Aus Neutraler Sicht KW 28: Sabbernd schmatzen

ID 4574
 
Albert Jörimann ("unser Mann in der Schweiz")produziert jede Woche einen ca. zehnminütigen Kommentar zu aktuellen politischen Themen.
Audio
11:13 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.07.2003 / 11:49

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Genre: Anderes
Langue: deutsch
rubrique: Politik/Info
Series: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

Auteur: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Date de production: 11.07.2003
keine Linzenz
Skript
Ihr könnt Euch vorstellen, wie ich vor lauter Schmunzeln gesabbert habe ob dem prima Spektakel, das uns Herr Berlusconi letzte Woche bei seiner ersten Sitzung als EU-Präsident für ein halbes Jahr geboten hat. Nicht nur ironisch sei es gewesen, was er da dem Herrn Schmidt oder Schmitz zugerufen habe, sondern geradezu ein ironischer Witz. Ein ironischer Witz, meine Damen und Herren, werte Freundinnen und Freunde und vor allem geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, Silvio Berlusconi macht jetzt auch noch ironische Witze. Wo liegt hier der Unterschied, frage ich mich, zur reinen Ironie, zu der Berlusconi gegriffen hat, als er in Bulgarien die italienischen Fernsehkommentatoren beschuldigte, sie würden einen kriminellen Gebrauch vom TV machen? Das war eben ironisch, hat er ein Jahr später im Ernst gesagt, wie Ihr euch erinnert, und dass die beiden dann umgehend abgesetzt wurden, war bloss eine willkommene, ansonsten aber unerhoffte Pointe, denn Ironie hat bekanntlich noch nie jemandem geschadet, weder Berlusconi noch den beiden Fernsehkommentatoren, die jetzt ihren Job los sind. Hier aber nun ein ironischer Witz – was hat jetzt der Abgeordnete Schultz oder Schmidt zu erwarten? Den kann Berlusconi ja gar nicht absetzen! – Ach Gott. Aber der Schultz oder Schmidt oder Meier muss Berlusconi ja auch ganz gewaltig beleidigt haben, auf jeden Fall hatte der Kanzler, Euer Kanzler nämlich, Schröder mit Namen, falls ihr das vergessen haben solltet, Euer Kanzler Schröder hatte ganz und gar Unrecht, als er verkündete, Berlusconi habe sich telefonisch bei ihm entschuldigt und damit sei die Sache gegessen für ihn. Nein, Berlusconi sagt ja selber, er hätte sich nicht entschuldigt, er hätte nur gesagt, es würde ihm Leid tun, wenn etwa das Deutsche Volk als Ganzes seinen ironischen Witz nicht verstanden hätte, aber entschuldigt habe er sich keineswegs.

Ach Gott, jetzt haben wir wirklich Berlusconi vor uns, wie er leibt und lebt, kurz gesagt: einen psychopathischen Lügner und Mafioso – ihr wisst, dass alles, was ich hier an diesem Sender sage, unter dem Rubrum ironischer Witz gefunkt wird. Berlusconi ist ein S/M-Dominus, dessen Intimi sich allesamt genau gleich kleiden wie er, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen – ich hätte hier sehr gerne auch gesagt: von den blicklosen Augen, aber das wäre nun vollends l’art pour l’art gewesen, also lass ichs bleiben.

