Das social Distel-Ding – Rücktritte sollten wieder zum guten Ton gehören

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Teil 30 der Kolumne aus dem social distancing - nach der Feststellung, dass das am Tag zuvor beschriebene gleich umgesetzt wurde, hofft das social Distel-Ding diesmal unter anderem, dass Politiker zurücktreten
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05:44 min, 13 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 05.05.2020 / 22:41

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 05.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Manchmal gibt es solche Tage an denen Mensch von den Entwicklungen überrascht wird. Gut, eigentlich ist es gefühlt schon das ganze Jahr 2020, das eine Überraschung nach der anderen bereit hält.
Aber dieses social Distel-Ding war schon überrascht, dass Markus Söder heute verkündet hat, dass ab morgen die Ausgangsbeschränkung in eine Kontaktbeschränkung mit Distanzgebot umgewandelt wird. Das war ziemlich genau das, was an dieser Stelle gestern gefordert wurde.
In einem kleinen Wunschtraum könnte dieses social Distel-Ding sich jetzt ausmalen, dass sich daraus eine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt. Also worüber dann schreiben? Darüber, dass Julia Glöckner in einer Weinlaune ein Gewissen wächst und sie feststellt, dass sie ihr Amt als Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft aufgeben muss und stattdessen gleich in die Marketingabteilung von Kaufland wechselt? Oder darüber, dass Trump in einem Geistesblitz feststellt, dass er seinem Amt nicht gewachsen ist und es ihm eigentlich auch keinen Spaß macht? Oder doch viel allgemeiner darüber, dass die wirtschaftliche Krise die uns noch bevorsteht nur gut zu lösen sein wird, wenn sich international die Erkenntnis durchsetzt, dass es ohne einen Spitzensteuersatz von mindestens 90% für Multi-Milliardäre nicht gehen kann?
Aus großer Macht folgt große Verantwortung. Das gilt einerseits für die Vorstellung dieses social Distel-Ding könnte mit seinen Worte den Lauf der Geschichte verändern, aber auch für alle in diesen Szenarien angesprochenen Personen.
Julia Glöckner müsste sich eigentlich bewusst sein, dass sie in ihrer öffentlichkeitswirksamen und verantwortungsvollen Funktion nicht mehr agieren kann wie eine Weinkönigin, die sich weinselig vor jedem Produkt ablichten lässt. Nicht nur, dass sie Werbung für den Discounter Kaufland gemacht hat und es dabei weder für nötig befunden hat eine Maske zu tragen noch die Haltungsform der in der Kochshow verarbeiteten Rinder zu thematisieren. Sie hat sich auch noch erdreistet zu behaupten, dass sie mit dem Vorkochen eines 25€ teuren Drei-Gänge-Menüs für 4 Personen sozial schwach gehaltenen Personen helfen wolle Neues in der Küche auszuprobieren. Zur Erinnerung: Im Hartz 4 Regelsatz sind pro Erwachsenem 5€ und für Kinder nur 3€ für Essen und Trinken pro Tag vorgesehen. Ein drei Gänge Menü pro Tag und dazu Leitungswasser muss dann wohl reichen.
Aber mit ihrer Weigerung Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten zu ziehen reiht sich Julia Glöckner ein in die gute Gesellschaft von Ursula von der Leyen, Andi Scheuer und Annegret Kramp-Karrenbauer – übrigens sind sie alle vier Mitglieder des Kabinetts Merkel IV, dem auch noch das wissenschaftliche Glanzlicht Anja Karliczek angehört. Bei von der Leyen muss man sagen, dass sie es nur gewesen ist, bevor sie auf höherer Ebene aus dem Schussfeld genommen wurde.
Bei all den genannten zeigt sich, dass Politik machen und Verantwortung übernehmen sich unter der Regierung Merkel gänzlich von einander entfernt haben. Es wird sich weggeduckt, dumm gestellt, verleugnet, Handydaten werden gelöscht, gehofft, dass irgendjemand wieder mit dem Finger auf die SPD zeigt und nicht zuletzt einfach so getan, als gehörte das zum Spiel der Bundespolitik.
Angela Merkel, diejenige mit der Richtlinienkompetenz, verschiebt dadurch langsam aber sicher die Richtlinie wie Politik sein soll in eine Ebene die der von Trump ähnelt: „Was interessiert es mich, was ich oder andere gestern falsch gemacht haben, heute ist ein neuer Tag und wir sind die beste Regierung die es je gab.“
Wir sollten aber nicht vergessen, dass es mal Zeiten gab, als Minister zum Rücktritt gedrängt wurden und auch tatsächlich zurückgetreten sind:
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Jürgen Möllemann musste 1993 zurücktreten, weil er auf dem Briefpapier seines Ministeriums Werbung für Einkaufswagen-Chips gemacht hatte, die von der Firma eines angeheirateten Vetters vertrieben wurden. - Werbung im Namen eines Ministeriums war also mal ein Grund für einen Rücktritt.
Vielen wird Karl Theodor zu Guttenberg noch ein Begriff sein, der von seinem Amt als Verteidigungsminister zurücktrat, weil er in seiner Doktorarbeit es mit der Quellenangabe nicht so genau genommen hat und der öffentliche Druck ihm zu viel wurde.
Der öffentliche Druck hat auch schon Bundespräsidenten zu Fall gebracht:
Horst Köhler legte 2010 sein Amt nieder, nachdem seine Äußerungen über die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands massiv kritisiert wurden. Sein direkter Nachfolger Christian Wulf trat 2012 zurück, nachdem ihm seine Affären rund um Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung sowie Versuch der Beeinflussung von Medien über den Kopf gewachsen waren.
Aber es gibt auch wirklich positive Beispiele und die ausgerechnet von der FDP: 1996 trat die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus Protest gegen die akustische Wohnraumüberwachung im Rahmen des Großen Lauschangriffs von ihrem Amt zurück.
Für dieses social Distel-Ding wäre es ein Traum, wenn es in unserer derzeitigen Demokratie wieder Politiker*innen von Format gäbe, die Fehlverhalten eingestehen und die daraus Konsequenzen ziehen. Genauer gesagt, wenn die Öffentlichkeit soviel Druck aufbauen könnte, dass auch Konsequenzen gezogen werden, und eben nicht nur „Merkel muss weg“ gegröhlt wird. Noch schöner wäre es allerdings, wenn es wieder Politiker*innen gäbe, die klar machen, dass sie nicht gewillt sind bei allem mitzumachen und daraus auch Konsequenzen ziehen. Ob der heutige Rücktritt von Johannes Kahrs in diese Kategorie passt, ist zweifelhaft.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch in Zeiten von Corona. Mal schaun was morgen passiert.