"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Tempora et Mores -

ID 54196
 
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Eine Bekannte besucht gegenwärtig wieder mal einen Photoshop-Kurs, klaro, immer neue Programmversionen kommen auf den Markt, da muss man alle paar Jahre die Kenntnisse auffrischen.
Audio
10:55 min, 12 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.03.2013 / 08:42

Dateizugriffe: 318

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 12.03.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die jüngste Teilnehmerin in diesem Kurs ist sie nicht, dafür scheint die jüngste Teilnehmerin das Privileg zu haben, während dem Unterricht andauernd SMS zu schreiben, und der Kursleiter scheint keine Einwände dagegen zu erheben. Wahrscheinlich sagt er sich, wenn sie’s auch so begreift und die Schlussprüfung besteht, so ist das ihre Sache, und schließlich bezahlt sie oder ihr Arbeitgeber ja das Kursgeld, also was soll’s. Trotzdem war ich halbwegs geneigt, zornig zu werden, auch wenn es mich nicht direkt betrifft. Geben wir jetzt in Kursen, Vorträgen, letztlich überhaupt in der Schule die Aufmerksamkeit frei für alles Mögliche außerhalb des gerade stattfindenden Unterrichts? – Ich weiß schon, dass man mit dem Fernstudium schon länger die Möglichkeit hat, seine Lern-Rationen selber einzuteilen, man kann auch Vorlesungsskripts herunter laden und so weiter und so fort, aber in der Praxis die Lernsituation grad derart aufzuheben, ist das normal? – Na, normal ist es wohl nicht, aber vorderhand stört sich noch niemand dran, außer eben grad ich und natürlich die Bekannte. Protestieren kann man ja auch wieder nicht, aber es ist doch stark demoralisierend. «Es kommt ja dazu», sagte meine Bekannte, «dass diese SMS von einer absolut katastrophalen Sprachqualität sind», und sie meinte damit nicht die Abkürzungen oder die bekloppten Symbole, welche einen Witz als einen Witz, eine traurige Mitteilung als eine traurige Mitteilung und einen großen Witz als einen großen Witz markieren. Das allein ist intrikat. In der Telekommunikation nennt man so was Steuersignale, es sind Bestandteile der Kommunikation, welche dafür sorgen, dass der Inhalt des Pakets an die richtige Adresse geliefert wird, also die Geburtstagskarte ans Geburtstagskind und die Kondolenzkarte an die trauernden Hinterbliebenen bzw. feiernden Erben. Allerdings ging man bis vor nicht langer Zeit davon aus, dass diese Steuersignale in der Mitteilung selber enthalten seien. Wenn ich sie nun quasi mit den Lächel-, Zwinker-, Gröl- und anderen Zeichen verdopple, was tue ich dann? Stelle ich nicht meinem Gegenüber ein Zeugnis geistiger Armut aus, sodass es auf direktem Weg Anrecht auf geistige Sozialhilfe hätte? – Vermutlich doch, aber angesichts der schieren Geschwindigkeit der Kommunikation und des ständigen Flusses an Kommunikationsinhalten ist es vielleicht doch besser, wenn wir jeweils auch noch per Symbol mitteilen, dass wirs nicht eben Ernst meinen. Und am Schluss können wir uns die Inhalte sowieso sparen und nur noch Smileys und Blinkies und LOL austauschen. Und wenn wir grad dabei sind: Ist schon jemandem mal die Parallele zwischen den gewaltigen inhaltsleeren Kommunikationsmengen und den gewaltigen Börsen-Transaktionsmengen aufgefallen? – Na gut.

Also hatten wir festgestellt, dass abgesehen von den Smileys und Blinkies, welche die Menschen völlig fehlerfrei in die Tastatur hauen, alles andere nur so strotzt von Rechtschreibefehlern, und zwar trotz der neuen Rechtschreibung, welche nun auch schon über 10 Jahre alt ist. Und das erinnert mich an eine andere Geschichte, die meine Bekannte ebenfalls aus diesem Kurs hatte, nämlich ging es da auch um eine Lehrperson, diesmal für Gestaltung, welche einer Lernperson anlässlich irgend einer Grafik-Hausaufgabe die Rechtschreibefehler ankreidete bzw. anstrich, welche sich im zu gestaltenden Text befand. Darauf empörte sich die Lernperson, dass es doch eine Unverschämtheit sei, wenn sich die Lehrperson für Grafik anmaße, ihr Orthografiefehler anzukreiden, das sei nun mal überhaupt nicht ihr Fach. Die Grafik-Lehrperson trat auf der Stelle den Rückzug an und versprach, nie mehr einen Rechtschreibefehler anzukreiden, allerdings nicht ohne den Hinweis, dass auch Sprache und Rechtschreibung ein Prüfungsfach sei im entsprechenden Lehrgang. Wie diese Geschichte weiter ging, weiß ich aber nicht.

