Der politische und kulturelle Diskurs um Werbung im öffentlichen Raum - Im Interview mit Maik Luckow vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW)

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Aktuell ist Werbung wieder zum kritischen Medium für Künstler geworden, ebenso besonders in Erfurt zum Bestandteil politischer Debatten im Stadtrat. CDU-Fraktionsvorsitzender Michael Panse betonte, auch die Verantwortlichen für Werbung mit in diesen Diskurs einzubeziehen. Deshalb haben wir uns mit Maik Luckow vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. zu einem Interview verabredet, um über Werbung im öffentlichen Raum zu sprechen.
Audio
11:49 min, 22 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 09.02.2016 / 13:53

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Martin Lehmann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 09.02.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Was ist der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft und was sind seine Aufgaben?

Maik Luckow: Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) ist der Dachverband von zurzeit 42 Verbänden aus der Werbewirtschaft, Medien und weiteren Werbeträgern, wie z. B. Sponsoring, Handel, Kommunikations- und Mediaagenturen, Marktforschung und Werbeberufe. Insgesamt steht diese Branche für Investitionen und kommerzielle Kommunikationen im kompletten Sinne, also über auch über Werbung hinaus für ungefähr 14 Milliarden Euro pro Jahr. Da Werbung in Deutschland schon sehr umfangreich und vielfältig reguliert wird, ist die Aufgabe des ZAWs diese gesetzgebenden Prozesse zu begleiten und darauf hinzuweisen, wann Werbung nicht mehr funktionieren kann, weil einfach durch die gesetzliche Regulierung, die Funktionen die Werbung hat, nämlich Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und den Wettbewerb zu befördern, nicht mehr gegeben sind. Gleichzeitig ist der ZAW Träger des Deutschen Werberats. Das ist seit 44 Jahren die zentrale Einrichtung der Selbstregulierung der Werbewirtschaft, weil die vorhin genannten Teilbranchen natürlich auch beobachten, was an Kampagnen und Motiven veröffentlicht wird. An den Deutschen Werberat kann man sich wenden, wenn man mit solchen Motiven nicht einverstanden ist und der Meinung ist, da muss man etwas machen, auch wenn es sich um legal, korrekte Werbung handelt.


Für Sie als Vertreter der Werbebranche: Was bedeutet Werbung ganz grundsätzlich für Sie persönlich?

ML: Also ich halte Werbung nicht nur für ein Teil unserer Wirtschaft, sondern auch für ein Teil unserer Kultur. Ich finde auch, in der Diskussion wird manchmal ein bisschen vergessen, dass die Pressefreiheit, wie wir sie in Deutschland haben, wie wir sie in Demokratien haben, darauf beruht, dass auch die Medien wichtige Einnahmen haben. Wenn das nicht möglich ist, dann wird sich sicherlich auch unsere Medien- und Presselandschaft deutlich verändern. Ich mag Werbung, ich finde sie meistens informativ, ich finde sie oft auch sehr unterhaltsam. Bei uns zuhause bin ich für die Einkäufe zuständig, daher nutze ich Anzeigen, Prospekte und ähnliche Sachen bevor ich in den Supermarkt zum Einkaufen gehe, einfach um zu gucken, wo ist es am günstigsten.


Wie ordnen Sie die aktuelle Wahrnehmung von Werbung im öffentlichen Raum in der Gesellschaft ein? Wie hat sie sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten entwickelt?

ML: Die Werbung im öffentlichen Raum ist mindestens seit Litfaß‘ Zeiten eine ganz wichtige Säule der Werbewirtschaft. Sie hat sich ja seit den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter entwickelt. Sie ist inzwischen genauso von der Digitalisierung betroffen und wird von ihre gestaltet wie andere Werbeträgerformen. Sie ist aus unserem Stadt- und Landschaftsbild meiner Meinung nach auch nicht mehr wegzudenken. In der Diskussion in Ihrem Beitrag spielt ja auch eine Rolle, wie viel Werbung wir im öffentlichen Raum haben. Aber man darf nicht vergessen, was immer Sie sehen in den Städten ist vorher behördlich genehmigt worden. Das heißt, das ist etwas, bei dem nicht jeder machen kann, was er möchte. Das ist eine Werbeform, die sicherlich in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird.


