Das social Distel-Ding – Zeit zurück zu blicken und neue autoritäre Umtriebe

ID 103573
 
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Teil 50 der Kolumne aus dem social distancing - Diesmal: Viel passiert in 17 Wochen und neue autoritäre Auswüchse
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Upload vom 22.07.2020 / 19:09

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 22.07.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Hier kommt der 50. Teil dieser Kolumne. Beim 1. Teil vor 17 Wochen, dem Start in das größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte, sah die Welt noch ganz anders aus. Damals war noch nicht absehbar, dass sich die ganze Geschichte so lange und so einschneidend entwickeln wird. Es war alles auf Halt, ein globaler Stopp, die große Pause die uns die Geschwindigkeit des Globalisierung erst vor Augen geführt hat. Heute, 17 Wochen später, hat die Welt wieder an Fahrt aufgenommen, nur dass sich niemand so richtig sicher ist wie schnell und welche Richtung angemessen wäre. Stattdessen dreht sich alles um die Fragen, ob die Maßnahmen zu weit gehen oder die Lockerungen dem Virus wieder zu viel Platz lassen. Kommt die zweite Welle und wenn ja, wann, wie schlimm und richtet die Angst vor ihr nicht noch mehr Schaden an, als der Virus verursachen könnte?
Naja, das stimmt auch nicht ganz. Eigentlich wollen viele davon nichts mehr wissen. Schließlich ist Sommer, es gibt wieder Grillfeste, Geburtstagsfeiern werden nachgeholt, der Urlaub steht an und insgesamt ist das social Distel-Ding nicht mehr ganz eifrig beim social distancing wie zu Beginn der Pandemie. Zwar ist allen bewusst, dass der Virus noch nicht aus der Welt ist, aber die Wahrscheinlichkeit, dass mensch sich im Bekanntenkreis oder in der Öffentlichkeit anstecken könnte, scheint verschwindend gering. Letztlich hatten die meisten social Distel-Dinger ja auch bisher keine Fälle im Bekanntenkreis, was die unsichtbare Gefahr der Ansteckung noch weiter aus der Wahrnehmung rücken lässt. Zusätzlich erscheint einigen die gesundheitliche Gefahr gering aber die Verlockungen einer möglichen Immunität ungleich größer.
Im Glauben daran, dass das junge, unfreiwillig auf soziale Distanz gehaltene Distel-Ding Covid-19 schon problemlos wegstecken würde, steigt die Risikobereitschaft und damit leider auch das Ansteckungsrisiko im gesamten Umfeld. Dabei lassen sich bis heute die Auswirkungen einer durch das Corona-Virus ausgelösten Erkrankung nicht abschließend beurteilen. Langzeitfolgen wie Haarausfall und Wortfindungsprobleme sind bisher dokumentiert worden. Allerdings gibt es auch die gute Nachricht, dass die zuvor stark beeinträchtigten Lungen sich anscheinend wieder regenerieren, wobei auch das nicht abschließend gesagt werden kann.
Aber klar, die konstante Angst vor Ansteckung ist nicht langfristig aufrechtzuerhalten. Deshalb hängt auch immer noch die Angst vor Strafen in der Luft. Wer keine Maske trägt, der oder dem droht Bußgeld. Wer keine Regeln zur Pandemieeindämmung schafft und die Kundschaft nicht zur Einhaltung dieser Regeln bringt, der oder dem droht noch höheres Bußgeld. Wo die Angst vor Ansteckung und Virusverbreitung nicht ausreicht, wird sie durch die Angst vor Repression ersetzt.
