Teil 1 :: Hauptsache Gewerkschaft, Rückschau und Diskussion vom 7.4.2011

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Diskussion um Vergangenheit und Zukunft der Gewerkschaftsarbeit. Referent Sauerborn, Ver.di
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59:00 min, 54 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.06.2011 / 16:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: arbeitsweltradio
Entstehung

AutorInnen: AWR Peter
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 08.06.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Diese siebziger Jahre waren ...“die Spätblüte des Rheinischen Kapitalismus und sie waren die Hoch-Zeit der Organisationsmacht, der gesellschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit und Bedeutung der ins Modell Deutschland integrierten Gewerkschaften. Erweiterung der Mitbestimmung 1974
der Kapitalismus strukturierte neu : das Kapital setzte zum Sprung auf die Weltmärkte an, - Exportmodell Deutschland, Aufräumen im Sozialstaat, von Krise zu Krise stieg die Arbeitslosigkeit.
nur der IG Metall und der IG Drupa gelang noch der Durchbruch zur 35 Std-Woche. Der Öffentliche Dienst und viele andere Branchen schafften es nur bis 38.5Std. Nachdem selbst ein nomineller voller Lohn-ausgleich nicht mehr durchsetzbar war, verabschiedeten sich die Gewerkschaften faktisch von der Politik der Arbeitszeit-verkürzung
Arbeitgeber und Politik-Akteure besetzten das Feld. In der Gegenoffensive wurde uns fast alles wieder abgerungen, was wir erreicht hatten. Die Arbeitszeit wurde verlängert und dereguliert, sie liegt inzwischen bei Vollzeitarbeit wieder weit über 40 Wochenstunden die Lebensarbeitszeit wurde erhöht durch früheren Eintritt in und späteren Austritt aus dem Berufsleben. # verkürzt wurde auch : z.B. in der Krise durch Kurzarbeit, d.h. Staatlich vermittelter, befristeter ArbeitsZeitVerlust mit Teillohnausgleich oder in Form von Teilzeitarbeit, mit einem neuen Schub in der Krise: Arbeitszeitverkürzung mit Null Lohnausgleich. Produktivitätsfortschritte setzten sich wieder in Massenarbeitslosigkeit um Massenarbeitslosigkeit als nicht verkürzte bzw. verlängerte Arbeitszeit Eine Kette von politischen (Agenda 2010) und tariflichen Niederlagen in Form von Reallohnverlusten, brachten die Gewerkschaften in eine nicht enden wollende Defensive. Einbussen, Konzessionen, Rückgang , Niederlagen. Immer wieder neues Anrennen gegen Verhältnisse, die sich als immer weniger beeinflussbar erweisen, politisches Burnout. Sind die Probleme der Gewerkschaften eine Folge von Fehlverhalten und Fehlern, die man abstellen könnte oder sind sie struktureller Art? Wäre alles besser, wenn wir offensiver, mutiger, professioneller auf die Herausforderungen reagierten oder lässt sich selbst dann der Abwärtstrend allenfalls verlangsamen?
Arbeitskampf, : Abfallwirtschaft: sie ist ausser in Stuttgart nur noch in 7 anderen großen Städten des Landes kommunal, sonst überall privat bzw. privatisiert. Es ist gegen unseren Willen eine Branche Abfallwirtschaft mit ausgeprägten Wettbewerbs-bedingungen entstanden. Dass sie in Stuttgart nicht privatisiert wurde bisher haben die Beschäftigten im Laufe der Jahre mit Leistungssteigerungen und verschlechterten Arbeitsbedingungen bezahlen müssen. Der Streik in der Abfallwirtschaft richtete sich gegen 8 Betriebe einer Branche mit Dutzenden Betrieben, die , auch wenn sie ebenfalls bei ver.di organisiert, außen vor waren. Die Folge : 1 innerhalb weniger Tage waren die Arbeitgeber in der Lage den Streik durch Einsatz der der Privatfirmen zu unterlaufen und die Mülltonnen einigermaßen zu leeren. Der Streikdruck verpuffte. 2 Die Arbeitgeber setzten sofort ihr Einschüchterungsmittel Privatisierung ein. 3. die vielen Kommunen mit privater Abfallwirtschaft dachten überhaupt nicht daran, von ihren Forderungen abzurücken, weil sie unter keinerlei Streikdruck standen.