Der Künstler Dies Irae nutzt Werbung im öffentlichen Raum für politische Statements, da für ihn der öffentliche Raum dem politischen Diskurs statt der Werbung gilt. Viele Plakate sind bereits von ihm aufgegriffen worden. Was halten Sie als Vertreter der Werbewirtschaft von dieser Form der Street Art bzw. des politischen Ausdrucks?

ML: Also eins ist ganz klar: Die Freiheit der Kunst und die freie Meinungsäußerung sind sehr hohe und durch die Verfassung geschützte Güter. Aber sie müssen die allgemeinen Gesetze anerkennen. Was dieser Künstler macht ist de facto Beschädigung von Eigentum und die Rechte dritter werden verletzt. Da hört eben die Kunstfreiheit meiner Meinung nach auf. Insofern finde ich es nicht gut, man kann seine politischen Ansichten auf eine Art und Weise äußern, ohne Dinge zu beschädigen.


In der vergangenen Stadtratssitzung in Erfurt hat die Linksfraktion einen Antrag eingereicht, wonach in Zukunft sexistische und diskriminierende Werbung nach den Vorbildern Bremen, Wien und Salzburg verboten werden soll, die Grünen schlugen vor eine Werbewatchgroup einzurichten. Der gesamte Stadtrat begrüßte es darüber zu diskutieren und beschloss die weitere Auseinandersetzung in den jeweiligen Ausschüssen. Gibt es Ihrer Meinung nach tatsächlich dazu Diskussionsbedarf in Deutschland?

ML: Der Deutsche Werberat beschäftigt sich seit 44 Jahren auch mit diskriminierender und sexistischer Werbung. Daran sehen Sie schon, dass die Werbewirtschaft das Thema ernst nimmt und sich der öffentlichen Debatte überhaupt nicht verweigert. Auf der anderen Seite ist es so, dass über die letzten Jahre die Sensibilität höher wurde und die Wahrnehmung von solchen Motiven zugenommen hat, obwohl die Zahl der Fälle gar nicht gestiegen ist. Die Diskussion wird weitergehen, das ist gar keine Frage. Das ist auch richtig und gut so, deshalb gibt es den Werberat auch, um sich an ihn zu wenden, wenn man Motive findet, über die man sagt, das finde ich nicht akzeptabel, da sollen die sich drum kümmern, da sollen sie mit den entsprechenden Unternehmen Kontakt aufnehmen und dafür sorgen, dass diese möglicherweise zurückgezogen werden – wenn man das denn so bewertet. Die Diskussion wird sicherlich weitergehen. Man muss aber auch sehen, dass die Fälle, die Sie genannt haben, die eine Seite sind. Es gibt aber auch hier in Berlin zum Beispiel die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses so eine Werbewatchgroup nicht zu installieren. Man muss natürlich auch sehen, dass diese Werbewatchgroups ja dann eine Art von Zensur ausführen könnten. Das ist immer die Frage, wie wird das ganz konkret umgesetzt und Zensur ist etwas, mit dem Deutschland sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat. Wir glauben, dass die Selbstregulierung ein wesentlich effektiveres und effizienteres Mittel ist, um gerade auch durch die Arbeit des Deutschen Werberates die Unternehmen, seien es die Agenturen, seien es die Werbenden zu sensibilisieren über ihre Motive genau nachzudenken, sich bewusst zu sein, was sie da veröffentlichen, wie sowas ankommen könnte. Wir glauben, dass das einfach der bessere Weg ist.


Seit 2014 fordert die Initiative PINKSTINKS von Justizminister Heiko Maas, sexistische Werbung stärker zu regulieren. Dazu erarbeitete sie einen Gesetzesnormvorschlag der im “Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb” integriert werden soll. Spätestens zum Start der nächsten Legislaturperiode soll ein Verbot von geschlechtsdiskriminierende Werbung als ernstes Thema im Bundestag etabliert sein. Wie schätzen Sie das ein, klingt das realistisch?

