Albert Jörimann - Was macht eigentlich Hayden Pannettiere?

ID 114385
  Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Was macht eigentlich Hayden Pannettiere? Auf Instagram meldete sie sich mit einer Unter­stüt­zungsbotschaft für Wladimir Klitschko, den Bürgermeister von Kiew und Vater ihrer Tochter Kaya, und für die ganze Ukraine und schrieb:
Audio
11:21 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 09.03.2022 / 22:03

Dateizugriffe: 98

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 09.03.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Was macht eigentlich Hayden Pannettiere? Auf Instagram meldete sie sich mit einer Unter­stüt­zungsbotschaft für Wladimir Klitschko, den Bürgermeister von Kiew und Vater ihrer Tochter Kaya, und für die ganze Ukraine und schrieb: «Ich habe die Stärke des ukrainischen Volkes persönlich miterlebt, das so hart für seine Unabhängigkeit gekämpft und sein Land über die Jahre hinweg leidenschaftlich verteidigt hat. Was Putin tut, ist eine absolute Schande. Dieser Horror-Moment in der Geschichte wird geprägt durch die Botschaft, dass es im Jahr 2022 in Ordnung ist, die Rechte freier Menschen zu verletzen und Autokraten wie Putin zu erlauben, sich zu nehmen, was sie wollen.» Das Töchterchen Kaya lebt zwar eigentlich beim Vater, ist aber im Moment nicht in der Ukraine und befindet sich offenbar in Sicherheit.

Die andere junge Frau, die vor ein paar Jahren mein Interesse geweckt hat, ist Michaella Rugwi­zangoga, welche nicht nur Poetin in mehreren Sprachen und Modedesignerin war, sondern auch in Deutschland ein Ingenieurstudium abgeschlossen hat und anschließend für Volkswagen in Ruanda eine eigene Produktionsfirma aufgebaut hat, die allerdings Fahrzeuge nur in bescheidener Stückzahl zusammenbaut und aus Komponenten, die aus dem Ausland importiert werden. Ein geborener Sati­riker würde glattweg von Augenwischerei sprechen und davon, dass zum Beispiel Opel im Werk Eisenach um die 100'000 Stück im Jahr produziert. Aber ich bin kein richtiger Satiriker. Mit dem Titel als CEO von VW Mobility Solutions Rwanda, welche bei VW Südafrika angesiedelt ist, eignet sich Frau Rugwizangoga selbstverständlich hervorragend als Galionsfigur für all das, was sich die demo­kra­tische und feministische Welt wünscht, eine junge schwarze Frau im Business-, nicht nur Kostüm, sondern ganz und gar in der Business-Rolle, eine echte und wahrhaftige Chief Executive Officer, und so war der Schritt zu den jungen globalen Leadern des Weltwirt­schafts­forums Davos nichts als logisch. In der Zwischenzeit und nach der Herstellung von, was soll ich sagen, zirka hundertfuffzich VW Polo innerhalb von drei Jahren hat sie ihre Laufbahn verlängert, nach wie vor entlang der Klischee-Leitplanke, und wo würde eine junge, international erfolgreiche Unternehmerin mit einem Leistungsausweis auch als internationale Poetin und Modeschöpferin besser hinpassen als in das Tony Blair Institute for Global Change? Dort arbeitet sie laut Angaben des siebten EU-Africa Business Forum 2022 als Technology Partnerships Lead; sie ist zuständig für die Einführung von technologischen Lösungen in Ruanda, Kenia, Senegal und Angola und daneben als High-Level Engagement bei Regierungen, Akteuren aus dem Privatsektor, Entwicklungs­partnern, der Ostafrika­nischen Gemeinschaft und der Afrikanischen Union. Daneben fungiert sie unterdessen als Mitglied des Rats zur Globalen Zukunft bei der Transition der urbanen Mobilität beim Weltwirtschaftsforum. Wenn das mal keine eindrückliche Karriere ist! Tony Blair, der alte Schwede, Katholen-Konvertit, Sozialdemokraten-Renegat, USA-Pudel und Irak-Kriegstreiber und was der schönen Adjektive mehr sind, und heute ein verdienter älterer Staatsmann, etwas edler vermutlich als José Barroso, aber immerhin. Von Frau Rugwizangoga werden wir noch dies oder das hören, ich versuche, mit ihr in Kontakt zu bleiben, das heißt ihr auf den Fersen, für einen direkten Kontakt bin ich viel zu low ranking, was mir nicht so viel ausmacht; so bleibe ich ganz distanziert und genieße die Karriere einer reinen Vorzeige-Business-Frau aus dem Fauteuil. Dabei rauche ich eine imaginäre Zigarre und frage mich, ob der ganze Feminismus in Paul Kagames Ruanda, unter anderem mit einem Frauenanteil von zwei Dritteln im Parlament, möglicherweise von ähnlicher Qualität ist wie die Unternehmerinnenkarriere von Frau Rugwizangoga.

