"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Arbeit und ähnliche -

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Es ist schon beinahe 20 Jahre her, dass Jeremy Rifkin das Ende der Arbeit ausrief. In der Tat: Vom gesamten Produktionsapparat aus den 1980-er Jahren ist bei uns nicht mehr viel übrig.
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11:18 min, 21 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.11.2012 / 10:45

Dateizugriffe: 370

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 13.11.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Einen Teil hat die Automatisierung gefressen, zum Teil sind Sektoren vollständig verschwunden, die Konsumgüter werden zu großen Teilen in China und Vietnam hergestellt, während neue Wirtschaftszweige, vor allem in der Internettechnologie, nach einem Boom anfangs der 2000-er Jahre auch schon wieder geschrumpft sind. Kurz: Die Welt der Produktion ist definitiv globalisiert und automatisiert, wie ich hier immer wieder sage. Insofern ist es ein Mysterium, dass unsere Arbeitslosenzahlen nicht bei 90% liegen, sondern bei 10%, sofern es sich nicht gerade um Länder mit Strukturproblemen handelt.

Wie kommt dieses Mysterium zustande oder vielmehr: Was hat es denn mit der Arbeit auf sich, dass die sich so hartnäckig weigert, von der Weltbühne abzutreten, wo sie doch recht eigentlich überflüssig geworden ist? – Man könnte auch fragen: Wie kommt es, dass in unseren Gesellschaften Weltuntergangsstimmung herrscht vor der Aussicht auf die Erfüllung eines uralten Menschheitstraums, wo nicht des Traums der Menschheit an und für sich: der Befreiung aller Individuen von auszehrender und sinnloser entfremdeter Arbeit – statt zu jubeln, zu feiern und sich zu betrinken, jammern die Menschen und schreien nach Arbeitsplätzen, nach Orten, an denen sie möglichst zünftig ausgebeutet werden dürfen? Und die lieben Unternehmer gehen her und stellen ihnen diese erst noch zur Verfügung? Zum Teil lassen sie sich dafür sogar noch bezahlen, notabene.

Eigenartig ist das schon, und während wir aus eigener Anschauung und Erfahrung wissen, dass das Spiel rund um die Arbeitsplätze eben das Spiel um die damit verbundenen Löhne ist, während die damit verbundenen Produkte zunehmend im Hintergrund einer abstrakten globalisierten Landschaft verschwinden, so schillert der Begriff der Arbeit weiter vor sich hin. Zum einen ist er ja so etwas wie eine naturwissenschaftliche Größe, nicht in der Physik, sondern in der Ökonomie. Zwei Dinge stehen unverrückbar fest: Damit ein Ding zum Ding wird, zum Kulturgegenstand nämlich, muss es bearbeitet werden, es bedarf des Eingriffs menschlicher Arbeit, und der Wert der so entstehenden Dinge misst sich an der darauf verwendeten Arbeitszeit, das ist eben der eiste thermodynamische Satz bürgerlicher und marxistischer Ideologie. Der zweite Satz lautet, dass die Arbeitskraft mehr produziert, als was sie selber zur Produktion und Reproduktion benötigt, und dieses Mehrprodukt hat heute die bekannten Ausmaße angenommen, welche die Arbeit als solche tendenziell überflüssig macht. Soviel, so klar und unbestritten, und ebenso unbestritten ist, dass der Wettkampf unter den Nationen um den Preis des Exportweltmeisters das Zeugs in sich hat, bald einmal einen Wirtschafts- und vielleicht dann auch noch einen richtigen Krieg zu entfachen, wenn sich die Damen und Herren in Deutschland, China und Amerika nicht ein bisschen zusammen nehmen.

Darüber hinaus aber ist Arbeit längst vom wirtschaftlichen zum sozialen Faktor geworden. Die Menschen in unseren Gesellschaften werden prominent über die Arbeit definiert, über den Status im Betrieb, über ihren Lohn, ihre soziale Stellung ist eng korreliert mit dem Arbeitsprozess. Grundsätzlich wird von den Menschen sogar verlangt, dass nicht nur die Gesellschaft sie über die Arbeit definiert, sondern sie selber. Und das gelingt mit verblüffenden Trefferquoten. Oft haben schon kleine Jungs und Mädels einen so genannten Berufswunsch. Wo nicht, wo sie also irgendeinen oder gar keinen Beruf lernen, wachsen sie in der Regel im Lauf ihrer Arbeitskarriere in eine solche Identität hinein. Aber auch sonst rauscht unabhängig von den jeweiligen Biografien im Hintergrund immer die gesellschaftliche Normalität mit 5 Mal pro Woche einem 8-Stunden-Arbeitstag, am Samstag Bundesliga, vier bis fünf Wochen Urlaub sowie 3 Tage Grippe pro Jahr. Die volle Arbeit, eben.

