Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Steinbrück"

ID 27035
 
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[13.Kalenderwoche]
Am Sonntag hörten wir in einem Landgasthof unweit der deutschen Grenze Radionachrichten des Senders RTL, was bezüglich der Schweiz ein unverdächtiger, unabhängiger, objektiver und neutraler Kanal sein dürfte.
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10:42 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.03.2009 / 11:38

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 24.03.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Nachrichtenkirsche zum Schluss der Meldungen bestand in der Mitteilung, dass der Schweizer Verteidigungsminister Ueli Maurer aus Protest gegen den ungehobelten Druck des deutschen Finanzministers auf das Schweizer Bankgeheimnis seinen Dienst-Mercedes zurückgegeben habe und stattdessen jetzt einen Dienst-Renault fahre. Ich höre sonst nicht Radio RTL, nehme aber an, dass er den Mantel des Schweigens über jenen CVP-Nationalrat gebreitet hat, der Peer Steinbrück mit den Nazis verglichen hat. In dieser Angelegenheit herrschte hier plötzlich eine Stimmung wie auf dem Balkan, wahrscheinlich ohne dass die deutsche Öffentlichkeit das überhaupt mitgekriegt hat, und darum erzähle ich Euch jetzt davon, um wieder ein bisschen Einblick in die Schweizer Volksseele zu geben. Der Auslöser war eben Minister Steinbrück, zuerst mit der Aussage, dass man Steueroasen wie die Schweiz notfalls mit der Peitsche zur Kooperation zwingen müsse; als dann die UBS vor den Vereinigten Staaten einknickte und in der Folge davon der Schweizer Bundesrat auch gegenüber der EU und der OECD zu Zugeständnissen bereit war, doppelte Steinbrück schadenfreudig nach, dass man nicht immer mit der Kavallerie einfahren müsse, in der Regel reiche es schon, wenn die Indianer wüssten, dass die Kavallerie bereit stehe. Nun hatte Steinbrück in der Sache einigermaßen Recht – nämlich geht es tatsächlich nicht an, dass die einen Staaten für Bürger anderer Staaten legale Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung anbieten. Allerdings betrifft dieses Problem vermutlich nicht ausschließlich und nicht einmal in erster Linie die Schweiz. Wer wirklich Geld hat und seine Steuern optimieren will, der gründet einen Trust auf den Kanalinseln, oder aber er verschachtelt seine Knete in mehreren Rechtsgesellschaften rund um den ganzen Erdball, sodass der Staat das Nachsehen hat. Dies betrifft übrigens nicht nur Einzelpersonen, sondern vor allem ganz honorige Unternehmen, welche etwas zuviel Geld in der Kasse haben und dieses durchaus nicht in den Fiskus verschieben möchten. Die Regel ist einfach: Entweder macht der Staat Steuerzugeständnisse, oder aber die Unternehmen basteln sich irgendwelche Holdinggesellschaften auf den verschiedenen, eben nicht Steueroasen, sondern Steuerinseln, die liegen meistens im Meer. All das habe ich hier schon verschiedentlich erwähnt. Aus diesem Grund erschien die Attacke von Steinbrück auf das Steuerparadies Schweiz doch etwas zu laut geraten, einmal abgesehen davon, dass sich so ein Minister bei seiner Arbeit ja auch etwas diplomatischer äußern könnte.

Nagut, das ist nicht Steinbrücks Art, und deshalb dürfte er gegenwärtig in der Schweiz wirklich der meistgehasste Deutsche sein, und das ist ja auch wieder interessant, weil es nämlich zeigt, dass die Schweizerinnen und Schweizer am Bankgeheimnis hangen wie an Wilhelm Tell: Es ist eher die mythische Bedeutung für den Schweizer Finanzplatz, als dass es in der Praxis noch ein übermäßiges Gewicht hätte. Zürich ist nicht in erster Linie wegen der Steuerersparnis eine beliebte Adresse, sondern weil das Schweizer Bankensystem klein, aber fein und in erster Linie stabil ist, wenn sich auch die Großbanken bzw. vor allem die UBS redlich darum bemühen, das Gegenteil zu beweisen. Aber die Bevölkerung bringt den guten Ruf des Finanzplatzes immer noch schwergewichtig mit dem Bankgeheimnis in Zusammenhang, das heißt, auf dieser Ebene hat Steinbrück ins Schwarze getroffen. Aber eben nicht ins Schwarze des Finanzplatzes, sondern in die schwarze Seele der Schweizer Bevölkerung, die im Übrigen durchaus nicht bewusst darauf aus ist, andere Länder direkt und aktiv um ihre Steuereinnahmen zu bescheißen; das wird bloß billigend in Kauf genommen.

