Quergelesen 01.07. 2025
ID 136378
- „Die Konkurrenz der Opfer. Zum postkolonialen Antisemitismus“
Den Vortrag hielt Jan Gerber am 4. Juli 2024 an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin im Rahmen der Veranstaltungsreihe der studentischen Initiative krIPU »das ganze Grauen« – Psychoanalytische Aufklärung nach dem 7. Oktober (https://t1p.de/jqnxm ; https://t1p.de/a5802).
Von der Besonderheit des Holocaust scheint eine Kränkung auszugehen. In dem Maß, in dem die Grenzen der instrumentellen Vernunft durch die Vernichtung der europäischen Juden nicht, wie durch andere genozidale Verbrechen, bis zum Äußersten ausgedehnt, sondern überschritten wurden, traten – horribile dictu – auch die schrecklichsten Kolonialgräuel in seinen Schatten, nicht moralisch, wohl aber epistemisch. Auch deshalb wird die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden für viele postkoloniale Theoretiker und Aktivisten zum Ärgernis. Die oft beklagte Opferkonkurrenz geht nicht nur auf den tatsächlichen Skandal zurück, dass Kolonialverbrechen lange kaum beachtet wurden, sondern schrecklicherweise auch auf die Dimension des Holocaust selbst, der sich instrumenteller Vernunft und rationaler Begründung, auch noch der allerzynischsten, entzieht. Im Rahmen des Vortrags wird dieser Verbindung ebenso nachgegangen wie dem Bedeutungswandel der Sozialfigur des Opfers. Ihr kommt in kollektiven Selbstverortungen seit den 1970er Jahren eine immer größere Bedeutung zu. Zugleich wird gezeigt, dass die Präzedenzlosigkeit des Holocaust auch ältere Töne des Ressentiments zum Klingen bringt. Gemeint ist die theologisch umstrittene Frage der Auserwähltheit des Judentums, die historisch regelmäßig Hass, Missgunst und Abwehr nach sich zog. Die Besonderheit der Massenvernichtung berührt diese vorgelagerten Motive des kollektiven Unbewussten, die bis in die Entstehungszeit des Monotheismus zurückreichen. Auch deshalb ist der postkoloniale Blick auf den Holocaust und Israel, das nicht zuletzt als Reaktion auf die Vernichtung gegründet wurde, oft ebenso eingeschränkt wie erstarrt: Neue Ressentiments treffen auf alte Idiosynkrasien und verstärken sich wechselseitig.
Den Vortrag hielt Jan Gerber am 4. Juli 2024 an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin im Rahmen der Veranstaltungsreihe der studentischen Initiative krIPU »das ganze Grauen« – Psychoanalytische Aufklärung nach dem 7. Oktober (https://t1p.de/jqnxm ; https://t1p.de/a5802).
Von der Besonderheit des Holocaust scheint eine Kränkung auszugehen. In dem Maß, in dem die Grenzen der instrumentellen Vernunft durch die Vernichtung der europäischen Juden nicht, wie durch andere genozidale Verbrechen, bis zum Äußersten ausgedehnt, sondern überschritten wurden, traten – horribile dictu – auch die schrecklichsten Kolonialgräuel in seinen Schatten, nicht moralisch, wohl aber epistemisch. Auch deshalb wird die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden für viele postkoloniale Theoretiker und Aktivisten zum Ärgernis. Die oft beklagte Opferkonkurrenz geht nicht nur auf den tatsächlichen Skandal zurück, dass Kolonialverbrechen lange kaum beachtet wurden, sondern schrecklicherweise auch auf die Dimension des Holocaust selbst, der sich instrumenteller Vernunft und rationaler Begründung, auch noch der allerzynischsten, entzieht. Im Rahmen des Vortrags wird dieser Verbindung ebenso nachgegangen wie dem Bedeutungswandel der Sozialfigur des Opfers. Ihr kommt in kollektiven Selbstverortungen seit den 1970er Jahren eine immer größere Bedeutung zu. Zugleich wird gezeigt, dass die Präzedenzlosigkeit des Holocaust auch ältere Töne des Ressentiments zum Klingen bringt. Gemeint ist die theologisch umstrittene Frage der Auserwähltheit des Judentums, die historisch regelmäßig Hass, Missgunst und Abwehr nach sich zog. Die Besonderheit der Massenvernichtung berührt diese vorgelagerten Motive des kollektiven Unbewussten, die bis in die Entstehungszeit des Monotheismus zurückreichen. Auch deshalb ist der postkoloniale Blick auf den Holocaust und Israel, das nicht zuletzt als Reaktion auf die Vernichtung gegründet wurde, oft ebenso eingeschränkt wie erstarrt: Neue Ressentiments treffen auf alte Idiosynkrasien und verstärken sich wechselseitig.
Klassifizierung
Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Internationales
Entstehung
AutorInnen: Red. Quergelesen
Kontakt: quergelesen(at)querfunk.de
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 30.06.2025
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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