offensive und politische Streikführung konnte das Ausmass der Niederlage begrenzen, (subjektive Seite), materiell war es eine Niederlage. Aber sie hatte strukturelle Gründe. Das gilt in vielen Tarifkonflikten in ver.di – z.B. ähnlich dramatisch beim Telekomstreik 2007. Problem war, nur die Telekom, nicht aber ihre privaten Konkurrenten wie O2 oder Vodafone bestreiken zu können. Das gilt erst recht in global strukturierten Branchen wie Auto- oder Maschinenbau, Luftfahrt, Speditionen.
Gegen die dieser Gesellschaft innewohnenden Mechanismen, die Menschen tendenziell gegeneinander in Stellung zu bringen, die sie zu Konkurrenten zu machen, Bewusstsein für die gemeinsame Interessenlage zu stärken Herstellung von Solidarität, das ist unsere gewerkschaftliche Arbeit. . Warum ist es seit vielen Jahren schwerer, diese Solidarität herzustellen ? Solidarität = Füreinander-Stehen .1 moralisch :  Wir sind solidarisch mit der von Kündigung bedrohten Betriebsrätin  Wir solidarisieren uns mit KollegInnen, die in Griechenland oder demnächst in Irland um ihre Arbeitsplätze kämpfen,.  Wir organisieren Widerstand und Boykotte entlang der Wertschöpfungsketten für Textilarbeiterinnen in den Sweat shops in Bangla Desch oder  wir solidarisieren uns mit KollegInnen, die in der Türkei, im Iran oder in Bolivien wegen Gewerkschaftstätigkeit im Gefängnis sitzen. Diese moralische Solidarität ist die Basis von allem, auch der Grundanspruch aller gesellschaftlichen Institutionen, denen es um emanziparorische Ziele geht, und eben auch der Gewerkschaft. 2 ökonomisch, strategisch : Als gesellschaftliche Gegenmacht im Kapitalismus organisieren Gewerkschaften ökonomische Solidarität. Gewerkschaften appellieren nicht nur. Sie Versuchen über Kampagnen, über Politik oder auch Lobbyismus gesellschaftlichem Druck zu erzeugen. Sie sind darauf angelegt, - 1 -. Erzwingungswirkung im Zentrum der Ökonomie zu entfalten. Ob dieser Erzwing-ungs-druck funktioniert, (wie das lange der Fall war )oder kaum noch wie derzeit, hängt davon ab, ob -1- bestimmte ziemlich genau definierbare ökonomische Rahmenbedingungen herstellbar sind, oder in welchem Maße sie herstellbar sind.
Wenn eine ganze Belegschaft mit Forderungen antritt,, ist die Solidarität größer und der Druck stärker. Die Möglichkeit sie gegen -ein- ander auszuspielen ist geringer. Das Erpressungsmittel ist dem Arbeitgeber aber noch nicht aus der Hand geschlagen. Er verweist auf die Wettbewerbslage, dass seine Konkurrenten auf dem Markt billiger anbieten können, u.a. weil deren Belegschaft keine Forderungen stellen [ und so ihre Arbeitsplätze auf Kosten der fordernden Belegschaft sichere (anonyme Konkurrenz von Belegschaften von ArbeitnehmerInnen gegeneinander) .] Um die vorgegebene Konkurrenz der Arbeitnehmer gegeneinander aufzuheben oder einzuschränken, braucht es überbetriebliche Solidarität, die Arbeitgeber zu zwingen Flächentarifverträge einzuhalten – von der Autoindustrie bis zum Einzelhandel. Dies gelingt kaum noch . Warum ? Es sind doch dieselben Tarifverträge wie seit Jahrzehnten, Geltungsbereich so und so, und es steht doch Flächentarifvertrag drauf. Wenn die IGM einen „Flächentarifvertrag“ für VW, Audi, Porsche, BMW, Opel, Ford- Deutschland und Mercedes abschließt, entkräftet das nicht den taktischen Verweis der Arbeitgeber auf die Wettbewerbslage und damit auf relativ billiger arbeitende Belegschaften bei Toyota, GM, Renault, Fiat, ja selbst bei den eigenen Töchtern in Spanien, Polen oder Tschechien. Ähnlich verweist die Post auf die billiger arbeitenden privaten Zustell- oder Paketdienste, die öffentliche Abfallwirtschaft auf die privaten, Karstadt und Metro auf die Shoppingmalls auf der grünen Wiese, und die Telekom auf Vodafone und O2.
