"Aus neutraler Sicht" mit Albert Jörimann - Wählt Grillo -

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Wie ihr vielleicht wisst, haben in der Schweiz verschiedene internationale Sportorganisationen ihren Hauptsitz, vom europäischen Fußballverband UEFA über den Weltfußballverband FIFA bis hin zum Internationalen Olympischen Komitee.
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11:07 min, 20 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 26.02.2013 / 09:29

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 26.02.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das sind unterdessen alles echte Geldmaschinen mit Milliardenumsätzen, aber ohne Gewinn, denn die sind natürlich nicht gewinnorientiert, und deswegen bezahlen sie auch keine Steuern. Wenn man von diesen Organisationen sagt, dass alles läuft wie geschmiert, dann hat man in jeder Beziehung Recht. Von der FIFA sind die entsprechenden Schmiergeldzahlungen längst bekannt, spätestens seit dem Vorgänger von Sepp Blatter, Joao Havelange. Michel Platini, der Chef der UEFA, mag noch so sehr darauf bestehen, dass er noch nie Schmiergelder entgegen genommen habe; es geht hier einfach um zu hohe Summen, als dass der Betrieb völlig ohne Hin- und Herschiebung ablaufen könnte. Beim Olympischen Komitee können Schmiergeldzahlungen ebenso als belegt gelten wie bei der FIFA. Schön ist das nicht, aber offensichtlich unvermeidlich. Letzthin habe ich die Geschichte gehört von zwei Vertretern in solchen globalen Gremien, einer aus Tahiti nahm 1.2 Millionen Dollar entgegen und einer aus Nigeria 800'000 Dollar. Das wurde auf dem ganzen afrikanischen Kontinent als Schande empfunden, und zwar nicht wegen der Korruption als solcher, sondern weil sich der Nigerianer mit einer tieferen Summe begnügt hatte als der Vertreter des um vieles kleineren Tahitis. So ist das nun mal, und ich möchte Euch mal sehen, wie sich Eure moralischen Prinzipien verhalten, wenn man Euch eine Million Dollar anbietet für nichts Weiteres, als weiterhin Euren Job zu erledigen wie zuvor. Respektive, wenn man sich dazu noch die Verhältnisse in Tahiti und Nigeria vergegenwärtigt, wären es für Euch wohl eher 50 oder 100 Millionen Dollar. Würdet Ihr ein solch unsittliches Angebot ausschlagen? Vor allem, wenn es nicht erkennbar mit tieferen Verletzungen der Menschenrechte verbunden ist? – Aber nicht die Spur. Wir alle würden diese Knete einstecken, bloß unterbreitet man uns keine solchen Angebote, und aus diesem Grund empören wir uns darüber.

In den unterentwickelten Ländern werden die Einwände der moralischen Ordnungshüter aus dem Norden nicht verstanden. Wenn die FIFA und das IOC schon Milliarden scheffeln, ist es nichts als korrekt, dass auch ihre Vertreter einen minimalen Anteil davon erhalten, und dies muss nun mal in den real funktio­nie­renden Kanälen stattfinden. In dem Punkt ist ausnahmsweise sogar Silvio Berlusconi Recht zu geben, der kürzlich gesagt hat, dass Schmiergelder schlicht und einfach unerlässlich seien beim Geschäfts­ver­kehr mit diesen Regionen. Auch hier ist die Korruption zweitrangig; erstrangig ist der Geschäfts­ver­kehr, das heißt der Aufbau von funktionierenden Handelsbeziehungen. Wenn die erst einmal etabliert sind, folgt ein paar Jahre oder Jahrzehnte später eine Stabilisierung der Kanäle fast von selber, das heißt die Umwandlung der vorwiegend informellen Geldflüsse in normale Beziehungen auch auf der Ebene des Geldes. Das ist aber ein langwieriger Prozess, der noch nicht mal in den entwickelten Ländern abgeschlossen ist. Berlusconi weiß davon durchaus nicht zufällig ein Liedchen zu singen bzw. ein ausgewachsenes Musical.

