"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Hans-Werner Sinn vom Grundeinkommen

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Ihr wisst unterdessen vermutlich, dass die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 5. Juni über eine Volksinitiative abstimmen werden, welche die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens fordert. Die notwendigen Unterschriften dafür waren 2012 und 2013 gesammelt worden, und jetzt geht es um die Wurst. Generell räumen weder BefürworterInnen noch GegnerIn­nen der Initiative eine echte Chance ein, aber eines steht fest: Noch nie wurde so angeregt über das Grundeinkommens-Konzept diskutiert wie im vergangenen halben Jahr, und man kann sagen, dass die Auseinandersetzungen in der Regel anständig und interessiert verliefen.
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11:21 min, 26 MB, mp3
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Upload vom 11.05.2016 / 14:31

Dateizugriffe: 2172

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.05.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Hauptgrund dafür war ohne Zweifel, dass die größten Produzenten von Unsinn und Bullenkacke, nämlich die rechten populistischen Nationalisten von der Schweizerischen Volkspartei, sich praktisch mit keinem Wort an der Debatte beteiligten, weil der Vorschlag schlicht und einfach ihre intellektuellen Kapazitäten übersteigt. Die wissen nicht einmal, worum es hier geht. Und das ist gut so und wird hoffentlich auch so bleiben.

Eine weitere Abwesenheitsmeldung betrifft jene politische Bewegung, welche man in der Regel die bürgerliche oder die liberale nennt. In der Schweiz heißt die politische Heimat dieser Bewegung «der Freisinn» oder mit dem Parteienkürzel FDP, was für Freisinnig-Demokratische Partei steht und mit der deutschen FDP vielleicht ein paar ideologische Kartuschen, aber ansonsten nicht besonders viel gemein hat. Die FDP war über lange Jahre hinweg die SED der Schweiz und hatte im Parlament die politische Alleinherrschaft bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein, praktisch bis zur Einführung des Proporzwahlrechts im Jahr 1919. Sie blieb auch weiterhin die bestimmende Partei. Vor allem der Zürcher Flügel, der Wirtschaftsfreisinn, machte politisch gesehen das schöne und das schlechte Wetter, bis der Einfluss der FDP nach den Revolten der 1968-er Generation und später der Jugendbewegung sowie mit den gesellschaftlichen Verschie­bungen nachließ, unter anderem mit dem Aufkommen eben der nationalpopulistischen Schweizer Volkspartei unter der Führung des frisch gekrönten Chemie- und Banker-Barons Blocher. Insgesamt entsprach und entspricht die FDP ungefähr der deutschen Christlich-Demokratischen Union, einfach ohne Katholiken, welche in der Schweiz in der Christlich-Demokratischen Volkspartei gruppiert sind. Aber wie auch immer: Ganz im Gegensatz zu den liberalen und bürgerlichen Kräften in Deutschland, welche schon früh mit dem Bürgergeld liebäugelten und dann vor zehn Jahren in der Person Eures ehemaligen Landesvaters Dieter Althaus ein neues und aktuelles Modell davon erarbeiteten, hat sich die schweizerische FDP niemals auch nur ansatzweise mit dem Grundeinkommen anfreunden können; vielmehr hat sie sich niemals damit beschäftigt, obwohl einer der Stararchitekten des Solidarischen Bürgergeldes ja ausgerechnet der Schweizer Ökonomieprofessor Thomas Straubhaar war, seines Zeichens damals der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes und in keinerlei Art und Weise etwa einer sozialistischen oder auch nur sozialdemokratischen Gesinnung verdächtig. – Na gut, den mit dem «sozialdemokratisch» nehme ich zurück, weil heute ja alle irgendwie sozialdemokratisch gepolt sind, auch die schweizerische FDP, aber das ist eine andere Debatte.

