Union Busting-News mit Jessica Reisner Nr.02 / 2022 | Fraport, Italien, Mini-Jobs, Tesla & Bsirske, VW, Betriebsratswahlen.

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Fraport: Angriff auf Datenschutz für Beschäftigte | Arbeitsunfälle: Proteste in Italien | Ausbeutung: Lindner freut sich über Ausweitung von Mini-Jobs | Tesla: Bsirske freut sich über Fake-Betriebsratswahl | VW: Schmutzige Betriebsratswahl? | Petitionsausschuss: Gegen verpflichtende Betriebsratswahl

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12:30 min, 29 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.02.2022 / 15:42

Dateizugriffe: 1205

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: arbeitsunrecht FM
Entstehung

AutorInnen: arbeitsunrecht FM
Radio: radio flora, Hannover im www
Produktionsdatum: 02.02.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Quellen + Sendemanuskript: https://arbeitsunrecht.de/arbeitsunrecht...

Deutschland: Angriff auf Datenschutz für Beschäftigte? Fraport fordert Offenlegung von Diagnosen

Am 14. Januar 2022 verhandelte das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt über die Klage des Gepäckabfertigers Erdogan S. Fraport verweigert ihm sein gesetzlich verbrieftes Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.Der Vorsitzende Richter Michael Horcher entschied, anders als die erste Instanz, zugunsten von Fraport und verwies den Fall an das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Diesem Verfahren müssen wir große Aufmerksamkeit widmen, es geht um fundametale Arbeitsrechte. 1

Fraport fordert von Gepäckabfertiger Erdogan S. die Offenlegung seiner Diagnosen. Andernfalls gibt es kein Geld. Der Beschäftigte soll also vor Gericht beweisen, dass er einen Anspruch auf Lohnfortzahlung hat.

Und der Gepäckabfertiger Erdogan S. ist kein Einzelfall. Mehrere Beschäftigte berichten, dass Fraport ihnen die Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit systematisch verweigert, sobald sie im Laufe von 12 Monaten auch nur einen Tag länger als sechs Wochen krankgeschrieben sind. Und das auch, wenn die Krankenkasse nicht zusammenhängende Erkrankungen attestiert.

Sie klagen derzeit gegen Fraport, in einem Fall geht es um mehrere tausend Euro nicht gezahlten Lohn.2

Die Fraport-Tochter Fraground versucht so offenbar gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte mit illegalen Methoden gezielt aus dem Job zu drängen und die Kosten für die Lohnfortzahlung auf die Krankenkassen abzuwälzen. Die Folge: Viele der rund 3400 Fraground-Angestellte gehen aus Angst krank zur Arbeit. Andere unterschreiben Auflösungsverträge und verzichten auf ihre Rechte.3

Die Dimension des Falls kann jedoch gar nicht groß genug eingeschätzt werden: die Aktion gegen Arbeitsunrecht sieht in dem Vorgehen von Fraport einen grundsätzlichen Angriff auf die Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und das Recht auf Datenschutz für Beschäftigte. Die Beweislast, dass Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber zu leisten ist, darf nicht bei den Beschäftigten liegen.

Fraport ist ein hochaggressives Unternehmen, das ein undurchsichtiges Dickicht an Töchtern betreibt. Fraport und Fraground sind seit 2017 ein Gemeinschaftsbetrieb, unterhalten jedoch jeweils einen eigenen Betriebsrat. Ein Widerspruch in sich, der eine ganze Reihe Fragen aufwirft.4

Größter Anteilseigner der Fraport AG ist mit 31,31% das Land Hessen.

Wir fordern von der Hessischen Landesregierung und dem Hessischen Arbeitsminister Kai Klose:

Gute Arbeit, Gesundheitsvorsorge und Krankengeld statt Ausbeutung in Knochenjobs!
Und die Beendigung des Rechtsnihilismus durch das Fraground-Management!

