Internationales Seminar »Recht auf Kommunikation, Demokratie und technologische Konvergenz« in Brasilien

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Ende November traf sich der Weltverband der Community Radios AMARC zu zu einem internationalen Seminar in Brasilien. An die 100 Teilnehmer_innen diskutierten unter dem Titel »Recht auf Kommunikation, Demokratie und technologische Konvergenz« die aktuelle Lage nicht-kommerzieller Radioprojekte in aller Welt. Doch so global die Veranstaltung auch angelegt war - am Ende kreisten die Debatten meist um die Realität der brasilianischen Community Radios. Und das aus gutem Grund...
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09:58 min, 14 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.12.2012 / 22:58

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, in anderen Sprachen, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Nils Brock
Radio: npla, Berlin im www
Produktionsdatum: 01.12.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Landeanflug auf Brasilia. Wie immer Gedränge an den Fenstern. Alle versuchen den berühmten Grundriss der Stadt zu erkennen, eine Flugzeugsilhouette. I-Phones klicken, um einen Schnappschuss der Moderne zu erhaschen.

Später, im Taxi verfängt sich der Blick der Gäste dann an der kryptischen Nummerologie endloser Straßen, an vorbei brausenden Mangobäumen und Plattenbauten. Und kaum auf der Monumentalachse der Ministerien angekommen, geht es auch schon herunter in die Korridore des Bundeskongress...

Auf diesen Gängen kreuzen sich irgendwann alle Themen, die es in Brasilien in die öffentliche Wahrnehmung schaffen. Entscheidungen werden getroffen oder kunstvoll auf unbestimmte Zeit vertagt. Einer dieser unzähligen Gänge führt zum Auditorium Nummer Neun. Hier treffen sich heute Senatoren, Ministerialbeamte, Journalisten und vor allem RadiomacherInnen und Repräsentanten von RadiomacherInnen um über nur eins zu reden. Radio.

Nur über Radio ist nicht ganz richtig. Nur über Community Radio muss es heißen. Geladen hat die brasilianische Sektion des Weltverbands der Community Radios AMARC und gekommen sind VertreterInnen und Fürsprecher einer partizipativen Radiopraxis aus Afrika, Europa und den Amerikas. Brasilia ist nicht nur Bühne, sondern auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Dinge nicht laufen sollten. Gemeinsam mit Chile hat das Land eine der restriktivsten Mediengesetzgebungen Lateinamerikas. Und trotz der gewaltigen Präsenz von mehr als 4000 legalisierten und drei mal so vielen Sendern ohne Genehmigung, können die meisten Stationen nur mit Mühe ihre Existenz bestreiten. Hier in Brasilia, dem Zentrum der politischen Macht, die Stimme zu erheben, sei deshal besonders wichtig, sagt María Pía Matta, Vorsitzende von AMARC.

»Brasilien ist ein Land, dass nicht nur in der Region sondern weltweit sehr einflussreich ist. Alles was hier im Bereich der Meinungsfreiheit und Mediengesetzgebung entschieden wird, wirkt über seine Grenzen hinaus. Auch wenn wir in Lateinamerika mit Uruguay und Argentinien zwei Länder haben, die exzellente Gesetze für Community Medien geschaffen haben, muss Brasilien jetzt einfach auch ein paar Schritte tun. Gleiche Rechte für alle schaffen, pro aktive Politiken. Denn Community Radios sind eben nicht nur ein Problem der Armen und Diskriminierten, sondern ein Indikator für demokratische Verhältnisse.«

Auch das brasilianische Kommunikationsministerium erkennt die demokratische Stärke der Community Radios an - theoretisch. Denn in der Praxis hat sich bis heute nichts an jener restriktiven Politik geändert, die in jedem Stadtteil nur ein Community Radio zulässt, selbst wenn im Äther Platz für mehr wäre. Auch Octavio Pieranti vom Kommunikationsministerium kennt diese Kritik. Der junge Mann ist kein unbekannter Technokrat, sondern ein oft gesehener Redner auf Radiotreffen. Und häufig ist er dann gezwungen, den Argumenten der RadiomacherInnen einfach mal Recht zu geben. Octavio Pieranti:

»Das Gesetz sieht bisher nur ein Community Radio pro geographischer Gemeinde vor. Ich denke, dass ist viel zu wenig, macht keinen Sinn und muss geändert werden. Ich halte nichts von festen Quoten für Community Radios, sogenannten Spektrumsreserven. Frequenzen sind knapp, aber in vielen Teilen des Landes gibt es ungenutzte Kanäle. Um diese nutzen zu können, müssen wir jedoch zuerst einmal das Gesetz ändern.«

