"Die französische Kunst des Krieges" - ein Roman von Alexis Jenni

ID 53277
 
AnhörenDownload
Seit letzter Woche befindet sich Frankreich in einem militärischen Kampfeinsatz in Mali. Dass Frankreich diese Mission so energisch durchsetzte, überraschte viele. Um über Frankreichs Umgang mit Krieg und Kolonialismus nachzudenken, bietet sich ein Roman an, der vor zwei Jahren in Frankreich erschien und seit kurzem auch auf deutsch vorliegt. „Die französische Kunst des Krieges“ heißt das Buch und ist das 760 Seiten starke Debüt von Alexis Jenni. Prompt bekam der 48-jährige Biologielehrer aus Lyon dafür den wichtigsten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt. Radio Z-Redakteur Tobias Lindemann hat das Buch gelesen und nicht nur viel über Frankreichs Kriegslust gelernt, sondern auch Dinge erfahren, die sich auf Deutschland übertragen lassen.
Audio
12:06 min, 22 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.01.2013 / 16:48

Dateizugriffe: 320

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur
Entstehung

AutorInnen: Tobias Lindemann
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 21.01.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Die französische Kunst des Krieges“ von Alexis Jenni ist im Verlag Luchterhand erschienen. Das gebundene Buch mit 764 Seiten kostet 24,99 Euro.

Skript:

Die Handlung von Alexis Jennis Roman setzt im Januar 1991 ein. Während sich Frankreich als Teil der westlichen Koalition am ersten Golfkrieg beteiligt, zieht sich der namenlose Ich-Erzähler von seiner Arbeit zurück und verbringt in der verschneiten französischen Provinz einige Wochen mit süßem Nichtstun. Er hat eine Affäre mit einer jungen Frau, doch weit mehr als das frische Liebesglück beschäftigen ihn die Kriegsbilder auf dem Fernsehbildschirm. Live, direkt aus den Kampfhandlungen werden diese Aufnahmen gesendet und werfen die Frage auf, was real ist - und was nur Mythos ist, weil es zensiert, manipuliert oder inszeniert wurde. Und so schnell wie dieser Krieg begann, endet er auch wieder. Die Sieger aber stehen nicht als Helden da.

(S. 23)
Die sandfarbenen Panzer der Koalition machten mitten in der Wüste halt, stellten die Motoren ab, und es herrschte Stille. Der Himmel war schwarz und der fettige Ruß der brennenden Ölquellen rieselte nieder, überall schwebte der ekelhafte Geruch von verbranntem Gummi vermischt mit dem von verbranntem Menschenfleisch.
Der Golfkrieg hat nicht stattgefunden, wurde geschrieben, um anzudeuten, wie wenig er in unseren Köpfen präsent war. Für all die, die in diesem Krieg gestorben sind und deren Namen und Anzahl man nie erfahren wird, wäre es besser gewesen, wenn er tatsächlich nicht stattgefunden hätte. Im Verlauf dieses Krieges wurden die Iraker gleichsam mit einem Schlag mit dem Pantoffel zerschmettert wie störende Ameisen, die einem beim Mittagsschlaf in den Rücken stechen.

Jahre später, Ender der 90er, trifft der Erzähler auf dem Flohmarkt einen Hobbymaler, dessen Bilder ihn in seinen Bann ziehen. Es sind abstrakte Tuschezeichnungen, die Szenen aus dem Krieg darstellen. Kriegsbilder auch hier, aber anders als im Fernsehen sind diese Zeichnungen Jahrzehnte alt. Der Erzähler kommt mit dem Maler ins Gespräch. Sein Name ist Victorien Salagnon, er ist ehemaliger Offizier der französischen Armee. Die beiden schließen einen Pakt: Salagnon bringt dem jungen Mann das Zeichnen mit Tusche bei, dieser schreibt im Gegenzug die Erinnerungen Salagnons nieder. (Der Epilog endet hier, der eigentliche Roman beginnt.)

In drei Kriegen hat Victorien Salagnon als Soldat gekämpft. Seine Karriere beginnt im zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzung. Er beteiligt sich als Jugendlicher an Widerstandsaktionen und wird schließlich Teil der Résistance. Er erlernt den Umgang mit Waffen, erlebt die Invasion der alliierten Truppen und die Zurückschlagung der deutschen Front. Als der Krieg zu Ende ist, hat Salagnon den Eindruck, genau das richtige getan zu haben. Da er mit seinem Leben nichts weiter anzufangen weiß, lässt er sich von der französischen Armee 1946 für den Indochina-Krieg anwerben. Er erlebt den Einsatz dort als riesiges Chaos, als ein sinnloses Morden, dem jegliche Berechtigung abhanden gekommen ist. Statt der „guten Sache“ steht plötzlich nur noch das Überleben im Mittelpunkt alles Tuns. Gebrochen und von der Gesellschaft geächtet kehrt Salagnon nach Frankreich zurück. Trotz seiner Zweifel am Militär lässt er sich wenig später nach Algerien einschiffen, wo die französische Armee die arabischen Aufstände niederzuschlagen versucht. Denn geht es bei der Bekämpfung der terroristischen Umtriebe nicht um die gute Sache der „Grande Nation“? Salagnon befehligt Razzien und Kampfeinsätze, er foltert und tötet. Am Schluß, als die Stadt Algier kurz vor dem Abzug der Franzosen in Chaos und Gewalt zu versinken scheint, verlässt Salagnon diesen Kriegsschauplatz. Resigniert und geläutert zieht er sich zurück und widmet sich der Zeichenkunst.

