Präsidentschaftsvorwahlen im Rust Belt

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Was haben die Vorwahlen zur US-Präsidentschaft mit dem Niedergang der Mittelschicht, mit maroder öffentlicher Infrastruktur und US-Militärpolitik auf dem gesamten Globus zu tun?

Im Beitrag wird der Bogen zwischen Michael Moores neuestem Film "Where to Invade Next" hin zum Scheitern des US-Geschäftsmodells gespannt.

Größter Teil des Beitrags ist die Übersetzung eines Kommentars der linksliberalen US-Kolumnistin Katrina vanden Heuvel zur Außenpolitik Hillary Clintons.
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17:58 min, 16 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.03.2016 / 19:35

Dateizugriffe: 537

Klassifizierung

Beitragsart: Collage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, in anderen Sprachen, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Moni und Jörg
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 10.03.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
http://www.kino.de/film/where-to-invade-...

Das war der Ton von Michael Moores Trailer zu seinem neuesten Film “Where To Invade Next”, der in Mannheim angelaufen war, aber auch schon wieder abgesetzt ist.

Nicht mit martialischer Macht soll einmal mehr in ferne Länder einmarschiert werden. Seine friedliche Einmannarmee schreitet zur Invasion zuerst in den Vereinigten Staaten, weil dort besonders vieles im Argen liegt und dann in Länder, die in Moores Augen ganz ordentliche Sozialleistungen zu bieten haben: etwa gebührenfreie Hochschulen in Slowenien, gesetzlicher Urlaub in Italien oder den staatlich finanzierten reproduktiven Gesundheitsdienst in Tunesien.

Moore hält den USA den Spiegel vor, indem er in andere Länder einmarschiert - bewaffnet nur mit Kamera und Mikrofon. Moores Film “Where to Invade Next” passt perfekt in den US- amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf: Er handelt von der Aushöhlung des US-Sozialsystems, von der Verrottung der öffentlichen Infrastruktur und vom Niedergang der Mittelschicht.

Ebenfalls Thema des Wahlkampfes ist die weit verbreitet Müdigkeit über weltweite militärische Interventionen und der verbreitete Wunsch auf eine Konzentration auf die Verbesserung der Verhältnisse im eigenen Land.

Denn nur so lässt sich die starke Position von “The Donald” Trump bei den Vorwahlen innerhalb der Republikanischen Partei erklären: Trump fokusiert die Angst und Wut einer sozialen Mittelschicht, die sich am unteren Rand immer schneller auflöst. Und Trump ist bei allen dummen, rassistischen Sprüchen Befürworter einer isolationistischen US-Außen- und Militärpolitik - ganz im Gegensatz etwa zu Mario Rubio, des Vertreters des republikanischen Partei-Establishments.

Im Lager der demokratischen Partei verläuft bei den Vorwahlen diese Linie zwischen den Kontrahenten Hillary Clinton und Bernie Sanders. Am vergangenen Sonntag konnte sich Sanders im US-Bundestaat Michigan gegen Clinton durchsetzen.

Und Michigan steht für die trostlose Realität der US-amerikanischen Industriegesellschaft. Michael Moore selbst stammt aus Flint nahe Detroit, der ehemaligen Motown der USA. Flint war auch einmal Automobilstandort und Moore beschreibt in seinem ersten Film “Roger & Me” wie aus einem General-Motors-Standort mit einstmals 80.000 Beschäftigten (darunter Moores Vater Frank) zur Produktionszeit des Filmes 1989 gerade noch 50.000 Menschen Arbeit hatten. Heute gibt nur noch 7000 Beschäftigte bei General Motors in Flint/Michigan.

Und Flint ist seit Monaten in den Schlagzeilen wegen der Vergiftung des Trinkwassers für seine Bewohner mit Schwermetallen, besonders Quecksilber.

Alles fing an im April 2014. Damals wechselte die Stadt Flint den Wasserversorger - von kontrolliertem Waser aus dem Lake Huron nahe Detroit zu Wasser aus dem Fluss Flint, für das keine Korrosionsunteruchung durchgeführt worden war. Das völlig überschuldete Flint wollte damit 5 Millionen USD sparen. Das ätzende Wasser aus dem Fluss Flint griff das überalterte Wasserleitungssystem der Stadt Flint an. Beides führte zu einer ganzen Reihe von gesundheitlichen Problemen, vor allem durch die Kontamination des Trinkwassers durch Schwermetalle.

