Ein polnisches Denkmal in Berlin? Oder: Wie wollen wir der Shoah gedenken?

ID 101902
 
Über 200 Bundestagsabgeordnete haben die Initiative von Florian Mausbach für ein Denkmal für die polnischen Opfer der NS-Zeit unterzeichnet. Doch gegen das Denkmal gibt es Kritik, die sich auf die nationale Ausrichtung bezieht. Darüber hinaus beleuchtet der Beitrag anhand der Ideen von Alois Riegl, einem Denkmalpfleger, und Theodor Adorno, einem Philosophen, wie Gedenken an die Opfer der Shoah aussehen muss, damit es nicht zum kalten und leeren Vergessen (Adorno) kommt.
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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Kultur, Politik/Info
Serie: Sondersendetag 75 Jahre Befreiung
Entstehung

AutorInnen: Frequenzkonsum
Kontakt: frequenzkonsum(at)systemli.org
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 28.04.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
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Über 200 Bundestagsabgeordnete haben die Initiative von Florian Mausbach unterzeichnet. Florian Mausbach ist ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung. Er fordert gemeinsam mit seinen UnterzeichnerInnen ein Denkmal für die polnischen Opfer der NS-Zeit. Geplanter Standort: Berlin-Mitte, am Askanischen Platz.


Im Zentrum steht dabei Polen als erstes Opfer der Nazis. Dieser Umstand werde derzeit zu wenig thematisiert, sagen die BefürworterInnen. Das Denkmal soll an die 6 Millionen getöteten StaatsbürgerInnen des damaligen Polen erinnern. In Berlin-Mitte gibt es schon einige Gedenkorte für Opfer der Nazis: Das sowjetische Ehrenmahl im Tiergarten, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Gedenksteine an getötete Roma und Sinti und andere.

Aber treten wir einen Schritt zurück. Was hat es mit Denkmälern eigentlich auf sich?
Warum gedenken wir eigentlich? Was ist der Zweck von Denkmalen, die an Vergangenes erinnern?

Einer der ersten, der sich mit Denkmalen, ihren Bedeutungen und ihrer Untersuchung auseinandergesetzt hat, war Alois Riegl. Alois Riegl ist bis heute ein wichtiger Einfluss für die Denkmalpflege. In seinem wichtigsten Werk „Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen und seine Entstehung“ formuliert er „Denkmalwerte“. Diese Denkmalwerte bilden seit 1903 ein Denkmodell zur Untersuchung von Denkmalen.

Ein Wert dabei ist der gewollte Erinnerungswert. Dieser beschreibt diejenigen Bedeutungen, die dem Denkmal von ihren Erbauern mitgegeben werden: „Der gewollte Erinnerungswert hat […] den Zweck, einen Moment gewissermaßen niemals zur Vergangenheit werden zu lassen, im Bewusstsein der Nachlebenden stetes gegenwärtig und lebendig zu erhalten.“

Doch Riegl geht darüber hinaus. Ein Denkmal hat nicht nur den einen Sinn und Zweck. Die Bedeutung liegt nicht ausschließlich in seinem „gewollten Erinnerungswert“, also den Werten, die dem Denkmal von Anfang an eingeschrieben werden: „nicht den Werken selbst kraft ihrer ursprünglichen Bestimmung kommt Sinn und Bedeutung von Denkmalen zu, sondern wir modernen Subjekte sind es, die ihnen dieselben unterlegen.“

Diese Werte und Bedeutungen sind nicht fest, sie liegen immer im Auge des Betrachters und der Betrachterin. Oder anders gesagt: Wir in der heutigen Zeit bewerten ein Denkmal. Nur im Hier und Jetzt können die Bewertungen vorgenommen werden. Damit sind sie gleichzeitig auch eng mit unserem Denken, unseren jetzigen Konventionen und Gegebenheiten verknüpft.

Das Erinnern im Zusammenhang mit Denkmälern handelt von Vergangenem. Aber die Erinnerung selbst findet immer im Hier und Jetzt statt.

Wenden wir unseren Blick etwas genauer auf das Gedenken an den zweiten Weltkrieg und die Shoa. Mit diesem Gedenken an die Aufarbeitung der Shoah hat sich Theodor Adorno im Jahr 1960 auseinandergesetzt. In seiner Schrift „Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit“ formuliert Adorno Ansprüche an Gedenken und Erinnern.

Auch Adorno geht davon aus, dass sich das Erinnern im Hier und Jetzt konstituiert. Adorno

Christian Schneider hat den Text von Adorno analysiert. In den Zeithistorischen Forschungen 2011 deckt Schneider zwei Perspektiven auf, die Adorno in seinem Text zur Aufarbeitung der Vergangenheit formuliert. Der Sockel von Vergangenheitspolitik ist Erinnern und Vergessen. In einer konservativen Ausprägung bedeutet Erinnern lediglich, dass wir nicht vergessen. Eine Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung ist dadurch nicht möglich. Adorno schlussfolgert daraus, dass bis heute der Faschismus nachleben kann. Ein neuer Faschismus ist – aufgrund ausgebliebender Aufarbeitung – jederzeit wieder möglich. Die Vergangenheit ist in ein leeres und kaltes Vergessen ausgeartet. Bis heute bestehen die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Faschismus, sagt Adorno.

