Landesweite Kommunalwahlen in Südafrika

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Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Jörg
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 12.08.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Kommunalwahlen in Südafrika

In ganz Südafrika wurden am 3. August Kreis-, Metropolregions- und Stadtparlamente und indirekt Bürgermeister gewählt. Kandidiert haben der landesweit und in fast allen Provinzen regierende African National Congress (ANC), die stärkste Oppositionspartei und Regierungspartei der Provinz Western Cape, Democratic Alliance (DA), die radikalen Economic Freedom Fighters (EFF) und eine ganze Reihe kleinerer Parteien, darunter die in der Provinz KwaZulu-Natal starke Inkatha Freedom Party (IFP).

Der ANC holte sich wie erwartet den Löwenanteil der Stimmen im ganzen Land: 14 Millionen Stimmen erhielt der ANC gegen noch 8 Millionen bei den Kommunalwahlen 2011, wie die Partei stolz verkündete. Das entspreche 54 Prozent aller abgegebenen Stimmen, der absoluten Mehrheit.

Nur ist das nur die halbe Wahrheit: Im Wahljahr 2011 erzielte der ANC noch über 62 Prozent der abgegebenen Stimmen, also 8 Prozentpunkte mehr als jetzt. Die anderen Parteien konnten offensichtlich noch mehr Wähler an die Wahlurnen mobilisieren. Die Democratic Alliance legte über 3 Prozent zu und die erst 2013 gegründete Economic Freedom Fighters EFF kamen aus dem Stand auf 8,2 Prozent. Doch zur EFF später mehr.

Western Cape - die Westliche Kapprovinz - ging wie erwartet an die Democratic Alliance DA. Der schwarze ANC konnte sich in einer Mehrheit aus Europäern, Kapmalayen und afrikaanssprachigen Farbigen nicht durchsetzen.

Zur Wortwahl: In Südafrika ist es üblich, die aus der Apartheidszeit stammende Einteilung in die Bevölkerungsgruppen Black Africans, Whites, Indian/Asians und Coloureds zu verwenden. Das machen auch alle politischen Akteure jedweder Richtung.

Die DA mit der populären Bürgermeisterin von Kapstadt, Patricia de Lille, und der deutschstämmigen Premierministerin des Western Cape, Helen Zille, gelang es, die verbliebenen kleineren Hochburgen des ANC - Beaufort West, Cape Agulhas, Cederberg und Matzikama zu erobern.

Doch dieses Wahlergebnis hat nicht wirklich überrascht. Western Cape muss man als eine Art afrikanisches Kalifornien sehen mit Cape Town als San Francisco, inklusive Surfkultur, Tourismus, Obstplantagen inklusive aller sozialen Verwerfungen des großen Vorbildes. Dass Kapstadt in Afrika liegt, erkennt man oft nur an den komplizierten Mechanismen der Müllcontainerdeckel, die eben nur Menschen und keine Baboons- Paviane - öffnen können.

Doch auch in der weiter östlich gelegenen Provinz Eastern Cape gelang es der Democratic Alliance in zwei Regionalparlamenten dem ANC die absolute Mehrheit zu nehmen: in der Nelson Mandela Bay Metropolregion und in der kleineren Region Kouga, ein Küstenstreifen zwischen Stadens River im Osten bis zum Tsitsikamma River im Westen. Hier wird Englisch und Afrikaans gesprochen und seine Bewohner verstehen sich als Western Eastern Capians mit ihren weltberühmten Surferspots Jeffreys, St Francis und Oyster Bay. Auch in Kouga kam die Hinwendung zur DA weg vom ANC nicht unbedingt überraschend. 39 Prozent Schwarzafrikanern stehen hier über 65 Prozent afrikaans- oder englischsprachigen Südafrikanern gegenüber.

Anders steht es in der bereits erwähnten Nelson Mandela Bay Metropolregion, die die Städte Port Elisabeth, Uitenhage und Despatch umfassen. Hier stellen xhosasprechende Schwarzafrikaner die absolute Bevölkerungsmehrheit. Und dennoch errang die Democratic Alliance 57 von 120 Sitzen im Regionalparlament gegenüber 50 Sitzen für den ANC. Der ANC hatte 11 Prozent seiner Stimmen verloren, 6 % an die DA und dann noch 5 % an die Economic Freedom Fighters EFF.

