"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Pilze und Bakterien -

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Die europäische Raumfahrtagentur hat in der Nähe von Rom ein neues Zentrum gegründet, in dem sämtliche Daten zu jenen Asteroiden gesammelt werden, deren Umlaufbahn nahe bei der Erde verläuft. Soll ich mich jetzt ruhiger fühlen?
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10:11 min, 9551 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.06.2013 / 10:57

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.06.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Letzthin hat ein Meteorit auf dem Mond eingeschlagen, was von bloßem Auge als kleiner Lichtblitz erkennbar gewesen sei, sofern man wusste, wann und wo. Offenbar leben wir viel gefährlicher, als wir es uns je geträumt hätten. Die großen Gefahren der Menschheit wie Pest und Cholera und zunehmend auch Krieg und Hunger sind kaum besiegt, da setzt schon das Universum zum Sprung an und wirft mit Kieseln nach der Erde. Eigentlich wollte ich das gar nicht wissen.

Vor gut 50 Jahren hatten solche Endzeitstories Konjunktur, damals vor allem wegen des jederzeit möglichen und insofern unmittelbar bevorstehenden Atomkriegs, und diese Angst produzierte als Nebenprodukt auch die Visionen vom Einschlag eines großen Meteoriten. Etwas später wurde zum Beispiel ein Film hergestellt, in dem die beiden Atommächte mit einem koordinierten Schlag ihres nuklearen Arsenals einen solchen Hageldonnergranaten-Asteroiden vernichten; in anderen Filmen und in Comics kam es zum Ansturm auf eine interstellare Rakete, welche die Elite der Menschheit vor der bevorstehenden Kollision irgendwohin zu einem bewohnbaren Planeten schicken sollte. Und jetzt frischt uns die ESA diese alten Semmeln wieder auf, oder wie?

Lasst es mich hier in aller Deutlichkeit sagen: Die Umlaufbahnen der erdnahen Asteroiden sind längstens bekannt. Es besteht keine Gefahr für den Erdball. Falls aber eine entstünde, dann wäre die Lage derart grenzenlos aussichtslos, dass es sich nicht einmal lohnen würde, die Nachricht zu veröffentlichen. Denn die Publikation einer solchen Nachricht würde nichts anderes bewirken, als den Untergang zu beschleunigen. Anstatt zum Zeitpunkt de Aufpralls der Himmelsbombe auf die Erde würden sich die Menschen schon umgehend nach Bekanntwerden der Meldung daran machen, ihre Zivilisation über Bord zu werfen.

Wieso kommt also die ESA dazu, eine solche Station nicht nur zu eröffnen, sondern dies auch noch der nicht interessierten Öffentlichkeit mitzuteilen? – Vermutlich geht es um zwei Dinge: Einerseits will man wieder mal mit dem gewissen Schauer spielen, der die Menschen durchfährt, wenn sie sich die Apokalypse vo9restellen. Und zweitens muss die ESA offenbar irgendwie rechtfertigen, dass sie ausgerechnet im Weinbaugebiet Frascati dreißig Arbeitskräfte einstellen will, und in Berlusconi-Italien ist dazu natürlich der Weltuntergang die geeignete Kulisse dafür.

Da geht mir die andere Meldung schon eher unter die Haut beziehungsweise halt eben auch nicht, welche im Magazin «Nature» veröffentlicht wurde, was ich wiederum meiner Tageszeitung entnehme: An menschlichen Fersen leben im Schnitt 80 verschiedene Pilzgattungen, wogegen an Stellen wie Rücken, Kopf oder Leiste nur 2 bis 10 Pilzgattungen existieren. Ich bitte Euch, Euch das einmal ganz persönlich vorzustellen: Ihr badet oder duscht täglich mindestens zwei Mal, und trotzdem existieren auf Euch höchstpersönlich rund 100 Pilzsorten. Wenn ich es mir richtig überlege, dann ist das Duschen wohl gerade mit ein Grund dafür, dass es so viele sind, denn Pilze brauchen Dunkelheit und Feuchtigkeit, nicht wahr? – Da ist der Gedanke der porentiefen Hygiene aber wieder mal klassisch widerlegt worden. Es nützt nichts, wenn Ihr Euch Hyaluron-Crèmes in die Gesichtsfalten schmiert oder eine Ganzkörper-Crème mit Avocado-Essenzen und Aloe Vera auflegt, der Pilz wächst weiter. Und nicht nur der Pilz: Auch Bakterien sind einfach nicht wegzukriegen, bloß konzentrieren die sich weniger auf die Füße als vielmehr auf die Arme und auf die Hände. Ja, die Hände natürlich, mit denen fasst man auch dauernd so unreines Zeugs an wie Messer und Gabel oder gar und sowieso andere Hände, von weiteren Dingen ganz zu schweigen!