Jedenfalls waren wir uns einig, inklusive der von mir weit entfernten Grafik-Lehrperson, dass auch in der Gestaltung der Text bzw. der Inhalt zunehmend an Gewicht verliert. Dementsprechend kann man mit der Typografie machen, was man will, Unterlängen über Oberlängen kleben, Ränder verkleistern usw.; demnächst wird man den Text nicht mehr als Folge von Buchstaben, sondern nur noch als schwarze Balken abdrucken mit dem Hinweis, dass hier eigentlich ein Text stünde.

Ihr merkt es, das hier ist eine alte Leier von Zeiten und Sitten, aber es ist wahr, ich kann mir nun mal einfach ein Leben ohne Vernunft und eine Vernunft ohne Inhalte nicht vorstellen, und deshalb warte ich darauf, dass man diesen GestalterInnen und Quisi-quasi-Typografinnen demnächst mal beruflich das Fell über die Ohren zieht und die klassische Aussage wieder in ihre vollen Rechte einsetzt.

Dann wird man sich auch wieder über Fernsehsender wie Arte unterhalten können, ohne dass man befürchten muss, dass hinterher noch ein «L» kommt: Das habe ich auf Arte-el zwei gesehen. Nein, Arte alleine reicht vollends, RTL II ist definitiv etwas anderes.

Letzte Woche hatte ich hier kurz das tatsächlich andere Jahrbuch von Gerhard Wisnewski vorgestellt bzw. die erste Jahreshälfte daraus. Die zweite Jahreshälfte bringt eine echte Steigerung, nämlich eine wunderbare Serie von Verschwörungstheoremen. Einige haben mit Präsident Obama zu tun, und zwar klar ersichtlich wegen seiner nicht besonders arisch-weißen Hautfarbe. Wisnewski unterstellt, das Aurora-Attentat, bei dem am 20. Juli 2012 in einem Kino in Aurora bei der Première des Films «The Dark Knight Rises» zwölf Menschen getötet und 58 verletzt wurden, sei irgendwie vom Geheimdienst gesteuert gewesen, und zwar so, dass es mitten im Wahlkampf die Wähler zugunsten von Barack Obama beeinflusst hätte, denn in Krisensituationen profitiere immer der amtierende Präsident. Der Geheimdienst habe mit solchen Kommandoaktionen noch die Nebenabsicht, die Waffengesetze in den USA zu verschärfen; dies sei bereits anhand des berühmten Massakers an der Schule in Columbine der Hauptzweck gewesen. Verschärfte Waffengesetze, so Wisnewski, gleich Entmachtung der mündigen Bürger. Unterdessen wissen wir, dass in verschiedenen US-amerikanischen Bundesstaaten die Lehrpersonen seit Kurzem das Recht haben, nicht etwa die SMS-Nachrichten ihres Schülergutes zu unterbinden, sondern bewaffnet Schule zu geben, ganz so, wie es die National Rifle Association unmittelbar nach dem letzten Attentat verlangt hat, das allerdings nach der Wiederwahl von Präsident Obama erfolgte, aber die Geheimdienst-Agenda ist für Wisnewski nach wie vor klar. Bezüglich der Präsidentschaftswahl stellt er dann noch im November 2012 die Behauptung auf, was sage ich, die Behauptung, er belegt mit wissenschaftlich felsenfesten Beweisen, dass der Wirbelsturm Sandy nicht nur Präsident Obama den Sieg gebracht hat, sondern vom Geheimdienst vermittels chemischer Substanzen absichtlich nach New York gedreht wurde, um dort den höchst möglichen Schaden zu verursachen. Wisnewski ist uns wirklich ein Prachtsexemplar. Dass er die Mondlandung und nun natürlich auch die Marsmission der Discovery absolut in Frage stellt, versteht sich schon von selber. Hier ist sein Hauptargument, dass der Weltraum derart massiv radioaktiv verstrahlt sei, dass kein Astronaut unbeschadet von einer Weltraumreise zurückkehren könne. Stattdessen hätten all die Mondfahrer angeblich ein fast biblisches Alter erreicht, nämlich über 80 Jahre, also können sie nicht im Weltraum gewesen sein.