Für die Democratic Alliance zahlte sich an der Wahlurne aus, dass sie sich außerhalb des Western Capes mit der Wahl von Mmusi Maimane zum Parteivorsitzenden als schwarzafrikanische Partei positionierte. Dennoch gelang der DA nicht die erhoffte und bereits gefeierte absolute Mehrheit in der Nelson Mandela Bay. Die Economic Freedom Fighters verhinderten dies.

Aber kann die DA mit den radikalen EFF auf kommunaler Ebene koalieren? Genau so umgekehrt: Kann Julius Malema, Commander-in-Chief der EFF seinen Anhängern zumuten, als Maid EFF der Madam DA Tee zu servieren?

In der Mandela Bay ist diese Frage völlig offen und wird vermutlich auch nicht dort entschieden.

Wandern wir auf der Infografikkarte von News24 weiter nach Norden fallen uns zwei weitere Inseln der Democratic Alliance in die Augen:
Im kleine Midvaal in der Provinz Gauteng - die Provinz des industriellen Kerns Südafrikas - errang die DA fast 60 Prozent der Stimmen. Und selbst in der benachbarten City of Johannesburg mit der schwarzen Township Soweto gibt es keine Mehrheit mehr für den ANC - allerdings auch keine für DA und EFF zusammen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die überwiegend schwarzen Metropolregion Ekurhuleni im Osten und der neu geschaffenen Mogale City im Westen von Gauteng: Verlust der ANC-Mehrheit, bescheidene Gewinne der DA und dramatische Zuwächse für die EFF.

In der Provinz Gauteng liegt auch die Metropolregion CITY OF TSHWANE - die wenigstens bei uns werden sie kennen. In ihr liegt die Verwaltungshauptstadt Südafrikas Pretoria und die umliegenden Regionen Centurion - ehemals Verwoerdburg, Ga-Rankuwa, Atteridgeville und Akasia. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit dort spricht überwiegend Tswana und Soto - nicht Xhosa wie im Süden.

In der City of Tswhane errang die DA eine relative Mehrheit von 43,1 Prozent gegenüber 41,5 Prozent für den ANC, die EFF kamen auf 11,6 Prozent. Der ANC verlor 15 Prozent seiner Stimmen - der Löwenanteil davon ging an die EFF.

Auch in der City of Tswhana stellt sich die Frage eines Bündnisses der überwiegend weißen liberal-bürgerlichen DA mit den radikalen, schwarzen Economic Freedom Fighters.

Doch auch hier ist diese Frage völlig offen und wird vermutlich auch nicht dort entschieden.

Aber wo dann?

Vermutlich in Rustenburg in der Provinz Nordwest.

Rustenburg ist eine ziemlich verschlafene Provinzstadt 120 Kilometer westlich von Pretoria. Aber dort errangen die EFF mit 24 Prozent mehr Stimmen als die DA mit 14 Prozent - wohlgemerkt hinter einer relativen Mehrheit des ANC von 43 Prozent. Stimmte die DA für eine Exekutive der EFF in Rustenburg, wäre die EFF wohl bereit einer DA-Exekutive in der City of Tswhana und in der Nelson Mandela Bay Metropolregion zuzustimmen.

Was war geschehen in Rustenburg?

Etwa 20 Kilometer östlich von Rustenburg liegt die Gemeinde Rooikoppies, auch bekannt als Marikana. Dort wird von der britischen Firma Longmin Platin und Chrom abgebaut.

Im August 2012 kam es zu einem Streik der Minenarbeiter für mehr Lohn. Die offizielle Minenarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers NUM allerdings hatte mit Gewalt versucht den Streik zu verhindern. Schüsse fielen, es gab Verletzte unter den Streikenden.

Am Nachmittag des 16. August sperrte die Polizei den Hügel der Streikenden mit Rasierklingen-Draht ab, so dass die Streikenden nicht mehr zu ihren Unterkünften gelangen konnten. Mit Tränengas und Wasserwerfern trieben sie die Streikenden auseinander.

Ein Teil der Streikenden bewegte sich daraufhin auf bewaffnete Polizisten zu, weil es in diese Richtung keinen Stacheldraht gab. Daraufhin eröffnete die Polizei das Feuer auf die Gruppe. Die Polizisten schossen rund zehn Sekunden lang mit automatischen Waffen auf die Menge.