Wir werden informieren, sobald der Verhandlungstermin am Bundesarbeitsgericht Erfurt feststeht. In unserer Sendung arbeitsunrechtFM vom 12. Januar 2022 interviewten wir Erdogan S. und seine Anwältin Annkatrin Halank zu den Vorgängen bei Fraport. Die Sendung können Sie hier nachhören.
Italien: Proteste nach tödlichem Arbeitsunfall eines Schülerpraktikanten

Zwischen Januar und Oktober 2021 starben in Italien im Schnitt jeden Tag drei Arbeiterinnen und Arbeiter bei Arbeitsunfällen. Insgesamt in 10 Monaten rund 1000 Menschen.

Im Januar 2022 brachte der Tod von Lorenzo Parelli am letzten Tag seines Schülerpraktikums bei einer Baufirma das Fass zum überlaufen.5 Zumal es am gleichen Tag in Italien drei weitere tödliche Vorfälle an Arbeitsplätzen gegeben hatte. Es gab Proteste in Rom, Milano und Turin. Auch viele Schülerinnen und Schüler beteiligten sich. Teilweise gab es heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Das Eingangstor der Confindustria in Florenz, Italiens größtem Unternehmerverband, wurde mit roter Farbe gekennzeichnet.

Die italienische Arbeitsaufsichtsbehörde schlägt Alarm: Die Arbeitsschutzmaßnahmen auf neun von zehn Baustellen entsprechen nicht den Vorschriften, und das ist im schlimmsten Fall tödlich.

Auch in Deutschland sind Stürze aus großer Höhe und herabfallende Teile die häufigsten Todesursache auf Baustellen. In Deutschland stirbt im Schnitt jeden vierten Tag ein Bauarbeiter. 6
Deutschland: Christian Lindner freut sich über Ausweitung von Minijobs

Die Ampel plant die Verdienst-Obergrenze für Mini-Jobs von 450,- auf 520,- Euro zu erhöhen.7 Christian Lindner (FDP) twitterte dazu:

Natürlich freut sich Christian Lindner. Unternehmer zahlen für Beschäftigte mit Minijobs nur eine niedrige Pauschale anstelle von vollen Sozialversicherungsbeiträgen. Das steigert den Gewinn und die die Dividenden für die Aktionäre.

Den Schaden haben alle anderen. Minijobs verdrängen sozialversicherte Festanstellungen, die Mini-Jobberinnen und -Jobber bauen keine Rentenansprüche auf. Den Sozialversicherungsträgern fehlen die entsprechenden Beiträge.

Das ganze Modell ist außerdem absolut prekär: In der Corona-Pandemie waren zuletzt hunderttausende Minijobs ersatzlos weggefallen.8 Die gesetzliche Grundkündigungsfrist bei Minijobs beträgt bei unter zwei Jahren Betriebszugehörigkeitnur vier Wochen. Praktisch, nicht wahr?

Heruntergebrochen läuft das ganze asoziale Manöver der Ampel jedoch ohnehin auf einen ganz anderen Punkt hinaus: zum 01.10.2022 wird der Mindestlohn auf 12,- Euro angehoben wird. Minijobber so dann weniger Stunden arbeiten, um die Verdienstgrenze von 450,- Euro zu erreichen. Das wäre toll: weniger Arbeit für das gleiche Geld.

Mit der Anhebung der Verdienstgrenze auf 520,- Euro können Minijobber jedoch genauso viele Stunden arbeiten wie zuvor – nämlich rund 43 Stunden/Monat – ohne dass Unternehmen volle Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen.

In Zahlen: 450,- € : 10,40 € entspricht ziemlich genau 520,-€ : 12,- €

Das Ganze ist ganz sicher kein Grund für Jubel-Tweets.
Tesla: Frank Bsirske freut sich über Fake-Betriebsratswahlen bei Tesla

Am 28. Februar 2022 wird bei Tesla in Grünheide ein Betriebsrat gewählt.

Dort baut Elon Musk eine Autofabrik, in der bald 12.000 Beschäftigte arbeiten sollen. Gewerkschaftsangaben zufolge arbeiten im Augenblick, da das Werk noch eine halbe Baustelle ist, aber erst zwischen 2000 und 2300 Menschen auf dem Gelände – und zwar zum überwiegenden Teil zukünftige Führungskräfte und Ingenieure.