Das führt zur zweiten Perspektive des Erinnerns in Adornos Text an Gedenken und Erinnern. Diese beruht auf Kapitalismuskritik. „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.“ Sprich: Der Kapitalismus bildete die Grundlage für den Faschismus. Und erst wenn der Kapitalismus überwunden ist, kann der Faschismus aufgearbeitet werden Nur wenn wir den Kapitalismus überwinden, ist ein Gedenken möglich.

Was bedeuten die Ideen von Alois Riegl, dem Denkmalpfleger, Theodor Adorno, dem Philosophen, für ein Denkmal? Erstens findet Erinnern und Gedenken im Hier und Jetzt statt. Die Geschichte existiert nicht einfach so. Genausowenig wie die Werte und der Zweck eines Denkmals einfach so existiert. Die Bedeutung eines Denkmals entsteht erst durch uns als moderne Subjekte.
Zweitens: Eine Aufarbeitung der Geschichte entsteht nicht alleine durch Erinnern. Erst ein Beseitigen der Ursachen lässt Aufarbeitung – und damit Gedenken – möglich werden.
Kurz gesagt: ein antifaschistisches Gedenken, ein antifaschistisches Denkmal braucht einen kapitalismuskritischen Impetus. Ohne diese Kapitalismuskritik wäre es wirkungslos.


Kehren wir zurück zum geplanten Polen-Denkmal. Dieses Denkmal soll an die polnischen Opfer der Nazis erinnern. Die Idee für das Denkmal stammt von Florian Mausbauch. Über 200 Bundestagsabgeordnete befürworten dieses Denkmal in Berlin-Mitte.

Doch es gibt auch Kritik. Die Kritik richtet sich nicht fundamental gegen das Gedenken an Opfer der Shoah. Doch ein Denkmal für polnische Opfer hat einige Stolperstellen.

Einer der bekanntesten Kritiker ist der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel. In einem Artikel der Zeit stellt er sich gegen das Denkmal. Meckel kritisiert die Ausrichtung des Denkmals auf eine Nation. Wenn es ein Denkmal gibt, an dem der polnischen Opfer gedacht wird, dann muss es auch eines für ukrainische, lettische, weißrussische Opfer geben, argumentiert Markus Meckel. Er möchte daher kein Denkmal für „Polen“ sondern eine Gedenkstätte. Eine Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs im Osten.

Die Ausrichtung des Denkmals auf eine Nation ist problematisch. Nicht nur, weil es viele Menschen zu Polen macht, die sich nicht als Polen sondern Juden oder Angehörige anderer Volksgruppen gesehen haben. Es stellt sich auch die Frage: Wer ist denn überhaupt Pole? Und wo ist Polen? Das heutige Polen ist ein anders Polen als das aus dem Jahr 1939. Gebiete, die damals zu Polen gehörig waren, sind heute Teil der Ukraine,Weißrussland oder Litauen. Genauso liegen damals deutschschprachige Städte und Ortschaften im heutigen Polen.

Die Fokussierung auf polnische Opfer blendet territoriale Verschiebungen, ethnischen Säuberungen und Tragödien aus. Verschiebungen, ethnische Säuberungen und menschliche Tragödien, die der Zweite Weltkrieg mit zu verantworten hat. So ein Denkmal konstruiert ein homogenes polnisches Volk in einer Nation, deren Grenzen erst seit 75 Jahren existieren.

Das Denkmal bildet natürlich auch – in seiner Fokussierung auf polnische Opfer – eine Angriffsfläche für den polnischen Nationalismus. Dem Denkmal kann, im Sinne von Alois Riegl, diese Deutung zugeschrieben werden. Auch wenn die Initiatoren glaubhaft betonen, mit dem Denkmal eine Leerstelle in der deutsch-polnischen Denkmallandschaft füllen zu wollen.

Umso wichtiger ist es also, dass das Denkmal für jeglichen Nationalismus keine Angriffsfläche bietet. Denn ein rein national ausgerichtetes Denkmal verstärkt nur das leere und kalte Vergessen, wie es Adorno beschreibt. Das Denkmal verharrt im kapitalistischen Jetzt. Im Kapitalismus, der erst die Grundlage geschaffen hat für die Entstehung des Faschismus.

Wollen wir also ein würdiges Gedenken an die Opfer der Shoah und des zweiten Weltkriegs ermöglichen, gilt es nicht nur, sich den Kriterien des Nationalismus und der Nazis zu Widersetzen. Das wichtigste ist es, – um es mit Adorno zu sagen: „die Ursachen für das Vergangene zu entfernen“. Doch: Kein antifaschistisches Denkmal der Welt allein kann dies leisten. Das Denkmal ist nur ein Vehikel. Es braucht die Menschen, die das Denkmal mit Zuschreibungen und Sinn erfüllen und es damit zum Leben erwecken.

„Die Ursachen für das Vergangene zu entfernen“, das kann das Denkmal nicht. Dazu braucht es eine politisch relevante, revolutionäre Linke. Eine Linke, die den Kapitalismus als die Ursache des Faschismus erkennt. Und eine Linke, die aus dem Kapitalismus die Grundlage und die politische Notwendigkeit des Sozialismus begreift. Denn nur, wenn die Ursachen für den Faschismus – gerade heute – bekämpft und überwunden werden. Nur dann ist die Voraussetzung gegeben, dass so etwas wie die Shoah nie wieder passiert!


– ENDE –