Mehr Geld!

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Die 'Realwirtschaft' verlangt nach mehr Geld von der Europäischen Zentralbank. Laut darf sie das aber nicht fordern - nicht nach Griechenland
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Upload vom 11.12.2015 / 14:19

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Jörg
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 11.12.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Mehr Geld!

In den letzten beiden Wochen war die Europäische Zentralbank ab und an in den Schlagzeile. Erst ging es darum, dass die Aktionäre von der EZB enttäuscht seinen.

So schreibt eine Zeitschrift “Der Aktionär” am 3. Dezember
Zitat
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Anleger am Donnerstag mit ihren geldpolitischen Maßnahmen vor den Kopf gestoßen. Vor allem die Details zur Ausweitung der gigantischen Anleihekäufe verfehlten die Erwartungen deutlich
Zitat Ende

Genau lesen:
Die Ausweitung der gigantischen Anleihekäufe war den Aktionären nicht gigantisch genug. Anscheinend brauchen die Aktienmärkte derzeit wieder gigantische Maßnahmen.

Aber die EZB hat StaatsAnleihen und keine Aktien gekauft. Wie hängt das zusammen?

Die AKtienmärkte gieren nach Inflation, der Eurokurs gegenüber USD und YEN muss weiter drastisch fallen, damit die Exporte und Profite weiter steigen

Und dann noch eine Meldung in den Medien über Geheimabkommen der EZB mit den nationalen Zentralbanken

Schreibt etwa die FAZ am 7. Dezember

Zitat
Neben dem Billionen-Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank gibt es seit der Krise weitere Käufe durch nationale Notenbanken, die bislang im Dunkeln blieben. Das ganze Ausmaß der Käufe ist erst jetzt ans Licht gekommen. Zwischen dem Jahr 2006, also vor Ausbruch der Finanzkrise, und 2012, dem Höhepunkt der Euro-Krise, hat eine Handvoll Notenbanken für rund 510 Milliarden Euro Wertpapiere aufgekauft und im Gegenzug frisches Geld in die Märkte gepumpt. Bis Ende 2014 stiegen die Wertpapierkäufe sogar auf mehr als 720 Milliarden Euro.
Zitat Ende

Ein GRAUER EURO sei entstanden, das Verbot der Monetarisierung der Staatsschulden - das Gelddrucken der Zentralbanken für ihre Regierungen - sei durchbrochen worden. Denn - wie wir alle wissen droht dann die Geldentwertung wie 1923. Ein Hühnerei für 1 Billion Reichmark, Verlust der Ersparnisse.

Aber halt - waren die Aktienmärkte denn nicht eben noch enttäuscht über die nicht eingetretene gigantische Ausweitung des gigantischen Anleihekaufprogramms. Ist den Aktienmärkten denn nicht ein Eurokurs von 1,09 USD noch viel zu niedrig. Schreien die Aktienmärkte nicht nach einem Kurs unter 1, USD?

Wie passt das alles zusammen?

Was hat überhaupt die EZB mit dem Eurokurs zu tun?
Die normale Arbeit der EZB besteht darin, den Zentralbanken der Euro-Mitgliedsländer die Zinsen vorzuschreiben, unter denen diese Geld an Geschäftsbanken verleihen dürfen. Je niedriger diese Zinsen, desto mehr wird normalerweise geliehen. Normalerweise!

Außerdem legt die EZB den sog. Mindestreservesatz des Währungsraumes fest. Dieser Mindestreservesatz ist der reziproke - umgekehrte Wert des Faktors mit dem die Geschäftsbanken aus Zentralbankgeld andere Geldmengenaggregate erzeugen dürfen.

Derzeit liegt der Mindestreservesatz bei einem Prozent - ein historisch niedriger Wert. Ein Prozent müssen die Geschäftsbanken bei der Zentralbank hinterlegen, wenn sie die restlichen 99 Prozent an eine andere Bank oder nach außerhalb des Bankensystems verleihen. Dafür bekommen die Banken einen Schuldschein "I OWE YOU"(IOU) des Schuldners. Und dieser Schuldschein ist bares Geld wert.

99 EUro (Geldmenge M1) verliehen plus einen Schuldschein IOU über 99 Euro erhalten - macht zusammen 198 Euro (Geldmenge M2) usw.

Nach der Formel des Money Multipliers - auf Deutsch Geldschöpfungsmultiplikator kann bei einem Mindestreservesatz von 1 Prozent die hundertfache Menge an anderen Geldaggreggaten generiert werden - theoretisch.

Was aber, wenn kaum jemand Kredite aufnehmen will, etwa, weil viel zu viel Geld in Form von Vermögenswerten auf den Konten der Reichen liegt oder weil keine lukrativen Renditen locken? Was, wenn die Staaten keine neuen Schulden machen können, einfach weil ein immer größerer Teile der Staatsbudgets bereits dem Schuldendienst alter Schulden verschrieben sind? Was, wenn wie 2008 phantastische Summen von privaten Kreditgeldaggregaten sich einfach in Luft auflösen, weil niemand sie jemals zurückzahlen kann und will?