Und die Einwohner von Flint sind überwiegend schwarz. Moore nennt die Vergiftung der Bewohner ein rassistisches Verbrechen und fordert die Verhaftung des Gouverneurs von Michigan, Rick Snyder.

Und Flint ist überall. Flint in Michigan liegt im so genannten “Rust Belt” - dem Rostgürtel der USA. Der Rust Belt ist das ehemalige industrielle Herz des Landes und erstreckt sich von New York, Pennsylvania, West Virginia, Ohio, Indiana, zum südlichen Michigan, Illinois und dem östlichen Wisconsin.

Der Rost Belt steht für die längst abgewickelte Stahlindustrie, für die siechende Automobilindustrie und inzwischen für die Deindustrialisiserung der USA selbst.

Mit Flint ist eine andere Bedeutung von Rust Belt hinzugekommen - verrostete Trinkwasserleitungen in einer verrotteten öffentlichen Infrastruktur.

Das US-Geschäftsmodell geht seinem Ende entgegen:

Der Wohlstand der Mittelschichten stützte sich auf kreditfinanzierte Immobilienpreise. Die Immobilienpreise stützten sich auf die Kaufkraft des USD. Die Kaufkraft des USD stützte sich auf das System des Doppelten Defizits aus Handels- und Haushaltsdefizit, der die Exporteure der Welt (Deutschland, Japan und China) zwang, zu unfreiwilligen Käufern von US-Staatsanleihen zu werden, um ihren Absatzmarkt solvent zu halten. Und US-Staatsanleihen sind (anders als bei uns) die Maßzahl für die umlaufenden Dollarnoten.

Europa hat sich weitgehend aus diesem System verabschiedet, China verkauft in großem Stil US-Staatsanleihen - und selbst Japan betreibt seine Währungspolitik nicht mehr nach den Vorgaben der USA.

Die Wirtschafts- und Währungspolitik der USA steht vor der Alternative:

Entweder Festhalten am Status-Quo - an einem weltweiten dollarbasierten Währungssystem und dessen Durchsetzung durch Macht- und Militärpolitik.

oder

Zurückfahren des Verteidigungsbudgets - mit seinen 750 Stützpunkten weltweit, Hauptverursacher des Handels- und Haushaltsdefizits - und Modernisierung der maroden öffentlichen Infrastruktur verbunden mit einer Reindustrialisierung des Landes möglichst weit oben in der Wertschöpfungskette und eine Verbesserung der Sozialsysteme und des Lebensstandards.

Der einzige, der erkennbar für die zweite Option steht, ist Bernie Sanders - für eine Politik des Status-Quo - auch militärisch aggressiv - steht Hillary Clinton. Bei dieser Alternative geht es vielleicht nicht um Krieg oder Frieden, aber vielleicht um mehr Krieg oder mehr Frieden.


Hier nun die Übersetzung eines Beitrags von Katrina vanden Heuvel aus der Washington Post vom 9. März 2016 mit dem Titel “Bernie Sanders, ein außenpolitischer Realist”.

Katrina vanden Heuvel selbst ist als Chefredakteurin der progressiv-linksliberalen Wochenzeitschrift “The Nation” durchaus ein journalistisches Schwergewicht. Vanden Heuvel ist ebenso Mitglied des sagenumwitterten Council on Foreign Relations - dort aber wohl eher als linksliberales Feigenblatt.

In der Kolumne hier nimmt sie offen für Sanders und gegen Clinton Stellung, sie setzt internationale Ereignisse in Zusammenhänge, für die man in der bundesdeutschen Kommunikationskultur wegen Antiamerikanismus gescholten, geteert und gefedert wird. Und - sie will offensichtlich Teile der Demokratischen Partei auf die Seite des Sanders-Lagers herüberziehen.

(Übersetzung des Originaltextes)

Bernie Sanders, ein außenpolitischer Realist

In ihrer Abwehr gegen die Herausforderung durch Senator Bernie Sanders geht Hillary Clinton sehr stark hinter Präsident Obama in Deckung, indem sie ihre damalige Nominierung zur Außenministerin als Bestätigung seines Vertrauens in ihre Urteilskraft deutet und gleichzeitig Sandes schmäht, dass er noch nicht bereit sei im Hauptprogramm als Oberster Befehlshaber aufzutreten.

Tatsächlich steht außer Frage, dass Sanders Obamas Vorsicht näher steht als Clinton.

