Das social Distel-Ding – So viel zu lernen und viel Blödsinn

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Teil 33 der Kolumne aus dem social distancing - Die Zeit verändert sich sehr schnell und Verschwörungstheorien sind die Folge
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06:05 min, 14 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 15.05.2020 / 17:55

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 15.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Leben ohne vollen Kontakt hält an. Eigentlich geht es ja einfach nur weiter, schließlich bekommt niemand die Corona-Zeit gutgeschrieben. Aber wir social Distel-Dinger sind trotzdem eingeschränkt. Nicht nur durch Gesetze und Hygienemaßnahmen, auch durch Sorgen, Ängste und die wirtschaftlichem Folgen.
Mittlerweile haben wir so viel Abstand zu den Vor-Corona-Zeiten, dass uns vielleicht auch gar nicht mehr so stark auffällt, dass alles was wir damals geplant hatten, heute auf veränderte Umstände trifft. Die Welt hat sich einfach massiv verändert und das in kürzester Zeit. Die Flut an Informationen, die ein social Distel-Ding verarbeiten musste und muss um auch nur die nächste Woche planen zu können, scheint dabei immer noch nicht abzuebben.
Da sind die gesetzlichen Vorgaben, die Lockerungen und die dazugehörigen Daten ab wann sie denn gelten.
Die Informationen über das Virus – wie verbreitet es sich, wurde es tatsächlich schon in Spermien nachgewiesen, greift es nur die Lunge oder den ganzen Körper an und woher kann Mensch eigentlich wissen, für wen es wirklich gefährlich ist? Und wer weiß ob der letzte Husten im März nicht schon Corona war und das social Distel-Ding deshalb vielleicht sogar immun ist?
Dann sind da noch die Hygieneregeln: Händewaschen wie und wie lange? Ist die Maske denn eigentlich sicher, darf sie zwischendurch um den Hals getragen werden, bei 60 oder bei 80 Grad waschen und was ist eigentlich mit den Einkaufswägen, werden die immer wieder desinfiziert?
Nicht zu vergessen sind in dieser Fragerunde auch die Grundrechte. Viele social Distel-Dinger machen in diese Zeit zum ersten Mal eine direkte Erfahrung mit Grundrechtseinschränkungen. Während manche Menschen im Altersheimen diese Erfahrung schon gemacht haben und relativ gefasst in ihrer Demenz fragen: „Ist der Hitler wieder da?“, trifft es jetzt auch Menschen, die schon in der Idee eines Tempolimits zum Schutz der Umwelt und der allgemeinen Sicherheit im Straßenverkehr eine nicht hinnehmbare Einschränkung ihrer Freiheit sehen. Wie so häufig merkt Mensch erst was er hat, wenn es ihm weggenommen wird.
So sehr über Steuern und die Regierung geschimpft wird, in vielen Fällen auch zu Recht, ist davon auszugehen, dass das Fehlen von repräsentativer Volksvertretung und Verantwortung gerade in dieser Zeit massiv spürbar wäre. Die Hilfen die von der Regierung ausgeschüttet werden, die Schulden die die Bundesrepublik jetzt zu besseren Konditionen aufnehmen kann als jede Einzelperson, die hohen Testkapazitäten und die direkte Abstimmung mit den Expertinnen und Experten, all das sind gute Argumente dafür, dass unsere Demokratie nicht all zu schlecht mit dieser Situation umgehen kann.
Bei den Grundrechtseinschränkungen zeigt sich schon heute, dass die Gerichte die zum Teil zu weitgreifenden und einschüchternden Maßnahmen der Ordnungsämter und der Regierung kassieren. Es gilt der Grundsatz: Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben.
Die Verhältnismäßigkeit war auch das Argument, warum die große Hygiene-Demo in München nicht aufgelöst wurde. Unter den ca. 3000 Teilnehmenden der Kundgebung am Marienplatz wurde häufig die Maskenpflicht missachtet und die Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Eine einzige infizierte Person könnte auf solch einer Demonstration sicherlich einen neuen, nicht nachvollziehbaren Ausbruch von Covid-19 auslösen, der die bisherigen Erfolge rückgängig macht.
Eine Räumung hätte aber sicherlich denjenigen in die Hände gespielt, die diese Krise und die Unsicherheit dafür nutzen wollen, die solidarische Gesellschaft zu spalten: In diejenigen die es angeblich mit der dann übergriffig gewordenen Regierung halten, und denjenigen, die sich als Verteidiger der Grundrechte darstellen obwohl sie durch ihr Handeln eine fortwährende Lebensgefahr für andere mindestens aufrechterhalten.
Wir social Distel-Dinger, die wir den Virus als ernsthafte Gefahr einschätzen die die Einschränkung unserer Freiheiten leider rechtfertigt, sind also in einer Patt-Situation. Die Opferrolle, die uns die AfD über die letzten Jahre vorgespielt hat, soll auch diesen Diskurs bestimmen. Die „Systemmedien“ gegen die „Verteidiger der Meinungsfreiheit“, die „Verteidiger des Abendlands“, gegen diejenigen, die glauben sich als einzige der wahren Gefahr bewusst zu sein.
Dass in Zeiten, in denen so viele Informationen verarbeitet und eingeordnet werden müssen und zugleich so viele Menschen davon profitieren, wenn sie ihre „spannendere Wahrheit“ auf dem Aufmerksamkeitsmarkt verkaufen, ist diese Spaltung nicht verwunderlich. Es ist nur menschlich, die Wahrnehmung der Welt so anzupassen, dass die eigene Rolle in ihr mit Bedeutung aufgeladen wird. Der Aufruf gegen eine vermeintliche Verschwörung, eine feindliche Übernahme oder eine grundlose Grundrechtseinschränkung zu kämpfen, lässt einen motivierter zurück, als die Aufforderung daheim zu bleiben und Abstand zu halten.
Deshalb sei hier an diejenigen die zu Hause bleiben und Abstand halten ein motivierender Aufruf gerichtet: Sprecht mit denjenigen, die in der Verarbeitung der Situation lieber eine andere Wahrheit suchen! Löscht sie nicht aus euren Freundeslisten, sondern lasst euch von ihnen als „Träumer“ beschimpfen. Lasst sie nicht den Hetzern in die Hände fallen, die sich aus dem Nichts einen teuflischen Plan ausdenken können, den andere angeblich verfolgen, die aber nicht bereit sind offenzulegen, was ihr Plan an deren Stelle wäre. Wenn viele Menschen die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen, was sie glauben sollen, ist die Zeit der Menschenfänger gekommen. Zuerst ködern sie, dann üben sie Druck aus, und dann wollen sie darüber bestimmen, was Wahr und was Falsch ist. Vergesst nicht, was diesem social Distel-Ding immer wieder bewusst wird: In dieser Gesellschaft müssen Journalistinnen und Journalisten eigentlich keine Angst vor der Regierung haben, aber vor ihren Mitmenschen.
Das war noch nicht motivierend? Dann vielleicht so: Ihr seid die Verteidiger der Solidarität mit den Schwachen! Ihr seid diejenigen, die unsere Meinungsfreiheit gegen die Schläger schützt! Ihr seid diejenigen, die das Wissen vor der Verschwörung bewahren! Wir sind nicht alleine, wir sind die Mehrheit, eine Mehrheit die das Leben schützen und die Freiheit bewahren möchte.
Und damit bleiben wir motiviert zu Hause und halten Abstand, während wir diskutieren.