"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Erbauung -

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Ein wenig diskutiertes Grundbedürfnis der Menschen ist jenes nach Erbauung, jawohl, genau diese spätmittelalterliche oder frühmoderne Erfindung, bei welcher Seele oder Geist oder die Psyche ausgebildet und gestärkt werden oder was auch immer die Substanz dieses inneren Kleisters ist, welcher den Menschen zusammen hält.
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10:21 min, 14 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 22.01.2013 / 09:57

Dateizugriffe: 332

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.01.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Erbauung bedeutet zunächst die Errichtung eines Moralgebäudes, woher die Bezeichnung auch stammt, und dann und vor allem aber die immerwährende und lustvolle Ausschmückung und Bestätigung dieser Werte, die sich frühmodern in die Worte kleiden lassen: Gott ist groß, die Welt ist schön. Heute würde man von Pflege und Unterhalt des Weltbildes sprechen. Ein Mensch, der nicht regelmäßig in den Genuss einer Bestätigung seines Weltbildes kommt, ist kein richtiger Mensch. Zur Befriedigung dieses Bedürfnisses unterhält die Gesellschaft im Lauf der Zeit unterschiedliche Bedienstete, zunächst sind es mal die Prälaten, später verlagert sich die Funktion in die weltlichen Sphären, und heute erfüllt das Fernsehen wesentliche Teile der Aufgabe, namentlich mit Dingen wie der Börsenberichterstattung oder aber mit jenen Menschen, die verantwortlich sind für wohltuend gruslige Nachrichten aus dem arabischen Raum. Ich habe an dieser Stelle schon oft den alten Fechtmeister Peter Schrott-Latour erwähnt, der seine Erbauungsklinge über Jahre hinweg mit dem Schwert des Islam gekreuzt hat und dabei im hohen Alter und im Jahr 2001 nochmals einen unverhofften tollen Entwicklungsschub erhalten hat mit den Attentaten auf die New Yorker Zwillingstürme, obwohl die Wiederbelebung der Barbarei nicht wirklich religiösen Charakter hat und hatte, auch wenn das diese Neandertaler immer wieder behaupten. Aber gewirkt hat es schon. Heute quellen seine Nachfolger aus allen Fernsehkanälen, und die jüngste Intervention der französischen Fremdenlegion im Mali bot wieder mal Anlass für eine Meinungseinfalt, die von der Gefahr einer nichtdiplomatischen Lösung bis hin zur mangelnden Absicherung innerhalb der EU und gegenüber den Vereinigten Staaten alles abdeckte. Dabei ist zu dieser Militäraktion nur zu gratulieren, wobei ich mir selber allenfalls noch den Vorwurf machen kann, recht spät gemerkt zu haben, dass sich da im Norden von Mali tatsächlich ein weiteres Tummelfeld bewaffneter Steinzeitidioten eröffnete und nicht einfach eine ethnische Eigenart der schon von Leni Riefenstahl geschätzten Tuareg. Oder war das ein anderer Stamm? – Egal, jedenfalls versuchen die Al-Kaida-Trottel dort offensichtlich unter den Fittichen der Tuareg und mit Waffenbeständen von Moammar Gaddhaffi, ein zweites Jemen einzurichten, und wenn der Franzose hier dagegen hält, ist das nicht nur in Ordnung, sondern schlicht eine weise Voraussicht, denn die Stoßrichtung der Al Kaida geht bekanntlich nicht in erster Linie nach Afrika, sondern nach Europa, sobald man sich mal etabliert hat. Also gehe ich mal davon aus, dass unser Nachbar François Hollande mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dieses Nest ausräuchern wird, und zu den disponiblen Mitteln zähle ich nicht zuletzt die algerische Armee, welche meiner Ansicht nach einige strategische Stützpunkte an der malischen Grenze zu Libyen einrichten sollte. Gutes Gelingen wünsche ich, und ich bin ziemlich sicher, dass all jene Verbündeten, die sich gegenwärtig bedeckt halten oder etwas distanziert geben, im Kern genau das von Frankreich und Algerien erwarten. Diplomatie ist mit Sicherheit kein Instrument im Umgang mit Al Kaida, soviel hat man unterdessen gelernt.