Der US-Geheimdienst sorgt aber noch auf einer anderen Ebene für Erbauung. Wir alle wissen, dass die Kriegsführung auch auf kultureller Ebene stattfindet. Und so war eines der wichtigsten Kriegsziele der Central Intelligence Agency, die schönen Künste der westlichen Hemisphäre zu zerstören durch die böse abstrakte und sowieso dekadente Kunst. Ich muss sagen, dass seine Argumente auch hier zum Teil den meinen verblüffend ähnlich sehen. Auch ich bin absolut nicht bereit, die angebliche schillernde Tiefe der monochromen Bilder von Mark Rothko anders zu betrachten denn als recht simple monochrome Fläche, und das ganze Theater drum rum, das rutscht mir den Buckel runter. Allerdings halte ich dagegen, dass man auch innerhalb der modernen dekadenten Kunst durchaus gute Ware findet, und ich sage, dass all das gut und schön wäre, wenn es bloß eine angemessene Kunsttheorie und eine angemessene Kunstkritik gäbe, welche zwischen Scharlatanerie und echtem schöpferischem Akt zu unterscheiden wüsste. Davon will Wisnewski natürlich nichts wissen. Die CIA hat laut seinen Geheiminformationen ungefähr um 1948 die moderne Kunst losgelassen, um den Westen zu zersetzen, Punkt und Punktum. Dass der Inland-Geheimdienst der USA, nämlich das FBI, ungefähr zum gleichen Zeitpunkt zu einer unerhörten Hetzjagd auf alles Moderne in Kunst und Kopf ansetzte, welche einem ganzen Jahrzehnt einen Stempel aufdrückte, nämlich der Mccarthyismus, das interessiert ihn natürlich nicht und ebenso wenig, dass all die verfolgten Künstlerinnen und Künstler in den USA mehrheitlich exilierte AntifaschistInnen waren – von den mehr oder weniger Unschuldigen Opfern des Verfolgungswahns wie z.B. Charlie Chaplin ganz zu schweigen.

Die Zersetzung der Kultur zwecks Erlangung der Weltherrschaft ist ja eine interessante Hypothese. Mein erstes Wehklagen über zerfallende Rechtschreibekünste kann genau in diese Linie gestellt werden. Bloß wüsste ich selber durchaus nicht zu sagen, was denn eine theoretische Herrschaft über sämtliche Menschen für einen Zweck haben sollte, wenn die alle restlos verdummt sind. Die Weltherrschenden hätten dann ja gar keine Macht, weil es auch keine Menschen im Wortsinne gäbe, sondern bloß Trottel. Produkte, Rohstoffe, Reichtum, Champagner und Weiber für heterosexuelle Männer, all das kann man auch haben, ohne dass man die ganzen Nationen vorerst kulturell dem Erdboden gleichmachen muss. Hier liegt schon mal ein Denkfehler im Grundsatz. Und wenn man dann die Verschwörungshteorien etwas auspackt, so kommt am Schluss doch immer wieder die alte Leier hervor, dass eben vermutlich doch eine jüdische Verschwörung existiert, dass es die Bilderberger sind – hier allerdings auch mit vielen Nichtjuden im Bunde –, welche die Weltherrschaft anstreben vermittels der US-Geheimdienste, wobei die EUdSSR-Politiker ihre willfähigen Handlanger seien – quatsch. Im Prinzip geht es bloß darum, dass sich Wisnewski darüber aufregt, dass der mächtigste Mann auf Erden ein Schwarzer ist. Und dass die Frauen unterdessen soviel Macht haben, dass die Männer unter anderem im Rahmen der political correctness sich überhaupt nicht mehr zu äußern wagen. Für einen Ausflug ins Reich dieser Männerphantasien will ich hier auch noch die Webseite angeben, auf welche sich Wisnewski beruft, es ist die Wikimannia. Als ich die letzthin allerdings aufzurufen versuchte, war sie wegen angeblicher Wartungsarbeiten nicht erreichbar. Na gut, dann lass ich’s halt. Ich kann mir auch so gut vorstellen, was ich dort finden würde.