Nun gut, ich gebe zu, ich habe etwas geschummelt: Für die Studie durften sich 10 gesunde Erwachsene einen Tag lang nicht waschen. Aber das bedeutet ja bloß, dass die Keimlinge auch die verschiedenen vorher gehenden Waschgänge überstanden hätten, denn wir wollen mal nicht annehmen, dass sie Probandinnen und Probanden sich ihre Pilze und Bakterien ausgerechnet im National Human Genome Research Institute in Bethesda, Maryland, aufgelesen haben, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Hälfte aller im Spital behandelten Infektionskrankheiten justament im Spital aufgelesen wurden. Nein, das Zeuchs ist schlicht und einfach resistent, mehr noch, wir müssen uns damit abfinden, dass wir selber, wir reine, wo nicht überhaupt Übermenschen trotz allen Anstrengungen in Symbiose zusammenleben mit verschiedenen, nicht nur Mitmenschen, sondern mit Pflanzen und Organismen, welche sich von uns ernähren. So lebt der Mensch, das ist die Condition humaine. Ein Tiefschlag für die Kosmetika-Industrie, welche sich davon allerdings nicht entmutigen lassen wird, sondern noch verrücktere abgehacktere Werbeslogans zusammenstellen wird für die Körperhygiene und gegen sämtliche Formen von Alterserscheinungen.

Eine Frage könnte man sich noch stellen: Wieso sucht ausgerechnet das Humangenom-Forschungsinstitut nach Pilzen und Bakterien? Die Hautregionen der Probanden seien mittels Genanalysen untersucht worden. Das verstehe ich nicht. Hat man nun die Pilze genetisch erfasst oder die Probanden? – Ich habe den Eindruck, dass dieses Institut in Bethesda, Maryland, verschiedene Forschungsgelder schlicht und einfach zweckentfremdet hat. – Aber solange es zu einem wissenschaftlichen Artikel in der renommierten «Nature» reicht, wollen wir trotzdem ein Auge zudrücken.

Im engeren Bereich der Gene hat vor ein paar Tagen Angelina Jolie Furore gemacht mit der Mitteilung, dass sie ihre Brüste vorsorglich hätte amputieren lassen, weil sie von ihrer Mutter eine genetische Disposition für Brustkrebs geerbt hätte. Und nun tauchen in berauschender Geschwindigkeit immer neue Meldungen über die Vererbung gefährlicher Gene auf. In der New York Times war die Rede von einer Mutation, welche für Probleme mit Herzgefäßen verantwortlich war. Mit einer breit angelegten Studie will man der DNA-Modifikation jetzt auf die Schliche kommen, um sie dann eventuell bei Gelegenheit korrigieren zu können. Wenn das sich demnächst ausbreitet, dann gehen wir bald zum Gendoktor wie heute zum Zahnarzt. Es wäre wohl gar nicht schlecht, wenn rund die Hälfte der Zahnärzte auf Gen-Arzt umschulen würde, denn mindestens bei uns gibt es deutlich zu viele Zahnärzte, was sich seltsamerweise negativ auf die Qualität der Arbeit auswirkt anstatt positiv, wie man es erwarten müsste, wenn der Wettbewerb spielen wollte. Aber offenbar will der Wettbewerb im Gesundheitswesen nicht so recht und rein ein- und auftreten.

