Das social Distel-Ding – Erschöpfung

ID 110689
 
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Teil 72 der Kolumne aus dem social distancing. Nach langer Pause existiert das social Distel-Ding auch weiterhin fort, wenn auch stark erschöpft, weil nach der Impfung die Erschöpfung kam, weil es noch nicht so einfach vorbei ist.
Audio
05:26 min, 5111 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 18.08.2021 / 18:46

Dateizugriffe: 2210

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 18.08.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ja, die Impfung hat eine Entwicklung im social Distel-Ding ausgelöst. Doch weder die physische Distanz, das Maskentragen noch die Kontaktnachverfolgung sind zurückgegangen. Nein, das social Distel-Ding lebt weiter, maskiert, in einiger Entfernung und mit aufrechterhaltener Vorsicht. Aber was anders wurde, als direkte Impffolge: ein Erschöpfungszustand trat ein.
Und nein, bevor jetzt gleich von einer Impfnebenwirkung die Rede ist, nein, es ist nichts körperliches, keine Genveränderung und auch keine Krankheit. Es ist einfach nur eine Erschöpfung die daher kommt, dass das social Distel-Ding jetzt auch nichts mehr tun kann. Mehr als Abstand halten, Masken tragen, Vorsicht walten und sich impfen lassen geht halt nicht. Das Soll ist also erfüllt, nur die Situation bleibt – genauer: die Pandemie-Situation bleibt.
Noch immer ist sich dieses social Distel-Ding nicht sicher.
Nicht sicher ob nicht im Herbst Mutanten und exponentielle Verbreitung die Gefahren und die Maßnahmen wieder stärker spürbar machen. Nicht sicher, ob diese verfluchte Krankheit und ihre Langzeitfolgen nicht doch noch ihren Weg in das eigene direkte Umfeld finden könnte. Nicht sicher, ob der Impfschutz des verimpften Impfstoffs wirklich gut hält und wann eine Nachimpfung notwendig wird. Nicht sicher, ob jetzt dann bald mal irgendwann der Spuk vorbei ist. Nicht sicher, woran wir das festmachen sollten und welche Expert*innen da die verantwortungsvollste Entscheidung treffen können. Einfach nicht sicher, ob es sich wirklich lohnt heute schon Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Dieser andauernde Unsicherheitsfaktor ist schon erschöpfend. Wer dann aber noch ein wenig die Nachrichten verfolgt und mit ein wenig Voraussicht ausgestattet ist, dem wird das Aufstehen aus dem Bett an manchen Tagen zur sportlichen Höchst-Leistung.
Die Lage in Afghanistan ist mit Ansage so schlimm, so beschämend, so unerträglich geworden, dass dieses social Distel-Ding nicht darüber sprechen kann, ohne dass es ihm die Kehle zuschnürt. Dass Menschenleben so schnell an Wert und Werte so schnell an Bedeutung verlieren, ist immer wieder erschreckend.
Der Klimawandel, von dem so lange die Rede war, lässt jetzt unmaskiert seine Auswirkungen beobachten, als beinahe unberechenbarer Terrorist, der wahllos Menschen tötet und Infrastruktur zerstört. Gleichzeitig brennen Wälder und taut der Permafrostboden auf und der Weltklimarat stellt klar: Egal was wir heute tun, die nächsten 10 Jahre wird es erst einmal rasant schlimmer, bevor wir irgendwie mit größter Hoffnung eine Verlangsamung der Verschlimmerung erreichen können.
Und diese größte Hoffnung, dass nämlich politisch endlich diese Herausforderung vernünftig angegangen wird, zerschellt aktuell am zu beobachtenden Wahlkampf und der wählenden Bevölkerung. Eine Nebelkerze nach der anderen lenkt die Aufmerksamkeit weg von tatsächlichen Themen, hin zu der Grundaussage:
„Du bist gut, lieber Wähler, wir lenken dich ab von der Realität, die du verdrängen willst!“
Und so ist es auch. Statt Konzepte für schnelle humanitäre Hilfe vorzulegen, geht es darum die Sorgen zu nehmen, dass sich 2015 wiederholt. Statt Konzepte für einen schnellen Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität zu diskutieren, geht es um günstige Flüge nach Mallorca, die Klimabilanz von E-Autos, mögliche Erfindungen und nicht zuletzt um Wohlstanderhalt.
Und, besonders perfide, statt darüber zu sprechen, wie diejenigen, die in der Krise reicher geworden sind, weil sie davor schon Geld und Immobilien hatten, an den Kosten der Pandemie beteiligt werden können, werden diejenigen, die bisher noch nicht geimpft wurden, in einen unangenehmen Fokus gerückt. Mit Druck und notfalls Zwang sollen sie jetzt gefälligst ihren Arm hergeben.
Und die Debatte funktioniert, sie strahlt aus in die Freundeskreise, sie entsolidarisiert und gibt den social Distel-Dingern noch etwas an die Hand, was sie nach ihrer Impfung tun können: Andere von einer Impfung überzeugen! Denn, so das Versprechen, wenn dann alle mal geimpft sind, ist die Pandemie vorbei – konzentriert euch darauf!
Vergessen ist dann plötzlich, dass weltweit erst ca. 23,8 % der Menschen geimpft sind und dass eine Pandemie nun mal ein globales Problem ist. Hauptsache es gibt etwas zu tun.
Vergessen ist darüber aber auch, dass die Kosten der Pandemie nicht mit den Gewinnen der Pandemie verrechnet werden. Wer sich mit denjenigen streitet, die sich nicht zum Impfen zwingen lassen möchten, dem mag nicht auffallen, dass in München mittlerweile viel mehr Bentleys rumfahren. Aber während die social Distel-Dinger sich an jeden Strohhalm klammern, der irgendwie einen Weg raus aus der Pandemie verspricht, ist die Umverteilung im vollen Gange. Der beobachtbare Reichtum auf den Straßen der Städte hat deutlich zugenommen, nicht zuletzt auch dank staatlich subventionierter Dividenden großer Konzerne.
Aber das ist natürlich kein Thema für einen Wahlkampf. Der Weg raus aus der Pandemie muss natürlich aus dem Individuum heraus passieren. Genauso wie wir nur alle Menschen in unserem Umfeld zur Mülltrennung und zum Fleischverzicht bringen müssen um den Klimawandel aufzuhalten.
Nur ist diese selbst auferlegte Verantwortung auf Dauer eines: Erschöpfend!

Kommentare
19.08.2021 / 18:04 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 19.8.. Vielen Dank!