Ein bezeichnendes Indiz dafür ist, dass Clintons Kritik an Sanders sich anhört wie die Angriffe, die sie selbst auf Obama 2008 gemacht hat. Damals schaltete ihr Wahlkampfkomitee den berüchtigten Werbespot “3 a.m phone call” - Ein Anruf nachts um Drei:

https://www.youtube.com/watch?v=7yr7odFUARg

Der Werbespot aus den Vorwahlen 2008 sollte ausdrücken, dass Obama einfach noch nicht bereit sei Präsident zu werden. Genau so kritisiert sie Sanders heute.
Niemand könne vorhersehen, was Tag für Tag durch die Tür des Weißen Hauses komme, welch eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten oder für einen ihrer Freunde und Verbündeten. Auch 2008 schmähte sie Obama als “verantwortungslos und schlicht naiv” nur weil dieser gesagt hatte, er sei bereit zu Verhandlungen mit dem Iran, Nordkorea und Kuba - ohne “Vorbedingungen”. Jetzt beschuldigt ihr Wahlkampf Sanders des “fundamentalen Missverständnisses” für seinen Ruf nach Einbeziehung Russlands, des Irans mit den sunnitischen Staaten und den Verbündeten in einer koordinierten Anstrengung, den Islamischen Staat zu besiegen.

Diese Wahlkampfrhetorik offenbart auch ein bezeichnendes Auseinanderfallen der Ansichten. Sanders und Obama stellten sich beide gegen die katastrophale Entscheidung zum Krieg im Irak. Clinton dagegen stimmte dafür und vertrat diesen Standpunkt noch mehrere Jahre. Das war - wie Sanders nicht müde wird zu betonen - nicht nur ein verhängnisvoller Fall schlechten Urteilvermögens, es reflektiert auch unterschiedliche Weltsichten.

Hillary Clinton ist - wie Vizepräsident Biden feststellte - von ihrem Temperament her eine “Interventionistin” . Sie glaube, die Vereinigten Staaten seien eine so genannte “verantwortliche Nation”, was - in Bidens Worten - bedeute, dass “wir etwas tun müssen, wenn die Bösen etwas Böses machen”, egal ob unsere vitalen Interessen berührt werden oder nicht.

Führende Neokonservative wie Robert Kagan (der auch Beiträge für die Washington Post schreibt), ein Befürworter des Irakkrieges, fühlen sich bestätigt durch Clintons Ansichten.

“Wenn sie die Politik verfolgt, die wir erwarten, dass sie sie verfolgt”, sagte Kagan im Juni 2014, dann kann man das durchaus “neocon” neokonservativ nennen. Ihre Anhänger werden das nicht so bezeichnen, sie werden ein anderes Wort dafür finden.”

Barack Obama und Bernie Sanders andererseits teilen die Ansicht einer “sceptical restraint”, einer skeptischen Zurückhaltung. Sie sorgen sich um die unbeabsichtigten Konsequenzen vom “regime change” - vom herbeigeführten Regimewechsel. Sie sind sich mehr der Grenzen und Kosten militärischer Macht bewusst. Sie glauben nicht, die Vereinigten Staaten könnten oder sollten Polizist der ganzen Welt sein. Sie verstehen, dass ohne Zurückhaltung im Ausland wir niemals in der Lage sein würden, uns auf den Wiederaufbau unseres Landes daheim zu konzentrieren.

Diese Unterschiede spiegelten sich auch in der Amtsperiode Obamas. Außenministerin Clinton machte sich zusammen mit den Generälen stark für eine Verstärkung der “counterinsurgency”, der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan - gegen Vizepräsident Biden und gegen ihren eigenen Berater Richard Holbrooke. Der Präsident war skeptisch, stimmte am Ende aber zu. Die “counterinsurgency” war ein Fehlschlag und die Vereinigten Staaten stecken bis heute in Afghanistan fest.

Nach einem zweiteiligen Artikel der New York Times, der sich auf Berichte tief im Inneren des Systems stützt, drängte Clinton auf eine Bombardierung Libyens - entgegen den Einwänden von Verteidigungsminister Robert Gates und der Führung des Vereinigten Generalstabs. Der Präsident habe gezögert aber am Ende zugestimmt. Clinton sei entzückt gewesen, als die Intervention von einem Aufhalten ziviler Massaker zu einem Regimewechsel führte. Als sie von Muammar al-Gaddafis Tötung erfuhr, habe sie frohlockt:

“Wir kamen, wir sahen, er starb.”