So oder so: Für weitere Kostenexplosionen im Gesundheitswesen ist mit dieser Entwicklung vorgesorgt, und diesbezüglich kann man mindestens einen Schluss ziehen: Die Kostenexplosion ist eine Begleiterscheinung in einem Wachstumssektor, welcher die Automobilindustrie vermutlich schon länger in den Schatten gestellt hat, eben das Gesundheitswesen im breiteren Sinn, von der Pharmakologie bis hin zu den Medizinalgeräteproduzenten. Bloß sind die Finanzierungsmechanis­men ebenso unergründlich wie die Pilzkulturen an, auf und in unseren Körpern – achja, die hatte ich ja noch vergessen, ich glaube, mindestens im Verdauungstrakt haben wir einen ganzen botanischen und zoologischen Garten mit Tierchen, Pflanzen und Essenzen, ohne die wir noch nicht mal Oberflächenkosmetik betreiben könnten. Aber eben: Die Finanzierungsform im Gesundheitswesen verweist vielleicht darauf, wie in Zukunft Preismechanismen entwickelt werden können: Kassen für alles! Wenn die Löhne immer weniger sicher werden und so eben auch den Konsum in den wichtigen neuen Wirtschaftsbereichen nicht mehr sichern können, dann kommen hier zunehmend Kassen zum Tragen, sprich in der einen oder anderen Form dann halt doch der Staat. Aus dem einfachen Grund, weil der Lohn-Preis-Mechanismus aus sämtlichen Fugen geraten ist.

Aber vielleicht entstehen nochmals neue Regeln, von denen wir alle im Moment noch gar nichts wissen, und das wäre ja dann wieder eine Meldung wert, vielleicht von einem anderen Forschungsinstitut; versucht haben es die Amerikaner auf jeden Fall bereits in der Finanzindustrie, aber die bisherigen Ansätze können nicht als geglückt bezeichnet werden. Was nicht zwingend heißen muss, dass es überhaupt keine Ansätze geben kann auf dieser Ebene.

Aber jetzt doch noch eine Frage: Was soll das jetzt mit den pyrotechnischen Veranstaltungen in den Stockholmer Migrantenvierteln? – So richtig habe ich die Kernbotschaft nicht begriffen. Keine Arbeit, keine Perspektiven oder beides? Schweden liegt mir für solche Probleme irgendwie zu hoch im Norden, will sagen: Die Schweden haben doch gar keine koloniale Vergangenheit, welche sie einholen könnte wie zum Beispiel die Französinnen und die Engländer. Dass in Frankreich die Menschen aus den ehemaligen Kolonien mit einer gewissen Selbstverständlichkeit Ansprüche geltend machen und protestieren, wenn sich keine Sau um ihre Anliegen kümmert, das kann ich begreifen. Aber in Schweden vermag ich die Ansprüche nicht so direkt und klar auszumachen. Die Integration wolle nicht so recht gelingen, habe ich irgendwo gelesen – nun, das ist zwar möglich, aber ich sehe hier die Integrations-Logik nicht so deutlich. Ich habe den Eindruck, hier müsste man mal etwas Neues versuchen. Entweder gelingt es den Zuwanderern, sich im Rahmen des bestehenden Systems zu organisieren oder sich selber zu organisieren, und wenn dies nicht der Fall ist, dann müsste man dort ansetzen, wo sie her kommen. Möglicherweise sind diese Menschen die echten und authentischen Brückenbauer für jene Länder und Kulturen, aus denen sie kommen. Wenn sie diese Funktion wahrnehmen könnten, und wenn sie dazu auch angehalten und angeleitet würden, dann wären sie mit jeder Sicherheit auch Brückenbauer für die Zukunft. Denn die Zukunft ist nicht französisch, britisch oder schwedisch – die Zukunft ist global, ganz egal ob uns das passt oder nicht. Und insofern sind jene Menschen, die uns heute als Immigranten Probleme bereiten zu scheinen, nichts anderes als der Schlüssel zur Lösung verschiedener drängender Fragen. Aber dazu ist auch die Einsicht von ihnen selber gefragt.