Wirkliche Erzwingungswirkung entfalten Tarifverträge erst, wenn sie im Wesentlichen alle Arbeitnehmer-Innen, die von der Gegenseite gegeneinander in Stellung gebracht werden können, erfassen, organisieren und zu gemeinsamem Handeln führen können.
Der Rahmen in dem Gewerkschaften die Konkurrenz der Arbeitnehmer einfangen müssen sind die realen Wettbewerbsräume, die Wirtschaftsbranchen. In diesem Massstab müssen Gewerkschaften sich organisatorisch aufstellen, und arbeitskampffähig werden, um Tarifverträge abzuschließen, die wirklich Flächentarifverträge sind. Die meisten unserer Tarifverträge genügen diesem ökonomischen Kriterium nicht. Sie spiegeln die Fläche, eine vergangene ökonomische Realität wieder, nicht den wirklichen Wettbewerbraum, die wirkliche dort stattfindende Konkurrenz, sondern nur Teile davon. Diese Inkongruenz zwischen unseren Tarif-verträge und den realen Wirtschaftsstrukturen bringt auch in argumentative, in ideologische Turbulenzen. Arbeitgeberargument : dass sich billiger machen, sichere den eigenen Arbeitsplatz. Natürlich wird hier viel geblufft, doch die Arbeitgeber verfügen über ein beträchtliches Erpressungs-potential. Dies Argument hat einen realen Anknüpfungs- und Erfahrungspunkt, und ist auch mit viel Materialien und Parolen nicht aus den Köpfen der KollegInnen zu vertreiben. Der Kollege denkt sich seinen Teil und wird, wenn es eng wird, denen folgen, die die Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnverzicht sichern wollen. Wird sogar Tarifverträge schwächen und dem gewerkschaftlichen Gesamtanliegen schaden. Das grosse gewerkschaftliche Dilemma ist ist kurzfristig kaum lösbar, kaum durch Kritik an denen, die die abgepressten Verschlechterungen unterschreiben, aufzulösen.
Die unterdurchschnittiche Reallohnentwicklung der letzten 10 Jahre in Deutschland, die Agendapolitik der Lohn-nebenkosten-Senkungen, hat die Exportstärke der deutschen Wirtschaft begründet. → ,,- Dies habe den Krisenverlauf gedämpft, letztlich Arbeitsplätze in der Krise gesichert. Der gängige Satz im falschen Bewusstsein : „Deutschland hat seine Hausaufgaben gemacht“ wird unhinterfragt wirtschaftspolitische Formel
Volkswirtschaftlich bringt : Lohnverzicht und Sozialabbau hier, die Überschwemmung aller Weltmärkte mit deutschen Produkten bringt die Nationalökonomien anderer Länder unter Druck und produziert dort Rezession, Arbeitslosigkeit und Haushaltskrisen.
Hinter dem Killerargument der Wettbewerbsfähigkeit und dessen Schlagkraft steht die Konkurrenz der gegen-einander Ausgespielten , die Ausspielbarkeit . je umfangreicher wir „ökonomische Solidarität“ organisieren, desto wirkungsloser wird die Erpresserei der Arbeitgeber, die Ausspielbarkeit.
