Diese Energiewende ist alles andere als grün - "Es braucht einen wirtschaftlichen oder ökologischen Kollaps damit sich etwas ändert"

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Bereits 2013 wurden in Gállok, im schwedisch okkupierten Sápmi, Probebohrungen zur Förderung von Eisenerz durchgeführt. Der britische Konzern Beowulf bekam damals nicht die Erlaubnis zur Förderung des begehrten Erzes, jedoch wurde die Erlaubnis dann 2022 erteilt. Im Januar diesen Jahres gab es erneut "frohe" Nachrichten vom nördlichen Polarkreis: Mehr als eine Million Tonnen Metalloxide aus dem nordschwedischen Kiruna sollten unseren Übergang in das Zeitalter der nachhaltigen Energie ermöglichen. Der Haken: Sápmi, das Land der Indigenen Sámi im heutigen Schweden, Norwegen, Finnland und Rußland, wird von den Bewohner*innen seit jeher für ihre nomadische Lebensweise mit Rentierherden benötigt. Nicht nur die Bergbauindustrie sondern auch der Klimawandel bedrohen die traditionellen Gemeinden. Wir sprachen mit dem Sámi Politiker Stefan Mikkaelsson und dem nicht-Indigenen antikolonialen Klimaaktivisten Johan von kolonierna.se.
Audio
13:35 min, 21 MB, mp3
mp3, 212 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 04.04.2023 / 17:47

Dateizugriffe: 73

Klassifizierung

Genre: Gebauter Beitrag
Langue: deutsch
rubrique:
Series: Süd-Nord-Funk
Entstehung

Auteur: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Date de production: 04.04.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
O-ton dont look up were all going to fukcing die

im film dont look up von adam mckay aus dem jahr 2021 fliegt ein asteroid von der größe des mount everest auf die erde zu. Ein sogenannter planetenkiller, bei dessen einschlag kein stein auf dem anderen bleiben würde mit folgenschweren erdbeben, tsunamis und klimatischen veränderung, ähnlich denen, die das aussterben der dinosaurier einst herbeiführten.

o.ton a trillion dollars

im film beschließt die us-regierung, nach einer gefühlten ewigkeit des quälenden nichtstuns, den kometen abzuschießen um die menschheit zu retten.
Aber halt! - der komet enthält seltene erden in höhe von mehreren milliarden dollar. Ein sümmchen, für das es sich zu sterben lohnt….
O-ton
auch wenn die netzflix produktion dont look up ein spielfilm ist, sehn wir doch erschreckend viele parallelen zur wirklichkeit. Zum beispiel, daß die menschheit seit beginn der industrialisierung beharrlich auf ihren eigenen untergang zusteuert, indem sie die eigenen lebensgrundlagen zerstört.
In erster linie sind bekanntlich indigene bevölkerungsgruppen seit jahrhunderten die leidtragenden der gier nach ressourcen – sei es nun gold, öl oder lithium. Sie sind betroffen von repression durch politik und paramilitärs, morddrohungen, zwangsumsiedlung und genozid. Nicht nur im globalen süden ist das so, auch hier in europa.

Stefan: 1751 unterzeichneten das Königreich Dänemark-Norwegen und das Königreich Schweden einen Grenzvertrag. Damals gab es kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den beiden, also setzte man einen Vertrag auf. Und in diesem Vertrag gab es einen Anhang, der für das Volk der Sámi eine Magna Charta war, denn er gewährte ihnen das Recht, sich über die neuen Grenzen hinweg zu bewegen und beinhaltete auch, daß die Rentierzüchter*innen keine Steuern zahlen mußten. Man nennt diesen Anhang die Magna Charta der samischen Bevölkerung: unseren Freiheitsbrief. Aber seit es in Schweden eine Demokratie gibt und die schwedische Bevölkerung zur Wahl gehen darf, haben wir festgestellt, daß der Bedarf an natürlichen Ressourcen immer größer wird. Sie nehmen sich einfach, was da ist. Und die samische Kultur wurde in verschiedenen nachfolgenden Gesetzen zerschlagen.
Zum Beispiel 1928. Da verbot das Gesetz in vielen Fällen, daß die Indigene Bevölkerung ihre Rechte auf Rentierzucht erhalten und pflegen konnten. Wenn z.B. eine samische Frau einen schwedischen Mann heiratete, verlor sie ihre Anrecht auf Land. Aber wenn ein samischer Mann eine schwedische Frau heiratete, behielt er seine Rechte. Das war 1928 und so ist es bis heute geblieben. Auch wenn das neue Rentiergesetz 1971 herauskam - da gibt es keinen so großen Unterschied. Wir können als samische Gesellschaft sehen, dass die Gesetzgebung uns geschadet hat, und dabei ist es egal, wo es passiert - heute in der Gemeinde Kiruna, nächstes Jahr vielleicht woanders. Und wir können der Zerstörung der Natur, der biologischen Vielfalt und der Kulturen der Bäume und Pflanzen sowie der Tiere nur zusehen


