"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Huffington Post Deutschland

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Auf der Flucht vor der Lügenpresse beziehungsweise auf der Suche nach der Wahrheit sucht man heutzutage reichlich unbeholfen nach Alternativen, ich möchte nicht gerade von der Nadel im Heuhaufen sprechen, aber fürs erste weiß man nicht so recht, wo die rasenden Reporter heute zuverlässig zu finden sind. Die meisten Zeitungen und Newsportale bestehen aus Agentur­mel­dun­gen, kaum jemand leistet sich noch so richtig tolle Recherchierjournalisten, wie es sie sowieso noch nie gegeben hat, und daneben wird nach wie vor das verbreitet, was ich schon seit zwanzig Jahren den sozialdemokratischen Medienkonsens nenne, allerlei Klatsch und Tratsch und Politikgedöns auf der Grundlage verschiedener moralischer Imperative, eben der sozialdemokratischen Natur.
Audio
11:03 min, 20 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 22.03.2016 / 15:35

Dateizugriffe: 582

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.03.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich wüsste allerdings auch nicht, wo man andere moralische Imperative her holen sollte, wenn ich da mal den Bogen von Paradebeispielen aufspannen sollte: von Orban? Von Putin? Von Arsenj Jazenjuk? Von Baschir al Assad? Von Erdogan Pascha? Von Obama? Von Donald Trump? – Nein, da sind mir, bei aller Bräsigkeit und Selbstzufriedenheit, all die Typen von der «Zeit», vom «Spiegel», von der «Frankfurter Allgemeinen» und von der «Süddeutschen» doch noch lieber, einmal abgesehen von der kleinen Menagerie an linken Publikationen.

Trotz allem sucht man halt immer weiter, und seit ein paar Jahren gibt es doch in den Vereinigten Staaten diese Online-Zeitung, die Huffington Post, welche vermutlich ebenfalls auf der Grundlage der sozialdemokratischen moralischen Imperative Beiträge und Recherchen publiziert, auf welche man sich gerne verlassen und sogar berufen kann. Nun scheint es auch eine deutsche Ausgabe zu geben, was heißt da scheint, ich habe sie gesehen, und ich beeile mich, unverzüglich die Ergebnisse meiner Recherchen hier bekannt zu geben, und zwar einer Internetrecherche vom Sonntag, dem 20. März 2016. Die eherne, der Wahrheit verpflichtete, unabhängige und auch sonst großartige Huffington Post Deutschland wartet mit folgenden Anreißern auf, ich zitiere in der Reihenfolge ihres Auftretens vor meinem Wahrnehmungsapparat:

«Unglaublich: Etwas hing in ihrem Fischernetz – Aber damit hätten sie niemals gerechnet.» – «ZDF-Politbarometer: Neuer Umfrageschock für Merkel: Union rutscht weiter massiv ab.» – «Tierheim: Sie starrt in die Augen eines sterbenden Hundes. Dann passiert etwas Wunderbares.» – «‹Widerlich›: Ärger um Trittin-Kommentar zu Westerwelles Tod.» –«Der Junge wurde missbraucht – was die Biker dann vor seinem Haus taten, ist Anarchie.» – «Ein Paar stieg nackt in einen See. Dann erkannten die beiden ihren größten Fehler.» Und dieses Panoptikum wird ergänzt mit folgenden «Empfohlenen Artikeln»: «Der Bauch dieser Studentin wird immer dicker – unter der Dusche entdeckt sie den Horror.» – «‹Wir sind doch nicht bloß Stimmvieh!› Ungewöhnliche AfD-Wählerin macht bei ‹Hart aber fair› Groko-Politiker sprachlos.» – «AfD-Mitglied soll Landtags­abge­ordneten bedroht haben.» – «US-Experte sagt Deutschlands Untergang voraus – aus diesen drei Gründen.» ­ «Warum künstliche Intelligenz immer gefährlicher wird.» – «Experten machen radikalen Vorschlag für Flüchtlinge – er würde Deutschland völlig verändern.» – «Über die Pose dieser Frau reden Tausende. Erkennst du, warum?» – «Diese Mädchen tun, was viele tun – Sekunden später sterben sie.» – «‹Einflüsterer› der Kanzlerin: Hier erklärt der Mann, der Merkels Flüchtlingspolitik entwarf, was sie....» – Und dann ganz absolut ober-topaktuell unter dem Rubrikentitel «Mehr auf Huffington Post»: «Zeigte Varoufakis den Mittelfinger? Über dieses Video diskutiert Europa heute.»