Wie auch immer: Die schweizerische FDP und die ihr anverwandten Wirtschaftsorganisationen und Universitätsprofessoren unternehmen seit einigen Jahren höchstens am Rand einige Purzelbäume, um den Beweis zu führen, dass ein Grundeinkommen nichts anderes ist als ein Hirngespinst von realitätsfernen Träumern, und sie wird an dieser Haltung wohl auch dann noch festhalten, wenn rund um die Welt alle anderen Staaten das Grundeinkommen eingeführt haben. – Hierzu übrigens ein Nachtrag aus Afrika: Nachdem vor bald zehn Jahren in Namibia ein Grundeinkommens-Experiment durchgeführt wurde, dessen Ergebnisse derart positiv ausfielen, dass die Weltbank eigens Zahlen fälschen musste, um das Projekt in schlechtem Licht erscheinen zu lassen, sind in diesem Jahr zwei neue Pilotprojekte angekündigt worden, eines in Kenia und eines in Uganda, über welche ich vielleicht bei Gelegenheit hier mal berichten werde, aber im Moment steht mir der Sinn halt eben nach der Schweiz, wo ich mit einem gewissen Erstaunen auf die absolute Unwilligkeit der nach wie vor einflussreichen FDP verweise, das Konzept überhaupt nur zu rezipieren, also zur Kenntnis zu nehmen, überhaupt wahrzunehmen, worum es sich handelt. Nun gut – im Rahmen des politischen Prozesses ist es natürlich absolut denkbar, dass die FDP darauf wartet, dass die Abstim­mung vorüber zieht, um dann selber in die Diskussion einzusteigen und den Rahm abzuschöpfen, soweit das möglich ist. Wir werden es ja sehen. Jedenfalls fallen ihre Kapriolen im Moment ziemlich peinlich aus, und ich verzichte hier auf einige Details, weil es eben nicht nur die Schweizer sind, welche in der aktuellen Debatte zum Teil anständig blöd aussehen, sondern es gibt auch mindestens einen prominenten Deutschen, welcher sich vor einer Woche, just zum Tag der Arbeit, in einem Interview zum Thema äußerte. Es handelt sich um den Bartmode-Trendsetter und seit zwei Monaten emeritierten Präsidenten des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, den Münchner Ökonomieprofessor Hans-Werner Sinn, von dem ich an dieser Stelle schon früher gesprochen habe, meines Erinnerns niemals positiv. Jetzt aber ist ihm zum Thema beigefallen, dass die Idee des Grundeinkommens an und für sich interessant sei, dass er den Schweizerinnen und Schweizern aber trotzdem davon abrate, weil sonst nämlich halb Afrika in die Schweiz kommen wolle. Die entsprechende Aussage bestimmte denn auch den Titel des Interviews in der «Schweiz am Sonntag». Im Text heißt es dann so: «Wenn die Schweiz dann noch die Grenzen aufmacht, wird halb Afrika kommen wollen.»

Manchmal verschlucke ich mich fast vor, was soll ich sagen: Zorn? Ärger? Unglaube? Es ist wohl am ehesten eine Art von Fassungslosigkeit, welche meine Reflexe außer Kraft setzt. Was sagt dieser hoch gelobte und überall zitierte Experte gleich nochmals zur möglichen Einführung des Grundeinkommens in der Schweiz? «Halb Afrika wird kommen wollen, wenn die Schweiz dann noch die Grenzen aufmacht.» Das ist ja einfach sensationell. Er könnte auch sagen, das Grundeinkommen führe zu einer Explosion der Kriminalität in der Schweiz, dann müsste die Aussage heißen: «Im Fall der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz wird die Kriminalität explosionsartig in die Höhe steigen, wenn die Schweiz dann auch noch die Polizei und das Strafrecht abschafft.» – Oder vielleicht zum öffentlichen Verkehr: «Wenn die Schweiz das Grundeinkommen einführt, bricht der öffentliche Verkehr zusammen, wenn die Schweiz ihre Straßen und das Schienennetz in die Luft sprengt.»