Auf der Webseite des Tony Blair Institute for Global Change kennt man übrigens keine Michaella Rugwizangoga. Aber beim EU-Afrika-Businessforum vom 14.–18. Februar dieses Jahres war sie in offizieller Mission für Tony Blair unterwegs, wie man auf dessen Webseite nachlesen kann.

Ach ja, was man nicht alles tut, um die Augen möglichst vom Krieg in der Ukraine abzuwenden. Dazu gibt es nach wie vor nicht viel zu sagen außer, dass Krieg Scheiße ist und dass Wladimir Putin in die Hölle fahren wird; wer ihn begleitet, steht noch nicht fest, einmal abgesehen von den Kriegs­opfern, die allerdings mehrheitlich in den Himmel kommen werden. Daneben wünscht man sich, das tödliche Schauspiel möge bald enden, und gleichzeitig darf man so etwas nicht wünschen, weil gemäß der aktuellen Einschätzung der Lage nur die Kapitulation der ukrainischen Streitkräfte zu einem schnellen Ende führen würde, und es widerspricht unserem Ehrgefühl, so etwas von einer Befreiungsarmee zu verlangen. Diesen Status hat das ukrainische Militär unterdessen, ganz ohne Ironie. Trotzdem wird es ohne Nato-Unterstützung und ohne Unterstützung aus der Luft nicht rei­chen, um die russischen Truppen zu stoppen, ganz abgesehen davon, dass man sowieso keine Ahnung hat von den konkreten Kriegszielen der russischen Invasoren. Nun gut, eines ist klar und bekannt: die Russen wollten und wollen die Nato nicht in der Ukraine haben, und dies haben sie von den Nato-Mitgliedländern in den Tagen, die der Krieg nun dauert, mehrfach mündlich und schriftlich bestätigt erhalten, nachdem sie sich zuvor über Monate hinweg geweigert hatten, eine Ausdehnung in die Ukraine vertraglich auszuschließen; in dieser Beziehung haben die Russen mehr oder weniger die letzte Gelegenheit genutzt, bevor die Ukraine in einer Volksabstimmung den Beitritt zur Nato beschlossen hätte, vielleicht noch vor jenem zur EU, deren Mitgliedschaft Wladi­mir Selenski in einem Eilverfahren beantragt hat, dessen Chancen ich in der Praxis nicht als sehr groß bewerte. Sehr agil haben übrigens die Georgier gleich nachgezogen und das gleiche Bei­tritts­gesuch nach Brüssel gesandt; da kann sich die EU überlegen, ob sie vielleicht die geografischen Grenzen Europas noch etwas weiter in den Osten verschieben wird; als nächstes wären dann Aserbaidschan und je nachdem im Süden noch Armenien an der Reihe. Hinter der Aral-See wartet dann Turkmenistan, über das ich im letzten Jahr ebenfalls hin und wieder informiert habe. Warum nicht. Das wären ja alles keine Kriegs-, sondern Friedensziele.

