Das social Distel-Ding - Für die ungeduldigen Drängler

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Teil 38 der Kolumne aus dem social distancing - Ja, der Scheiß dauert schon lange, aber drängeln hilft nicht weiter
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06:11 min, 5802 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 28.05.2020 / 19:11

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 28.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es reicht langsam. Wir wollen unser altes Leben zurück. Die Einschränkungen gehen zu weit. Es gibt doch kaum noch Neuinfektionen. Man muss auch regional unterscheiden. Diese Grundrechtseinschränkungen sind nicht mehr begründbar.
Das ist aktuell unsere Diskussionssituation. Während die Nachrichten aus Großbritannien, Indien, Brasilien und den USA ängstlich stimmen und weltweit schon über 350.000 Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben sind, fühlen sich viele Menschen in der Bundesrepublik von den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung gegängelt.
Gerne wird dabei vom Präventionsparadoxon gesprochen: Die Vorsichtsmaßnahmen funktionieren so gut, dass die Gefahr die einen zur Vorsicht veranlasst hat, nicht mehr hinreichend ersichtlich ist.
Die Forderungen an die Politik sind dabei ähnlich wie diejenigen ungeduldiger Flugreisenden:
Wieso muss der Pilot nochmal ums Flugzeug laufen? Wieso können wir jetzt nicht einfach starten? Wir warten jetzt schon ewig auf die Flugfreigabe! Flieg los!
Natürlich sind nicht alle Passagiere im Flugzeug dafür die Sicherheitsvorkehrungen sausen zu lassen. Einige krallen sich auch in ihrer Flugangst in den Armlehnen fest. Aber sie sind nicht zu hören. Sie schämen sich für ihre Angst und versinken in ihren Sitzen, während die Stewards und Stewardessen versuchen den Ungeduldigen noch einmal zu erklären, dass das Flugzeug, einmal in der Luft, bei einem dann festgestellten Defekt oder Fehler nicht einfach so landen kann. Deshalb muss eben noch einmal alles gecheckt werden und deshalb könnte es auch sein, dass es noch dauert bis der erste Drink am Pool geschlürft werden kann.
Leider ist es so, dass motzen nichts kostet und es vielen Leuten auch noch Spaß macht. Forderungen aufstellen und Unfähigkeit anprangern ist das Privileg und das gute Recht derjenigen die keine Verantwortung tragen. Sie haben sogar den Vorteil, dass sie sich auch weiter beschweren können, wenn das Flugzeug abstürzen sollte. Für diejenigen die die Verantwortung schultern bedeutet das, dass sie mit diesem Sperrfeuer leben müssen. Sie müssen es aushalten, dass sie es nicht allen Recht machen können. Dass es Einzelne gibt, die sagen sie würden das Risiko für sich selbst tragen, ohne die Stillen und Verstummten in Betracht zu ziehen.
Diese Drängler und Eiligen werden derzeit auch gehört. Ihre Rufe hallen durch die Medien, ihre Forderungen werden weiterverbreitet, ihr Angriffe auf die Stewards und Stewardessen dieser Krise, die Virologen und Virologinnen, sind plötzlich Artikel wert. Und einige der Piloten scheinen darüber auch schon kirre zu werden.
An sich ist das auch nicht so schlimm. Die Aufregung hat immerhin größeren Unterhaltungswert als einfaches Warten. Während einige sich so echauffieren, dass sie ganz aus der Puste kommen, kann sich ein social Distel-Ding zurücklehnen und das Unterhaltungsprogramm genießen.
Natürlich muss eingeschritten werden, wenn die Angriffe auf das erklärende Personal gefährlich werden. Natürlich muss eingeschritten werden, wenn der Pilot oder die Pilotin den Forderungen nachgibt und einfach starten möchte, ohne die Triebwerke überprüft zu haben. Und selbstverständlich wird ein großer Aufruhr entstehen, sollten die Kontrollen abgeschlossen sein und alle nur noch warten müssen bis Pilot oder Pilotin noch eine letzte Zigarette geraucht haben.
Aber bis dahin: Bevor wir abstürzen, kann ich noch warten.
Zurück zur Corona-Krise: Unsere Checkliste ist relativ einfach: Wir müssen testen testen testen. Das Infektionszahlen aktuell so niedrig aussehen kann uns nicht in Sicherheit wiegen. Schließlich werden zumeist nur Menschen getestet, die Symptome haben und in Kontakt mit einer infizierten Person standen. Und natürlich Fußballer. Als bei den Profifußballern und deren Betreuern 1.700 Test überprüft wurden, sind 10 Infizierte in die Statistik eingeflossen. Wir wissen leider noch zu wenig über das Virus, aber wir wissen, dass es Personen gibt, die das Virus verbreiten können, ohne selbst Symptome zu haben. Verbreiten heißt weitläufige Ansteckung anderer, vor allem dann, wenn wir jetzt alles wieder öffnen und uns in Gruppen versammeln, singen und tanzen. Ansteckung bedeutet wiederum, dass einige Erkranken, einige Sterben und einige dieses Virus wieder ohne Symptome weiterverbreiten können. Die infizierte Katze beißt sich sozusagen in den Schwanz. Eine Rückkehr zu „Normal“ ist somit nicht möglich.
Aber es gibt einen Weg weiter: Wir testen großflächig, wir gewöhnen uns Abstand und Masken an, lüften häufiger, wir nehmen die Regeln nicht zu genau aber genau genug um die Ausbreitung zu stoppen. Und dann kommen wir vermutlich irgendwann dazu, dass es ein Medikament zur Behandlung der Krankheit gibt, zuerst in hoffnungslosen, später in frühen Fällen von Covid-19. Und eventuell kommt dann irgendwann ein möglicher Impfstoff, der ausreichend getestet wurde und flächendeckend verfügbar ist.
Auf die Flugzeugmetapher angewendet bedeutet das, dass der erste Drink am Pool wohl ausfallen wird. Dafür kommen wir am Ziel an.
Was los ist, wenn die Drängler selbst das Steuer übernehmen sehen wir aktuell in den Ländern in denen das Virus die verheerendsten Folgen hat, in den USA, in Großbritannien und in Brasilien. Um das Luftfahrtsargument hier zu Ende zu führen, sei an einen der politischen Lenker Polens erinnert, der in einem Flugzeugabsturz bei schlechten Witterungsbedingungen ums Leben kam. Im Anschluss konnte rekonstruiert werden, dass der Pilot der Unglücksmaschine unter anderem von ihm massiv genötigt wurde die Landung zu versuchen, obwohl dieser sie als nicht sicher ansah. Bei dem so erzwungenen Versuch der Landung starben 96 Menschen.
Sollten wir jetzt dem Druck der Drängler nachgeben dürften die Opferzahlen weit höher sein.

Kommentare
29.05.2020 / 17:37 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 29.5.. Vielen Dank!