Was ist uns der Artenschutz wert?

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Welche Bedeutung hat der Artenschutz und was sind wir bereit, dafür zu ionvestieren? Der Bericht geht dieser Frage nach.
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Upload vom 28.05.2010 / 11:59

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Klassifizierung

tipo: Nachricht
idioma: deutsch
áreas de redacción: Umwelt
Entstehung

autoras o autores: Anne S. (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
fecha de producción: 27.05.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Müsste in heutiger Zeit eine Arche Noah gebaut werden, hätte sie weit weniger Tiere an Bord als in vorchristlicher Zeit. Dodo, Beutelwolf und Goldkröte sind nur einige Beispiele, was unwiderruflich von dieser Erde verschwunden sind. Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten läuft momentan 1000 mal schneller ab, als natürlich erklärbar wäre. Man geht von 130 Arten aus, die täglich verschwinden. Biologen vergleichen dieses rasante Artenschwinden mit einer der größten Auslöschungswellen vor 65 Millionen Jahren: dem Aussterben der Dinosaurier.
Dabei sind mit derzeit zwei Millionen erst etwa 10 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten der Welt bekannt. Geschätzte 19 Millionen verschiedene Arten könnten den Planeten bevölkern.
Um auf den drohenden Verlust dieser biologischen Vielfalt aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2010 zum „Internationalen Jahr der Artenvielfalt“ erklärt. Die Wahl dieses Jahres war kein Zufall. 1992 beschlossen 200 Staaten in Rio de Janeiro, das weltweite Sterben der Arten bis 2010 deutlich zu bremsen.
Dennoch gelten 12 Prozent der Vögel, 21 Prozent der Säugetiere und 30 Prozent der Amphibien als vom Aussterben bedroht. Drei Viertel der Fischbestände sind überfischt. Bei den Pflanzen sind es erschreckende 70 Prozent, die man in den nächsten Jahren vielleicht nicht mehr wachsen sehen wird.
Die größte Bedrohung der Artenvielfalt stellt dabei die Zerstörung von Lebensräumen dar. Eine Palmölplantage in Südostasien etwa, für die riesige Flächen Urwald weichen mussten, bietet außer für die Ölpalme keinen Lebensraum mehr für Flora und Fauna. Zwei Drittel des dortigen Urwaldes sind radikaler Abholzung und Brandrodung zum Opfer gefallen und mit den Bäumen stirbt deren Bewohner, der Orang-Utan.
Ein weiterer großer Anteil des Artensterbens - geschätzte 40 Prozent - wird verursacht durch invasive Arten, das heißt Tiere oder Pflanzen die in ein Gebiet eingeschleppt wurden, in dem sie natürlicherweise nicht vorkommen. Auf Hawaii zum Beispiel wurden im 19. Jahrhundert aus Indien importierte Mungos ausgesetzt, in der Hoffnung sie würden die Rattenplage auf den Zuckerrohrplantagen eindämmen. Das kleine Raubtier fühlte sich schnell in seiner neuen Heimat wohl und vermehrte sich. Anstatt der Ratten dezimierte es jedoch die einheimischen Vögel. Die Folgen waren nicht nur, dass einige der nur auf Hawaii vorkommenden Vogelarten in ihrem Bestand bedroht oder vernichtet wurden. Zusätzlich zur Rattenplage musste man mit einer Insektenplage zurechtkommen, da die Vögel als deren natürliche Feinde fehlten.
Auch Flora und Fauna in Gewässern bleiben nicht verschont. Hier sind es Düngemittel und Pestizide, die von den Feldern eingespült werden. Außerdem gefährdet die Fischerei den Artenreichtum. Besonders das Fischen mit Treibnetzen wird kritisiert, da sich Delfine und anderer unbeabsichtigter Beifang in den Netzen verhängen.
Eine Bedrohung mit globalen Auswirkungen gleichermaßen auf Wasser- wie auf Landbewohner ist – man kann es sich denken- der Klimawandel. Es wird geschätzt, dass allein aufgrund der Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts 30% der heutigen Arten ausgestorben sein werden. Prominentestes Opfer der hohen CO2 Konzentration in der Atmosphäre sind die Korallen. Sie leiden doppelt. Zum einen unter der Erwärmung der Meere, zum anderen werden die Kalkschalenlebewesen durch die zunehmende Versauerung des Wassers regelrecht aufgelöst.
Wird nämlich Kohlendioxid in Wasser gebunden, sinkt dessen Ph-Wert, das Wasser wird saurer. Den Effekt, den das auf Kalk hat, kennt jeder, der seinen Wasserkocher mit Zitronensäure reinigt. Schon 2050 könnte dadurch zum Todesjahr der Korallen werden.
