Syrien - eine Rezension

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In dem Buch "Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert", herausgegeben von W. Gehrke und C. Reymann, gehen verschiedene Autoren den Ursachen des syrischen Bürgerkrieges nach. Während die Analysen oft etwas schablonenhaft erscheinen, ist das Plädoyer der AutorInnen für Verhandlungen anstelle des Wartens auf eine militärische Entscheidung etwas, was es verdient in der Diskussion wieder aufgenommen zu werden.
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07:58 min, 7472 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.04.2013 / 15:11

Dateizugriffe: 38

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Morgenradio
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 16.04.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Bis vor kurzem war Syrien eine für diesen Planeten nicht untypische kleine Diktatur, mit ein paar pseudodemokratischen Elementen, 16 Geheimdiensten, etwas Führerkult, Nationalismus, Militarismus und zwei, drei Erzfeinden, die für alles verantwortlich sind. Syrien war in seiner Region aber auch geradezu eine Insel von religiöser Toleranz und relativer Gleichberechtigung der Geschlechter. Ein Land mit nur mäßigen Öleinnahmen und einer unterentwickelten Wirtschaft, aber auch ein Land ohne große Armut und mit einem funktionierenden Gesundheitssystem. Für Nichtregierungsgegner auch ein irgendwie gemütliches Land, in dem die Beamten mit langen Wasserpfeifen in den Gärten der Kaffeehäuser sitzen, während auf dem Tischchen noch ein kleines Tässchen Mokka steht. Politisch unfrei, privat gemütlich und tolerant.

Inspiriert vom Arabischen Frühling hat sich ein großer Teil Syriens erhoben. Ein Aufstand gegen die Diktatur, alsbald gesponsert von nicht eben lupenreinen Demokratien, als da sind Saudi Arabien und Qatar.

Was haben wir vor uns? Die zweite Runde im Bürgerkrieg zwischen dem Arabischen Nationalismus und den Muslim-Brüdern, nachdem die Islamisten vor dreißig Jahren die erste Runde verloren haben? Spielen die USA auf Risiko die sunnitische Karte gegen den schiitischen Iran? Ist es im Grunde doch ein Aufstand der syrischen Massen, mit ein paar Trittbrettfahrern? Von alledem etwas?

Auskunft verspricht nun das Buch: „Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert“. Es ist eine Artikelsammlung, herausgegeben von Wolfgang Gehrke und Christiane Reymann. Erschienen im PapyRossa Verlag und kostet 9 Euro und 90 Cent.

Zu Wort kommen deutsche Autoren aus dem Umfeld der Linkspartei, zusammen mit einigen Vertretern der syrischen Opposition und dem Ägypter Mamdouh Habashi.

Die politische Herkunft der deutschen Autorinnen und Autoren spiegelt sich in dem Buch deutlich wieder. Die Sympathien und Antipathien lassen einen ein wenig an die Nahostpolitik der DDR denken. Die Fehler des arabischen Nationalismus und damit auch der in Syrien regierenden Baath-Partei werden zwar nicht geleugnet aber eher mit Milde gesehen. Die Rolle von Mächten, die der Politik der USA entgegenstehen, wie Russland, China und Iran wird ausschließlich in positivem Zusammenhang erwähnt. Falsche Bündnisse im eigenen Lager sind kaum der Erwähnung wert. Etwa das von Moskau unterstützte Bündnis der Kommunistischen Partei Iraks mit Saddam Huseins irakischer Baath-Partei, dass der stärksten linken Partei in der Region nachhaltig das Genick gebrochen hat. Auch unter den Parteien die neben der syrischen Baath-Partei formell aber nicht wirklich an der Regierung des Landes beteiligt sind, tragen zwei das Adjektiv „kommunistisch“ und fünf das Adjektiv „sozialistisch“.

Während diesem Teil der arabischen Linken alle Fehler vergeben werden, weigern sich die deutschen Autorinnen und Autoren, für die neuesten Umbrüche in der arabischen Welt positiv besetzte Etiketten, wie „Revolution“ oder „Arabischer Frühling“ zu gebrauchen.

Ein Autor begründet das im Falle Syriens damit, dass der jetzige Aufstand wohl nicht zu einer Demokratie führen würde. Dann darf man aber auch die Oktoberrevolution und strenggenommen auch die Französische Revolution nicht mehr so nennen. Im Grunde kommt hier eine gewisse Fremdheit gegenüber den Bewegungen in der Region zum Ausdruck, sofern sich diese nicht genügend antiimperialistisch gebärden. Man fragt sich, ob das der einzige Maßstab ist und sein sollte.