Stefan: Kiruna liegt im nördlichsten Teil Schwedens. Das Stadtzentrum von Kiruna befindet sich mitten auf der Migrationsroute der Rentiere. Aber darüber hat sich niemand keine Gedanken gemacht, als die Stadt gegründet wurde, um die Bodenschätze aus dem Berg herauszuholen. Nach mehr als 100 Jahren im schwedischen Parlament haben wir festgestellt, dass die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen nie auhört. Wir hören nie ein Versprechen der schwedischen Regierung, dass es jetzt genug sei und die restlichen Gebiete in Ruhe gelassen werden sollen. Es wird alles herausgeholt, was da ist - einfach, weil es verfügbar ist und weil es das Recht der schwedischen Regierung ist, zu entscheiden, damit zu tun, was sie will.

Johan: colonialism never stopped
das ist johan. Er ist seit seit über 10 jahren in der antikolonialen und umweltbewegung aktiv. Er ist selbst kein sami, aber er kämpft seite an seite mit der indigenen bevölkerung gegen extraktivistische projekt im schwedisch besetzen sapmi.
stefan: i totally agree
stefan: Ja, dem stimme ich voll und ganz zu. Und es ist kein Wunder, dass die institutionelle und strukturelle Diskriminierung auf Rassismus basiert und wir heute Hassverbrechen haben, die Indigene Menschen, Rentierzüchter*innen und Personen, die ihre traditionelle Kleidung tragen, betreffen.


Der rassismus und die unsichtbarmachung hat seit langem system. Johan erzählte mir, dass er bis vor ein paar jahren noch nie davon gehört hatte, dass es indigene bevölkerung in schweden gibt.
Zurück zum thema grüne energiewende – sami sind mehr betroffen vom klimawandel, weil es nicht mehr schneit, dies aber für die migrationsroute der rentiere wichtig ist. Wie muß eine wirklich grüne energiewende aussehen?

stefan: Wir müssen unsere Gewohnheiten ändern, unseren Konsum deutlich reduzieren. Wir haben jetzt im April schon das verbraucht, was uns als Individuen in der Europäischen Union für das ganze Jahr an Konsumgütern zur Verfügung steht. Also verbrauchen wir ab jetzt die Ressourcen anderer Individuen auf der Erde und das ist nicht recht. Wir sollten natürlich versuchen, das wiederzuverwenden, was einmal benutzt wurde und dann in den Müll geworfen oder einfach irgendwo entsorgt wurde. Versuchen, zu recyclen, anstatt immer mehr die Erde zu zerstören. In der Arktis geht die globale Erwärmung viermal schneller vonstatten als in anderen bewohnten Teilen der Erde. Und im Februar - natürlich ist das kein Beweis für das, was ich gerade gesagt habe - aber im Februar dieses Jahr war es sechs Grad wärmer als normal.

stefan: Es muss sich viel ändern. Es ist ein dramatischer Wandel nötig, ein wirtschaftlicher Zusammenbruch oder ein biologischer Kollaps. Das muss zuerst eintreten, da wir bisher alles getan haben, was wir können. Wir sind schon so lange im Kontakt mit den dominanten Gesellschaften der nordischen Länder und seit langem im Dialog mit der Europäischen Union. Es ist also nicht realistisch, den Wandel in naher Zukunft zu erwarten, es sei denn, etwas Dramatischeres wird eintreten. Wir sind zu wenige, um ins Gewicht zu fallen. Und wir sind nicht gewalttätig. Natürlich haben wir es vermieden, unsere Gebiete mit Waffen zu verteidigen. Sonst wäre unsere Bevölkerung jetzt nicht auf vier verschiedene Länder verteilt. Viele von uns sind auch domestiziert und assimiliert worden. Einigen von uns gefällt vielleicht die Situation, dass wir ein recht gutes Einkommen und eine gute Ausbildung haben, dass unsere Kinder nicht verspottet werden, wenn sie in die Schule gehen. Das hat auch einen gewissen Wert. Denn wenn dies dazu führt, dass ein Mensch Ziel von Hassverbrechen wird, kann man verstehen, daß einige Personen zögern, die sámische Identität zu verwenden. Weil dies einen zu hohen Preis hat.


Kommentare
05.04.2023 / 17:58 am 05.04 gesendet in sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
Vielen
Dank!