Dossier: Das Ende der "Freiheit": Die "Freien Kräfte" in Nordwestsachsen gehen in der JN auf

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"Gefährlich ist die NPD, weil sie an einer Faschisierung der ostdeutschen Provinz arbeitet. [...] In Teilen Sachsens, aber auch in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, gelten Freiheiten und Grundrechte heute nur noch eingeschränkt. 'National Befreite Zonen" gibt es dort nicht, aber Gegenden, die von den Organen des Rechtsstaates nur mühsam erreicht werden. In denen rechte Jugendcliquen vorgeben, was auf der Straße erlaubt ist und was nicht. Und wo in den Köpfen der Bevölkerung ein völkisches Weltbild herrscht - übrigens weit über die Wählerschaft der NPD hinaus und praktisch unwidersprochen." Das schrieb Toralf Staudt bereits 2005 in seinem Buch „Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD“. Die NPD ist vor allem im ländlichen Raum verankert, wie Staudt schreibt; in Sachsen war und ist die Sächsische Schweiz als „Angstzone“ verschrien. Oder wie Staudt meint: es gibt Gegenden, in denen Neonazi-Jugendcliquen vorgeben, was erlaubt ist und was nicht. Das ist auch im Muldental und in Nordsachsen so. dort waren vor allem sogenannte „Freie Kräfte“ aktiv, neonazistische Jugendcliquen, die sich über das Internetportal „Freies Netz“ organisierten. Die im Namen verankerte „Freiheit“ bezog sich vor allem auf die Distanz der Gruppierungen zum parlamentarischen System, also auch zur Nazipartei NPD. Nun versucht einer der beiden Gründer des „Freien Netzes“, Maik Scheffler, das Personenpotential des „Freien Netzes“ in die JN zu überführen, der Jugendorganisation der NPD. Die Entwicklungen und die Strukturen in Nordwestsachsen beleuchtet ein Dossier der Dokumentationsplattform von Chronik.LE:
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08:12 min, 9602 kB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.01.2010 / 01:00

Dateizugriffe: 616

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Linksdrehendes Radio / www.chronikle.org
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 14.01.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Quelle:
http://www.chronikle.org/dossier/ende-fr...
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Beitrag:
Im nordwestlichen Sachsen strukturiert sich die aktive Neonazi-Szene neu. Deutlichster Ausdruck dafür ist die Gründung von vier JN-"Stützpunkten" in Delitzsch-Eilenburg, Torgau, Oschatz und Wurzen Ende November 2009. Die Jungen Nationaldemokraten, JN, sind die Nachwuchsorganisation der NPD. Nach Vorarbeit des Delitzschers Maik Scheffler sollen die JN-Stützpunkte junge Nazis an die NPD binden. Maik Scheffler stammt ursprünglich aus der parteifernen Kameradschaftsszene. Außerdem war er Initiator der Nazi-Onlineplattform "Freies Netz". Die "Freiheit" des "Freien Netzes" meinte dabei nur die Distanz der da organisierten Gruppierungen zum parlamentarischen System, also auch zur Neonazipartei NPD. Deswegen mag die Eingliederung in eben diese Parteistrukturen eigenartig wirken. Die Eingliederung ist aber Ergebnis einer Entwicklung, die schon 2008 begann. Nun überschlagen sich die Internetseiten der NPD und der ehemaligen „Freien“ in der Region mit positiven Zukunftsdeutungen.