In der Zwischenzeit bleibt es ganz zentral, dass sich der Durchschnittsmensch weiterhin islamisch-islamistisch gruseln kann. In Tunesien werden den Frauen wieder die Unterhosen über die Köpfe gestülpt, in Ägypten versuchen die Muslimbrüder, die Demokratie durch einen Gottesstaat zu ersetzen, und in Syrien gar, da liegt die Lage ja noch komplizierter, da begehen die Regierungstruppen ununterbrochen Vergehen gegen die Menschlichkeit, ohne dass der Staatschef direkt ein Moslembruder wäre, aber vermutlich wird er es noch werden, während die Rebellen sich nur mit Wattebäuschen und Impfmitteln zur Wehr setzen, die ihnen von den Vereinigten Arabischen Emiraten gratis und franko zur Verfügung gestellt werden, von den paar Fachmännern aus den Reihen eben der Al Kaida ganz zu schweigen, welche ebenfalls nur mit der Kraft des Gebetes operieren, siehe Mali. Hauptsache einfach, dass die gewaltigen Umwälzungen in Arabien ums Verrecken nicht als Fortschritt wahrgenommen werden, sondern bloß ein weiteres Mal als Erbauung, wenn auch halt negativ über die Bestätigung uralter Vorurteile. Veränderung wird erst dann als solche wahrgenommen, wenn irgendeine freundliche Instanz die entsprechenden Vorlagen dazu ins Volksbewusstsein gestanzt hat. Auf dem Weg dorthin aber verdienen sich Heerscharen von Kassandren gutes Geld als dunkel unkende Katastrophenpropheten.

Da bleiben wir lieber zuhause in Deutschland. Ich habe meinerseits mit einer Prophezeiung recht erhalten, mindestens vorübergehend, nämlich dass ihr die FDP aus purem Mitleid wieder ins Parlament salben werdet; das hat sich offenbar gerade in Niedersachsen ereignet. Und dann scheint man sich noch darauf geeinigt zu haben, dass der SPD-Kanzlerkandidat seiner Partei bei diesen Wahlen eher geschadet als genützt hat. Er selber hat dazu offenbar den Satz geprägt: «Ich trage maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung.» Hört meinen Appell aus neutraler Sicht: Menschen, welche imstande sind, solche Sätze zu bilden und öffentlich zu äußern, sollte man unbedingt wählen. «Ich trage maßgeblich eine gewisse Mitverantwortung.» Solche Flattersätze gehören unbedingt auf die große Bühne. So etwas hat bisher noch nicht einmal Frau Merkel erreicht, die sich doch aus diplomatischen Gründen oft so äußern muss. Nicht einmal in Bayern stehen solche Aussagen auf der Tagesordnung. Andrea Nahles bleibt da weit zurück mit ihrer Äußerung «Insoweit verschafft das auch Herrn Steinbrück und der SPD auf Bundesebene einfach die Möglichkeit, jetzt das ein Stück weit wieder aufzugreifen, was wir hier an Erfolgen haben». Obwohl auch dies ein schöner Flattersatz ist, muss Frau Nahles noch viele, viele Vorträge halten, bis sie an Peer Steinbrück heran kommt.