Dann kommt der “lender of last resort” - die Zentralbank und druckt neues souveränes staatliches Geld. In den USA und UK heißt das dann Quantitative Easing, aus Japan kommt der Begriff Abenomics und in der Eurozone ist diese Politik mit dem EZB-Präsident Mario Draghi verbunden.

Die Sprachregelung verlangt die Unabhängigkeit der Zentralbanken vom Staat. Warum überhaupt? Im 18. Jahrhundert war die Bank of England nur deswegen unabhängig, weil sie ein Zusammenschluss privater Banken zur Staatsfinanzierung war, ebenso die Federal Reserve Bank der USA. Einige kleinere europäische Zentralbanken, wie die Bank of Greece, sind Privatbanken, aber Bundesbank, die Banque de France, die Banca d’Italia sind längst verstaatlicht, halten aber die Fiktion der Unabhängigkeit aufrecht - ebenso die Europäische Zentralbank.

Eine vertrackte Situation: Die überwiegend staatliche EZB darf nicht das machen, was die Bank of England und die Fed seit Anbeginn machen: Die Finanzierung ihres eigenen Staates.
Doch das macht jetzt auch die EZB - und darüber freuen sich die Aktionäre an den europäischen Börsen. Sie wollen nur noch viel viel mehr!

“Am 22. Januar 2015 kündigte der Zentralbankrat der EZB an, ab März 2015 pro Monat 60 Mrd. Euro für den Ankauf von Wertpapieren ausgeben zu wollen (Expanded asset-purchase program (EAPP)[41], erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten[42]).”
Wikipedia

Und dieses Programm wurde nun letzte Woche erweitert, aber nicht genug. Nach Meinung der Aktienmärkte genügt eine Ausdehung des Programms auf 1,6 Billionen Euro nicht. Also fallen die Kurs der sog. Realwirtschaft. Nicht nur, weil dadurch nicht die Inflation auf die Zielmarke von 2 Prozent gehoben wird und dann vielleicht der Euro im Wert sinkt, sondern weil einfach nicht genug neues Geld die Staatshaushalte entlastet.

Verrückte Welt: Zentralbanken und auch die EZB sind satzungsgemäß dazu da, den Geldwert stabil zu halten. In Zeiten stabiler Preise sehen sie sich berufen, Inflation überhaupt zu erzeugen.

Aber was spricht gegen die Generierung von Geld durch den Staat und nicht durch Privatbanken und Kreditwirtschaft?

Silvio Gesell hatte dazu um die Wende zum 20. Jahrhundert eine verblüffend einfache Lösung: Geldpolitik (für ihn Freigeld-Politik) braucht nur eine Druckerpresse und einen Ofen. Benötigt das Gemeinwesen Geld, springt die Druckerpresse an. das so gedruckte Geld (heute wohl eher auf dem Bildschirm gezeigt “print screen”) kommt gleichmäßig unter die Leute (gleichmäßig - denn Gesell war Sozialist) und verrichtet sein segensreiches Werk.

Im Falle, dass die Preise steigen, weil dummerweise zu viel Geld gedruckt wurde oder die Nachfrage das Angebot übersteigt, erhebt das Gemeinwesen eine Steuer , kassiert das überschüssige Geld und verbrennt es in dem oben erwähnten Ofen - heute eine Tätigkeit auf der Tastatur.

Diese antizyklische Intervention erinnert hier schon deutlich an Meynard Keynes.

Ein anderes Element der Freigeldtheorie von Silvio Gesell sorgt allerdings dafür, dass sein Konzept in einer Welt des polarisierten Eigentums - das Anhäufen des Reichtums in den Händen einer hauchdünnen Schicht - nie in die Tat umgesetzt wurde: Geld sollte ausschließlich für Interaktionen verwendet werden, nicht zum Anhäufen von Reichtum. Geld scheine sollten mit einem Verfalldatum versehen werden als sog Schwundgeld. Und von Schwundgeld lassen sich weder Mark Zuckerberg noch George Soros überzeugen.


Die wirklich Reichen dieser Welt wollen ihr Geld für sich arbeiten lassen, indem sie es anlegen und dadurch in Wirklichkeit andere Menschen für sich arbeiten lassen.

Silvio Gesell war „Volksbeauftragter für Finanzen“ der kurzlebigen Münchner Rärerepublik 1919. Nur mit Mühe und Not entkam er der Hinrichtung durch die Freicporps.

Nach ihm ist ein Badeort in Argentinien benannt: Villa Gesell - sein Sohn Carlos hat die Stadt gegründet. Schön dort im Frühsommer bis 33 Grad heute.

Kommentare
17.12.2015 / 17:59 sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
lief bei bermuda.funk
in sonar am 17.12.. Danke! Allerdings mit Verweis auf die Kritik an Gesell und den Gesellianer*innen.