod eines Demonstranten gipfelte. Im
Vorfeld einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel "Genua - Analyse und
Perspektive", die vergangenen Donnerstag in der Desi stattfand, unterhielten wir
uns mit Dario Azzellini, einem freien Journalisten und Mitglied der Gruppe fels in
Berlin. Er erzählt uns zunächst, wie das politische Klima in Italien sich nach Genua
verändert hat und wie die Bewegung mit der Repression während und nach dem
G7 Gipfel umgeht.
Audio
04:31 min, 1587 kB, mp3
mp3, 48 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 15.10.2001 / 00:00

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen:
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 10.10.2001
keine Linzenz
Skript
Dario Azzellini: Das politische Klima in Italien ist so, das sich die Bewegung durch die harte Repression in Genua nicht hat erschrecken lassen. Es waren ja nur zwei, drei Tage danach nochmals insgesamt 300.000 Leute auf der Straße in ganz Italien. Die Demonstrationen sind auch weiter gegangen und vor allen Dingen jetzt nach der politischen Sommerpause, die in Italien ja immer bis Mitte September dauert, schießen in allen Städten Social Foren wie die Pilze aus dem Boden. Vor einer Woche waren es bereits rund 80 in verschiedenen Städten, und es kommen fast täglich neue hinzu. Also das Beispiel des Genoa Social Forum hat in den verschiedenen italienischen Städten Schule gemacht, und das war auch jetzt nach diesen Anschlägen in New York und Washigton. Da waren es die Social Foren in den verschiedenen Städten, die als erste zu Demonstrationen mobilisiert haben. Einerseits natürlich gegen solche Anschläge, andererseits, was jetzt auch im Vordergrund steht, für die Bewegung, gegen einen Krieg.

Radio Z: Die so genannte. Anti-Globalisierungsbewegung wurde in Genua mit einem bisher nicht bekannten Ausmaß an Repression konfrontiert, der im Tod eines Demonstranten gipfelte. Es kam in Genua zu regelrechten Hetzjagden durch die Polizei. Trotzdem hat sie nicht ihre Ziel erreicht und die Menschen sind weiter engagiert?

Dario Azzellini: Ja, ich denke es ist sicherlich für viele ein Ansporn gewesen nach Genua weiter auch tatsächlich politisch zu arbeiten. Genua war für viele in Italien erst mal ein Event, was viele Menschen hingezogen hat, die vorher in keiner kontinuierlichen politischen Arbeit gesteckt haben, und da hat sich danach sehr viel formiert. Insofern kann man sagen, es ist nach hinten losgegangen, was dort an systematischer Repression von der Regierung geplant und danach gedeckt wurde. Auch die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile über 60 Anzeigen gegen Polizisten ausgeschrieben. Die Regierung versucht aber weiter mit der gleichen Strategie vorzugehen wie bisher. Berlusconi hat ja kürzlich erst in Berlin nochmals wiederholt, dass es eine seltsame Übereinstimmung zwischen den Terroristen, die die Anschläge in New York und Washington verübt haben, und der Anti-Globalisierungsbewegung gäbe. Einen ähnlichen Tenor hat er ja bereits während des G8-Gipfels aufgeworfen, wo er auch schon den G8-GegnerInnen vorwarf, sich in der Nähe islamisch-terroristischer Kreise zu befinden. Das ist natürlich ziemlich absurd, ab das ist die Kriminalisierungsstrategie, die die Regierung in Italien gerade fährt. Das hat sich auch so ausgewirkt, dass in Folge dieser Hetzkampagne verschiedener Regierungsangehöriger gegen Luca Casarini, den Sprecher der Tute Bianche, Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Einerseits wegen Genua, Aufforderung zur Bildung krimineller Vereinigungen, und andererseits wegen einer Demo, die einige Monate vorher in Genua stattgefunden hat, gegen einen Biotech-Kongress. Da wird Luca Casarini angeklagt, sich aktiv an Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei beteiligt zu haben. Gleichzeitig gab es in Italien mehrere dubiose Bombenanschläge, die von Seiten der Regierung und der Polizei im vornherein sofort Linken angelastet werden und wo gesagt wird, das ist der qualitative Sprung, den eben dieses absehbare terroristische Umfeld von Genua macht.

Radio Z: Gegen den Sprecher der Tute Bianche laufen also mehrere Ermittlungsverfahren, unter anderem auch wegen der gewalttätigen Ausschreitungen in Genua. In Deutschland würde dies wohl innerhalb eines Bündnisses die ritualisierte Gewaltdiskussion auslösen und schließlich in einer Spaltung enden. Sieht das in Italien anders aus?

Dario Azzellini: Es hat sicherlich auch in Italien Auseinandersetzungen zu dem Thema gegeben. Es haben sich aus dem Genoa Social Forum und dem Gesamtbündnis nach Genua mit der Kritik an Gewalt einige moderate katholische Organisationen verabschiedet, die vorher noch Teil waren. Wobei sich aber die linken katholischen Organisationen nach wie vor in diesem Forum befinden. Was die Anklage gegen Luca Casarini betrifft, so wird das einhellig verurteilt - auch teilweise von verschiedenen Abgeordneten im Parlament. Weil das Vorgehen der Tute Bianche in Genua natürlich vom Bündnis getragen war. Das, was dort an Schutzmaßnahmen gelaufen ist, war vorher publik und klar und wurde ja auch so vom Forum getragen. Deswegen wird bisher zumindest von der ganzen Breite des Bündnisses die Anklage gegen Luca Casarini zurückgewiesen, und es wird eben von einer Hetzjagd, die an die 50er Jahre erinnert, geredet.