Dabei darf auch gesagt werden, dass nicht nur die extreme Linke, sondern auch die Schweizer Sozialdemokratie seit Jahren die Aufhebung des Bankgeheimnisses in Fällen von Steuerbetrug fordert. Kritikerinnen am diskreten Schweizer Finanzkapitalismus gibt es in Hülle und Fülle, in letzter Zeit sogar bis zu den Bankiers selber. Es war zwar bisher trotzdem nur eine Minderheit, aber sie ergänzte den Bankgeheimnis-Mythos doch recht aktiv. Nicht zuletzt deshalb fiel die Reaktion auf Steinbrücks Vorwürfe so geharnischt aus; sogar die Genossen von der Sozialdemokratie wandten sich schriftlich an die Parteizentrale der SPD mit einigen klärenden Hinweisen.

Ob es etwas nützt, weiß man nicht; Genosse Müntefering blieb jedenfalls nichts schuldig und fand, solche Fälle hätte man früher mit der Armee erledigt. Das nun wiederum vermochte die Schweizer Volksseele auch nicht weiter zu beruhigen, wobei diese Volksseele doch immerhin einräumte, dass es sich bei Müntefering nur um einen Parteichef in einer Wahlkampfphase handelte, während Peer Steinbrück nachgewiesenermaßen Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland ist.

Von Bedeutung ist das Ganze weiter nicht, aber für einmal befindet man sich als Schweizer in einer Gesellschaft, die man sonst eher meidet. Das beginnt eben bei unserem Ueli Maurer, der erst im letzten Dezember in den Bundesrat gewählt wurde als Nachfolger von Samuel Schmid, in Tat und Wahrheit aber als Ersatz für Christoph Blocher. Maurer und Blocher haben jahrelang den rechtsnationalen Ton der Schweizerischen Volkspartei geprägt und versucht, bis knapp an die Grenze des moralisch und rechtlich Erlaubten Schmierenkampagnen mit dem Mittel des Ausländerhasses und weiterer niedriger Instinkte, eben der Schweizer Volksseele zu fahren. Nun muss man hinnehmen, dass in der Schweiz die Geste von Maurer mit dem Wechsel von Mercedes zu Renault als fast schon elegant empfunden wird im Gegensatz zu den Grobschlächtigkeiten von Steinbrück. Und dann eilen uns im deutschen Bundestag so ne tolle Kollegen zu Hilfe wie der Westerwellenguido, der nicht die Steueroasen, sondern die Wüsten drum rum thematisieren will, sowie auch reihenweise Vertreter der CDU. Nun ja, die wissen natürlich, wo sie bzw. ihr ehemaliger Bundeskanzler Kohl das Schwarzgeld jeweils versteckt haben. Umso mehr verblüfft es uns dann, dass das tolle Mädchen ebendieses Kohls, nämlich Eure jetztmalige Bundeskanzlerin Merkel, ihre schützenden Flügel vor den Steinbrück hält. Die Welt ist schon dufte, heutzutage.

All diese Streitigkeiten spielen sich ab vor dem Hintergrund der Bemühungen der internationalen Staatenwelt, das globale Finanzsystem zu retten, und zwar mit Staatsgeldern in einem Ausmaß, das diese Steuerdebatten als ziemlich lächerlich erscheinen lässt. Anderseits muss man einräumen, dass der Zeitpunkt an und für sich gut gewählt ist, die internationalen Steuerschlupflöcher zu stopfen; er ist offensichtlich auch gut gewählt, um endlich wieder mal jenen Steuerzoll von den Superreichen einzufordern, den sie gemäss dem Sinn des Staatsvertrags eigentlich schon längstens hätten abliefern sollen und den sie aber dank Hunderten von gefitzten Juristen, sei es in der Gesetzgebung selber, sei es anschließend in der kreativen Auslegung dieser Gesetzgebung schon seit Jahren nicht mehr entrichten. Wenn hier wieder ein Quentchen mehr Steuergerechtigkeit einkehrt und wenn dann wirklich sämtliche Steuerparadiese und -oasen dicht machen müssen, dann kann man sich von dieser Debatte abwenden und wieder die wirklich wichtigen Sachen thematisieren.