Alexis Jenni erzählt diese Vita des Victorien Salagnon in einem epischen Stil, der an Abenteuerromane denken lässt. Doch nichts ist hier heroisch oder erbaulich. Tod und Gewalt bestimmen die Atmosphäre, selbst die Erlebnisse in der Résistance entbehren nicht einer gewissen Bitterkeit. Die zahlreichen genau recherchierten Details und glaubhaften Figuren erzeugen dichte Erzählmomente. Es sind ambivalente Gefühle, die man für Salagnon aufbringt, für den zwischen seinem militaristischen Onkel, seinem nationalistischen Kumpel Mariani und seinem algerischen Schwiegervater zerrissenen Soldaten, der vom aufrechten Widerstandskämpfer zum gleichgültigen Mörder mutiert. Doch das ist nur die eine Seite des Schriftstellers Alexis Jenni. Den historischen Abschnitten des Romans, mit ihren Kriegserlebnissen und tagebuchartigen Beschreibungen stellt der Autor Kapitel gegenüber, die aus der Gegenwart Frankreichs erzählen. Wir erleben ein Land, in dem Rassismus, Gewalt und gesellschaftliche Konflikte an der Tagesordnung sind. Die Kulturnation ist nur noch ein Abglanz ihrer selbst, hinter der repräsentativen Fassade wuchern Aggressionen und Vorurteile. Alexis Jenni schickt seinen namenlosen Ich-Erzähler als Beobachter und Kommentator los, und der findet in diesem Land, dass sich gerne so friedlich und aufgeklärt gibt, zahllose Spuren der Kriege aus der Vergangenheit. Der Kolonialismus hat sich tief in Frankreichs Umgang mit allem Fremden und Andersartigen eingebrannt. Migrantinnen und Migranten werden immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt, rassistische Kontrollen sind an der Tagesordnung. So auch im Hauptbahnhof von Lyon, wo der Ich-Erzähler mit einem Menschenrechtsaktivisten ins Gespräch kommt, der die Polizeikontrollen in der Bahnhofshalle beobachtet und protokolliert.

(S. 590)
„Was zählen Sie?“
„Die Kontrollen. Um herauszufinden, wen sie kontrollieren.“
„Und?“
„Sie kontrollieren nicht jeden. Der entscheidende Faktor ist die ethnische Zugehörigkeit.“
„Und wie können Sie das beurteilen?“
„Mit dem Auge, genau wie sie.“
„Das ist nicht sonderlich exakt.“
„Aber real. Die ethnische Zugehörigkeit ist undefinierbar, hat aber konkrete Auswirkungen: sie lässt sich nicht definieren, löst aber Handlungen aus, die ihrerseits messbar sind. Die Araber werden achtmal so oft und die Schwarzen viermal so oft kontrolliert wie die anderen. Ohne dass im Übrigen jemand festgenommen wird. Es handelt sich nur um Kontrollen.“

In Momenten wie diesen wird klar, wie wenig das Land aus seiner kolonialen Vergangenheit gelernt hat. Immer noch gelten Repression und Ausgrenzung als Mittel erster Wahl. Medien und rechte Parteien machen mit diesen Ressentiments ihr Geschäft. So auch Victorien Salagnons Freund Mariani, dem der ehemalige Soldat wegen lebensrettender kameradschaftlicher Hilfe in Indochina zu lebenslangem Dank verpflichtet zu sein scheint. Mariani ist in der Partei SIFF aktiv, im Roman eine fiktive Gruppierung, hinter der sich aber leicht die rechtsgerichtete Front National erkennen lässt. Mariani verbarrikadiert sich in seiner Vorortswohnung zusammen mit Gleichgesinnten und sieht Waffengewalt als einziges Mittel gegen die seiner Meinung nach kriminellen und minderwertigen Migrantinnen und Migranten. Die Begegnung mit Mariani und seinen rechtsradikalen Mitstreitern lässt den Ich-Erzähler über Frankreichs Umgang mit seinen Einwanderern reflektieren und damit klare Worte zur Ära Sarkozy finden.