ML: Die Debatte muss geführt werden, wenn man immer wieder Motive findet, zu denen man sagt, das finden wir diskriminierend oder sexistisch. Ich hatte ja schon angedeutet, die Fallzahl belegt das nicht. Nichtsdestotrotz, wenn es darum geht, so etwas zu unterbinden, glauben wir, dass Gesetze nicht wirklich weiter führen. Sie müssen ja auch sehen, dass so etwas praktikabel ist, dass so etwas mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass die effektiven Systeme der Selbstregulierung auch von der Politik hoch anerkannt werden, nicht beschädigt werden. Insofern glauben wir nicht, dass Verbote ein echter, effektiver Schritt sind. Es gilt das Primat der Politik und man wird sich dann mit den Gesetzesentwürfen beschäftigen müssen, wenn es welche geben sollte.


Kevin Groß (SPD) verglich in der letzten Stadtratssitzung Werbung in Schweden und Deutschland miteinander und bezog sich dabei auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung. Werbung in Schweden soll ein Abbild der Gesellschaft sein, die durch und durch heterogen ist. In Deutschland macht Werbung zumeist nur eins: Sie zementiert Rollenbilder. Könnte es in Zukunft einen Wandel der Werbung in Deutschland zu einer solchen wie in Schweden geben?

ML: Ich glaube, dass Werbung in Deutschland auch ein Abbild der Gesellschaft in der Realität ist. Sie würde sonst auch gar nicht funktionieren, weil wenn die werbenden Unternehmen und die von ihnen beauftragten Dienstleister wie zum Beispiel Agenturen oder Marktforscher es nicht schaffen zu erkennen, was hilft, ein Produkt oder eine Dienstleistung an die ins Auge gefasste Zielgruppe zu bringen, dann würden sie an denen genau vorbeikommunizieren. Damit Werbung funktioniert, muss sie das Abbild der Gesellschaft darstellen. Sie muss aufgreifen, was die Menschheit bewegt. Das macht sie in Deutschland ziemlich erfolgreich. Ich habe manchmal bei der Debatte um die Rollenbilder das Gefühl als wenn der ein oder andere Politiker den Eindruck hat, Hausfrauen müssten sich für ihre Entscheidung für ihre Arbeit schämen, weil da sehr gerne auf diesen Bereich Bezug genommen wird. Aber sie finden in der deutschen Werbung Frauenbilder und Darstellungen, in denen die Frauen die Macherinnen sind, in denen sie sich ihren vielfältigen Aufgaben zwischen Beruf und Familie stellen. Sie finden auch Fälle, in denen man von Hausfrauen sprechen könnte. Da picken sich manche Politiker immer Motive raus, die ihnen nicht gefallen und sie haben natürlich ein Recht auf ihre ganz persönliche Meinung. Aber zu unterstellen, dass deutsche Werbung oder Werbung in Deutschland nicht die Vielfalt an Lebensformen und, um beim Frauenbild zu bleiben, was Frauen machen abbildet, das stimmt einfach nicht.


Wie wird sich die Wahrnehmung und Bedeutung von Werbung im öffentlichen Raum in Zukunft entwickeln?

ML: Das wird weiter so engagiert diskutiert werden wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten, weil es einfach ein sehr, sehr wichtiger Raum ist auch für die Unternehmen, die das gern nutzen wollen, für die Dienstleister, die in diesem Bereich tätig sind, aber sicherlich auch für die Kommunen selbst. Denn was ich vorhin zum Thema Pressefreiheit gesagt habe, gilt natürlich auch für die Finanzierung der Kommunen. Es ist ja so, dass die Unternehmen, die Anbieter von Außenwerbung, wesentlich dazu beitragen, dass die Haushalte der Kommunen relevante Einnahmen bekommen. Deshalb glaube ich, dass die Auseinandersetzung darüber weitergehen wird, aber ich bin sehr sicher, dass die Außenwerbung nach wie vor eine ganz wichtige Säule in Deutschland sein wird.