Wie auch immer: Auch Ihr habt jetzt eine volle Ladung Berlusconi vorgesetzt bekommen, und damit kann ichs jetzt ja bewenden lassen; die einzige Frage, die sich noch stellt in diesem Zusammenhang, ist die, weshalb die Italienerinnen und Italiener dieses Arschloch überhaupt gewählt haben – einmal abgesehen davon, dass es ziemlich lehrreich ist zu beobachten, wie er seine Partei Forza Italia aufgebaut hat und wie er den Wahlkampf geführt hat, die Kosten der italienischen Regierungsmehrheit belaufen sich so auf 50 Millionen Euro, das ist für einen fünfzehnfahcen Euro-Milliardär natürlich nicht so extrem viel, ich möchte daran erinnern, dass unser Herr Italienischschweizer Ernesto BErtarelli für seine Segelregatta gerade das Doppelte auf den Tisch legen musste und deswegen noch lange nicht Schweizer Diktator, aber auch nicht italienischer Regierungschef wurde. Also: Weshalb haben sie ihn gewählt, diese ItalienerInnen? Und, noch viel besser, weshalb wählen sie ihn in drei Jahren wieder? – Naja, ist ja klar, wegen der Opposition. Diese Opposition würde ich auch nicht wählen, da ist ja Schröder ein Mann von Prinzipien dagegen, also ich meine von Staatsprinzipien, nicht etwa von linken Prinzipien. Der bestochene und bestechliche, publicitygeile Nichtskönner Massimo D’Alema, der die ehemalige KPI auf ihrem Reformkurs zur sozialdemokratischen Partei so gründlich ruiniert hat, dass sie sich nie mehr davon erholen wird; Rutelli, der ehemalige Bürgermeister von Rom, der ohnehin noch nie ein Linker war, aber immerhin schwiegermuttertüchtig ist; Piero Fassino, der gegenwärtige Chef der DiEssini, also der Democratici di Sinistra, dessen Name fast unfassbar ist, weil er derart blass und bleich ist, dass man ihn schon gar nicht erst sieht und auch niemals hört; aber auch Fausto Bertinotti ist nur ein publicitysüchtiger Taktierer, der zu keiner programmatischen Idee fähig ist, womit auch die Kommunisten nur knapp die Schwelle der Wählbarkeit erreichen. Unter diesen Umständen, ich wiederhole mich, würde auch ich wahrscheinlich Berlusconi wählen, wenn ich überhaupt Italienerin wäre und nicht einen so tiefgreifenden Ekel hätte gegen ein solches Schleimgespenst, das all das verkörpert, was man dem Kapitalismus nicht vorwerfen kann. Mann – wer Italien einigermassen mag, der hat es schwer in diesen Zeiten.

Zur Psychohygiene gehört ja auch das Instrumentarium negativer Figuren und Instanzen, also eben Personen und Sachen und Verhältnisse, über die man sich aufregen kann, das ist manchmal ebenso vital wie die positiven, die Identifikationspersonen und –verhältnisse. Eigentlich mag ich Leute, die alles Scheisse finden, ebenso wenig wie Leute, die alles gut und wenn möglich noch schön finden, die schon in Entzücken ausbrechen, wenn nur das Wetter vor der Haustüre überhaupt stattfindet; das ist in meinen Augen auch eine Form der Selbstentleibung, der Entmenschung, denn das Menschliche am Mensch ist zweifellos nicht jene Eigenschaft, alles vorbehaltlos und vorsätzlich gut und schön zu finden. Und eben auch nicht das Gegenteil. Es mag ja ein Alter geben, die Pubertät und die Zeit kurz danach, in der man ganz selbstverständlich die Opposition einnimmt zu allem, was es gibt beziehungsweise zu allem, was Macht ist, das halte ich für ehrenwert; aber dann kommt dann doch auch die Zeit, in der man etwas weiter gehen und denken sollte. Sonst werden dann aus solchen Menschen so ne Typen, die im Zug in die Abteile kacken, weil der Zug ja ohnehin ein Herrschaftsinstrument ist, das ohnehin viel zu teuer ist und als Herrschaftsinstrument erst noch zu spät fährt.

Am Berlusconi am Verrücktesten ist, dass er ein Antimodell der Menschheitsentwicklung vertritt, das mich wirklich zur Weissglut treibt, nämlich eben jenes Modell, das auf Lüge basiert. ER sagt alles und alles zu und dementiert es im nächsten Augenblick wieder. Er entschuldigt sich bei Schröder und sagt, sobald er den Hörer eingehängt hat, er hätte sich nicht entschuldigt, weil er sicher ist, dass ihn niemand abgehört hat. Er lügt, er lügt, er lügt; und die Menschheit, so wie ich sie mir vorstelle, kann sich eben so nicht weiter entwickeln. Eine Weiterentwicklung der Beziehung der Menschen untereinander basiert ganz zentral darauf, dass auf ihre Äusserungen und Handlungen Verlass ist. Na gut, auf Berlusconi ist ja auch Verlass, aber eben nur negativ. Ich dagegen verlange solche Tugenden positiv, also tatsächlich und im Wortsinne.