Mit anderen Worten: Unter dem Markennamen eines US-amerikanischen journalistischen Renom­mier­produktes wird in Deutschland ein absoluter Riesen-Scheißdreck verkauft. Der mehr als uralte Varoufakis-Heuler belegt treffsicher das Qualitätsniveau der Huffington Post Deutschland, und ich kann mich auf das Medienverständnis der AfD-WählerInnen verlassen und sagen: Genau das verstehen diese 15% an deutschnationalen Wählerinnen und Wähler als objektive Berichterstattung. Es kann da nicht überraschen, dass die deutsche Ausgabe im Besitz des Burda-Verlags ist und echtes journalistisches Benchmarking betreibt mit Bunte, Neue Woche, Superillu und vor allem dem Qualitätsblatt Focus. Der Verlagsbesitzer Hubert Burda hat sich übrigens wie Rupert Murdoch eine Schauspielerin angeheiratet, allerdings schon vor 25 Jahren, welcher regelmäßig Ehrungen angediehen werden, namentlich das Bundesverdienstkreuz und die Bayerische Verfassungsmedaille in Silber für ihr soziales Engagement mit dem Geld, das aus Titeln wie «Unter der Dusche entdeckt sie den Horror» oder «Diese Mädchen tun, was viele tun – Sekunden später sterben sie» geschöpft wird. Immerhin erhielt sie vor fast 10 Jahren auch eine Ehrung als «Goldene Henne», und dem will ich hier nichts weiter beifügen.

Journalismus? – Nein danke, mindestens nicht in dieser Form, und somit geht die Suche weiter in der Hoffnung, dass die Burda-Krake in Zukunft ihre Beute unter ihresgleichen sucht und nicht mit irreführenden Medientiteln naive und vertrauensselige Menschen in ihre Kloake zieht.

Wo liegt die Wahrheit, und wo sind die ErobererInnen, welche ausziehen, um den Wahrheits-Berg, den es genau so gut geben muss wie früher den Silberberg von Minas Gerais, um diesen Wahrheits-Berg zu suchen, zu finden, anzuzapfen oder abzubauen? – Vielleicht gibt es auch bei der Wahrheit ein paar Eingeborenen-Stämme, welche sie eifersüchtig hüten und das Geheimnis ihrer Destillation um keinen Preis verraten würden, möglicherweise erklärt dies unsere eher verzweifelte Suche nach etwas, von dem wir doch genau wissen, dass es existieren muss, dass es einen Kern, ein Wesen aller Dinge und Verhältnisse geben muss? – Mal eine Frage: Wären einige von euch, geschätzte Höre­rin­nen und Hörer, bereit, bei Gelegenheit eine solche Expedition auszurüsten? Wäre das mal ein Angebot für einen Abenteuer-Urlaub: Wir suchen die Wahrheit? – Meldet euch einfach beim Freien Radio Erfurt International, und wir legen sofort los, sobald wir die ersten Pläne zusammen haben.

In der Zwischenzeit bleiben wir im Zwischenraum von Vermutungen und halb ausgegorenen Arbeitshypothesen, wie ihr das ja schon länger gewohnt seid. In diesem Zusammenhang brauche ich zur Flüchtlingsfrage vorerst nicht allzu viel zu sagen, ich habe nämlich nach wie vor keine praxistaugliche Lösung. Ich weiß, dass Europa nicht sämtliche BewohnerInnen aus den armen Ländern der Welt empfangen kann, aus verschiedenen Gründen, ich weiß weiter, dass die Bilder von Not und Elend, wie sie auf einer leicht verschobenen Ebene auch den Meldungen der Huffington Post Deutschland zugrunde liegen, keine Grundlage für praktische und politische Entscheidungen bieten können in dieser Frage, und ich weiß vor allem, dass man sich bemühen sollte, jene Personen, die dann halt einmal hier sind, nach Strich und Faden zu integrieren. Das heißt auch, dass man den Multikulturalismus nicht so weit treiben soll, dass man den wahabitischen Frauen ihre innersten Wünsche von den Augen abliest, sich in Säcke stecken zu lassen, obwohl ich euch sagen kann, dass ich letzthin am Bahnhof kurz in so einen Sehschlitz hinein gelinst habe, und ich kann mir nicht helfen, mir kamen sofort die Bilder aus dem West-östlichen Diwan von Goethe in den Kopf, und ich vermeinte, aus braunen Augen zwischen dick schwarz geschminkten Lidern einen der heißesten Blicke entgegen genommen zu haben, den ich je in meinem ganzen Leben gesehen habe, hehe. Nein, wirklich, es ist doch so, dass Erotik erst dort beginnt, wo man den Körper zu verhüllen beginnt, und insofern kann der Wahabiten-Sack für Frauen tatsächlich ein sehr erotisches Kleidungsstück darstellen, aus der Unterwäsche wird Überwäsche, wenn man bloß genug Sex im Kopf hat, wie ich an jenem Tag im Hauptbahnhof Zürich, der aber unterdessen auch schon wieder ein paar Monate zurückliegt.