Frank Bsirske freut sich darüber scheckig und twittert:

Das ist tragisch. Denn Frank Bsirske war von 2001 bis 2019 Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di und sollte eine Union Busting-Maßnahme erkennen können.

Die Betriebsratswahl bei Tesla am 28. Februar findet offensichtlich zu einem Zeitpunkt statt, an dem die größte Teil der Belegschaft, nämlich die eigentlichen Arbeiterinnen und Arbeiter noch gar nicht da sind. Und wenn sie schon im Betrieb sind, dürfte am 28. Februar 2022 kaum jemand von ihnen bereits seit 6 Monaten dabei sein. Als Kandidat kann sich aber nur zur Wahl stellen, wer bereits 6 Monate im Betrieb ist. An der Wahl teilnehmen darf man nach drei Monaten der Betriebszugehörigkeit. 9

Frank Bsirske bejubelt hier ganz offensichtlich die Installation eines gelben, managementnahen Betriebsrats in dem Führungskräfte das Sagen haben werden. Aber auch Birgit Dietze von der IG Metall sieht kein Problem: es könne ja nach 2 Jahren neu gewählt werden, wenn sich die Zahl der Beschäftigten nach der ersten Wahl deutlich erhöht habe.

Gelbe, also managementnahe Schein-Betriebsräte, sind ein riesiges Problem.Sie winken arbeitnehmerfeindliche Maßnahmen durch, fallen Beschäftigten in den Rücken, und verschleiern den Blick darauf, wie viel aktive Betriebsräte eigentlich für ihre Kolleginnen und Kollegen bewirken können. Die Devise „Hauptsache irgendein Betriebsrat“ kann schrecklich schief gehen, wie viele prominente Beispiele zeigen.

Wir wünschen allen zukünftigen Tesla-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie sich so schnell und effektiv wie möglich des Fake-Betriebsrats entledigen können und dabei von Gewerkschafter*innen begleitet werden, die sich nicht vergackeiern lassen.
Wolfsburg: Schmutzige Betriebsratswahl bei VW

Bei VW werden im Rahmen des Wahlkampfes für die turnusmäßigen Betriebsratsneuwahlen im Frühjahr 2022 Aushänge konkurrierender Listen abgerissen oder mit eigenen Plakaten überklebt. Das berichten gleich mehrere Listen.10

Die Vorwürfe, man mag es kaum glauben, richten sich gegen die dominierende IG-Metall-Liste. Mit deren Arbeit im Betriebsrat scheinen Viele unzufrieden zu sein. Deshalb treten IG-Metall-Mitglieder, die zum Teil auch schon Betriebsratsmitglieder sind, mit mehreren eigenen Listen zur Wahl an.Und stellen sich sogegen die bisherigen Mehrheitsverhältnisse.

Ein Sprecher beschwert sich, dass die IG Metall angeblich zwischen 800 000 und einer Million Euro in den Wahlkampf stecken soll, kleinere Listen ihren Wahlkampf jedoch aus eigener Tasche finanzieren.

Die IG-Metall freilich weist die Vorwürfe zurück.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen noch einmal auf das Verhalten des VW-Betriebsrats und der IG Metall Wolfsburg angesichts eines Todesfalls kurz vor Weihnachten 2019 aufmerksam zu machen.

Der Kollege war am 10.12.2019 während der Nachtschicht tot am Band zusammengebrochen. Er hatte sich zuvor schon mehrere Tage offensichtlich krank zur Arbeit geschleppt. Die Leiche wurde hinter ein paar Kisten gezogen, die Kolleginnen und Kollegen mussten weiter arbeiten – und haben dies auch getan.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht hatte gemeinsam mit der Stiftung Ethecon ein Anfrage an den VW-Betriebsrat zur Art des Beschäftigungsverhältnisses des Mannes gestellt. Wir waren uns ziemlich sicher, dass er nicht zur Stammbelegschaft gehörte. Ein Antwort gab es weder vom Betriebsrat, noch von der IG Metall Wolfsburg. Eher hatte man das Gefühl, es mit einem Schweigekartell zu tun zu haben.11