Mehrere Videoaufnahmen von Fernsehstationen zeigen die Polizeischüsse und den Tod mehrerer Streikender an diesem Ort. Wenige Minuten später wurden rund 300 Meter entfernt auf dem Hügel Small Koppie etwa ebenso viele Streikende getötet. Sie wurden offensichtlich aus kurzer Distanz erschossen oder von Polizeifahrzeugen überfahren.”

Als treibende Kraft hinter dem Massaker von Marikana, bei dem 41 Menschen getötet und 78 verletzt wurden, wird immer wieder der ehemalige Vorsitzende der National Union of Mineworkers, der heutige Vizepräsident des ANC, der Vorsitzende der nationalen Planungskommission und Geschäftsmann Cyril Ramaphosa genannt.

Ramaphosa wollte nicht nur einer lästige Konkurrenz zur National Union of Mineworkers eine blutige Lektion erteilen, Ramaphosa war selbst leitender Direktor und Aktionär von Longmin und musste seine Nützlichkeit für die Firma unter Beweis stellen. Ramaphosa gilt nach der Zeitschrift FORBES mit einem Vermögen von 450 Millionen USD als einer der reichsten Männer Südafrikas.

Cyril Ramaphosa galt als der politische Ziehsohn von Nelson Mandela.

Er war nicht immer der, zu dem er geworden ist.

In den 80er Jahren organisiserte er den Mietboykott in Soweto, die mit ihm aufgebaute Mienenarbeitergewerkschaft NUM trug maßgeblich zum Untergang des Apartheid-Regimes bei. Er war ein Kämpfer, dessen Leben mehr als einmal bedroht war.

Doch nachdem Ramaphosa gegen Thabo Mbeki das Rennen um die Präsidentschaft und Nachfolge von Nelson Mandela verloren hatte, zog er sich 1997 auf seine privaten Geschäfte zurück, sehr wohl seine Interessen mit seinem politischen Einfluss verknüpfend. Die liberale Wirtschaftspolitik von Präsident Mbeki bot ihm dazu viel Raum.

Und so steht Ramaphosa heute für einen Kurs innerhalb des ANC, der im benachbarten Zimbabwe und in vielen Ländern der Dritten Welt besichtigt werden kann. In Zimbabwe bereichert sich eine Kleptokratie aus ehemaligen Freiheitskämpfern der ZANU unter Robert Mugabe an den Erlösen der Rohstoffexporte des Landes und lässt das Volk im Elend der Unterentwicklung.

In Südafrika wurde Thabo Mbeki 2009 durch den weniger wirtschaftsliberalen Jakob Zuma abgelöst. Zuma ist Mitglied der Südafrikanischen Kommunistischen Partei und ehemaliger Kämpfer von Umkhonto we Sizwe, des bewaffneten Arms des ANC in der Illegalität. Als ethnischer Zulu war er engagiert in der blutigen Auseinandersetzung mit Mangosuthu Buthelezis Inkatha Freedom Party in KwaZulu-Natal der 80er Jahre.

Auch Jakob Zuma hatte einen Ziehsohn und damit einen möglichen Nachfolger - Julius Malema, bis 2012 Führer der ANC-Jugendliga.

Die ANC-Jugensliga stand für eine radikale Landreform, für die Nationalisierung der südafrikanischen Bergbau-Industrie, für die Tilgung der nationalen Schulden bei IWF und Weltbank. Ihre politischen Vorbilder waren Frantz Fanon und Thomas Sankana, dem Anführer einer linken Militärrevolte in Obervolta, dem späteren Burkina Faso - Sankana, gefeiert als der Che Guevara Afrikas.

Malema überwarf sich mit Jakob Zuma und wurde 2012 aus dem ANC ausgeschlossen, 2013 gründete er die Economic Freedom Fighters EFF. Die EFF stehen ebenso in der Tradition des Black Consciousness Movement, deren bekanntester Vertreter Steve Biko 1977 vom Apartheid-Regime ermordet wurde. Für das Black Consciousness Movement spielt der Unterschied der Hautfarbe eine größere Rolle als für den ANC. Malema ist bekannt für seine rassistischen Ausfälle.

Das Entsetzen über das skrupellose Vorgehen Ramaphosas in Marikana und über die hemmunsglose Bereicherunspraxis großer Teile des ANC-Apparats hat den EFF Millionen Wähler und hundertausende zumeist junge Mitglieder in die Arme getrieben.

