Das social Distel-Ding – Vom Kathegorischen Imperativ und "Oh wie schön ist Panama, äh, Pandemie"

ID 101680
 
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Teil 18 der social distancing Kolumne - Diesmal mit Erlebnissen auf dem Wochenmarkt und einer Herangehensweise an die Frage: "Darf ich eigentlich...?"
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05:32 min, 13 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.04.2020 / 15:58

Dateizugriffe: 2909

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 17.04.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Na, freut ihr euch auch schon so? Nur noch drei Mal schlafen und dann: Öffnen die Baumärkte wieder! Endlich wieder heimwerkeln, neue Blumenerde kaufen, die Küchenregale die im letzten Corona-Wutanfall kaputt gegangen sind reparieren und so vieles mehr.
Wursteln und Konsumieren gegen die tröge Langeweile die sich dank Corona über den Alltag legt. Endlich eine bessere Ablenkung als die ständigen Twitter-Fragen an die Polizei, was man denn eigentlich darf. Aber nicht nur die Polizei wird ständig mit dieser Frage konfrontiert. Auch im alltäglichen Gespräch kommt die Frage: „Darf ich jetzt eigentlich…?“ ständig auf. Die allgemeine Verunsicherung in Zeiten der Pandemie führt irgendwie direkt zu dieser Frage. Wenn etwas erlaubt ist, dann kann ich es machen, wenn etwas verboten ist, dann kann ich mich darüber beschweren, wenn etwas im Graubereich ist, dann frage ich solange jeden, bis es entweder geklärt ist oder niemand mehr auf meine Frage antwortet.
In der ständigen Fragerei treiben die social Distel-Dinger eine Blüte nach der anderen aus. So ist diesem social Distel-Ding gestern auf einem Wochenmarkt eine solche Blüte untergekommen. Eine ältere Dame, die guten Gewissens zur Risikogruppe gezählt werden kann, wütete zwischen den Ständen und den fleißig um Abstand bemühten Kunden herum. Immer wieder ließ sie sich zu Kommentaren hinreisen wie: „Der Söder ist blöder“ oder „Man werd doch no a Semmel kaufen kenna!“ Dann schoss sie sich auf einen Security-Mitarbeiter ein, den sie so lange nach den Gründen dieser Einschränkung ihres Lebens befragte, dass dieser schon zu überlegen schien, ob er seine Kollegen zur Unterstützung rufen sollte. Zuletzt blieb sie dann auch kurz vor diesem social Distel-Ding stehen und sagte nur: „Oh wie schön ist Panama, ähh, Pandemie.“ und entschwand dann aus dem Sichtfeld.
Es ist zu vermuten, dass jegliche Überzeugungsversuche bei dieser Dame fehlschlagen würden. Das ist auch nicht schlimm. Nur weil einigen immer die letzten Antworten fehlen, bedeutet das nicht, dass sie solange beharkt werden müssen, bis sie endlich in der gleichen Realität ankommen, in der wir uns zu befinden glauben. Genauso wenig ermöglicht uns der Verweis auf die Verfehlungen anderer, die eigene Verantwortung abzustreifen.
Denn insgesamt bringt uns die Pandemie in die Situation, dass wir selbst wie ein Gesetzgeber denken müssen. Oder eben im Kategorischen Imperativ, also nach dem unbedingten Befehl:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie Gesetz werde.“
Bedeutet: Die grundsätzlichen Frage bei der Betrachtung des eigenen Verhaltens in der Krise ist: „Was wäre, wenn das jeder tun würde?“
Nun ist Kant nicht wirklich das sexyeste Vorbild und Kant-Zitation hat immer etwas deutschtümelndes. Was sich aber auf jeden Fall sagen lässt: Wenn Kants Handeln und Leben Gesetz wäre, hätten wir diese Krise nicht. Schließlich verbrachte er beinahe sein gesamtes Leben in Königsberg.
Derzeit lässt sich der Gedanke Kants recht gut aufgreifen. In dieser Pandemie gilt es für jede und jeden sich darüber Gedanken zu machen, in wie weit das eigene Verhalten, wenn es nur genügend Menschen nachahmen würden, die Verbreitung von Covid-19 beeinflussen würde. Dabei ist es ganz egal, ob ein einzelnes social Distel-Ding glaubt gefährdet, krank oder wieder genesen zu sein. Alle haben wir Verantwortung füreinander und können andere auf falsche Gedanken bringen. Das heißt aber nicht, dass es keine Ausnahmen mehr gibt. Auch dafür trägt jedes social Distel-Ding die Verantwortung. Niemanden ist geholfen, wenn Einzelne in der Isolation komplett den Verstand verlieren. Die Pandemie ist nur eine der Gefahren die uns bedroht und sie kann nicht komplett über uns bestimmen.
Auch wenn aktuell das scharfe Schwert des Infektionsschutzgesetzes und ein Bußgeld-Katalog drohen, noch sind die Ausnahmen nicht geregelt und bleiben eine Abwägung der Polizistinnen und Polizisten und später der Richterinnen und Richter. Wenn die unmittelbare Gefahr verstrichen ist, kann in Einzelfällen vermutlich mit Milde gerechnet werden. Bis dahin ist dieser drohende Zeigefinger, die Androhung von Strafen, aber vermutlich notwendig.
Das sollte uns aber nicht abhalten auch für uns unter dem Kategorischen Imperativ die geltenden Gesetze zu überprüfen. Und dabei wird sicherlich herauskommen: Wenn wir eine Protestaktion so planen, dass wir Mund-Nase-Masken verwenden, Abstand halten, keinen Körperkontakt eingehen und darauf achten, dass niemand daran teilnimmt, der oder die Symptome zeigt, keine langen Wege dafür in Kauf genommen werden und sich alle an diese Regelungen halten, wie es immer wieder vorgekommen ist, dann sollte es erlaubt sein. Eben weil das Recht auf Meinungsäußerung besteht.
Trotzdem wird die Polizei das verbieten. Einfach deshalb, weil mit der Prämisse herangegangen wird: Wenn das jeder machen würde…
Und damit liegt das Thema bei den Gerichten und wird vermutlich erst dann behandelt, wenn die Krise vorüber ist. Zusammengefasst lässt sich sagen: Nur weil manche Menschen gerade wieder Demonstrieren wollen, wozu es wirklich viele gute Gründe gibt, sind sie keine Straftäter, keine unverantwortlichen Menschen. Und nur, weil die Polizei hier immer wieder durchgreift, sind wir nicht direkt auf dem Weg in eine Diktatur.
Trotzdem lohnt es sich aufmerksam zu bleiben. Und für all diejenigen die es gar nicht mehr aushalten: Wenn es nicht mehr geht, sucht euch Hilfe. Findet einen Menschen oder mehrere die euch aufnehmen, aber wirklich nur im letzten Notfall. Ansonsten gibt es ja jetzt die Möglichkeit eine Kontaktperson zu finden. Seid füreinander da, passt aufeinander auf.

Kommentare
20.04.2020 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 20.4.. Vielen Dank!
 
21.04.2020 / 07:16 hike, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in der Frühschicht 21.4.2020
gesendet. Danke!