[ man muss nicht jedem Druck nachgeben : auch Standhaftigkeit wird nicht sofort mit Standortwechsel und Arbeitsplatzabbau bestraft, es gibt ausser den Lohn- und Lohnnebenkosten ja noch einige andere Stellschrauben der Wettbewerbsfähigkeit ]
irgendwann sollte es gelingen, dass die Automobilarbeiter von Daimler in Stuttgart, von VW in Saragossa, von BMW in Tuscoloosa, von GM in Detroit, von Fiat in Turin, von Kia in Südkorea, von Renault in Rumän-ien gemeinsame Forderungen stellen, Z.B. Arbeitszeitverkürzung statt Werksschließungen und Massen-entlassungen, gemeinsame Arbeitskämpfe führen, wozu sie eine gemeinsame Streikkasse benötigen -2- (und irgendwann auch eine gemeinsame Gewerkschaft) und am Ende einen gemeinsamen Tarifvertrag durchsetzen, der sich zurecht Flächentarifvertrag nennen kann, selbst wenn er noch weit entfernt von einheitlichen Löhnen ist Im Kontext des deutschen Tarifvertragsrecht, ist die Funktion des Flächentarifvertrag beschrieben, - u.a. - 2 - seine sogenannte Friedensstiftende Wirkung, die darin besteht, die Lohnfrage aus der kapitalistischen Konkurrenz herauszuhalten. Sollen die Unternehmen doch darum konkurrieren, wer die besten IT-Lösungen entwickelt und die besten Hüftoperationen hinbekommt , ( + die nachhaltigsten Mobilitäts-Strukturen ) – aber nicht darum, wer die niedrigsten Löhne zahlt und wo am längsten gearbeitet wird.
Das System der Flächentarife, nach deren Logik sind auch die deutschen Einheitsgewerkschaften ( eine Branche – eine Gewerk-schaft) aufgebaut , hat nachkriegs- jahrzehntelang gut funktioniert, war eine wichtige Basis von Tariferfolgen und Mitglieder-zuwächsen.
Anfang der Achtziger fand eine fundamentale Umstrukturierung unseres Wirtschaftssystems statt. : Entwicklung neuer IT-Technologien, die lösten tiefgreifend Innovationen in der Produktion, in vielen Dienstleistungsbereichen aus. Branchen sterben aus, neue entstehen. Neue Branchengrenzen wurden dadurch gezogen , dass sich die Ökonomie globalisierte, dass sie neue und andere Wertschöpfungsketten knüpfte, dass sie Zyklen von Produktion, Verteilung und Konsum stark verkürzte. Ein neuer, global vernetzter Kapitalismus entstand, der räumliche und zeitliche und auch politische Schranken überrannt hat.  Produktionsstandorte stehen in globalen Konkurrenzbeziehungen, Dienstleistungsanbieter stehen in vielen Branchen weltweit im Wettbewerb.
Die Warenmärkte sind immer mehr globale Märkte: in Kapstadt, Kiew und Kassel fahren sie dieselben Autos und die Teenies in Kairo und Köln tragen dieselben Puma oder Nike-Klamotten. Die globalisierten Warenmärkte machen die hinter ihnen stehende Arbeit und ihre Kosten vergleichbar und # ArbeitnehmerInnen werden weltweit immer stärker in Konkurrenz gegeneinander gebracht. .  Die Arbeitsmärkte selbst sind aus ihren nationalen Fugen geraten. Handys, Skype und Billigflieger, Migrations-steuerung im Wirtschaftsinteresse [ andererseits, schaffen zunehmend einen Weltarbeitsmarkt.] Würden wir die Zahlen der ILO oder OECD über die weltweite Arbeitslosigkeit erfahren, dann würde schneller klar, wer die Krise bezahlt und dass sie beileibe nicht überwunden ist. Globalisierung heißt nicht, dass jetzt alles woanders stattfindet, vor Ort alles an Bedeutung verliert. Globalisierter Kapitalismus heisst vor allem, dass die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit anders geworden sind. Alles findet weiter hier statt, aber nach stummen Zwängen, die von einer andere Ebene in dieses Geschehen hineinwirken. Stummer Zwang auf unsere Tarifpolitik, auf den steuer-finanzierten Sozialstaat, auf die sozialen Sicherungssysteme, weil sie Lohnnebenkosten darstellen.
