"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Männer und ihr Reichtum

ID 74697
 
AnhörenDownload
Die Versorgung mit allen Sorten von Gütern wird weltweit immer besser, trotz allen Schwierig­keiten. Die absolute Armut nimmt ab, immer weniger Menschen leiden Hunger. Aber irgendwie will es nicht gelingen, diese grundlegende, positive Entwicklung auch in Sekundärtugenden wie Frieden und Freiheit umzusetzen. Auch wenn man einräumt, dass es in der Geschichte kaum einmal lineare Prozesse gegeben hat, dass also immer wieder mit Rückschlägen und Gegenbewegungen zu rechnen ist, stellt einen die Hartnäckigkeit, mit welcher sich ganze Gesellschaften dagegen wehren, die offen zu Tage liegenden Möglichkeiten zu nutzen und in ihre Alltagspraxis aufzunehmen, vor ziemliche Herausforderungen.
Audio
10:37 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.01.2016 / 14:25

Dateizugriffe: 607

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.01.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Diese Widerstände erscheinen uns insgesamt als massive Erscheinungen von Dummheit. Tatsächlich könnte man Dummheit ja genau so definieren, als Widerwillen, die Errungenschaften der Moderne zu akzeptieren, zu integrieren und zur Grundlage der weiteren Entwicklung zu machen. Bloß führt eine solche Definition nicht besonders weit.

Mit dem Flüchtlingstheater in all seinen Versionen treten anstelle der materiellen Fortschritte die Fragen des Bewusstseins in den Vordergrund. Man hat dabei durchaus mehrere Möglichkeiten, sich in diese Bewusstseinsfrage zu verbeißen. Die offensichtlichste ist seit dem Kölner Sylvester die Stellung der Frau oder vielmehr das Selbstverständnis des Mannes im arabischen Raum oder im Islam. In den letzten Tagen haben zahlreiche Frauen geschildert, dass die sexuelle Belästigung beziehungsweise die Herabsetzung der Frau in den traditionell arabisch-islamischen Gesellschaften nach wie vor ein fester Bestandteil des Alltags sei. Ich bin nicht in der Lage, dies auf einer allgemeinen Ebene zu bestätigen; ich zähle zu meinem persönlichen Bekanntenkreis durchaus Nordafrikaner, Libanesen, Iraker und so weiter, aber die haben mit solchen Verhaltensformen grad überhaupt nichts am Hut, ohne dass sie deswegen anstelle eines Turbans einen Heiligenschein herum tragen. Und ich gehe davon aus, dass die Frauen in normalen arabischen Familien ungefähr die gleiche Stellung einnehmen wie bei uns.

Trotzdem ist unübersehbar, dass die jungen Männer, die aus islamischen Ländern nach Europa gezogen sind, einen starken Frauenbedarf haben und dass sich dieser Frauenbedarf in einer Form äußert, wie sie bei uns vor allem auf Porno-Webseiten verbreitet ist. Ich gehe davon aus, dass das Frauenbild vor allem bei den jungen Maghrebinern dadurch geprägt ist, dass sich zahlreiche europäische Frauen über Jahre hinweg aus dem maghrebinischen und afrikanischen Männerpool bedient haben. Dies hat zu einer Zuspitzung der patriarchalen beziehungsweise Macho-Vorstellungswelt geführt, die man durchaus als modern bezeichnen kann. Die Männerwelten aus Anatolien, durchaus auch aus dem Balkan, aus dem Nahen Osten, dem Maghreb und seltsamerweise auch aus Afghanistan und Pakistan verbinden sich zu einem eigenständigen Kulturfaktor, dessen Leitgesang im Gesamtrepertoire des Rappers Bushido eingefangen ist. Unter den Jugendlichen finden wir ein Echo davon in den famosen Bruderschaften, also in jenen Zirkeln, in denen sich die Elfjährigen mit Bruder anreden oder mit «Bro» für Brother. Da kommen kulturell gesehen dann noch die Schwarzen-Communities aus den US-amerikanischen Slums und Vorstädten dazu, über deren Frauenbild ich mir meine Vorurteile ersparen kann — es sind dieselben wie die euren, geschätzte Hörerinnen und Hörer.

