„Das geheime Brasilienarchiv“: Parallelen zur US-Wahl 2016 und dem Fall Snowden

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Eine politische Krise zeichnet sich in Brasilien ab nachdem die Webplattform The Intercept kürzlich die Vorgeschichte zu den Präsidentschaftswahlen 2018 und die Umstände, unter denen der ehemalige President Luiz Inácio „Lula“ da Silva ins Gefängnis geworfen wurde und damit den beinahe sicheren Wahlsieg der Arbeiterpartei PT vereitelt, enthüllte. Gemäß einer Quelle von The Intercept hatte der Richter, der für die Inhaftierung Lulas wegen Korruption verantwortlich ist, wahrscheinlich Hilfe von Staatsanwält*innen. Geleakte SMS zwischen brasilianischen Gesetzeshütern und andere Daten, die The Intercept zugespielt wurden, zeigen eine permanente Zusammenarbeit zwischen dem Richter Sérgio Moro und den Staatsanwält*innen. Diese ermittelten wegen weitreichende Korruption – ein Skandal, der als Operation Lava Jato (Autowäsche ) bekannt ist.

Lula war im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2018 als Favorit gehandelt worden bevor er inhaftiert wurde und somit aus dem Rennen war. Viele sind der Meinung, die Vorwürfe zu Korruption seien erfunden - die geleakten Dokumente enthüllen nämlich, daß Staatsanwält*innen schwerwiegende Zweifel an der Schuld Lulas hegten. Die Inhaftierung von Lula half, den Weg für die Wahlen des ultrarechten ehemaligen Offizier Jair Bolsonaro zu ebnen, der dann seinerseits Richter Sérgio Moro zu seinem Justizminister ernannte. Jetzt werden Stimmen laut, Moro solle zurücktreten. Dieser weist alle Schuld von sich.

Democracy Now! Sprach mit dem Journalisten und Pulitzer-Preis Gewinner Glenn Greenwald von The Intercept in Rio de Janeiro, dessen Berichte auf einem Fund von internen Akten und privaten Gesprächen der Staatsanwaltschaft zum Fall Operation Lava Jato basiert.
Audio
07:01 min, 6582 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 18.06.2019 / 12:32

