Zündeln mit der Inflation

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Wie "teuer" kann uns eine Inflation zu stehen kommen und welchem Irrglauben sitzen ihre Fürsprecher auf? Fragt sich Hagen Kleemann in seinem Wochenkommentar
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.03.2010 / 11:36

Dateizugriffe: 671

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: hagen
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 04.03.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es ist schon etwas beängstigend, wenn mittlerweile selbst die ehemals entschiedensten Wächter weltweiter Währungsstabilität eine Inflation als probates Mittel wider der Finanzkrise ins Spiel bringen. Schließlich hatten Weltbank, Internationaler Währungsfond und die einflußreichen Zentralbanker der großen Industrienationen allzeit gute Gründe eine deutliche Geldentwertung zu verhindern. Ein erster ganz allgemeiner Grund ist die relative Unkontrollierbarkeit der Ausprägung und der Folgen einer Inflation.
Einfach gesagt ist es ja so: Die vorhandene Geldmenge muß bestimmten realen Werten, also Gütern aller Art gegenüber stehen. Vergrößert sich die Geldmenge gegenüber dem Warenkorb, zu dem es im Verhältnis steht, findet eine Entwertung des Geldes statt.
Veranlaßt der Staat nun über seine zentrale Notenbank eine deutliche Vermehrung der Geldmenge könnte eine erste Konsequenz eine sogenannte Kapitalflucht sein. Das heißt, Geld wird in großen Beträgen in wertstabile Sachwerte, zum Beispiel Immobilien oder Edelmetalle, investiert und verschwindet somit vom Kapitalmarkt. Fehlt das Geld auf dem Kapitalmarkt oder fehlt auch nur die Zinssicherheit der Kapitalanbieter, werden Kredite immer teurer oder gar nicht erst angeboten. Es folgt der Bankrott vieler kreditabhängiger Unternehmen. Die daraus entstandene Arbeitslosigkeit belastet nun ihrerseits erneut die Staatskassen, die durch die Inflation eigentlich entschuldet werden sollte. Nun ist der Staat meist auch nicht der dümmste Banker und hat in der Vergangenheit die Höhe seiner Sozialleistungen eben gerade nicht an die jeweilige Inflationsrate angepaßt. Auch in der immer möglicheren nahen Zukunft wird das nicht anders sein: die Geldmenge wird vergrößert, der Staat entschuldet sich, Sozialtransfers stagnieren mit der Folge des Kaufkraftverlustes der davon Abhängigen. Gleiches gilt aber auch für die Reallöhne derer, die noch beschäftigt sind. Denn die Gewerkschaften können, wenn überhaupt erfolgreich, immer nur zeitverzögert auf das Ansteigen des Preisniveaus bzw. das Sinken der Reallöhne reagieren. Der Kaufkraftverlust immer breiterer Massen wirkt sich, den Teufelskreis schließend, erneut negativ auf die gesamte Wirtschaft aus.
Bei diesen bis hier hin eher rechnerischen Abwägungen, liegt das unkontrollierbare Gefahrenpotential in den kaum abschätzbaren Fehlbeträgen, egal ob auf den Kapitalmärkten, in den öffentliche Haushalten oder den Portemonnaies eines jeden einzelnen.
Unberechenbar ist aber auch die Antwort auf die Frage: Was werden die Menschen tun, die sich nun in immer größerer Anzahl nicht mehr nur sprichwörtlich auf der Straße wieder finden? Eines ist bei allen utopistischen Idealen, die bei einigen angesichts dieser Frage aufkommen könnten, klar: Das Fressen kommt immer zuerst.
Hierzulande verläßt man sich auf politischer Seite darauf, daß bei den meisten Deutschen der Protestimpuls in etwa so ausgeprägt ist wie die Libido eines greisen Wallachs. Aber in anderen EU-Staaten wie Griechenland zeigt sich ansatzweise, wie mit der Instabilität der Währung auch die Stabilität der staatlich-politischen Verhältnisse einhergeht. In Frankreich werden gerade Manager eines Siemenswerkes als Geiseln festgehalten.