Gier ist im Moment nicht besonders hoch im Kurs, scheints, aber die Sache ist nicht so klar, wie es scheinen könnte. Gerade unsere Schweizer Volkspartei hat bei den einfachen Menschen Furore gemacht mit radikalen Tiraden gegen den Staat, den Steuervogt und die Classe Politique. Weniger Steuern, hieß eines der zentralen Schlagworte, und sonderbarerweise fiel es nie jemandem in dieser Partei auf, dass ihr oberster Chef einer der reichsten Schweizer ist; in kleinem Ausmass wiederholte sich so in der Schweiz das, was uns der Italiener Silvio Berlusconi vorgemacht hat. Übrigens hat der Nachfolger von Bundesrat Maurer, der Brunner Toni, vor einem Jahr im Toggenburg eine Kneipe aufgemacht, die keinen anderen Namen hat als «Das Haus der Freiheit», womit der Analogieschluss zur «Casa delle Libertà» von Berlusconi noch klarer wird. Das ist wirklich eine spezielle Gaudi, wenn die einfachen Menschen den Multimillionären in den Arsch kriechen. Aber der Trick funktioniert, man braucht es bloß bei MediaMarkt/Saturn nachzuschlagen mit ihrem Slogan «Geiz ist geil». An die Tatsache, dass auch die Ärmsten der Armen bei uns in der Zwischenzeit relativ viel zu verlieren oder zu verteidigen haben und diese Arbeit offenbar bei den Multimillionären besser aufgehoben sehen als bei der Sozialdemokratie, hat sich noch keine politische Bewegung wirklich herangemacht. Dabei liefert das Leben ja wirklich genügend Beispiele, wie man die Grenzen ziehen könnte. So habe ich letzte Woche zum Beispiel gelesen, dass E.ON und andere Versorgungsbetriebe Druck auf die britische Regierung ausüben, um einen Teil der Investitionen im Energiesektor von USD 340 Mrd. zu übernehmen bis 2025, damit die Lichter nicht ausgehen. E.ON hat 2008 einen Reingewinn von 5.6 Mrd. Euro ausgewiesen, im Vorjahr ungefähr 5 Mrd., wohl gemerkt nach Investitionen in Unterhalt und Ausbau des Netzes. Die Banken und die Manager sind durchaus nicht die einzigen Raffköpfe im System. Und eben, die kleinen Geizhälse von Mediamarkt/Saturn fühlen sich mit ihnen offenbar ungeheuer solidarisch.

Ach, wir wollen doch nicht in eine Volksschelte ausbrechen hier. Zumal nicht des Schweizer Volkes. Die Schweizerische Volkspartei hat ihren Zenith überschritten; Kollege Blocher wird zunehmend senil und fordert neuerdings sogar die Verstaatlichung der Großbanken, wobei dies nur der letzte Racheakt dafür ist, dass ihn die UBS vor fünfzehn Jahren aus ihrem Verwaltungsrat geworfen hat, weil er allzu blöd tat gegen die EU und überhaupt die Welt außerhalb der Schweiz. Daneben habe ich schon zwei oder drei Mal darauf hingewiesen, dass der verstärkte Zustrom von Deutschen in die Schweiz seit Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU hier zum Teil zu unangenehmen Verschiebungen im öffentlichen Raum geführt hat. Dies leistete ebenfalls einen Beitrag zur extrem sensiblen Reaktion der Durchschnittsschweizerinnen und Durchschnittsschweizer auf das Stammtischgepolter Eures Finanzministers. In vielen Gaststuben wurde das Bild des Generals der Schweizer Armee während dem Zweiten Weltkrieg, Henri Guisan, wieder vom Estrich geholt. Und Verteidigungsminister Maurer plant die Entsendung von Truppen an die schweizerisch-deutsche Grenze, die dort im Ledermantel und mit der Peitsche knallend am Ufer des Rheins entlang patroullieren und paradieren sollen. Aber abgesehen davon werden sich die Verhältnisse zwischen den beiden Ländern nicht weiter verändern. Und vor allem werden sich die Verhältnisse zwischen den Menschen nicht verändern, und das ist ja letztlich zentral. Man sieht dies gerade am Beispiel von Thayngen, wo wir eben am letzten Sonntag unsere Brotzeit nahmen: Da fährst du mit dem Bus voll über baden-württembergisches Staatsgebiet in Büsingen, bis du dann in Dörflingen wieder auf Schaffhauser Boden rollst; und die Kirche St. Martin in Büsingen ist nicht nur eine der ältesten Kirchen in ganz Deutschland, sondern auch die Mutterkirche von Schaffhausen, und ausgerechnet die steht in einer deutschen Steueroase mitten in der Schweiz. Naja, nicht gerade ganz in der Mitte, aber immerhin.