Das wäre überhaupt mal eine konstruktive Idee: Gibt es jemanden, der bereit wäre, ein Berlusconi-Musical zu erarbeiten? Viel Phantasie ist dafür nicht nötig, bloß ein paar Penisattrappen und viel Geld und dann das ständige Geschrei über rote Richter und kommunistisch unterwanderte, ich weiß nicht was. Kommunistisch unterwanderte alles. Das wäre dann die Titelmelodie des Musicals. «Alles voller Kommunisten, die Christen wie die Atheisten, auch die Faschisten sind Kommunisten, ganz zu schweigen von den Skipisten, alles Kommunisten, Transportkisten, Sammellisten, Minimalisten, Pianisten, die Trappisten und Salafisten, die Komponisten, ganz zu schweigen aber von den Trotzkisten und den Stalinisten, all das sind lupenreine Kommunisten!» – Das ist doch der Stoff, aus dem die Musicals sind. Wer macht mit?

Vielleicht liegt überhaupt hier die Achillesferse des Italieners, wenn man sich endlich mal auf allen Weltbühnen über ihn lustig machen würde, vielleicht würde dies die Leute dann endlich davon abhalten, in 4 Jahren erneut den Berlusconi-Affen und Priapen zu wählen. Ich meine, dass der mit seiner Mafiapartei auch bei den aktuellen Wahlen wieder 30% der Stimmen macht, das ist doch völlig unglaublich. Selbstverständlich tut die so genannte Linke das ihre dazu, dass die normalen Wahlberechtigten kein Vertrauen haben in sie, gebongt; aber deswegen geradewegs immer und immer wieder den Berluscazz zu wählen, das hält doch einfach kein Schwein aus. Dieses Volk gehört an den Pranger gestellt, und wenn es mit dem Mittel eines Musicals sein muss. Und aus diesem Grund muss in diesem Musical auch das Volk eine große tragende Rolle spielen, es wird also ein Musical mit integriertem Publikum werden. Ganz großes Drama mit Belustigung nicht über ein fremdes Staatsoberhaupt, sondern über ein ganzes fremdes Volk, nämlich eben die 30% der Ita­lie­nerInnen, welche einen Affen wählen anstelle eines Politikers, beziehungsweise einen wandelnden Penis, aber im Grunde genommen trifft dies nicht zu. Berlusconi spielt bloß mit den Insignien der Potenz, selber ist er vermutlich hinten und vorne, nein: vorne ist er vermutlich schlapp.

Wie auch immer: Ich selber würde höchstwahrscheinlich auch Beppe Grillo wählen, weil der mehr oder weniger das einzige Angebot auf dem Politikmarkt ist, wenn man den Techniker Monti einmal ausnimmt. Zu Monti ist anzufügen, dass er jene Maßnahmen ergriffen hat, welche dem durch­schnitt­lichen europäischen Standard entsprechen, was durchaus kein Idealstandard ist; aber für Italien war es Fortschritt pur. Bloß ist Fortschritt innerhalb des normalen politischen Systems nicht zu realisieren. Die Politik findet hermetisch abgeschlossen von der Realität statt; es ist eine Sphäre, in welcher die Staatseinnahmen verprasst werden, zum einen unter den Politikern und den Parteien, zum anderen unter ihren jeweiligen Kollegen, ganz egal, ob bei den Gewerkschaften oder bei den Unternehmern oder wie im Fall von Berlusconi direkt bei der Mafia. Grillo erhebt hier schon gar nicht den Anspruch, eine Alternative darzustellen. Das hebt ihn angenehm ab vom Rest, von einem Rest übrigens, der wegen der Konversion der ehemaligen Kommunisten unter Massimo D’Alema zu ebenso korrupten Politparteien wie die frühere Democrazia Cristiana und natürlich besonders strahlend das Popolo della Libertà so trostlos ist, denn hätte man wirklich eine moralisch unan­fecht­bare Alternative, man könnte dies den Italienern wenigstens links und rechts um die Ohren hauen, aber es geht eben nicht. Also in der Not den Grillo wählen, ohne Programm und ohne Zukunfts­chancen, eigentlich ist er so etwas wie Berlusconi ohne Milliarden und Fernsehkanäle, aber das macht doch schon einen entscheidenden Unterschied aus, und zudem ist er ein Vertreter der Spottgilde. Man weiß bei ihm nicht, was herauskommt, und das ist im Vergleich zu Berlusconi und dem Partito Democratico deutlich besser. Dort weiß man es leider. Eben auch bei Bersani. Gesetzt der Fall, der Bersani wollte die eine oder andere Reform aufsetzen – es würde keine drei Tage dauern, bis ihm irgendein Flügel seiner Partei in den Rücken schießen würde. Man kann mit einiger Gewissheit sagen, dass die wichtigsten Rücken- und Heckenschützen in zwei Flügel gruppiert sind: Das eine sind jene Vögel, welche politische Ambitionen haben, egal, ob es sich um den Job für 20'000 Euro pro Monat handelt oder ganz einfach darum, möglichst viel in die Fernsehkameras zu stieren. Der zweite Flügel inkrustiert sich um die Gewerkschaften, welche untereinander in einer derart massiven Konkurrenz stehen, dass jede Gewerkschaft für sich überzeugt ist davon, dass jegliche Konzession in Sachen Arbeitsrecht, Arbeitsbedingungen und so weiter und so fort sofort zum Sieg der Konkurrenz führen würde. Das Ergebnis ist eindeutig: Niemand investiert in Italien, zum einen, und zum anderen gibt es in Italien zunehmend weniger Arbeitsplätze im formellen Sektor, weil die Anstellungsbedingungen viel zu rigide sind. Ein Nebenprodukt dieses Kräfteverhältnisses ist die Tatsache, dass es in Italien weder einen Mindestlohn noch so etwas wie Sozialhilfe gibt. Das muss man sich auch einmal vorstellen: Hartz IV wäre in Italien ein epochaler Fortschritt. Aber das geht nicht, weil die Gewerkschaften immer viele wichtigere Dinge zu bestreiken haben. Wie ich immer am Beispiel der Eisenbahnen sage: Die brauchen das Geld dringend für die Führungsspitze sowie für die Belegschaft, und zwar so dringend, dass sie es sich nicht mehr leisten können, normale Züge über ihr Netz fahren zu lassen. Damit ist sicher dem Prinzip der Verteidigung der Arbeiterklasse Genüge getan, nicht aber dem Transportbedürfnis gewisser einfacher Menschen.