Überraschenderweise fehlt ein eigenes Kapitel über die ökonomischen Verhältnisse in Syrien, was in einer Analyse des Aufstandes, gerade wenn sie von Links kommt, eigentlich nicht fehlen sollte. Stattdessen begnügen sich verschiedene Autoren mit dem Hinweis darauf, dass die Liberalisierung der syrischen Wirtschaft unter Baschar al-Asad zu Verarmung geführt habe. Das hätte man gerne etwas genauer beschrieben und auch belegt. Wahrscheinlich war die Liberalisierung eher ein Ausbruchsversuch des Regimes, weil dessen altes Wirtschaftsmodell wegen der rückläufigen Ölförderung und des rasanten Bevölkerungswachstums an seine Grenzen gestoßen war.

Viele Artikel scheinen schlecht vorbereitet und rasch geschrieben. So erklären sich eine Reihe von sprachlichen und inhaltlichen Ungenauigkeiten. Da wird zum deutschen Wort „Öffnung“ als arabisches Pendant „intifah“ genannt. Es sollte iftitah heißen. Mit Staunen liest man, dass Tayyip Erdogan zum beliebtesten Politiker der islamischen Welt ernannt wurde. Wie bitte? Wer nimmt solche Ernennungen vor? Mit Befremden liest man auch folgenden Satz über Erdogans Partei:

„Zugleich bot die AKP ihr Gesellschaftskonzept als Alternative zu einem erzwungenen Säkularismus, wie in Ägypten, und als gemäßigte Variante des Islams an.“

In Ägypten stand der Bezug auf den Islam schon immer in der Verfassung, auch unter dem Mubarak-Regime. Für die Muslim-Brüder hat das nicht gereicht, aber ist das schon erzwungener Säkularismus? Jedenfalls im Titel des Buches scheinen die Autoren den Begriff „Säkularismus“ positiv zu gebrauchen. Im Falle von Ägypten wird er durch das beigefügte „erzwungen“ stigmatisiert. Dabei kann man Zwang, wenn dies das Kriterium sein sollte, dem Asad-Regime noch weit mehr vorwerfen, als jeder ägyptischen Regierung.

Auch hier stellt sich der Verdacht wieder ein, dass es den Autoren weniger um die soziale Wirklichkeit als um die Aufrechterhaltung der klassischen antiimperialistischen Sicht zu tun ist.

Allerdings enthält das Buch auch lesenswertes, manchmal sehr lesenswertes. Dazu gehören, wenn auch etwas kurz geraten, der Artikel von Mamdouh Habashi über die Muslim-Brüder und den politischen Islam und insbesondere das Interview, das Karin Leukefeld mit Haytham Manna, dem Auslandssprecher des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien (NCB) geführt hat. Haytham Manna stellt drastisch dar, wie insbesondere die bewaffnete syrische Opposition von verschiedenen ausländischen Mächten manipuliert wird. Außerdem erläutert er die drei Neins des NCB:

„Nein zur konfessionellen Aufspaltung. Nein zur ausländischen Intervention. Nein zur Gewalt.“

Die Herausgeber präsentieren eine Lösung für den Syrienkonflikt, ein Waffenstillstand und Verhandlungen mit dem Regime unter Regie der UNO. Genau das ist schon einmal gescheitert und es ist fraglich, ob es jetzt möglich wäre. Andererseits ist die Frage, was denn die Alternative sein soll. Es sieht nicht aus, als wäre der Bürgerkrieg rasch entschieden. Sollte das Regime aber nach langem Bürgerkrieg unter dem Druck von außen und innen militärisch unterliegen, so würde es ein Land mit Siegern und Besiegten zurücklassen, in dem vom Ausland bewaffnete und von den Golfstaaten finanzierte Gruppen ein großes Gewicht hätten. Nichts was man Syrien wünschen sollte.

Angesichts des Mangels an wirklichen Alternativen, wäre ein neuer Anlauf, zu echten Verhandlungen zu kommen, einen Versuch wert. Angesichts der auch vom eigenen Standpunkt aus katastrophalen Lage, könnte das Regime vielleicht dazu bereit sein. Ein Teil der Opposition, dem es um den Islamischen Staat oder nichts geht, aber sicher nicht.

Das Buch enthält auch einen Who is Who der syrischen Politik und weitere Dokumente. Auch damit bleibt es nur 188 Seiten dünn.

Kommentare
17.04.2013 / 18:12 Angelika Fey, Radio Unerhört Marburg (RUM)
gesendet Gleis 16, Radio Unerhört Marburg 17.4.
Danke!
 
17.04.2013 / 19:28 Christian, Radio Unerhört Marburg (RUM)
Eine Bitte:
Bei Rezensionen wäre es gut, am Ende die bibliographischen Angaben zu machen und auch in die Kurzzusammenfassung zu schreiben, das machts übersichtlicher.
 
29.04.2013 / 22:12 Jens, coloRadio, Dresden
Gesendet auf coloradio 29.4.13 zw. 21:00 u. 22:00
Vielen Dank!