Daneben geht es auf den Finanzmärkten wieder einigermaßen nach oben, das Vertrauen kehrt zurück, das heißt, das Theater geht definitiv von vorne los. Vorübergehend kann man damit verschiedene Probleme lösen, in erster Linie im Schuldenbereich; aber wie weit die Disziplin reichen wird, um nicht umgehend neue Abenteuer einzugehen, und zwar sowohl im öffentlichen Bereich als auch bei den privaten Anlegern, inklusive Pensionskassen und alle anderen, die bekanntlich nach wie vor auf bestimmte Renditeziele getrimmt ist, das lässt sich einerseits nicht genau vorhersagen, aber allgemein lässt sich sagen, dass spätestens in ein paar Jahren die Märkte wieder überschießen werden. Ob bis dann echte strukturelle Veränderungen vollzogen werden, vermag ich ebenfalls nicht zu sagen; das müsste sich einem Insider erschließen, welcher die Rechtsakte der Europäischen Union auf ihre Auswirkungen hin abschätzen kann. Das Konstrukt Euro scheint sich vorderhand wieder gefangen zu haben, wobei die nächste Fälligkeit bekanntlich der Wahltermin in Italien ist; hier hat der alte Volksaffe und Tanzbär Berlusconi bereits wieder aufgeholt in der Wählergunst, und falls seine Partei tatsächlich wieder ans Ruder kommen sollte, so wäre nicht nur der Euro gefährdet, sondern auch noch der letzte Rest eines Glaubens an eine kollektive Vernunft bei den Zitronellen dahin. Auf eine bestimmte Art und Weise ist es durchaus erfrischend, dass sich die Jungs und Mädels im Stiefel nicht an die Drohrufe und Kassandrasprüche der internationalen Auguren halten und munter einfach den Idioten wählen, der ihnen am meisten Klamauk auf den Bildschirm zaubert; anderseits wirft die vollständige Preisgabe jeglichen Willens zur Einsicht doch wieder Fragen auf, welche das System in den Grundfesten erschüttern. Dieses Land existiert offensichtlich nur noch mit der epochalen Struktur von nicht geronnenem Pudding. Aber schaun wir mal. An den Gewerkschaften soll es jedenfalls nicht liegen, die werden so oder so wieder verschiedene Teil- und Generalstreiks ausrufen, die von einigen ihrer Mitglieder sogar befolgt werden – es ist zum Haaröl Pissen. Wie gesagt: Die Schweizer Armee steht bereit in ihren Alpenschuhen und wird auf Anfrage von Seiten einer zuständigen Instanz, egal ob EU oder UNO, Italien sofort ganz oder teilweise überfallen. Und dann, wie gesagt, wenn die Strukturen reformiert sind und die ItalienerInnen ein modernes Verhalten angenommen haben, dann schließt sich die Schweiz Italien an und verschwindet von der Landkarte. Großes Pfadfinder-Ehrenwort. Mindestens so großes Ehrenwort, wie sie Berlusconi jeweils zu seinen verschiedenen Schindludereien abgibt. Also wirklich, den größten Fettfleck im ganzen Land nicht nur zum reichsten Bürger, sondern zum Regierungschef zu wählen...

Übrigens habe ich gelesen, dass das nächste zuständige Gericht plant, den mit sehr viel Verve und Untersuchungsenergie vorbereiteten Prozess gegen Euer ehemaliges Staatsoberhaupt Christian Wulff fallen zu lassen. Es bestünden zwar nach wie vor massive Verdachtsmomente, hieß es in jener Mitteilung, die ich gelesen habe, aber es reiche halt doch nicht aus... Mit anderen Worten: Blödsinn. Schmarrn. Da hat der Medienkonsens unter dem lauten Vorgehupe der Bild-Zeitung und des Axel-Springer-Verlags wieder mal einen Typen fertig gemacht, für den ich einerseits durchaus keine Träne vergießen möchte, aber ich möchte eben auch nicht, dass in einem Land, das sich als fortschrittlich gibt, einfach ein Verlagshaus beschließen kann, so eine Knallcharge nach Belieben zu montieren oder fallen zu lassen. Dafür haben wir die Medien eigentlich nicht die «vierte Gewalt» genannt – mit diesem Kesseltreiben bugsieren sich insbesondere jene Verlage, Zeitschriften und TV-Stationen, welche nicht energisch gegen das charakterlose Vorgehen von Diekmann und Konsorten protestiert haben, in genau die gleiche Ecke. Sie sind letztlich der gleiche Schund und Schmarrn. Und wenn sie jetzt dann nicht nur eine kleine verschämte Meldung unten links auf der zweitletzten Seite abdrucken über die Einstellung des Verfahrens, sondern auch noch ein bisschen verschämt irgend eine Schuld eingestehen, dann werden sie erst recht zu Anhängern einer neuen sozialen Bewegung, deren wichtigster Vertreter Lance Armstrong ist.

Aber wie auch immer: Leute, geht ins Kino! – Ich habe in den letzten Tagen zwei Filme gesehen, die uneingeschränkten Unterhaltungswert hatten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das eine ist der Cloud Atlas, der einen drei Stunden lang ohne Durchhänger am Hingucken hält, und der andere ist die Geschichte von Piscine Mollitor, nach dem Buch «Schiffbruch mit Tiger». Zwar kann der zweite Film einige Passagen aus dem Buch nicht nachstellen, aber der Regisseur macht das wett mit einer optischen Dimension, die ihrerseits im Buch nicht erschlossen werden kann. Ich wünsche viel Vergnügen.