Und jetzt hat die Ironie der Geschichte Malema in die Nähe der liberal-bürgerlichen, von Weißen dominierten Democratic Alliance rücken lassen.

In der Kommunalpolitik Südafrikas geht es wie überall auf der Welt um kommunale Dienstleistungen, um öffentliche Haushalte und Ausschreibungen, um Beschaffungen und damit um Vetternwirtschaft, Bestechung und geheimen Absprachen zwischen städtischer Verwaltung und Zulieferern. Je mehr Dienstleistungen nach außen verlagert werden, um so größer ist Gelegenheit und Versuchung. Kennen wir von hier.

Und um diesen Themenkreis geht es bei möglichen Koalitionsverhandlungen der verschiedenen Akteure. Der ANC kann bei dem erzielten Wahlergebnis eigentlich nur Pfründe verlieren, alle anderen können gewinnen.

Eine mögliche Plattform für eine gemeinsame Kommunalpolitik von DA und EFF aus der Sicht der Democratic Alliance hat Keith Gottshalk, Politikwissenschaftler an der University of the Western Cape in der linksliberalen Weekly Mail and Guardian vom 8. August umrissen:

“Ein drängendes Problem für die DA besteht darin zu klären auf welcher politischen Basis kommunale Koalitionen ausgehandelt werden können.

Eine Partnerschaft mit den EFF würde eigentlich eine Lösung der Landfrage erfordern. Dennoch hat die DA etwas, was sie den EFF in Koalitionsverhandlungen anzubieten hätte. In Kapstadt wird argumentiert, dass sie sehr viel erfolgreicher als der ANC in der Politik der Black Economic Empowerment - der Stärkung der ökonomischen Macht der Schwarzen - allein dadurch gewesen ist, dass sie jeden Mega-Kontrakt zwischen Regierung und privaten Zulieferern in eine Vielzahl von kleinere Verträge aufgeteilt hat.

Regierungsaufträge gingen aber weiter an Unternehmen der Schwarzen Ökonomischen Stärkung.”

Weiter schreibt Keith Gottshalk:

“Vetternwirtschaft und Klientelismus entgleitet somit dem ANC und fallen in die Hände derjenigen, die ihre Zukunft mit der der Democratic Alliance verbinden.”

Die nahe Zukunft wird zeigen, ob die Economic Freedom Fighters sich in diese Logik des DA-Patronage einbinden lassen.

Bislang stehen die EFF für eine Zurückverlagerung der öffentlichen Dienstleistungen weg von privaten Unternehmen hin zu einem starken öffentlichen Dienst. Hier wären die Nutznießer die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die mehr verdienen als ihre Kollegen, die die selbe Arbeit für einen privaten Auftragnehmer erledigen. Kennen wir auch von hier.

Und um das geht es: Sollen private Kleinunternehmer von kommunalen Aufträgen profitieren - verkleidet als Black Economic Empowerment oder sollen anständig bezahlte Arbeitsplätze in einem kommunalen Öffentlichen Dienst entstehen.

Für die erste Variante steht die eher wirtschaftsliberale Democratic Alliance, für die zweite Variante nicht nur die EFF sondern wahrscheinlich ein Großteil der ANC-Mitglieder und der Gewerkschaften - aber nicht die kleinen und großen Ramaphosas der Regierung.

Der ANC - der African National Congress müsste sich eigentlich bewegen.



Verwendete Links

Many more vote ANC in 2016 than ever before
http://www.anc.org.za/content/many-more-...

Local Government Elections
http://www.news24.com/elections/results/...

Marikana Massacre documentary
https://www.youtube.com/watch?v=sAXzs40WJ6A

Marikana: The blame game
A special report by Niren Tolsi and Paul Botes
https://laura-7.atavist.com/mgmarikanabl...

Südafrikanischer Bergarbeiterstreik 2012
https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdaf...

The 16 richest people in South Africa right now
http://businesstech.co.za/news/wealth/10...

Coalition talks: ANC looks set to be opposition in Gauteng
Carien du Plessis and Tshidi Madia
http://www.iol.co.za/news/politics/coali...

Modernising the government's procurement system needs to address service delivery
http://mg.co.za/article/2016-07-11-00-mo...

Major shift in South African politics as the DA breaks out of its Cape enclave
http://mg.co.za/article/2016-08-08-major...