Eine deutliche Inflation in naher Zukunft würde mit Sicherheit als Katalysator für die Zuspitzung der Verhältnisse und die Radikalisierung des Protests und der staatsgewaltigen Gegenmaßnahmen führen.
Daß diesen längst nicht mehr rein theoretischen Gefahren zum Trotz nun eine Inflation zur Rettung der Staatskassen, die sich als Ersatzspieler der privaten Kreditwirtschaft ziemlich verausgabt haben, auf's Feld geführt wird ist ein Zeichen der Verzweiflung ihrer verantwortlichen Fürsprecher. Natürlich ist diese Verzweiflung als solche nicht empfunden, wird sie doch überdeckt vom Glauben oder besser der Hoffnung auf ein erneutes selbstragendes Wachstum der realen Wirtschaft, das einzig in der Lage wäre die monetäre wie die politische Stabilität zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Nur ist ein solcher erneuter Akkumulationsschub des Kapitals nigends auszumachen, ein Schub z.B. wie die Durchsetzung der Fließbandproduktion, die die Weltwirtschaftskrise in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in den Folgejahren kompensiert hat. Diese damals neue Produktionsweise brachte unvergleichlich viele Menschen in Arbeit und dem Staat entsprechend große Steuereinnahmen. Darüberhinaus verlieh sie den Arbeitenden Kaufkraft für die dann in Massenproduktion hergestellten, erschwinglichen Waren. Heute stehen reale Kaufkraft und Sättigungsgrad der Märkte in einem gänzlich anderen Verhältnis. Nur eine enorme Ausweitung der Warenproduktion wäre in der Lage, den Umstand zu überlagern, daß die Produktion, gemessen an der einzelnen Ware, durch die immensen, jetzt eben auch elektronisch-automatisierten Herstellungsapparaturen immer teurer geworden ist. Die Gewinnspanne der einzelnen Ware ist immer weiter geschrumpft, da die einzig mehrwertbildende Potenz, nämlich die menschliche Arbeit zusehends überflüssiger wurde. Höhere Produktionskosten verminderten die Gewinnspanne der einzelnen Ware, was wie gesagt nur durch eine beschleunigte Massenproduktion kompensiert wurde. Für diese Massenwaren muß es aber Käufer geben. Jedoch wird es die nicht einmal annähernd in der notwendigen Größenordnung, wie z.B. in der Mitte des 20. Jahrhunderts, geben. Zum einen sind viele Absatzmärkte satt, zum anderen steckt hinter den offenen Bedürfnissen weiter Teile der Weltbevölkerung kaum nennenswerte Kaufkraft. Von den ökologischen Ressourcengrenzen einer noch einmal beschleunigten Produktion ganz zu schweigen.
Uns von der immer offensichtlicheren Endlichkeit der kapitalistischen Ökonomie Betroffenen bleibt zunächst nicht viel mehr aber auch nicht weniger, als das klare Bewußtsein von dieser Endlichkeit. Dieses klare Bewußtsein müssen wir uns erhalten und stärken, zum einen gegen den wahnhaften Glauben ans „Es geht immer so weiter“, genauso aber auch gegen die schon seit je her zu kurz gedachten Ideen über eine irgendwie „gerechtere“ Verteilung des Reichtums, Ideen also, die den Boden, sprich die Bedingungen des Kapitalismus nie wirksam verlassen wollen. Das Bewußtsein vom selbstzerstörerischen 'Wie' unserer Gesellschaftsform ist die unabdingbare Grundlage für ein mögliches, selbstbestimmtes Entkommen aus dieser Form, mit dem Ziel einer selbstbestimmten Existenz. Eben weil das Fressen immer zuerst kommt brauchen wir diese Klarheit, damit die angesprochene Radikalisierung des Protests nicht Barbarisierung bedeutet.

Kommentare
05.03.2010 / 11:37 matthias kühn, LORA München
merci
gesendet im lora magazin
 
05.03.2010 / 20:23 Tim/upload theo,
gesendet 5.3.2010 zw. 19.10-20.00 im Magazin
vielen Dank