(S. 552)
Die Rasse ist ein Furz der Gesellschaft, die stumme Äußerung einer Verdauungsstörung der Gesellschaft; die Rasse dient dazu, das Publikum billig abzuspeisen, damit sich die Leute mit ihrer Identität beschäftigen, jener undefinierbaren Sache, die zu definieren man sich bemüht; das gelingt zwar nicht, aber das beschäftigt wenigstens. Das Ziel der SIFF besteht nicht darin, die Bürger nach ihrer Hautfarbe zu sortieren, das Ziel der SIFF ist die Illegalität. Ihre Anhänger träumen von dummer, ungebremster Gewaltanwendung, damit die würdigsten unter ihnen endlich ohne Fesseln agieren können. Und während das Publikum dem kleinen Rassenkasper Applaus spendet, werden dahinter, darunter, im Dunkel der Kulissen, die echten Probleme abgehandelt, die immer sozialer Art sind.

Diese analytischen, essayistischen Passagen werden ergänzt durch schon fast im Stream Of Consciousness erzählte Abschnitte, die eine unterschwellig in der Gesellschaft lauernde Gewalt und Paranoia sinnlich spürbar machen. Ein Apothekenbesuch unter Einfluß einer fiebrigen Erkältung wird so zum Trip, bei dem Aggression und Bedrohung kurz vor der Eruption zu stehen scheinen. In einem anderen Kapitel steigert sich der Ich-Erzähler in seiner Küche in einen Rausch hinein und kocht den abendlichen Gästen nicht das erwartete eleganten Menü, sondern eine abscheuliche blutige Mahlzeit aus Tierresten. Auch der Umgang mit Tieren wird für Alexis Jenni zur Parabel für Gewalt und Brutalität in der Gesellschaft. Doch wie lässt sich die Gesellschaft verändern, wie die von Generation zu Generation vererbten Kriegslüste tilgen? Alexis Jenni ist skeptisch, selbst dem Roman spricht er eine Mitschuld zu. Allein durch die Abbildung von Krieg und Gewalt wird die Wahrheit verfälscht, die Realität entstellt. So reflektiert Jennis Ich-Erzähler etwa über Cäsars Roman „Der gallische Krieg“, immerhin eine der Keimzellen der europäischen Literatur:


(S. 66)
Cäsar verbreitete Lügen, so wie viele Historiker es tun, deren Wahl auf die ihnen am besten erscheinende Realität fällt. Und daher begründen der Roman und der lügende Held die Realität viel besser als Taten, eine große Lüge bietet die Basis für Taten, das versteckte Fundament und zugleich das schützende Dach für Handlungen. Taten und Worte zerlegen gemeinsam die Welt und verleihen ihr ihre Form. Der militärische Held ist es sich schuldig, ein Romancier, ein großer Lügner und ein Erfinder von Worten zu sein.

„Die französische Kunst des Krieges“ ist ein von Kritik und Skepsis durchzogener Roman, der sich über weite Strecken wie ein Essayband liest, ohne dadurch an Spannung zu verlieren. Diese Verbindung aus klassischer Erzählkunst und philosophischer Reflektion lässt dabei Raum für unzählige Zwischentöne und erreicht gerade deswegen eine beachtliche inhaltliche Tiefe. Der Schriftsteller Jenni sieht sich dabei spürbar der Aufklärung verpflichtet, und glücklicherweise nicht dem auch noch so gut gemeinten Patriotismus. Es geht ihm eben nicht darum, dass „sein“ Frankreich mal wieder auf den Teppich kommt und sich dem Umgang mit seiner Vergangenheit stellt, sondern um eine universelle Botschaft: Krieg und Gewalt sind menschenfeindlich, egal, ob sie real ausgeübt werden oder das soziale Miteinander durch Bedrohungsszenarien und Kontrolle bestimmen. Deshalb lohnen sich die 760 Seiten Lektüre auch für Leserinnen und Leser außerhalb Frankreichs sehr, zumal das Leben in Deutschland zwischen Verbotswahn und Bundeswehreinsatz im Inneren genügend Anknüpfungspunkte bietet. So sind die Gedanken des Ich-Erzählers bei der Berichterstattung über eine paramilitärische Razzia inklusive Panzerfahrzeugen und Maschinengewehren in einem Banlieu von Lyon auch für uns Deutsche mehr als nachvollziehbar.

(S. 304)
Die in fernen Ländern geführten Kriege haben wir so geführt, und wir haben sie aufgrund der Praxis der gepanzerten Kolonnen verloren. Durch die Panzerung fühlen wir uns geschützt. Wir haben alle brutal behandelt, wir haben viele getötet, und wir haben die Kriege verloren. Wir. Alle.
Die Polizisten sind jung, sehr jung. Man schickt junge Leute in gepanzerten Kolonnen los, um Sperrgebiete wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie richten großen Schaden an und ziehen sich wieder zurück. Wie damals. Die Kunst des Krieges ändert sich nicht.


Kommentare
22.01.2013 / 13:47 detlef,
gesendet bei osmose am 24 01 2013
danke
 
22.01.2013 / 16:55 Giulia-Sonar-Bermuda.funk, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
danke!
gesendet am 22.01.2013