Ich weiß nicht so recht, wie man sich gegenüber einer derart verstockten Gemeinschaft, die eigentlich aus purem Bewusstsein besteht, kulturrelevant verhalten soll. Natürlich fragt man sich, ob nicht die Frauenbewegung vielleicht mal einen eigenen Mob organisiert, welcher die übermütigen Männer an ihrem Zipfel packt beziehungsweise an ihrer Penis-Angst, aber da ich keine Frau bin, kann ich nicht mal das Pro und Kontra einer solchen Idee legitimerweise erwägen. Grundsätzlich wird man sich wohl damit abfinden müssen, dass es auch hier eine gewisse Zeit brauchen wird, bis sich die Hormone wieder halbwegs eingependelt haben. Und nachdem sich verschiedene islamische und islamistische Bewegungen als Haupt-Bannerträger der Männersache profiliert haben, hofft man nebenbei, dass die Möchtegern-Machos gleichzeitig mit ihren Schwesterorganisationen so ordentlich aufs Dach kriegen, die einen, nämlich der Islamische Staat, mit militärischen Mitteln und die anderen einfach auf der Ebene des Selbstbewusstseins. Aber so richtig einen praktischen zivilisatorischen Beitrag zu leisten bleibt einem verwehrt, da man ja gleichzeitig das Gewaltmonopol des Staates ebenfalls für einen zivilisatorischen Fortschritt hält, der es einem im Übrigen auch noch erlaubt, nicht dauernd ins Krafttraining zu gehen oder Kurse in Martial Arts für Fortgeschrittene zu besuchen; die sind nämlich einerseits schweineteuer und anderseits ungesund.

Ob der Diskussion all der Bruder-, Macho- oder insgesamt Penisträger-Gemeinschaften aus Arabien und Afghanistan geht oft vergessen, dass auch unsere eigenen Reaktionäre, bis hin zu den Neofaschisten, ein zutiefst rückschrittliches Frauenbild mit sich herum tragen, von den allerkatholischsten Staaten in und um Polen bis hin zu den Fritzen und Fratzen von NPD und Pegida. Das ist natürlich ein besonderer Scherz der Kulturgeschichte, dass sich jetzt ausgerechnet diese patriarchalischen Patrioten über ihre Mitbrüder im Sexismus ereifern. Aber in diesem Zusammenhang sind die Fragen ja sowieso völlig anderer und sozusagen umfassender Natur.

Wenn ich zu Beginn gesagt habe, dass die Versorgung der Menschheit mit allen erdenklichen Gütern immer besser wird, so bleiben parallel dazu nicht nur Fragen von Bewusstseinstrübungen und dergleichen bestehen, sondern auch Probleme, deren Lösung sich das Bewusstsein bei Gelegenheit ebenfalls beziehungsweise vordringlich und überhaupt zuwenden sollte. Am Montag veröffentlichte die internationale Hilfsorganisation Oxfam im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos einen Bericht, wonach sich das Vermögen der ärmeren Hälfte der Menschheit seit dem Jahr 2010 um eine Billion Dollars verringert habe, während das Vermögen allein der reichsten 62 Menschen auf der Welt um eine halbe Billion zugenommen habe auf aktuell 1.76 Billionen Dollars. Dass von diesen 62 Personen 53 Stück, also rund 85 Prozent, männlichen Geschlechts sind, versteht sich von selber, und es besteht überhaupt kein Zusammenhang zu den vorherigen Ausführungen über nord­afrika­nische, syrische, irakische, türkische usw. usf. Männer. Und wenn es doch einen gäbe, dann müsste man ihn den Moslem-Männern vielleicht mal verklickern. Nicht Frauen belästigen, einfach reich werden, das ist viel effizienterer Sexismus als alles in der Geschichte bisher Dagewesene! — Aber zurück. Die gleiche Oxfam stellte bereits vor einem Jahr in Aussicht, dass, falls es mit den weltweiten Vermögensungleichheiten weiter so gehe wie bisher, demnächst ein Zustand eintreten werde, in dem das reichste Prozent der Weltbevölkerung gleich viel Vermögen besitzen werde wie der Rest, also die übrigen 99 Prozent. Laut Oxfam ist diese Prognose unterdessen bereits wahr geworden.

