Flugimpressionen

ID 30932
 
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Fast schon philosphische Betrachtungen auf einer Flugreise von München nach Novosibirsk.
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08:20 min, 7810 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 02.12.2009 / 17:20

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Klassifizierung

Beitragsart: Collage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Julia Legelli (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 26.11.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich sitze in der S-Bahn, wie jeden Tag. Aber heute ist etwas anders: Ich bin auf dem Weg zum Flughafen. Und plötzlich nehme ich die Landschaft ganz anders wahr. Es geht nach Novosibirsk.
Es ist ein schönes Gefühl wieder unterwegs zu sein. Die Musiker mir gegenüber sind gerade ausgestiegen, ich habe den Hund an der S-Bahn-Haltestelle bewundert. Wie wird Novosibirsk wohl sein? Kalt, wahrscheinlich. Meine Oma hat mich mit ganz vielen Klamotten ausgestattet, sie hat die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen als ich ihr erzählte wo ich hinfliege.
Ich fliege vom Herbst in den Winter. Die Stadtwerke rauchen. Neben mir sitzt ein Mann, der ist über seinem Kreuzworträtsel eingeschlafen.
Der Himmel weiß, was ich ihm gleich antun werde, er ist grau. Ich fahre an Rapsfeldern vorbei. Ob das die Alternative ist – Raps? Raps für überflüssigen Luxus? Raps um alles immer schneller zu machen?
Ob man in hundert Jahren auch noch mal eben so fliegt? Was werden meine Kindeskinder wohl dazu sagen, dass ich ihre Erde kaputt gemacht habe?
Das Artensterben momentan ist mit dem zur Zeit als die Dinosaurier ausgestorben sind vergleichbar. Man geht davon aus, dass das Gleichgewicht auf diesem Planeten zwei Grad Temperaturerhöhung verkraftet. Diese Beschränkung der Klimaerwärmung ist bereits gefallen, das war die einzig definitive Aussage des Umweltökonomen auf dessen Vortrag zum Klimawandel ich war.
Ob ich überhaupt noch Kindeskinder haben werde?
Seit der S-Bahn sind drei Stunden vergangen, ich sitze in der Wartehalle, frisch durchleuchtet und abgetastet. N24 berichtet von dem Sturm auf den Phillipinen, von der Schweinegrippe die die Ukraine lahmlegt und zwischen drin läuft ein Werbefilm für die dritte Startbahn des Münchner Flughafens. Sturm in den USA.
Ich bin nervös. Bei jeder Durchsage erwarte ich meinen Namen. Ich stelle mir vor wie ich durch die ewigen weisen Gänge des Flughafens haste, den Aufschriften und Anzeigen eine relevante Information abzuringen versuche. Und wenn ich endlich auf meine Schleuse zu renne, sehe ich gerade noch wie sie vom Flugzeug abgekoppelt wird.
Zug fahren verbinde ich damit gemütlich vor mich hin zu tuckern, die Landschaft zieht an mir vorbei. Einen Tag und eine Nacht und noch einen Tag. Zwischendrin aussteigen und wenn man einen Zug verpasst einfach den nächsten nehmen. Den Weg fühlen.
Aber ich sitze am Flughafen. Ich bin dankbar für diese Technik, gäbe es sie nicht, müsste ich einfach zu Hause bleiben. Es ist Luxus, einfach so. Eine Woche hin und dann wieder zurück. Voll aus dem Leben gerissen.
Ich räkle mich und strecke mich noch mal bevor ich in das enge Flugzeug steige, es geht los. Zum ersten Mal an diesem Tag bin ich entspannt, jetzt kann nichts mehr schief gehen.
Das strahlend weise Wolkenmeer strandet an die Alpen – ein unglaublicher Ausblick. Wir sind in der Luft. Kein Wunder, dass die Menschen immer so begeistert waren von der Idee über allem zu schweben.