Dem gegenüber wachsen die Freiheiten, welche sich den Individuen mit der Vollautomatisierung theoretisch bieten würden, ins schier Unermessliche. Und da stellt sich eine ebenso gigantische Frage: Was sollen all die Menschen denn anfangen mit ihrer freien Zeit? Kann mir das bitte mal jemand sagen? – Häufig wird behauptet, dass dann die Kreativität ungehemmt ausbrechen würde. Da wäre ich zunächst skeptisch, vor allem, wenn man all die Ausstellungen betrachtet, welche jeweils um die Weihnachtszeit herum einen Überblick über das regionale und lokale Kunstschaffen bieten. Da kann man nur sagen: Schon heute sind viel zu viele Leute viel zu kreativ. Es geht auf keine Kuhhaut, was sich da an künstlerischem Ausdruck Bahn bricht. Nein, soviel steht fest: Die bildenden Künste stellen in keiner Art und Weise eine Alternative dar zur Arbeitsgesellschaft.

Was dann? – An und für sich braucht man die Frage hier nicht zu beantworten, mindestens nicht abschließend. Der Hinweis auf vermehrte Studien, auf bessere und anhaltende Aus- und Weiterbildung ist natürlich am Platz, verbunden mit dem Querverweis auf den Leitspruch des Scientology-Gründers Hubbard, dass nämlich die Menschen nur 10% ihres geistigen Potenzials nutzten. Ich gehe mal davon aus, dass das stimmt, vielleicht nicht auf den Prozent-Heller genau, aber immerhin. In die Richtung wird das wohl ungefähr gehen, und was genau daraus wird, das überlassen wir getrost den kommenden Super-Hirnis.

Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg – und auffallen dabei tut in erster Linie, dass im gesellschaftlichen Diskurs nie nirgends ein Wort darüber verloren wird. Aber das ist mit Sicherheit der übermächtigen Bedeutung des Arbeitsbegriffes geschuldet.

Unabhängig davon aber behauptet sich diese Instanz selbstverständlich nicht als pur lebensfeindliche Größe. Zum einen sind die existenziell schädlichen Elemente in den letzten Jahren immer stärker aus dem Arbeitsprozess verschwunden, sei es dank der Reduktion der Arbeitszeit oder dank der Automatisierung; aber auch all die, an und für sich verächtlichen und kosmetischen Bemühungen im Rahmen von Teamseminaren, Teamsitzungen und so weiter und so fort haben sicher dazu beigetragen, dass aus Lohnarbeitsverhältnissen immer mehr Beschäftigungen geworden sind, in welche man sich auch einbringen kann, und sei es nur in der Form von Migräne oder durch die Beteiligung am Mitarbeiterinnen-Gespräch. Die Anforderungen an die Individuen steigen im Durchschnitt, das heißt, es werden zunehmende Anteile des Hirns in den Arbeitsprozess mit einbezogen, es braucht nicht nur die Identifikation, sondern es braucht tatsächlich eine gedankliche Aktivität, und all dies geht in Richtung der so genannt intrinsischen Motivation, also in jene Richtung, bei der die Arbeit, obwohl sie an und für sich eine entfremdete und Lohnarbeit ist, trotzdem viele Facetten und Bedürfnisse der Mitarbeitenden befriedigt und stimuliert. Dieser Prozess hat tatsächlich stattgefunden, und zwar auch in jenen Tätigkeiten, die streng wirtschaftlich gesehen überflüssig sind. Zur Erinnerung: Es dürfte sich dabei um rund 60% aller wirtschaftlichen Aktivitäten handeln. Aber davon ein andermal.