So meint JN-Chef Tommy Naumann: nun entsteht eine "weltanschaulich einheitlich ausgerichtete Gemeinschaft" dank der neuen JN-Stützpunkte, welche die vorhandenen "losen Kameradschaften und Einzelgruppierungen" bündeln. Die lockere Organisationsform sei zwar nötig gewesen, um "die Köpfe frei zu machen für einen neuen Weg", hat aber zu "einer verworrenen Hierarchie verbunden mit oft ins Leere laufendem Aktionismus" geführt.
In einer Meldung der NPD Nordsachsen wird beklagt, dass die "nationalen Kräfte" in Gestalt von Kameradschaften oder Einzelpersonen zuvor "eher nebeneinander als miteinander politisch gearbeitet haben". Nun werden diese geformt zu einer "jugendlichen Gesinnungs- und Tatgemeinschaft unter dem Dach der NPD“.
NPD-Organisationsleiter Maik Scheffler bemüht sich in seiner Erklärung wie üblich, die Neonaziszene in Nordsachsen mit verschiedenen blumigen Metaphern herbeizuschreiben: Es handele sich um "eine Zahn in Zahn greifende Maschinerie", um "eine konstruktive Schaffensebene des inneren Kerns der nationalen Bewegung", einen "Zahn im Getriebe einer fortschrittlichen und einheitlichen Bewegung". Zusammen mit der "erfolgreichen Neuausrichtung der NPD-Kreisverbände der genannten Regionen" sollen die neuen JN-Stützpunkte die Voraussetzungen dafür schaffen, um "aus dem bereits bestehenden Wurzelgeflecht in Sachsen unverrückbare Bäume wachsen zulassen".
Der Leiter des JN-Stützpunktes Muldental verkündete im Internet, dass die in den letzten Jahren vernachlässigte "nationale Jugendarbeit" im Raum Wurzen und Grimma nun im Rahmen der JN reorganisiert werden soll. Um "Mitstreiter für unsere deutsche Sache" zu werben, werde neben politischen Aktionen auch auf Angebote aus den Bereichen Sport, Kultur, Brauchtum, Geschichte und Kunst gesetzt. Damit wolle man einen "Gegenpol zu den Verdummungsmedien und den so genannten 'demokratischen Netzwerken' in der Region schaffen."

Der Landkreis Leipzig: Wurzen und Muldental

Delitzsch und Eilenburg waren Zentren der "Freien Kräfte", die sich über das Internetprotal "Freies Netz" organisierten und dort teilweise eine eigene Subdomain besaßen. Wurzen im Muldental -das liegt im Landkreis Leipzig)- gilt seit Anfang der 90er Jahre als Neonazi- und NPD-Hochburg. Allerdings schafften es Scheffler und seine Kameraden nicht, die breite Na ziszene effektiv unter der „Freien Netz“-Struktur zu vereinigen. Die Gründung eines JN-Stützpunktes stellt den nächsten Versuch dar, die Muldentaler Szene zentral zu organisieren.
Die NPD ist seit den Neunzigern im Muldental verankert. Wohl auch deshalb konnten sich die "Freien Kräfte" in der Konkurrenz mit den etablierten "älteren" Parteistrukturen und dem Netzwerk um Front-Records-Betreiber Thomas Persdorf nicht durchsetzen. Im Muldental sitzt die Partei bereits seit 1999 in Gemeindevertretungen und konnte 2004 zwostellige Wahlergebnisse verbuchen.

Der ehemalige Kreis Leipziger Land

Währenddessen musste die NPD im ehemaligen Kreis Leipziger Land um Borna und Geithain bei den Wahlen 2009 Kandidaten "einfliegen". Und zwar aus dem ehemaligen Muldentalkreis. Bei der Landtagswahl blieb die Partei in wichtigen Orten des Leipziger Landes unter fünf Prozent. Diese Grenze wurde im Muldental durchbrochen. Dass die NPD dort vergleichsweise schwach aufgestellt war, könnte ein Grund dafür sein, dass die Region schon seit geraumer Zeit Terrain der "Freien Kräfte" ist. Seit ca. 3 Jahren hatte das "Freie Netz", in Borna und Geithain einen eigenen Ableger.
Am dritten Oktober 2008 fand in Geithain ein Aufmarsch der über das "Freie Netz" organisierten Neonazi-Strukturen statt. Auch die Kreishauptstadt Borna war des öfteren Ort von Freien-Netz-Aufmärschen. Ein zentraler Ort für alte und junge Bornaer Nazis war die "Gedächtnisstätte", bis das Gelände im September 2009 verkauft wurde.

Erst Kameradschaftsführer, dann "Freies Netz", jetzt NPD: die Leitfigur Maik Scheffler.