Aber im Ernst: Ich halte es vorderhand mit den Demonstrant:innen in Rom, die auf ihre Friedens-Plakate geschrieben haben: «Nein zu Putin, Nein zur Nato», und viel mehr habe ich im Moment zur Sache nicht zu sagen. Ein müdes Lächeln kann mir noch der Leitartikel des Chefredaktors der Neuen Zürcher Zeitung vom Samstag abringen, vor allem der Titel: «Die Torheit der Tyrannen» lautet er, als wäre jetzt die Zeit der altklugen Pennäler-Hausaufsätze angebrochen mit Titeln aus der Balladen-Manufaktur von Friedrich Schiller. Im Gebälk der Ukraine kracht's und brennt's, und Erich Gujer lässt sich über die Überlegenheit demokratischer gegenüber autokratischen Systemen aus. Das ist auf einer anderen Stufe schon wieder wunderbar. Etwas weniger brillant, aber immer noch unterhaltend ist die knackige Analyse des Schriftstellers Jonathan Littell in der «Welt»: «Putin ist ein taktisches Genie, aber er kann nicht strategisch denken», heisst es da. In meinen Augen trifft Littell da zu knapp 99.9 Prozent daneben, nur schon in der Fragestellung. Und ebenso knackig geht es weiter: «Der Krieg hat Putin groß gemacht, und ein Krieg wird ihn auch zu Fall bringen» – hier weiß ich nicht exakt, auf welchen Krieg sich Littell bezieht, ich meine damit jenen, der Putin zu seiner Größe verholfen haben soll. Aber sei's drum. Jedenfalls ist klar: Solche kleinen Ereignisse verschaffen dem Geist etwas Luft, die ihm bei der Rezeption der Kriegsnach­richten und der tausend einhelligen und unterschiedlichen Meinungen dazu völlig ausgehen – ich kann keine Tagesschau mehr sehen und keine Zeitung mehr lesen, mein Hirn ist nicht geschaffen für das Bombardement an Enzykliken tagein, tagaus. Was mir gefällt, sind die Friedens-Demons­tra­tionen, das ist etwas vom Wenigen, was man tun kann; und selbstverständlich unterstützen wir alle Bemühungen, den Kriegs­flücht­lingen eine hoffentlich vorübergehende Bleibe anzubieten, egal, ob in Polen oder weiter im Westen oder im Süden der Ukraine. Die Diskussionen über die Rechts­staat­lichkeit in Polen sind in diesen Zeiten ausgesetzt, das versteht sich ebenfalls von selber. Und dass im Moment die ganze Welt in Europa in die Nato drängt, hat ebenfalls seine Logik. Ein Kollege hat am Montagmorgen eine weitere Option aufgebracht, die ich bisher gar nicht in Betracht gezogen hatte: einen Partisanenkrieg, der nach der militärischen Niederlage von den Resten der Armee und Teilen der Bevölkerung gegen die Besatzungsmacht geführt wird. Auch das ist keine beglückende Perspektive.

Zum Schluss noch ein bisschen Rechthaberei, auch wenn sie längst nichts mehr nützt: Dieser Krieg hätte vermieden werden können, und zwar nicht nur von der russischen Heeresführung, sondern auch vom Westen, einerseits mit einer halbwegs aufrichtigen Wirtschaftspolitik seit den Zeiten der Brühwurst José Barroso als EU-Kommissionspräsident und zuletzt mit der offiziellen Einwilligung in die Demilitarisierung der Ukraine. Aber dies sind nicht die Zeiten der Rechthaberei.

Dagegen hat der Ukraine-Krieg die Energie-Engpässe verschärft, die durch das Hochfahren der Wirtschaft nach der Corona-Pause entstanden sind. Der Erdölpreis schießt wieder einmal in die Höhe; am Montag stand er bei 125 Dollar. Man muss zehn Jahre zurückgehen, bis man ähnliche Niveaus findet bei knapp 130 Dollar pro Fass West Texas Intermediate; im Mai 2008 wurde das bisherige Allzeithoch erreicht mit 145 Dollar. Dagegen liefert Gasprom weiterhin im gewohnten Umfang Erdgas durch die Ukraine; das sind die Nebenschauplätze des Krieges, die niemand versteht. Was man dagegen versteht, ist die Kombination aus Politik, Militär und Wirtschaft: Bis sich Europa vollständig von den russischen Energielieferungen abgenabelt hat, dürfte es eine Weile dauern, und dies wird die Entwicklung in nächster Zeit ebenfalls bestimmen.

Und irgendwann hört der Krieg dann wieder auf, lieber früher als später; dann wird sich die Oligarchie in der Ukraine wieder aufrappeln und vielleicht in etwas geänderter Zusammensetzung, aber im Wesentlichen doch nach dem Vorkriegsmuster wieder an die Ausbeutung der Reichtümer des Landes machen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Russland Interesse an einem zerstörten Land haben sollte, und deswegen halte ich die Wiederherstellung des alten Zustandes für die wahrscheinlichste Option. Ob die Demokratiebewegung mit dem Krieg in die Breite gewachsen ist und je nachdem sogar einen Partisanenkrieg führen kann, entzieht sich meiner Kenntnis, solche Einsichten sind aus der Kriegsberichterstattung auch nicht zu gewinnen. Tschetschenische Zustände halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Dagegen steht fest, dass die russische Führung keine Sympathien gewonnen hat. Diese Hypothek könnte in absehbarer Zeit zu einer entscheidenden Belastung werden.

Kommentare
30.08.2022 / 14:36 John, Radio F.R.E.I., Erfurt
Auszug verwendet im kleinen feinen großen FRN-Quiz 2022
Danke. Hier geht's zum Beitrag: https://www.freie-radios.net/117215