Und ja: natürlich muss man mit Gegenwehr rechnen, wenn gut bezahlte, seit Jahren freigestellte managementnahe Betriebsräte um ihren Posten fürchten müssen. Plakate überkleben und Banner stehlen ist zwar niveaulos, aber sicher nicht das Schlimmste worauf sich Konkurrenten möglicherweise einstellen müssen.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht jedenfalls begrüßt jede Bemühung gelbe, unternehmensgesteuerte Betriebsräte abzuwählen. Wenn Ihr dazu Fragen habt, meldet Euch gerne. Die Kontaktdaten findet Ihr auf https://arbeitsunrecht.de/ueber-uns/
Deutschland: Petitionsausschuss gegen verpflichtende Betriebsratswahlen

Der Petitionsausschuss des Bundestages spricht sich mehrheitlich für verbesserte Möglichkeiten zur Einrichtung eines #Betriebsrates aus. Einen gesetzlichen Zwang zur Schaffung eines solchen Gremiums ab lehnt der Petitionsausschuss jedoch ab.12

Uns würde Eure Meinung interessieren. In unseren 2017 veröffentlichten Vorschlägen zur Reform des Betriebsverfassungsgesetz forderten wir auch noch die verpflichtende Einrichtung eines Betriebsrats. Aber nach etlichen Diskussionen mit Betriebsratsmitgliedern, Juristinnen und Gewerkschafterinnen und vier Jahren mehr Erfahrung in unserem Fachgebiet sind wir uns mit dieser Forderung gar nicht mehr so sicher.

Die verpflichtende Einrichtung von Betriebsräten könnte zu noch mehr gelben, also managementnahen Betriebsräten führen, die von Geschäftsführungen installiert und protegiert werden. Die richten aber schon jetzt erheblichen Schaden an und sind, da sie die Geschäftsführung hinter sich haben, keineswegs leicht abzuwählen.

Schreibt uns Eure Meinung in die Kommentare.
Quellen:

1Jessica Reisner Fraport fordert Offenlegung von Krankenakten. LAG schiebt brisanten Fall auf lange BankAktion gegen Arbeitsunrecht 18.01.2022 https://arbeitsunrecht.de/fraport-forder...

2Fraport: Flugzeugabfertiger systematisch um Lohnfortzahlung betrogen? Aktion gegen Arbeitsunrecht 07.01.2022 https://arbeitsunrecht.de/fraport-flugze...

3Fraground Über uns https://www.fraground.de/unternehmen/ueb... abgerufen 02.02.2022

4Fraport über uns https://www.fraground.de/unternehmen/ueb... abgerufen 02.02.2022

5 Alex Favalli Lorenzo ist einer von uns 25.01.2022 junge welt https://www.jungewelt.de/artikel/419238....

6 Alle vier Tage stirbt ein Bauarbeiter Allgemeine Bauzeitung 14.12.2021 https://allgemeinebauzeitung.de/abz/ig-b...

7 Minijob Grenze soll auf 520,- Euro steigen Tagesschau 29.01.2022 https://www.tagesschau.de/inland/minijob...

8Markus Dettmer Von 450 Euro auf null 03.11.2020 Spiegel https://www.spiegel.de/wirtschaft/corona...

9Claudi Krieg und Martin Kröger Schöne neue Tesla Welt 20.01.2022 Neues Deutschland https://www.nd-aktuell.de/artikel/116060...

10Facebook „Wir für Euch Wolfsburg“ 24.01.2022 20:28 Uhr https://www.facebook.com/permalink.php?s...

11Jessica Reisner VW Wolfsburg Halle 12: Arbeiter stirbt, Produktion geht weiter 04.03.2020 Aktion gegen Arbeitsunrecht https://arbeitsunrecht.de/vw-wolfsburg-h...

12Bundestag, abgerufen 02.02.2022 https://www.bundestag.de/presse/hib/kurz...