Die Auswirkungen des Schwindens der Arten und der Ökosysteme auf den Menschen sind enorm, meist jedoch indirekt und werden dadurch unterschätzt. So hängen oft an jeder bedrohten Art noch weitere, die für ihr Überleben auf eben dieses Tier oder diese Pflanze als Nahrung, Symbiose-Partner oder Wirt angewiesen sind. So kommt es in einigen Anbaugebieten aufgrund des massiven Bienensterbens zu Ernteeinbußen, da die Blüten der Pflanzen nicht mehr bestäubt werden.
Trockenlegung von Mooren und Abholzung von Wäldern bedeuten nicht nur den Tod vieler Arten, sondern heizen auch den Klimawandel an, da mit ihnen wertvolle CO2-Speicher zerstört werden.
Selbst eine noch so unscheinbare Schneckenart kann mit dem Schicksal von Menschen in Verbindung stehen. Conus Striatus, eine Kegelschnecke, enthält ein Gift, das sich jüngst als Schmerzmittel herausgestellt hat. Dem Morphium in der Wirkung sogar überlegen scheint es zudem weniger Nebenwirkungen mit sich zu bringen und nicht süchtig zu machen. In den USA wird es bereits bei Krebspatienten eingesetzt.
Auch andere Wissenschaften profitieren vom Einfallsreichtum der Natur. Bionik nennt man eine Vereinigung von Biologie und Technik, die sich der Natur als Quelle der Inspiration bedient. Schwimmanzüge und Beschichtungen von Schiffsrümpfen mit der Eigenschaft im Wasser weniger Widerstand zu erzeugen wurden zum Beispiel von der Haut der Haifische abgeschaut. Termitenhügel besitzen eine so ausgeklügeltes Belüftungssystem, dass es von Architekten für Hochhäuser nachgebildet wurde.
Selbst der Wirtschaft, bisher meist ein Gegner des Umweltschutzes, wird wegen der wachsenden Zahl von Verbrauchern mit ökologischem Anspruch zunehmend bewusster, welche Schäden durch den Artenverlust drohen.
Um dieses Bewusstsein zu vertiefen wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die erstmals versucht den Wert von intakten Ökosystemen und Artenreichtum zu bestimmen. Und zwar jenseits von ökologischen oder ethischen Argumenten. Nämlich umgerechnet in einen Wert, der uns sehr vertraut ist: Geld.
TEEB heißt diese Studie, „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“. Auf deutsch: Die Ökonomie von Ökosystemen und Artenvielfalt.
Der Hintergrund ist einleuchtend: Alle Wirtschaftszweige profitieren – direkt oder indirekt- von den Dienstleistungen der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme. Das Problem der Ausbeutung der Natur ergibt sich aus wirtschaftlicher Sicht daraus, dass diese Dienstleistungen nicht in den Marktpreisen enthalten sind. Bestimmt man daher die Einflüsse und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Business-Sektoren und Ökosystemen und findet Kriterien, nach denen sie bewertet werden können, so kann man daraus einen marktbasierten Ansatz zum Schutz der biologischen Vielfalt entwickeln. Ein Beispiel: Die Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern in Küstenregionen lohnt sich auch wirtschaftlich. Mangroven speichern viel Co2 und halten Wirbelstürme und Tsunamis von Siedlungen ab. Dieser Nutzen, umgerechnet in US-Dollar, würde die Kosten der Aufforstung übersteigen.
Will man es also bildlich ausdrücken, so sägen wir mit dem Zerstören der Artenvielfalt und der Ökosysteme den Ast ab, auf dem wir sitzen: letztlich zerstören wir unsere Lebensgrundlage, die Natur. Doch mit jeder Art stirbt mehr als ein Stück Lebensgrundlage für uns Menschen, nämlich ein Stück von uns selbst. Wir sind mit unserer Umwelt so eng verknüpft, dass sich auch unsere Kunst und Kultur aus dem Stamminventar der Erde nährt. Was wäre Peter und der Wolf ohne Wolf, Van Goghs Sonnenblumen ohne Sonnenblumen oder Moby-Dick ohne Wal.
Tiere und Pflanzen sind nicht nur Dinge, von denen wir uns ernähren, sondern auch unersetzbar, um die Wirklichkeit und uns selbst begreifen zu können. Tiere und Pflanzen werden zu Symbolen für menschliche Eigenschaften. Im Tiger sehen wir unsere Vorstellung von Kraft in vollendeter Form, im Fuchs die Klugheit und in der Eule die Weisheit. Und wenn Kinder sprechen lernen, gehören Tierlaute mit zu ihren ersten Äußerungen.
Mit dem Sterben der Arten, verlieren wir also zahlreiche materielle, aber auch ideelle Werte, nicht zuletzt die Schönheit der Natur. Vielleicht sollten wir aber neben den vielen Werten auch einfach die Würde in diesen Leben sehen.