Ich weiss dabei genau, dass es heute oft nicht mehr drauf ankommt, was man so sagt, Hauptsache ist, man hat überhaupt etwas gesagt und es hat gut getönt. In der Kulturtheorie heisst das dann Klang. Tatsächlich kann man heute über moderne Komposition nicht mehr anders sprechen als in solchen Kategorien: Der Klang. Was das genau sein sollte, ob da eventuell eine Melodie dazu gehört oder eben gerade nicht und wenn ja oder nein, weshalb, darüber ist die Unterhaltung ausgeschlossen; aber klingen muss es. Dem entspricht in der Alltagssprache das Geschwafel Raabscher Prägung, alöso ich spreche jetzt von Stefan Raab, welches in der Zwischenzeit für die überwiegende Mehrheit der TV-Hörerinnen und –hörer nicht mehr zu unterscheiden ist zum Beispiel von Harald Schmidt – oder heisst er überhaupt Schultz? Die Harald Schultz Show? –, der doch bedeutend intelligenter argumentiert, was sage ich: Der immerhin und überhaupt argumentiert und manchmal noch Ideen hat, welche nicht direkt aus dem pubertären oder präpubertären Scherzkasten entstammen. Die meisten FernsehkonsumentInnen sind nicht mehr in der Lage, die beiden auseinander zu halten.

Auch hier gebe ich jenen Recht, die Vorbehalte anbringen von der Art, dass sie sagen, dass die meisten Unterhaltungen, viele Konversation, aber auch einige politisch gemeinte Auseinandersetzungen und Argumentenketten, von der Politik selber überhaupt ganz zu schweigen, auch nicht viel anderes seien im Kern als eben reines Dampfgeschwafel, von dem es am Schluss wirklich nur darauf ankomme, wie es töne. Der Klang wäre damit als generelle Kategorie dieser Zeit tatsächlich begründet. Und als Rebellion gegen diese Scheinargumentationen, die ganz enorm viel damit zu tun haben, dass wir nicht in einer Demokratie, sondern im Schauspiel einer Demokratie leben, als Rebellion dagegen ist es dann durchaus plausibel, dass die nachstossenden Generationen überhaupt sämtliche syntaktischen Regeln über den Haufen werfen und Metasprachen wie Rülpsen, Furzen und Spucken zu neuen Ausdrucksformen küren und es darin weit bringen. Insofern möchte ich mich persönlich geirrt haben, als ich mich über die Formel «Du weißt, was ich meine», geärgert habe, weil die eben genau die unerlässliche Präzision der Formulierung verneinte. Vielleicht ist diese Präzision gar nicht unerlässlich; vielleicht ist sie in diesem Zeitalter der Hyperkommunikation wirklich eine Fiktion.

Durchaus möglich, dass die jungen RülpserInnen Recht haben, wenn sie nur schon den Versuch einer geordneten und halbwegs logischen Argumentation zum Vornherein als gescheitertes Projekt ansehen. Unter uns gesagt: Auch wenn ich mich ihrer gerne und dauernd bediene, würde ich diese Ebene der Kommunikation selber ohne mit der Wimper zu zucken preisgeben, wenn ich als Gegenleistung die Veränderung von was weiss ich was, zum Beispiel die Angleichung der Sozialversicherungssysteme innerhalb der Europäischen Union oder die Schaffung eines zeitgemässen Sinnsystems als Grundlage einer von der Arbeit befreiten und überhaupt insgesamt freien Gesellschaft erhalten täte. Für so was nähme ich einen ganzen Staat voller Berlusconis in Kauf. Aber eben, das ist dann leider auch wieder nicht im Angebot, so dass wir uns weiter im Rahmen unserer Möglichkeiten um Vernunft und Logik bemühen und um Einsicht und natürlich um ein gerütteltes Mass an witziger Ironie.

Hach! Es ist, wie wenn Didi Hallervörden nicht etwa Bundeskanzler, sondern Kabarettist wäre. Stellt Euch das mal vor, Kabarett mit Didi Hallervördern! Oder stellt es Euch lieber nicht vor, sonst muss man auch Euch sofort in die Notaufnahme ins Hospital bringen. Das wollen wir dann ja auch wieder nicht. Also passt auf Euch auf und kümmert Euch stattdessen um die bayrischen Kabarettisten. – A proposito Kabarett, da doch noch einen Hinweis: Falls ihr den sogenannten Kabarettisten Hirschhausen einmal sehen solltet, zappt bitte sofort weg, der schadet der Gesundheit, der ist nämlich angeblich studierter Arzt und bringt dementsprechend nur Rektal- und Fäkalwitze, das heisst, nicht aus der pubertären oder postpubertären Phase, sondern vollends aus der Militärwitzküche. Hirschhausen – Finger weg davon. Er stinkt.