globalisierter Kapitalismus nimmt unangefochten ein neues Reich der Freiheit in Besitz. Er führte die Welt an den Rand des Abgrunds : → anbahnende Klimakatastrophe, Welternährungskrise und alles einbeziehende dramatische Weltwirtschaftskrise. Je mehr sich die globale Profitwirtschaft den Teppich unter den Füßen wegzieht, desto stärker das Interesse nach gemässigten regulierenden Eingriffen, nach Spielregeln, die den Super-GAU abwenden. → Welthandelsregelungen, Kriseninterventionspläne, erste Ansätze einer Einnahmeseite globaler Staatlichkeit: Finanztransaktionssteuer , europäische Besteuerung von Flugbenzin. Internationale Institutionen wie IWF, Weltbank, G 20, UNO konturieren sich neu. Dem Kapitalismus auf globale Ebene, folgt die Suche nach Normativität u. Diskurs / Eine Staatlichkeit zu Zwecke der Systemrettung, aber noch lange keine Sozialstaatlichkeit. Staatlichkeit ist den Kräften des Finanzwesen, und der Wirtschaft, als Mediator und Schiedsrichter nachgeordnet. Wo bleiben die Interessenwahrer der Arbeitnehmer, der sozial Schwachen, der Krisenopfer? Die Ebene, von der direkt oder indirekt der ganze Druck kommt, spielt in unserem Kosmos keine Rolle : keine ernsthafte Beteiligung an den europäischen Krisen-protesten, keine Beteil-igung an den europäischen und WeltSozialforen mehr. Kaum deutsche Beteiligung an den grenzüberschreitend en gewerkschaftspolitischen Diskussionen, Foren und Kongressen. Der sonst sehr geschätzte Vordenker der IG Metall, Hansi Urban, verkündet gar die Renaissance der nationalen Verteilungsebene. Ist Gewerkschaft gar nicht mehr „Hauptsache“ ? Viele haben in der Gründung der LINKEn auch eine Antwort auf die Krise der Gewerkschaften gesehen. Nachdem die SPD ihr Mandat als Vertreterin von ArbeitnehmerInne-ninteressen als Ansprechpartner der Gewerkschaften auf der politischen Bühne nicht mehr wahrnehme, müsse dies eine neue Partei tun und so auch der gewerkschaftlichen Stimme wieder Gehör verschaffen. Parteigründung als Weg, um den politischen Platz zu besetzen, den die SPD verlassen hatte, und noch aus anderen Gründen. Und weiter hiess es : Der Kapitalismus stehe derart auf der Kippe, dass jetzt die Systemfrage und der Sozialismus auf die Tagesordnung gehöre. Die Defensive rühre daher, dass kein klares Bild einer Systemalternative bestehe.
Wer soll Subjekt diese Plans sein angesichts einer ArbeiterInnenbewegung, die weltweit in der Defensive ist, die global keine Rolle spielt. Die sich mangels Alternativen hinter den nationalen branchen- und betrieblichen StandortInteressen verschanzt, sich gegen-einander ausspielen lässt und nicht zusammenfindet?
“Hauptsache Gewerkschaft“ - weil es besser ist, nur eine halbe Stunde länger arbeiten zu müssen als zwei, nur einen kleinen als einen großen Reallohnverlust zu erleiden. Zum anderen, weil die gesellschaftliche - 3 - Emanzipation der ArbeitnehmerInnen letztlich nur über die Überwindung der kapitalismusgemachten Konkurrenz untereinander möglich ist. Durch die Organisation der ökonomischen Solidarität, durch Gewerkschaften. Wer von uns welche Hoffnung in welche Partei setzt, ist eine politische Frage, die wir in einer Einheitsgewerkschaft diskutieren können, aber nicht zu entscheiden haben. In welchen Institutionen des ins Rutschen geratenden Sozialstaats wir mit welchem Aufwand und welchen Ressourcen kämpfen „um sie nicht denen zu überlassen“, das müssen wir diskutieren. Entwicklung eines gewerkschaftlichen Leitbilds, ist das Lernen aus Erfahrungen, das Lernen an dem Punkt, wo wir trotz allen Kämpfens nicht mehr weiter kommen. Was war die Stärke der Gegenseite, gegen wen konnten wir ausgespielt werden? Erfahrungsgeleitete Branchenanalysen. Hinein in die gewerkschaftliche Diaspora, von der der Dumpingdruck kommt. In den Organizing-Bereichen, wie generell bei gesellschaftlichen Themen, bei denen wir aus der Defensive heraus agieren, sei es gegen gesellschaftliche Mehrheiten oder mit gesellschaftlichen Mehrheiten gegen politische Mehrheiten kämpfen, wie das derzeit bei den Themen Gesundheitsreform, Rente 67 oder Mindestlohn der Fall ist, wird unsere eigene Durch-setzungsfähigkeit nicht mehr reichen. Wir müssen uns verbünden mit allen, die wie wir oder ähnlich von diesen Themen betroffen sind.