Ich würde Beppe Grillo wählen.

Trotzdem und immer wieder: Verknöchert, verschwenderisch, antimodern und so weiter und so fort sind sie alle, aber nur einer lügt dazu, dass sich die Gräten des Erdballs biegen. – Habt ihr gewusst, dass der Erdball Gräten hat? Die Erde muss ein Fisch sein, was nicht verwunderlich ist angesichts des vielen Wassers. Die Gräten der Erde jedenfalls, das sind die Breitengrade, natürlich. – Aber dies bloß nebenbei.

Wie reformiert man Italien? – Ich weiß es nicht. Bildung ist sicher ein Stichwort, denn solange es in Italien noch derart viele stockdumme Menschen hat, welche kaum eine ordentliche Schule absolviert haben, begleitet übrigens von Horden an StudentInnen, welche sich darauf kaprizieren, antiimperialistische Slogans aus den achtziger Jahren nachzuäffen, anstatt sich im Ernst mit den real vorhandenen Problemen zu beschäftigen, solange also kann da kaum ein Fortschritt entstehen. Müsste man vielleicht eine Bewegung von Wander-Lehrerinnen gründen, welche in den italienischen Dörfern Aufklärungsarbeit leistet? – Denn Italien muss sich verändern, sonst gelingt es schon grad gar nicht, die Nordafrikanerinnen und Nordafrikaner in eine Freihandelszone mit der EU zu bekommen. Und die wird immer dringender notwendig, wenn man das wirklich stützen will, was man mit dem Fachbegriff arabischer Frühling bezeichnet.

In Italien dagegen zeichnet sich kein Frühling ab. Davon kann erst dann die Rede sein, wenn sich an den Universitäten oder wo auch immer sonst eine Bewegung von selbständig denkenden Köpfen bildet, welche radikal aufräumt mit der ewigen Wiederholung uralter Floskeln und der immer neuen Exegese des Gesamtwerks von Karl Marx. Das hat Marx wirklich nicht verdient. All der Antikapitalismus, Antiimperialismus, die Regenbogentänzer, die Sozialgipfel, die angeblichen Alternativen, welche sich ewig im Kreise drehen, die epochale Unfähigkeit, die Realität wahrzunehmen und halbwegs taugliche Untersuchungen anzustellen, all das muss endlich aufhören. Natürlich nicht nur in Italien, aber vielleicht ist es nirgends derart dramatisch wie in Italien, und vielleicht beginnt diese überfällige Reform deshalb mitten in der italienischen Katastrophe.