Nur nimmt die Repression in einigen Ländern zwischenzeitlich beängstigende Züge an. Aus den USA wird von nicht gekennzeichneten Geheimpolizisten unter Trumps Kommando berichtet, die in Portland Protestierende entführen und versuchen Proteste mit Gewalt zu unterbinden. Dabei geht es dem Präsidenten Donald Trump, dem einige den neuen Spitznamen „Twittler“ zuschreiben, nicht darum die Einhaltung der Hygiene-Regeln durchzusetzen. Stattdessen soll die starke Hand des Staates demonstriert und „Law and Order“ durchgesetzt werden. Wobei es eigentlich nicht um Gesetz und Ordnung geht. Tatsächlich soll die Bürgerschaft, die Trump nicht ergeben ist, mit exzessiver staatlicher Gewalt dazu gebracht werden sich zu ergeben.
Das alles mag weit weg erscheinen, aber wenn die social Distel-Dinger sich die Kommentarspalten vieler Zeitungen und erst recht die unredigierte Meinung im Internet anschauen, zeigt sich nach den Krawallen in Stuttgart und zuletzt Frankfurt: Auch bei uns finden sich viele, die die unbedingte Einhaltung von Gesetz und Ordnung sowie den unwidersprochenen Gehorsam gegenüber der Polizei lieber früher als später durch den Einsatz exzessiver staatlicher Gewalt durchgesetzt sehen wollen.
Mit Stammbuch-Prüfungen und entmenschlichender Sprache sollen diejenigen, die mit der Polizei aneinander geraten, aus der Solidargemeinschaft ausgeschlossen werden. Sie zu erniedrigen erscheint die Massen zu befriedigen. Erinnert sei hier an einen der jugendlichen mutmaßlichen Randalierer von Stuttgart, der barfuß mit Hand- und Fußfesseln und einer Spuckschutzhaube dem Haftrichter vorgeführt wurde. Die Bilder erinnerten eher an den Folterskandal der US-Armee in Abu Ghraib im Irak, als an einen Rechtsstaat der aus seiner eigenen, grausamen Geschichte gelernt haben will.
Damit soll nicht versucht werden gewaltsame Zusammenstöße von meist betrunkenen jungen Menschen mit der Polizei zu rechtfertigen. Auch wenn die deutsche und vor allem die hessische Polizei große Probleme aufzuarbeiten hat, können sich selbst aufstachelnde Gewaltorgien nicht die Antwort sein oder zur Lösung beitragen.
Nur ist dieses gesellschaftliche Nach-Unten-Treten und Entsolidarisieren der erste Schritt hin zu einer Gesellschaft in der Aufmucken gegen die Autorität nicht mehr als Emanzipation sondern als Straftat verstanden wird. Und Staaten, in denen Widerspruch gegen die staatliche Autorität als Straftat verstanden wird, nennen wir autoritär. Insofern bleibt die Hoffnung, dass die Krawalle sachlich juristisch aufgearbeitet werden, als das was sie waren: Gewaltsame Ausbrüche einer frustrierten und sich von der Polizei unnötig drangsaliert fühlenden Masse betrunkener Menschen, die von einer Massendynamik angetrieben wurden. Und wie es sich in einem Rechtsstaat gehört, sollte die Festgenommenen ein faires Verfahren erwarten in dem weder deren Herkunft noch die öffentliche Meinung eine Rolle zu spielen haben. So bleibt zu hoffen, dass sich die Aufregung bald wieder legt und statt der Verurteilung einzelner die gemeinschaftliche Lösung der vielen Krisen, von Corona bis zu rechten Netzwerken in Polizei und Gesellschaft, in den Vordergrund rückt. Es ist ja nicht so, als ob sich einige Befürchtungen die vor 17 Wochen groß waren, heute nicht in Luft aufgelöst haben: Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet, sollten die Klopapier-Depots in Privathaushalten mittlerweile aufgezehrt sein und der Einkauf wieder zur Normalität zurückkehren. Und somit als letzte Worte im 50. Teil. Bei manchen Debatten kann man nur noch sagen: Scheiß drauf. Sie gehen auch wieder vorbei

Kommentare
24.07.2020 / 18:03 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 24.7.. Glückwunsch!
 
28.07.2020 / 07:33 hike, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in der Frühschicht 28.7.2020
ebenfalls gesendet. Danke!