Ein Großteil der Wolken heute ist nicht natürlichen Ursprungs. Sie entstehen unter anderem aus dem Wasserdampf den Flugzeuge ausstoßen. Das ist ein großes Problem für die Umwelt, weil dadurch die Strahlungsenergie der Sonne nicht mehr so gut in Form von Wärme ins Weltall abgegeben werden kann.
Dennoch ist es beeindruckend, weiß, blau, wie im Paradies. Die Silhouetten verschwinden langsam, je höher wir steigen. Die fein gemaserten Wolken verschwimmen immer mehr zu einem großen Meer. Sie reißen auf und der Blick wird frei für weite Landschaften mit kleinen Wäldern, Seen, Dörfern und grün.
Es ist kalt, verschneit und Nacht. Ich bin in Moskau angekommen. Während es in München noch recht angenehme Temperaturen hatte und der Herbst gerade in seiner vollen Blüte stand, ist hier der Winter angekommen.
Zwischenzeitlich hatte ich Angst, dass ich meinen Flug nicht mehr bekomme. So ein Chaos, aus dem Flugzeug rennen, das Zeug mit schleppen, alles in die Hände, dann überall eine andere Sprache, ewig an der Passkontrolle warten, meine Verbindung ist weg, und dann doch nicht, an der Sicherheitskontrolle spricht niemand Englisch, endlich am Flugsteig.
Durchsage: Änderungen des Flugsteiges, Durchsage: schon wieder woanders hin.
Und noch einmal. Vermutlich ist der viele Schnee daran schuld.
Ich entscheide wie die Mehrheit der anderen Fluggäste und warte ab.
Endlich im Flugzeug.
Wenn man mal von der Tatsache absieht, dass Fliegen auf lange Distanzen deutlich schneller ist als andere Verkehrsmittel bin ich doch schon recht geschafft muss ich sagen.
Als ich das letzte Mal eine weite Strecke zurück legte, habe ich das auf dem Landweg getan. Eineinhalb Monate nahm ich mir Zeit um die 4000 Kilometer zwischen Armenien und Deutschland zu erleben. Jetzt fliege ich in weniger als einem Tag das Doppelte.
Damals habe ich den Weg gefühlt. Die Reise selbst war gefüllt mit Eindrücken: der Landschaft, der Menschen und der Stimmung der Orte unterwegs.
Man gibt einem Land überhaupt nicht die Chance sich von seiner guten Seite zu zeigen, wenn man es überfliegt.

Das Seminar war eine Qual. Mein Körper weigerte sich in der Woche seinen Rhythmus um sechs Stunden vor zu legen. Das fette, nährstoffarme Essen lag mir schwer im Magen während ich nach Frischem lechzte.
Ich habe viele neue, interessante Menschen kennen gelernt aus dem ganzen Osten Europas. So etwas gäbe es nicht ohne Flugzeuge.
Aber ohne die Selbstverständlichkeit mit der wir in unserer Gesellschaft fliegen käme es auch nicht vor, dass man tausende von Kilometern zurück legt, um zurück zu kommen ohne tatsächlich dort gewesen zu sein. Ich habe russische Überschriften gesehen, einen Nachmittag haben wir in der Stadt verbracht, aber gefühlt habe ich es nicht das Land mit seinen unfassbaren Weiten. Ich müsste fast wieder kommen, aber dann langsam.
Durch das Fliegen ist die Welt zusammen gewachsen. Scheinbar. Neuseeland steht selbstverständlich auf der Reiseliste vieler. Thailandreisende befinden sich in guter Gesellschaft. Aber wenn ich nach Polen fahre bin ich ein Exot. Ich war in Armenien bevor ich das erste mal einen Fuß nach Ostdeutschland gesetzt habe. Es ist schon seltsam wie sich die Welt verändert. Wir fühlen uns so weltmännisch, so bereist wenn wir die Kontinente abgeklappert haben, aber haben wir wirklich etwas gesehen? Ist man wirklich in einem Land gewesen, wenn man in einem Strandhotel nach internationalem Standard gewohnt hat? Kennt man wirklich Südamerika wenn man den Kontinent zwei Monate lang bereist? Man hat vieles gesehen, ohne Frage reisen ist wichtig, reisen bereichert und reisen befreit.
In unserer Gesellschaft nicht zu fliegen ist schwierig, manchmal, aber es nicht zu probieren ist schade, denn es gibt sie, die Alternativen. Und sie sind eine überraschende Bereicherung.