Selbstverständlich ist Multikulti nicht gescheitert, wie dies verschiedene Politikerinnen und Poli­tiker im Stil der Huffington Post Deutschland immer wieder behaupten, ganz im Gegenteil ist Multikulti gelebte Realität, zum Beispiel bei all jenen BewohnerInnen des Sultanats Deutschland, welche sich zwei Mal pro Jahr ins Ausland verfügen, einmal nach Mallorca und einmal nach Thailand oder Vietnam oder Myanmar, also praktisch die gesamte Bevölkerung. Und in Deutsch­land werden ja Pizzen und Kebap verspeist, dass es eine Lust ist, und das ist nur eine kleine Abtei­lung im Multikulturalismus. Der Multikulturalismus ist ein aktuelles, gültiges, tragfähiges und überhaupt das einzige praktikable Konzept für das moderne Leben. Seine KritikerInnen haben, wie gesagt, darin recht, dass man sich nicht von rückständigen Gesellschafts- und Denkmodellen überrollen lassen soll, aber dafür sind die modernen Gesellschaften strukturell sowieso viel zu stark, genau aus diesem Grund kommen ja die Menschen nach Europa, während umgekehrt nur TouristInnen und EntwicklungshelferInnen für zeitlich begrenzte Eskapaden reisen. In Europa aber wollen wir das Beste von unseren Gästen übernehmen, also neben ihrer Arbeitskraft auch eine Erweiterung unseres eigenen Horizontes, während ich auf obskure Dinge wie jene Lebenslust gerne verzichte, die sich aus Beschränkung und Armut speist. Da ist mir der ernsthafte Fleiß in unseren Gegenden ordentlich lieber, vor allem dann, wenn er gepaart ist mit ein paar Brocken Witz und Satire, wo nicht überhaupt mit Satire mit Humor.

Da ich ansonsten wie gesagt in der Flüchtlingsfrage keine konkreten Empfehlungen abgeben kann mit Ausnahme derjenigen, doch eine Mauer zu bauen, im Norden von Erfurt, welche allerdings nicht der Abwehr von Flüchtlingen, sondern der Verstärkung der lokalen Kultur dienen würde, wobei diese Idee übrigens eine gewisse Verwandtschaft aufweist zu den nicht besonders sinnreichen Verhüllungskünsten von Christo, der noch übrigenser in diesem Sommer eine Aktion mit einer verhüllten Brücke auf eine Insel im Lago d’Iseo durchführt, für all jene, die sich für so was interessieren, aber eben: mein Vorschlag zur Errichtung einer Mauer trifft in Erfurt seit Jahren auf taube Ohren. Es würde vermutlich nicht einmal etwas nützen, wenn ich diese Mauer die «Mauer der Wahrheit» nennen würde, die man dann natürlich schneller finden könnte als vermittels einer unbestimmten Expedition auf einen unbestimmten Kontinent. Aber zurück: Da ich eben keine Empfehlungen zur Flüchtlingsfrage abgeben kann, warte ich wie ihr alle einfach mal ab, ob Pascha Erdogan seine Versprechungen am Europagipfel einlöst, und ich warte vor allem ab, welchen Einfluss dieser Lösungsansatz dann auf die Bewertung der Arbeit eurer Sultanin Merkel hat. Je nach Ausgang des Prozesses werden sich dann die Protestwählerinnen wieder in ihre Bausparvertrags-Schneckenhäuser zurückziehen und vielleicht sogar knurrend und knirschend wieder CDU wählen, wobei eines schon jetzt feststeht: Dieser Ausbruch von AfD, der wird seine Narben hinterlassen, und auf diesen Narben werden wir in Zukunft regelmäßig herum hacken.