Essen zu Müll - unser Umgang mit der Nahrung

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Über die Verschwendung von Lebensmitteln.
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.04.2012 / 16:13

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Undine Schmidt (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 22.03.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Essen im Müll

Wer kennt das nicht? Es ist schon spät, der Magen knurrt. Der Kühlschrank scheint nur noch Reste herzugeben: der übrig gebliebene Teller Suppe vom Dienstag, die Beilage von gestern. Man tappt zur Brottruhe: schon fast hart, spätestens morgen wirklich hart. Was nun? Sich die Mühe machen, das Brot zu toasten und die Suppe warm zu machen? Oder doch lieber eine Pizza bestellen?

Wir schmeißen so viel weg, wie wir essen. Die Hälfte der für den menschlichen Verzehr geernteten und produzierten Lebensmittel landet auf dem Müll. Wir, das sind die Bauern, die Abnehmer, die Verarbeiter, die Händler und die Verbraucher. Wie machen wir das bloß, dass trotz Welthunger nur die Hälfte der Nahrungsmittel in unseren Mägen landet?

Die Lebensmittelabfälle häufen sich über viele Stationen. So werden in der Landwirtschaft bis zu 40% der Erntemenge weggeworfen. So lässt der Bauer die Kartoffel mit der Delle auf dem Feld – ebenso die Kartoffel mit der asymmetrischen Form und sowieso alle, deren Durchmesser kleiner als 6 Zentimeter ist. Manch ein Bauer lässt so jede zweite Kartoffel zurück. Feine Spargel die sich in nährstoffreichem Boden an kleinen Steinen vorbeigeschoben haben, werden auf Grund ihrer Krümmung ebenfalls nicht abgenommen: denn die Güteklasse 2 ist ausgestorben. So will das die EU, sagt der Bauer. So will das der Verbraucher, sagt die EU.

Rund 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel werden im Jahr umsonst produziert. Das ist eine große, unvorstellbare Zahl. Man bedenke, dass man für eine Mahlzeit vielleicht 250 Gramm Kartoffeln verwenden würden. 1,3 Milliarden Tonnen werden also – so wie all die kleinen Kartoffeln – produziert, ohne dass sie jemand isst. Dazu kommt, dass ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet wird, die später auf dem Acker liegen bleiben oder auf dem Müll landen.

Dazu kommt eine unbestimmte Menge Abfälle in der Verarbeitung. Dort liefert der Mensch wie auch die Maschine vermeintliche Gründe zur Entsorgung. Viele Frischprodukte wie Gemüse, müssen laut Gesetz ununterbrochen gekühlt werden. Wenn also die Kühlung für eine Stunde ausfällt, landet das Produkt auf dem Müll. Auch sind bei langen Transportwegen und komplizierter Verarbeitungslogistik viele Menschen am Werk: ein Produkt ist im Schnitt durch 33 Hände gegangen, bevor wir es aus dem Supermarktregal nehmen. Und wieder gilt: die EU erlaubt nur Äpfel mit einer Druckstelle von weniger als einem Quadratzentimeter. Falls die Druckstelle eine andere Farbe hat, gibt es kein Pardon. So ist sichergestellt, dass nur knallig bunte Äpfel unsere Münder erreichen. Einige andere werden verwertet, sei es in Kuchen oder Saft. Und der Rest? Weg.

Die Hallen des Handels lassen sich zahlenmäßig besser erforschen. Die neuste und erste deutsche Studie über Lebensmitteläbfalle der Uni Stuttgart kam zu dem Ergebnis, dass der Groß- und Einzelhandel etwa je fünf Prozent der gesamten Lebenmittelabfälle ausmachte. Da die Großabnehmer die Ware oft nur kistenweise abnehmen, kommt dort massenhaft Essen auf den Müll. Wenn also zwei Tomaten in einer Kiste zermatscht sind, ist es wirtschaftlicher, die gesamte Kiste zu entsorgen, als die Schlechten gezielt zu entfernen. Wegen mangelhafter Kühlung landen allein 35 % aller leicht verderblichen Lebensmittel wie Obst und Gemüse in der Mülltonne. Das ergab eine 2011 Studie der Jacobs University in Bremen. Insgesamt liegen die Verluste bei Früchten, Gemüse, Wurzeln und Knollen sogar zwischen 40 und 55 Prozent. In Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen, liegen die Gründe für die hohen Verluste meist am Ende der Lieferkette. Die Ernährung- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO nennt unter anderem folgende Gründe: Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, eine Überproduktion durch feste Lieferverträge und Agrarsubventionen sowie genormte Qualitätsstandards.

Jedes Jahr wird in Deutschland genug Brot weggeworfen, um damit Niedersachsen das ganze Jahr über versorgen zu können. Die gleiche Rechnung lässt für die beiden größten Städte Österreichs aufstellen: die Brotreste Wiens könnten die Nachfrage in Graz abdecken. So wirft eine Durchschnittsbäckerei 10 bis 20 % ihrer Tagesproduktion weg - jedes fünfte Brot. Es ist wichtig sich zu bewusst zu werden, dass der Verbraucher dafür zahlt. Der Handel hat den Ausschuss längst eingespeist, das heißt, die Verluste der Überproduktion werden einkalkuliert in den Verkaufspreis.

In Deutschland wird Ware im Supermarkt zudem meist zwei Tage vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum aussortiert. Denn wer kauft schon einen Jogurt, der übermorgen vielleicht nicht mehr gut ist? Und das, obwohl einige für den täglichen Verbrauch kaufen. Die Stuttgarter Studie hat nun endlich - mal wieder - eine Debatte über das Mindesthaltbarkeitsdatum entfacht. Weil immer noch viele Verbraucher das Mindesthaltbarkeitsdatum mit einem Verfallsdatum verwechseln, hat die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner gemeinsam mit dem Handel in Berlin eine bundesweite Aufklärungsaktion gestartet.

Sowieso ist die Essensvernichtung seit ein paar Wochen zur Staatsdebatte geworden. Besagte Studie hat nämlich belegt, dass die Privathaushalte für den größten Anteil verantwortlich sind: 61 %. Weit mehr als die Hälfte davon hätten größtenteils noch verwendet - und ein noch größerer Teil wahrscheinlich vermieden werden können. Frau Aigner nennt die 81 Kilo "Ein Müllberg, den wir nicht verantworten können." Neben der Industrie und den Großverbrauchern wie Restaurants und Kantinen mit je 17 Prozent, machen die Privathaushalte damit den allergrößten Teil aus. 235 Euro wirft der Deutsche damit in die Tonne. Er zahlt also doppelt: ein Mal für die Überschussproduktion und ein Mal für seine eigene Verschwendung. Deswegen startet Frau Aigner eine Konsumaufklärung. Ein Plakat ironischerweise mit einem übernatürlich schönen Apfel mit adrettem Blättchen, soll die Verbraucher nun zum Reflektieren anregen: „Jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir weg. Du kannst das ändern.“ Doch wer sich mit der Tatsache auseinandersetzten möchte, dass 56% der möglichen Energieeinheiten verloren gehen, sei es als Nachernteverluste, bei der Tierfütterung, bei der Produktion, im Handel und beim Verbraucher - muss sich mit allen an einen Tisch setzen. Alle Prozesse vom Acker bis zum Magen müssen optimiert werden, damit das Essen endlich die Menschen und nicht den Müllhaufen nährt. Vielleicht sollte man auch die Autolobby einladen. Warum? Weil eine Halbierung des Lebensmittelmülls die Klimagase so reduzieren würde, wie wenn wir jedes zweite Auto stilllegen würden.