Börsenspekulation mit Rohstoffen für Nahrung

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Börsenspekulanten verdienen sich eine goldene Nase mit Rohstoffen, die für die Ärmsten der Erde als Nahrung gebraucht werden - und sich dadurch massiv verteuern.
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Upload vom 31.01.2012 / 12:32

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Serie: Grünfunk (Greenpeace München)
Entstehung

AutorInnen: Katja Bachert (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 27.01.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Warum der Börsenhandel mit lebenswichtigen Rohstoffen so gefährlich ist
Anmod: Die Weltbörsen haben Kakao, Getreide und Wasser als neue Spekulationsobjekte entdeckt und beschleunigen damit die Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich, zwischen hungernden und satten Weltbürgern. Doch für die Menschen in der Dritten Welt ist das Leben kein Monopolyspiel, sondern ein Kampf ums Überleben. Deshalb finden wir, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit dringend mehr Beachtung finden sollte.
Beitrag:
Der jüngsten Veröffentlichung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) zufolge ist derzeit weltweit etwa eine Milliarde Menschen unternährt, und damit jeder sechste Weltbürger. In den letzten Jahren ist diese Zahl dramatisch angestiegen und hat sich weiter denn je vom Ziel des Welternährungsgipfels 1996 entfernt, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Damit wird das international anerkannte Menschenrecht auf Nahrung jeden Tag millionenfach verletzt.
Vom Hunger betroffen sind vor allem die Kontinente Afrika sowie Teile Südamerikas und Asiens. Die Gründe für diese dramatische Ernährungslücke sind zahlreich: Der Fleischhunger der Weltbevölkerung steigt, weshalb ein Großteil des Getreides in die Futtermittelindustrie fließt. Durch den von der EU geschürten Hype um vermeintlich klimafreundliche Agro-Kraftstoffe werden die wertvollen Lebensmittel in unseren Autotanks verheizt, statt die Mägen hungernder Kinder zu füllen.
Zudem vernichten Naturkatastrophen wie der Tsunami in Indonesien, die verheerende Waldbrände in Russland oder die fatalen Überschwemmungen in Pakistan die Getreideernten.

Eine dramatische Dynamik bekommt die Ungleichverteilung lebenswichtiger Ressourcen, wenn die Weltbörsen Kakao, Getreide und andere Rohstoffe für sich entdecken. Denn in der Welt der Broker gelten die Regeln der freien Marktwirtschaft und die kennen kein Erbarmen mit den Ärmsten dieser Welt.