Wie im gesamten Leipziger Raum verdeutlichten die Kommunalwahlen 2009 die Annäherung der "Freien Kräfte" an die NPD. Auch im ehemaligen Kreis Leipziger Land kandidierten einige "Freie" auf den Listen der NPD. In die Stadträte von Geithain und Borna zogen mit Manuel Tripp beziehungsweise Toni Keil d ie Protagonisten der lokalen "Freien Kräfte" ein.
Die Annäherung der selbsternannten "Freien" begann mit dem Eintritt des Delitzschers Scheffler in die NPD und der Gründung des NPD-"Bürgerbüros" im Herbst 2008 in Leipzig. Die "Freien Kräfte Leipzig" gingen bereits vorher, im April 2008, in einem JN-Verband auf. Mehr oder weniger folgerichtig wurde vor den Landtagswahlen im Superwahljahr 2009 das "Freie Netz" abgeschaltet. Wohl auch aus wahltaktischen Überlegungen. Die dort veröffentlichten Texte in unverhohlen nationalsozialistischem Duktus sollten der sich bürgerlich gebenden Partei nicht den Wahlkampf vermasseln.
Der Delitzscher Maik Scheffler trat für die NPD bei sämtlichen Wahlen an und wurde im Juni 2009 in den Delitzscher Stadtrat gewählt. Seit Anfang Oktober 2009 ist er auch Kreisvorsitzender der NPD in Nordsachsen sowie Mitglied des Landesvorstandes der NPD. Er verkündete, aus Nordsachsen eine "zweite Sächsische Schweiz" machen zu wollen.
Eine der zentralen Figuren der jüngeren FN-Generation ist Tommy Naumann; als Kopf der "Freien Kräfte Leipzig" wurde er im April 2008 "Stützpunktleiter" der JN Leipzig und ist nun auch JN-Chef in Sachsen. Der JN-Verband Leipzig war damals der erste in Nordwestsachsen. Nun fand die Gründungsversammlung der vier neuen Stützpunkte in Leipzig statt; Tommy Naumann freute sich über angebliche 80 "Interessenten". Auch im ehemaligen Leipziger Land, wo die NPD eher schwach aufgestellt war, werden nun entsprechende Strukturen geschaffen. Ein weiterer JN-Stützpunkt sei in Borna geplant, in Geithain bei Borna soll demnächst ein weiteres NPD-"Bürgerbüro" eröffnen.

Eine Reisewarnung: Die "Faschisierung der ostdeutschen Provinz"

Das "Freie Netz" stellte eine wichtige Kommunikations- und Vernetzungsplattform dar. Nun soll das da organisierte Personenpotential in die NPD-Nachwuchsorganisation JN überführt und im Sinne der NPD diszipliniert werden. Als Führungsperson präsentiert sich der Multifunktionär Maik Scheffler, der bereits das "Freie Netz" mitbegründete. Scheffler nimmt dabei die Rolle eines Bindegliedes zwischen der älteren Parteigeneration und den jüngeren "Freien Kräften" ein; gleichzeitig stärkt der Ausbau der Parteistrukturen in der Region Schefflers Position in der NPD.
Eine ebenfalls zentrale Rolle spielt der bereits etablierte JN-Stützpunkt in Leipzig um Tommy Naumann. Wie das Beispiel Leipzig zeigt, erschließen sich der neonazistischen Szene dadurch auch neue Ressourcen. Sollten die jeweiligen "Freien Kräfte" nach dem Leipziger Vorbild komplett in den neuen JN-Strukturen aufgehen, hätte die sächsische JN ihren organisatorischen und personellen Kern endgültig in Leipzig und Umgebung. Mithin würden auch die Nachwuchs-Nazis zu einem ernstzunehmenden Machtfaktor innerhalb der NPD. Die kurzfristigen Folgen einer besseren Verankerung und infrastrukturellen Stützung der Neonazi-Szene bekommen wohl am ehesten die zu spüren, die sowieso schon im Fokus der Nazis stehen.

Kommentare
14.01.2010 / 09:28 Morgenradio vom 14. Januar, Radio Dreyeckland, Freiburg
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DANKE!
 
14.01.2010 / 18:41 Ralf - CORAX, Radio Corax, Halle
auch im Morgenmagazin heute, Do
und Danke natuerlich dafuer. Vom linksdrehenden Morgenmagazin
 
14.01.2010 / 23:03 AL, coloRadio, Dresden
gesendet
heute