Am 30. Januar in der Landesbezirkskonferenz des DGB war es eine Koalition von ver.di- Delegierten, v.a. Der ver.di-Jugend mit kritischen IGM Delegierten, die mit großer Mehrheit einen Antrag durchgesetzt hat, aus S 21 auszusteigen und das Bündnis gegen S 21 zu unterstützen. Die Erwartung, damit sei der Durchbruch geschafft, damit wären wir als Gewerkschaften jetzt ein starker Bündnis-partner in der Kampagne gegen S 21, der sich an der Mobilisierung beteiligt, der hilft die Lügen und Infoblockaden zu knacken, erfüllte sich jedoch nicht. Die Gewerkschaftsapparate, allen voran der IG Metall und in deren Gefolge des DGB Landesbezirks weigerten sich schlichtweg, die Beschlusslage umzusetzen. Wo S 21 eine bundesweite Demokratiedebatte ausgelöst hat, ist diese Ignorierung der inner-gewerkschaftlichen Demokratie eine schwere Hypothek und ein Reputationsschaden für die Gewerkschaften. S 21 wird seither gewerkschafts-offiziell immer – mit Ausnahme v.a. des ver.di Bezirks Stuttgart und vielleicht des DGB Nordwürttemberg – als ein Fremdthema angesehen, als ein konkurrierendes Thema, was ablenkt von den eigentlichen gewerkschaftlichen Forderungen. Dabei geht es wichtige gewerkschaftliche Anliegen: • es geht um die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte, um Kommunalfinanzen und den Druck auf die Daseinsvorsorge • es geht um gerade für AN wichtige Entwicklungsperspektiven des Nah- und Regionalverkehr und um die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene, •es geht um die Frage der Privatisierung öffentlichen (Bahn-)eigentums zugunsten privater Immobilieninvestoren • es geht um Versammlungsrechte und die Legitimität zivilen Widerstands (Blockaden , z.B. bei Streiks sind auch ein gewerkschaftliches Kampfmittel)
Wir wundern uns und fühlen uns immer wieder ohnmächtig, weil wir mit unseren Protesten nicht durch kommen, obwohl es klare gesellschaftliche Mehrheiten gegen Gesundheitsreform, R 67 und für Mindestlohn gibt. Und hier, bei S 21, wo es auch um die Ignorierung eines deutlichen Mehrheitswillen geht, wo sich der ganze Frust über die Sachzwangpolitik, die Mauschelpolitik der Eliten, das Hintergehen des Publikums entlädt – sind wir nicht dabei?
Es geht auch um den symbolhaften Grosskonflikt um eine Zukunftsfrage auch für uns als Gewerkschaften. So modern S 21 in den Werbeprospekten daher kommt, es steht für ein gescheitertes Wachstumsmodell, das glaubt sich mit schierer Größe über gewachsene Sozialstrukturen und Stadtlandschaften, über die Geschichte einer Stadt, über die Ökologie und natürlichen Gegebenheiten hinwegsetzen zu können, ein Wachstumsmodell, das stark von einem männlichen Machbarkeits-Wahn geprägt ist.Viele Jahrzehnte waren die Gewerkschaften treue Gefolgsleute dieses Wachstums-fetischismus. Wachstum schafft Arbeitsplätze – egal welches Wachstum und welche Arbeitsplätze. So war der DGB an allen großen städtebaulichen Sünden der Nachkriegszeit beteiligt, von der Zerstörung von Kulturdenkmälern bis zur autogerechten Stadt Das sollte uns dahin bringen , dass sichere Arbeitsplätze und „gute Arbeit“ nur bei nachhaltigen Investitionen entstehen, die einen wirklichen gesellschaftlichen Nutzen bringen. Der Kampf um die gewerkschaftliche Position zu Stuttgart 21 ist daher m.E auch ein Ringen um die Zukunftsfähigkeit der Gewerkschaften.
mit Bertold Brecht: „Wer sich selbst versteht, wie soll der aufzuhalten sein“
 Die Finanzmärkte sind für ihr entfesseltes Treiben auf allen Bühnen dieser Welt berüchtigt → da braucht es weitere Detailarbeit. - 4 -


ff extr Veranstaltung Diskussion und Sauerborn ton