Der populäre Gegenwartsphilosoph Richard David Precht bringt dieses Problem in seinem Buch „Die Kunst kein Egoist zu sein“ auf den Punkt, indem er ein Geschichte erzählt: Sein Stiefsohn, der in Cambridge studiert, sah eine BBC-Dokumentation. Diese zeigte, wie Kinder in Ghana bei der Kaffeeernte ausgebeutet werden. Und daneben einen New Yorker Broker, der pro Minute achtzig Dollar mit diesem Kaffee verdient. Der Broker ist entsetzt, als man ihn mit dem erbärmlichen Lohn der Kinder konfrontiert. Und nun fragte Prechts Stiefsohn: Soll der Broker seinen Job aufgeben?
Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Denn ein Nachfolger, ohne schlechtes Gewissen ob der ausgebeuteten Kinder, wäre schnell gefunden. Genau hier, an den Börsen der Welt, klafft eine neue Wunde der globalisierten Gesellschaft, deren Schmerz alleine die Ärmsten zu spüren bekommen.
Der Traum von „freien Märkten“ ist und bleibt eine Utopie. Denn auch die Kakaobauern an der Elfenbeinküste, wo 40 Prozent dieses Rohstoffes weltweit angebaut werden, profitieren wenig bis überhaupt nicht von den gestiegenen Preisen am Weltmarkt. Die satten Gewinne bleiben einzig bei den Aktionären, den Händlern, den Zwischenhändlern und den korrupten Regierungen der Produktionsländer hängen. Ganz gleich wie teuer sein Kakao an der Börse gehandelt wird, dem Bauern bleibt fasst nichts anderes übrig als seine Kinder als Arbeitskräfte einzuspannen, statt sie in die Schule zu schicken. Denn wenn er seine Arbeiter bezahlen müsste, hätte er überhaupt keine Chance seine Familie zu ernähren.
Nicht weniger prekär ist die Spekulation mit Getreide: Als vergangenen Sommer Katastrophenalarm in Russland herrschte, weil durch die verheerenden Waldbrände eine Ackerfläche von 200.000 Hektar und damit eine Ernte von 40 Millionen Tonnen Weizen in Flammen aufgingen, rieben sich die Börsenspekulanten bereits die Hände. Wenig später rief Regierungschef Wladimir Putin ein Export-Verbot für Getreide aus, da er die Versorgung der eigenen Bevölkerung gefährdet sah. Weil aber die Verknappung eines Gutes zwangsläufig eine Wertsteigerung nach sich zieht, schnellten die Aktienkurse für Getreide postwendend nach oben. All jene, die auf steigende Getreidepreise gesetzt hatten, profitierten von der Katastrophe: Zeitweise kletterten die Preise um 100%.
Doch wie so oft ist auch hier des einen Freud, des anderen Leid. Denn für viele arme Länder waren die exorbitanten Börsenpreise nicht mehr bezahlbar. Armen Nationen, die selbst nicht ausreichend Getreide anbauen können, waren Zukäufe unmöglich. Und auch die internationalen Hilfsorganisationen mussten fassungslos zusehen, wie die Wetten der Spekulanten dazu führen, dass sich die Hungerspirale nach oben schraubte. Denn auch NGOs wie Brot für die Welt oder die Welthungerhilfe müssen den Preis zahlen, zu dem Getreide am Weltmarkt gehandelt wird.
Und wenn dieser, aufgrund der Spekulationen um 50 gestiegen ist, können sie eben nur deutlich weniger hungernde Menschen mit Nahrungsmitteln versorgen.
So also sind die Spielregeln des freien Marktes. Und nun sind die Börsianer im Begriff noch einen weiteren wichtigen Rohstoff für ihre Geschäfte zu entdecken. Die Rede ist vom Wasser, dem elementarsten Rohstoff auf unserem Planeten. Erst die Turbulenzen an den Agrarmärkten haben das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf das „blaue Gold“ gelenkt. Denn Wasser ist gerade für die Landwirtschaft unverzichtbar: Rund 70 Prozent des weltweiten Wasserbedarfs entfällt auf diesen Bereich, unter anderem für die Bewässerung der Felder aber auch die Verarbeitung der Erträge.
Die Dürrekatastrophe in Russland hat gezeigt, wie sensibel das Thema ist. Die enormen Ernteeinbußen können nur ausgeglichen werden, wenn ausreichend Regen fällt, der Grundwasserspiegel steigt und die Bewässerung der Anbauflächen gewährleistet ist. Zudem wird sich die Wasserknappheit in bestimmten Regionen durch das steigende Bevölkerungswachstum und das Streben nach Wohlstand und westlichen Lebensstandard noch weiter verschärfen. Die Ressource wird knapper und dadurch leider auch für Spekulanten immer interessanter.

Bis heute können Anleger zum Glück zwar lediglich in Aktien von Unternehmen investieren, die am Wassermarkt agieren. Also Getränkehersteller, Wasserproduzenten und Technologiefirmen mit dem Fokus auf Wasser. Doch auch jetzt schon bestehen erste Investmentfonds, die mit Wasser arbeiten. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese lebenswichtige Ressource den unmoralischen Geschäften zum Opfer fällt und steigende Kurse die Knappheit in den ohnehin schon wasserarmen Regionen verschärfen werden.

Damit sich die Kluft zwischen Arm und Reich, hungernd und satt, in der nächsten Jahren nicht noch schneller verschärf, müssten die Regierungen der Industrienationen ein Gesetz erlassen, das den Missbrauch von lebenswichtigen Ressourcen als Spekulationsgut verbietet. Doch wer mit Übergewicht und Diabetes zu kämpfen und mehr Wasser zum Ausspülen von Joghurtbechern verbraucht als ein Kind in Burkina Faso zu trinken hat, muss die Qual von Hunger und Durst ganz bewusst vergegenwärtigen. Nur dann kann der Wille zum Handeln überhaupt erst entstehen. Wer sich - wie der New Yorker Broker aus Prechts Anekdote - auch künftig im Ausblenden dieser Zusammenhänge übt, wird das Problem nicht lösen können.

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie auf www.welthungerhilfe.de und www.zeit.de.

Kommentare
31.01.2011 / 17:16 Joël, Radio ARA, Luxemburg
danke!
gespielt am 31.01.2011 in der Sendung "Crumble" auf Radio ARA, Luxemburg!