Das social Distel-Ding – Tag der Impfung

ID 109514
 
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Teil 71 der Kolumne aus dem social distancing. Heute, genau 63 Wochen nach Start der Kolumne, ist auch der Tag der Impfung des social Distel-Dings
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05:10 min, 4855 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 09.06.2021 / 16:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 09.06.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Heute ist es soweit. Heute wird dieses social Distel-Ding geimpft, gleich ist soweit. Nach geschätzten 8 PCR-Tests, 6 betreuten Schnelltests und mehr als 12 Selbsttests, kommt es nun mit der schärfsten Waffe gegen die Pandemie in Berührung: Der Nadel.
Als sich vor genau 63 Wochen die ersten Stachel bildeten, damit die Klopapier-Hamster an der Kasse auf Abstand gehalten werden, war dieser Schritt noch sehr weit weg. Gut damals war alles weit weg. Allem voran die Vorstellung, dass sich die Pandemie noch über mehr als 441 Tage hinziehen sollte. Dass 10 584 Stunden folgen sollten in denen das Distel-Ding in der eigenen Wohnung sitzen und sich Sorgen machen durfte: Sorgen um die Gesundheit der eigenen Lieben, Sorgen sich und andere anzustecken, Sorgen vor dem Wahnsinn, der nach zu langer Zeit aus dem Fernseher zu schreien schien…
All diese Sorgen bis zu dem Moment, in dem ein kleiner Einstich das Versprechen mit sich bringt, sich absehbar aus diesem verrückten Zustand herauszählen zu dürfen. Offiziell als „Immunisiert“ ausgezeichnet, sollen dann weitergehende Befreiungen gelten, die dennoch noch nicht an die grundgesetzlich verbrieften Freiheiten heranreichen, die in einer gesunden Welt galten. Es erwarten das social Distel-Ding eben nicht mehr Rechte, sondern nur weniger Einschränkungen als vor der Impfung.
Das Risiko schwer zu erkranken, das Risiko die Krankheit Covid-19 weiterzugeben, das uns weltweit umgebende Risiko, es sinkt für diejenigen, die geimpft sind. Und da wir einander das größte Risiko sind, sinkt das allgemeine Risiko im Umfeld mit jeder geimpften Person.
Gute Gründe für eine Impfung, die Ratio ist allerdings nicht alles was das Distel-Ding beschäftigt. Denn während all diese Argumente schon für alle anderen Impfungen vorher gegolten haben, gelten die Gefühle der letzten 63 Wochen auch für die Corona-Impfung: Verunsicherung und Sorge.
Nichts genaues weiß das social Distel-Ding wirklich nicht. Alle Informationen über die Vektor- und mRNA-Impfstoffe die es in den letzten Monaten aufsaugen konnte, sind im besten Fall der Versuch einen laienhaften Einblick zu bekommen. Ähnlich wie es ungefähr weiß wie ein Motor funktioniert, was ein Keilriemen ist und wie der in ungefähr zu reparieren bzw. auszutauschen wäre, zieht es die Einschätzung und Behandlung durch eine Expertin vor, als sich darauf zu verlassen, dass der laienhafte Einblick weit trägt.
Das heißt leider nicht, dass es einfach ist, darauf zu vertrauen, dass alles gut wird. Nebenwirkungen, Impfschäden, all das ist möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Hirnvenenthrombose heißt das Schreckgespenst, dem sich dieses social Distel-Ding stellt. Ähnlich wahrscheinlich wie ein explodierender Motor nach einem Ölwechsel, aber eben furchterregend. In der Abgeschiedenheit der letzten Monate konnten die Gedanken, was ein in kürzester Zeit entwickeltes Mittel, das langfristigen Einfluss auf die eigene Imunantwort hat, so alles anrichten kann, frei drehen. Vertrauen in die Pharmaindustrie, die die USA zu einem Land der Heroin-Abhängigen gemacht hat, ist nicht so einfach. Vertrauen in ein System, in dem die Rettung der Menschheit vor einer Pandemie als wunderbares Geschäftsmodell gesehen wird, erscheint widersinnig.
Und doch ist das Vertrauen da. Das Vertrauen in die Masse an Menschen, die in die Entscheidungen integriert sind. Das Vertrauen in die Masse an Forscher*innen, die die Studien und die Wissenschaft hinter den Impfstoffen überprüft haben. Mit diesem Vertrauen macht sich dieses Distel-Ding jetzt auf, die Nadel zu empfangen.
Picks, Au, brennen, warten, heimgehen, geimpft sein. So schnell geht das. Jetzt bleibt nur noch die Bekämpfung des inneren Hypochonders, der jeder kleinen Gefühlsregung, jedem Rülpsen und jeder Verspannung auf ein Anzeichen des nahenden Todes nachfühlt und dann… Dann ist die Pandemie zwar noch nicht beendet, die Welt noch nicht sicher und das was wir mal Normal genannt haben noch nicht wieder hergestellt. Aber vielleicht ist dieses social Distel-Ding dann auf dem besten Weg raus aus seinem Zustand, können endlich die Stacheln abgestriffen werden, kann die Rückentwicklung zum Menschen, zum sozialen Wesen, in Angriff genommen werden. Und all das, dank einer kleinen Spritze mit einem Stoff, der gerade relativ wenige immunisiert, noch viel wenigere reich macht, während die Pandemie sich global weiter entwickeln darf.
Wir werden sehen was da kommt. Für sich kann dieses social Distel-Ding zumindest sagen: Frisch geimpft sieht es erstmals seit 63 Wochen so aus, als wäre da ein Silberstreifen am Horizont – Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und jetzt wartet es erstmal die Reaktion ab und nimmt sich Zeit die Impfung zu verdauen.