Und noch eins kommt dazu. Kürzlich hat der Trainer von Manchester United, Sir Alex Ferguson, ganz stolz von seiner Kindheit in einem Arbeiterviertel in Schottland gesprochen mit dem Hinweis darauf, dass er dort so ne Dinge gelernt hätte wie Disziplin, Ordnung und Teamgeist. Und das sollte man auch nicht verachten. Der normale Mensch, also ein Individuum im Rohzustand, unbearbeitet und ungehobelt, ist tatsächlich mit solchen Eigenschaften nicht reichlich ausgestattet. Die werden ihm in verschiedenen Prozessen zuteil, zunächst natürlich bei der Erziehung, dann aber eben in solchen Sachen wie im Arbeitsprozess. Dass all das oft repressive Züge hat, will ich gar nicht bestreiten, aber umgekehrt kann ich auch nicht bestreiten, dass der ungehobelte Mensch, der so genannte Rüpel, weder Vorbild noch Zielvorstellung einer idealen Gesellschaft sein kann. Und hier ist ein Querverweis am Platz auf zwei alte Sprüche, erstens «Macht kaputt, was euch kaputt macht», der Aufruf zur Sabotage eines Systems aus entfremdeter und ausbeutender Arbeit, und zweitens der alte Satz von Adorno, «Es gibt kein richtiges Leben im falschen», der in etwa das gleiche meint, dass also vom Kapitalismus in keinem Fall irgend ein Heil zu erhoffen sei. Beide Anmerkungen sind nicht an und für sich falsch, aber sie reichen nicht aus, im ersten Fall dadurch nicht, dass das Zertrümmern von was auch immer durchaus lustig sein mag und durchaus auch seine historische Zeit hat, aber nicht als Dauerzustand; über das Zertrümmern hinaus beziehungsweise nach der Phase des Zertrümmerns müssen auch weiter reichende Perspektiven angeboten werden. Und im Fall des Adorno-Zitates gilt nach wie vor, dass man persönlich einfach keine andere Option hat, als sein persönliches Leben zu leben, ungeachtet des gesellschaftlichen Systems, in das man hinein geboren wurde und das sich übrigens sogar manchmal mitten drin ändern kann, wie die BewohnerInnen der ehemaligen DDR am eigenen Leib erfahren haben, aber wenn man es sich etwas genauer anschaut, eben auch alle anderen BewohnerInnen der westlichen Postindustrienationen.

Tatsächlich ist es nicht in jedem Fall ein antikapitalistischer Protest, wenn man eine Arbeit lausig ausführt oder einer anderen Person einfach nicht zuhört, egal, ob es sich gerade um einen Vorgesetzten handelt oder nur um einen Kunden am Postschalter. Zum Zivilisationsprozess gehört nun mal dazu, dass sich so genannt anständige Verhaltensformen einbürgern. Ohne sie ist nur schon im wirtschaftlichen Sinne eine globalisierte Arbeitsteilung völlig unmöglich; aber sie entspricht so oder so einem quasi moralischen Gebot, und diese Moral wird in der Praxis zuvörderst an den Arbeitsstätten gelebt. Sodass sich auch hier die Frage stellt für die postindustrielle Gesellschaft: Was soll denn an die Stelle der Arbeit bzw. der Arbeitsplätze treten, wenn wir demnächst mal beginnen, Ernst zu machen mit all den Freiheiten, die uns zunehmend offen stehen?

Schöpferisch tätig sein – in Ordnung, aber erstens mit Maß, zweitens dann doch unter Einhaltung strikter Qualitätskriterien und so weiter. Bildung und Weiterbildung dagegen muss einen viel größeren Stellenwert erhalten, nicht zuletzt deshalb, weil uns sonst die Umwelt nur schon im technischen Bereich über den Kopf wächst. Die Verbesserung des allgemeinen Bildungsniveaus um den Faktor, sagen wir mal fünf ist daneben auch eine wesentliche demokratische Forderung, denn Demokratie mit Dummköpfen, das geht schon gar nicht.

Und dann, welche gesellschaftliche Organisation fassen wir ins Auge? Im Moment ist ja die Ausrottung der Armut in unseren Gesellschaften fast schon vollzogen, es fehlt eigentlich nur noch die Formalisierung, zum Beispiel, Ihr verzeiht, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, aber weit ist es eigentlich nicht bis dahin. Aber sonst? Wie richten wir in den nächsten Etappen das Unten und das Oben ein? Wie viel oben braucht es überhaupt noch und wie viel unten?

Immer wieder höchst spannende Fragen.

Kommentare
13.11.2012 / 16:52 Jürgen, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet in Sonar am 13.11.2012
Danke!
 
19.11.2012 / 20:02 coloradio, coloRadio, Dresden
gesendet im montagsmagazin
danke