Dateizugriffe: 27

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: Democracy Now!, die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 18.06.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
GLENN GREENWALD: Euren Hörer*innen ist wahrscheinlich bekannt, daß Brasilien ein Land ist, das überschwemmt wurde von verschiedenen politischen Krisen – die Amtsenthebung der ehemaligen Präsidentin Dilma Rousseff, die Lulas Amtsnachfolgerin war, der Aufstieg des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro, wirtschaftliche Krisen und ähnliches.
Aber das bei weitem größte Ereignis in Brasilien war die Inhaftierung von Lula letztes Jahr, nicht nur weil er solch ein Gigant auf der demokratischen Weltbühne ist, sondern auch weil er 2002 und 2006 von einer überragenden Mehrheit gewählt wurde. Seine Präsidentschaft war erfolgreich in der Form, daß er Millionen Menschen aus der Armut holte, er verwandelte Brasilien. Als er aus dem Amt schied, hatte er einen Beliebtheitsgrad von 87%, das haben wir so noch nicht gesehen. Jemanden wie ihn ins Gefängnis zu werfen, ist schon eine weltbewegende Geschichte an sich. Als sich er letztes Jahr wiederholt für das Amt aufstellte – in der ersten Amtszeit hatte er das Maximum erreicht – war er in jeder Umfrage in der Beliebtheit weit vorne – auch vor Jair Bolsonaro. Lula zu inhaftieren hieß, daß er für die Wahlen nicht antreten konnte, und das hat letzten Endes den Weg für Jair Bolsonaros Sieg geebnet. Brasilien ist das fünftgrößte Land was die Bevölkerung angeht, es hat massive Ölreserven und die wichtigste ökologische Ressource des Planeten, den Amazonas. All das ist jetzt unter der Kontrolle von Jair Bolsonaro.
Ermöglicht wurde dies von der Staatsanwaltschaft und dem Richter Sérgio Moro. Diese wurden von der lokalen und internationalen Presse praktisch zu Superhelden oder göttlichen Wesen gemacht wegen ihres vermeintlichen Kampfes gegen die Korruption. Aber es wurde so gut wie gar nicht hinterfragt, was sie getan hatten, obwohl sie mit hoch fragwürdigen Methoden vorgegangen sind.
Hier in Brasilien gab es schon lange den Verdacht, daß sie Macht für politische Zwecke mißbraucht hätten, daß sie in Wahrheit rechte Funktionäre sind, welche die Gesetze mißbrauchen um die Arbeiterpartei zu zerstören. Diese hat als einzige linksgerichtete Partei in einem so bevölkerungsreichen Land die Politik dominiert und dabei bei der Armutsbekämpfung große Erfolge verzeichnet. Aber damit sollte 2018 Schluß sein; die Rechten sollten wieder an die Macht, und dabei hatten sie auch kein Problem, Gesetze zu mißachten, um ihr Ziel – die Zerstörung der Arbeiterpartei – zu erreichen. Sie haben das immer verneint. Sie sagten “Wir haben keine Ideologie. Wir haben keinen Favoriten unter den Parteien. Uns ist es egal, wer die Wahl gewinnt. Wir sind nur neutrale Richter und Staatsanwälte, die das Recht anwenden.”
das Archiv, das uns von unserer Quelle zugespielt wurde, dieser massive Fund geheimer Dokumente über ihre interne Kommunikation, ihre Chats, Audios und Videos – dieses Archiv ist größer als das von Snowden, welches ja bisher der größte Leak in der Geschichte des US-Journalismus war – ermöglicht es uns endlich, die Wahrheit zu sehen darüber, was sie wirklich taten.
Der Grund warum diese Geschichte Brasilien bis ins Mark erschüttert hat, ist weil Sérgio Moro, nachdem Bolsonaro gewonnen hatte, ihn zur zweiteinflußreichsten Person in Brasilien gemacht hat, indem er ein sogenanntes “Superjustizministerium” kreierte, das Sérgio Moro nun leitet. Er ist der Justizminister des Landes. Das ist wie ein Generalstaatsanwalt, aber auf Steroiden, er kontrolliert jeden Gesetzesvollzug, Überwachung, das Handeln der Polizei.
Das Material zeigt drei grundlegende Dinge: Nummer eins – innerhalb der Staatsanwaltschaft haben sie offen darüber gesprochen, wie garantiert werden kann, daß die Arbeiterpartei die Wahlen verliert. Sie sagten, wie hätten jeden Tag gebetet, daß die PT nicht wieder an die Macht kommt. Die Aussage also ”wir haben keine Präferenzen unter den Parteien, es ist uns egal, wer die Wahlen gewinnt”— war eine absolute Lüge.
Zweitens – genau wie in den USA muß ein Richter in Brasilien neutral sein. Er kann nicht die eine oder andere Seite favorisieren. Und Richter Moro wurde lange verdächtigt, daß er – indem er Lua und andere linke Führungspersonen für schuldig befindet – heimlich mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet um den Fall zu konstruieren. Das haben sie immer vehement und wütend abgestritten.
Die Konsequenzen dieser Enthüllungen sind enorm, weil Moro, wie ich bereits sagte, die zweiteinflußreichste Person im Land ist nach Bolsonaro, aber er wird mehr respektiert – oder zumindest wurde er das. Selbst seine passioniertesten und loyalsten Verteidiger sind nun der Meinung, daß dieses Verhalten nicht entschuldigt werden kann. Eines der größten rechtsgerichteten Zeitungen in Brasilien, Estado de São Paulo, - welche vier Jahre Sérgio Moro gehuldigt und geprieen hat, ist nun der Meinung, daß er zurücktreten muß. Unsere Veröffentlichungen untergraben die Legitimität der Regierung, deshalb erschüttert die Geschichte Brasilien bis ins Mark.

Kommentare
18.06.2019 / 16:15 sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
lief bei bermuda.funk
in sonar am 18.06.. vielen dank!
 
20.06.2019 / 12:36 niki müller,
gesendet
Läuft am 21.06. auch bei uns im FRC-Infomagazin. Vielen Dank!