Das Gesetz ändern also. In Brasilien leitete bereits vor zwei Jahren ein Präsidialdekret die Neuordnung des Mediengesetzes ein. Doch Community Radios bleibt im Vergleich zu anderen Rundfunkformaten nach wie vor eine gleichberechtigte Anerkennung versagt. Und auch der regierenden Arbeiterpartei scheint der politische Wille zu fehlen, daran grundlegend etwas zu ändern. Camila Marques von der Menschenrechtsorganisation Article19 überrascht das wenig. Sie sieht in der aktuellen Medienpolitik der brasilianischen Regierung den Fortbestand einer legalistischen Rechtskultur. Legitim ist nur was legal ist. Doch Gesetze können auch gegen den Willen der Regierung geändert werden, wenn die Bevölkerung nur den nötigen Druck aufbauen würde, meint Marques:

»Ich denke das Recht auf Kommunikation als Menschenrecht erfährt nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Das hat jedoch auch damit zu tun, dass sich viele diesem Recht überhaupt nicht bewusst sind. Dabei sind doch gerade das Recht auf Kommunikation und auf Meinungsfreiheit Garantien, die andere Menschenrechte erst möglich machen und proportionieren, das Recht auf Gesund oder das Recht auf Bildung, beispielsweise. Ich denke, dafür mit der organisierten Zivilbevölkerung zu kämpfen ist ein Schlüssel. Wir müssen gemeinsam mit den Community RadiomacherInnen das Recht auf Kommunikation in all seinen Formen und Formulierungen verteidigen.«


Das Recht auf Kommunikation zu verteidigen, heißt auch, sich mit dessen materieller und technolgischer Basis auseinanderzusetzen. Besonders in Ländern mit einem breiten Zugang zum Internet und mobilien Kommunikationsdiensten werden soganannte Medienexperten nicht müde, das Ende vom Radio auszurufen. Im globalisierten Süden dagegen sei das ganz anders, sagt Franklin Huizies von AMARC Afrika

»In Afrika wächst Radio als Medium weiterhin. Auch die technologischen Möglichkeiten Radio zu hören vervielfältigen sich. Auf dem Handy zum Beispiel. Da findet eine Konvergenz statt. Neue Plattformen entstehen. Zum Beispiel in ländlichen Regionen wird Radio heute vieler orts verstärkt eingesetzt, um Bauern über die Folgen der globalen Erwärmung aufzuklären. Community Radios sind an solchen Initiativen stark beteiligt. Ihre Bedeutung für die ländlichen Gemeinden ist in den letzten Jahren gestiegen. Auf der anderen Seite sehe ich jedoch auch, wie schwer es Community Radios in stärker entwickelten Regionen fällt, eine eigene mediale Identität zu entwickeln. Sie sind stets von der Versuchung sich zu kommerzialisieren bedroht. Mit AMARC Africa versuchen wir deshalb regionale und landesweite Netzwerke zu organisieren, um sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.«

Eine ebenfalls angeregte Debatte fand über die digitale Zukunft des Radios statt. Die brasilianische Regierung will noch bis Ende des Jahres einen entsprechenden Standard auswählen. Arthur William, von AMARC Brasilien fordert die Community Radios deshalb auf, diese scheinbar rein technologische Frage ernst zu nehmen:

»Denn je nachdem, welche technologischen Veränderungen eingeführt werden, könnte das die Situation der Community Radios verbessern oder verschlechtern. Geht es nach den großen kommerziellen Anbietern, dann wird sich die Zahl der Kanäle nicht erhöhen und statt neuen Interaktionsmöglichkeiten wird allein die Audioqualität verbessert werden. Und das wäre bei dem ganzen Aufwand einfach zu wenig. Und unter solchen negativen Bedingungen, würden viele Community Radios wohl einfach ins Internet wechseln, was eine offenere Plattform darstellt.«

Aber noch schreiben die Radiomachenden den Äther nicht ab. Geht es nach AMARC und Co. müssen Community Radios auch weiterhin ohne Internet-Flatrate auf terrestrischen Frequenzen empfangbar sein. Ob analog, ob digital - entscheiden sollten letztendlich die Radios und ihre HörerInnen. Und damit es nicht beim Konjunktiv bleibt, organisieren Brasiliens Community Radios seit Ende November eine große Online-Petition, die einen demokratischen Digitalradiostandard einfordert.

Und im Rest der Welt? Für alle Nicht-BrasilianerInnen setzte das Seminar mit der "Deklaration von Brasilia" ein Zeichen. Der Text soll die die Grundlage einer Initiative bilden, um Community Medien weltweit zu Anerkennung zu verhelfen. AMARC hat es darin als erklärtes Ziel formuliert, Radio als öffentliches Gut auf allen Kommunikations-plattformen zu verteidigen.

Noch mal Applaus, ein Cocktail und dann gings für die meisten Teilnehmenden bereits zurück zum Flughafen. Mit im Gepäck, einen Haufen Visitenkarten, viele Ideen, große Lust auf Radiomachen und natürlich den Schnappschuss von einem Flugzeug namens Brasilia.