Oxfam sieht das wichtigste Instrument zur Bekämpfung dieser gewaltigen Ungleichheit in der Besteuerung von hohen Vermögen, gleich wie dies Thomas Piketty in seinem Referenzwerk «Das Kapital im 21. Jahrhundert» bereits gefordert hatte. Dazu wären allerdings supranationale Absprachen vonnöten, und wie es damit aussieht, erleben wir beziehungsweise erlebt ihr ja gegenwärtig bereits innerhalb der Europäischen Union. Die US-Amerikaner versuchen zwar, ihr eigenes Steuerrecht — wie überhaupt ihr ganzes Rechtssystem — auf der ganzen Welt durchzusetzen, aber gleichzeitig betreiben sie auf dem eigenen Staatsgebiet eigentliche Steueroasen, ganz abgesehen vom Ring an Steuerparadiesen, den sie sich selber vor allem in der Karibik angelegt haben.

Daneben wird aus diesem Verhältnis eins zu neunundneunzig immerhin auch klar, dass die Vermögensungleichheiten nicht zwingend etwas aussagen zum allgemeinen Lebensstandard. Wir haben in dieser Beziehung zum Teil noch Vorstellungen aus der Vorkriegszeit beziehungsweise aus der Märchenwelt. Es ist nicht nur möglich, sondern eine Tatsache, dass wir weltweit eine noch niemals da gewesene Vermögenskonzentration sehen, während gleichzeitig der allgemeine Wohlstand deutlich zugenommen hat und weiter zunimmt. Die Vermögen sind komplett virtuell geworden, es ist absolut unmöglich, sie zu konsumieren, ebenso wie es unmöglich ist, sie in einem größeren Maßstab zur Erreichung von Vorteilen einzusetzen, wenn man einmal von Gebrauchsgütern wie einer Privatinsel neben den Barbados oder einer zwanzig Kilometer langen Luxusyacht absieht. Natürlich haben Idioten wie die Gebrüder Koch als Hauptfinanciers des Fernsehsenders Fox und der Tea Party in den Vereinigten Staaten einen größeren Einfluss auf die US-amerikanische Politik als zum Beispiel Anthony Demarco, erster Stellvertreter des Feuerwehrkommandanten von Hudson, New York. Und auch Rupert Murdoch, der noch vor wenigen Jahren im englischen Staube kroch wegen der Schweinereien seiner Schweinemedien, welche sogar das britische Pressfreiheitsverständnis völlig verständnislos dastehen ließen, sitzt unterdessen wieder fest im Sattel, nicht von Rebekkah Brooke, sondern von David Camerons Regierung. Ja, solche Pipi-Potentaten belustigen sich natürlich schon mit der Unterstützung von Bewegungen, welche in ihr Weltbild passen, und das kann schon seine Bedeutung haben; aber insgesamt hat die Vermögenskonzentration nichts zu tun mit den echten Entwicklungen auf der ganzen Welt.

Naja, das ist jetzt auch wieder übertrieben. Selbstverständlich sind die Vermögens-Ungleichheiten stoßend und abstoßend, und selbstverständlich muss jede vernünftige Person sich damit beschäftigen, wie diese Ungleichheiten beseitigt werden können. Das beste Rezept dafür erscheint mir persönlich allerdings nicht eine globale Steuerreform, welche ohnehin keine Chancen auf Erfolg hat; das beste Rezept erscheint mir ein ganz altbackenes, nämlich die ersatzlose Enteignung all dieser Geldsäcke und die Überführung ihrer Besitztümer in das Eigentum der jeweils zuständigen Staaten. — Dabei habe ich dann doch noch einen Vorbehalt: Die Staaten haben selbstverständlich nur dann Enteignungsansprüche, wenn sie selber den Ansprüchen einer Good Governance entsprechen, und das ist zum Beispiel in Afrika oder in Lateinamerika durchaus noch nicht durchgängig Realität. Aber eben: Auch hier verbessert sich die Lage in einem fort. Jetzt gibt es bereits eine U-Bahn in Lima — was soll da noch schief gehen auf der Welt?

Kommentare
21.01.2016 / 23:48 Dieter, Radio Unerhört Marburg (RUM)
am 22.1. in der Frühschicht zum Wochenende gesendet
Vielen Dank!