Sie vertrat den Standpunkt, dies sei ein klassisches Beispiel für den intelligenten Einsatz von Macht. Doch heute ist Libyen ein gescheiterter Staat, zerrissen zwischen rivalisierenden Milizen, währenddem der Islamische Staat seine Basis im Land immer weiter konsolidiert.

Clinton drängte heftig auf die Bewaffnung der sagenumwobenen “gemäßigten Rebellen” in Syrien, als dort der Bürgerkrieg ausbrach. Der Präsident war dagegen, nannte die Idee später ein Hirngespinst, weil wir Amateure bewaffnet hätten gegen eine gut bewaffnete Regierung “unterstützt durch Russland, den Iran und eine kampferprobte Hisbollah” .

Die CIA lieferte Handfeuerwaffen und Unterstützung an die Kurden, aber eine 500-Millionen teure Aktion, die “gemäßigten Rebellen” in Syrien im Kampf gegen den Islamischen Staat zu unterstützen, endete in einer bitteren Demütigung.

Als Hillary Clinton 2013 schließlich das Amt der Außenministerin verließ, brandmarkte sie die Syrienpolitik Obamas als “Fehlschlag”, rief nach mehr US-Spezialkräften, Ausbildern, mehr Waffen und einer Verdoppelung in den Anstrengungen, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad aus dem Amt zu jagen und gleichzeitig dessen Feind, den Islamischen Staat zu bekämpfen. Sie trat für die Einrichtung einer Flugverbotszone ein sicherlich gegen russische und syrische Flugzeuge, was wiederum der Präsident als “unausgereifte” Idee verwarf.

Sanders ist kein Pazifist. Er unterstützte den Gewalteinsatz auf dem Balkan unter Bill Clinton. Sanders unterstützte auch die ursprüngliche Intervention in Afghanistan, um nach dem 11. September 2001 Osama bin Laden und Al-Qaida zu bekämpfen. Aber ebenso wie Obama war er gegen den Krieg im Irak und war skeptisch gegenüber einem herbeigeführten Regimewechsel in Libyen und Syrien. Hillary Clinton kritisierte Sanders schroff für seinen Ruf nach einem Nukearabkommen zur Verbesserung der Beziehungen zum Iran, seinen Ruf nach Aussetzung eines gewünschten Regimewechsels in Syrien und nach einer Einbeziehung Russlands und des Irans in einem koordinierten Vorgehen gegen den Islamischen Staat. Jetzt hat die US-Regierung dank der Anstrengungen des Clinton-Nachfolgers John Kerry einen brüchigen Waffenstillstand in Syrien ausgehandelt. Wenn der hält, setzt er Kräfte der russischen und syrischen Armee frei, um den Islamischen Staat in Syrien zu bekämpfen, während das iranisch beeinflusste irakische Militär das selbe macht im Irak.

Auch Obama ist keineswegs Pazifist oder Interventionsgegner. Er hat mehr als die Bush-Regierung die Ausweitung von Drohnenangriffen angeordnet. Er hat das Recht des amerikanischen Präsidenten bekräftigt, selbst amerikanische Staatsbürger im Kampf gegen den Terrorismus töten zu lassen. Selbst skeptisch gegen das Führen von Kriegen wird er seine Präsidentschaft mit US-Truppen in Afghanistan, Irak, Libyen und indirekt in Syrien beenden.

Im Frühjahr 2013 sprach Obama an der National Defense University über den Kampf gegen den Terrorismus. Er führte aus, dass “wir die Natur und Grenzen dieses Kampfes genau definieren müssen. Ansonsten wird er uns definieren” und zitierte die Warnung des vierten US-Präsidenten James Madison, wonach “keine Nation ihre Freiheit inmitten fortwährender Kriege bewahren kann.”

Obama rief nach neuen Beschränkungen in der Anwendung von Gewalt.

“Unsere systematischen Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus müssen weitergehen. Doch dieser Krieg muss irgendwann aufhören - wie alle Kriege. Das lehrt die Geschichte. das verlangt unsere Demokratie.”

Hillary Clinton hätte niemals diese Worte gewählt. Sanders schon.




Verwendete Onlinequellen:

Michael Moore’s new film playfully skewers U.S. exceptionalism - by Katrina vanden Heuvel
https://www.washingtonpost.com/opinions/...

Bernie Sanders, foreign policy realist - by Katrina vanden Heuvel https://www.washingtonpost.com/opinions/...






Kommentare
13.03.2016 / 23:58 , bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet Freitag, 11. März