Manchmal ist es wirklich schwierig zu verstehen, wie noch die größten Koryphäen ungestraft ganz massiven Bockmist in die Welt pressen können, ohne dass so etwas Konsequenzen hätte wie zum Beispiel die rückwirkende Aberkennung des Doktortitels – aus neutraler Sicht ist es deutlich harmloser, sich seine Doktorarbeit zusammen zu schummeln, als derartig verstandeswidrigen und allein Silvio Berlusconis und Donald Trumps würdigen Blödsinn von sich zu geben.

Im selben Interview schiebt Hans-Werner Kinnbart übrigens in der Afrika-Debatte noch einen nach: Die Zuwanderung durch Flüchtlinge nach Deutschland mache einzig die Reichen reicher, die unteren Schichten würden verlieren. Ein jeder Flüchtling koste Deutschland 450'000 Euro, welche auch die nachfolgende Generation der heutigen Flüchtlinge nicht mehr einspielen würden.

Ich frage mich da, was Hans-Werner Sinn gekostet hat und was er nicht sich selber, sondern der Wirtschaft eingebracht hat, aber das ist selbstverständlich eine rhetorische Übung, denn abgesehen von seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Hypo-Vereinsbank in den Jahren 2000 bis 2010 fungierte er hauptsächlich als ökonomisch-ideologischer Nebelwerfer in all jenen Gremien, welche für ökonomisch-ideologische Nebelwerfer eingerichtet wurden, also verschiedene Akademien der Wissenschaften, Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium und so weiter.

Hat man denn nicht, wenn man fast 130'000 Unterschriften zusammengetragen hat, Anrecht auf anständige Gegner? Auf erwachsene Menschen mit einem voll funktionstüchtigen Denkapparat auf dem Hals? Muss man sich denn alles gefallen lassen, auch so einen Dummerjahn wie Hans-Werner Sinn?

Mal sehen. Schließlich nimmt ja das Stimmvolk in der Schweiz in vier Wochen nicht Stellung zum Star- und Stör-Ökonomen Sinn, sondern zur Grundeinkommens-Initiative, und da wollen wir mal schauen, wie die ersten Ergebnisse ausfallen. Die Kampagne der BefürworterInnen und die breite Diskussion, welche sie ausgelöst haben, lassen sich auf jeden Fall sehen, und eben, wenn die FDP dann nach geschlagener Schlacht aufs Feld tritt mit einem eigenen Vorschlag, wollen wir den ganz objektiv und neutral prüfen, ich verspreche es.

London hat zum ersten Mal einen Muslim als Bürgermeister. Vor einigen Jahren waren die Hauptstädte noch in, wenn sie einen Homosexuellen als Repräsentanten hatten, jetzt muss es bereits ein Moslem sein, die Anforderungen nehmen stetig zu. Besonders interessant ist die Feststellung, dass sich die Londonerinnen und Londoner nicht von den Attacken des Ehemanns von Mick Jaggers Ex-Frau beeindrucken ließen. Ich würde ja gerne eine Beschwerde bei der Independent Press Standards Organisation einreichen, zum Beispiel gegen «The Sun», welche in diesem Gremium vertreten ist durch den 73-jährigen Trevor Kavanagh. Ich würde die Beschwerde nicht gegen einen einzelnen Artikel richten, sondern gegen die pure Existenz von solchen Schmierblättern, welche eine Spezialität des Hauses Murdoch sind und tatsächlich unmittelbar, wo nicht sogar ursächlich zusammenhängen mit Phänomenen wie dem Trump-Idioten.

A propos Donald Trump, hier habe ich einen Vorschlag: Nehmen wir mal an, dass sich hinter der Skandalnudel, welche die ganze US-amerikanische Demokratie durch den Kakao zieht in einer Art und Weise, wie es der Böhmermann im ZDF nie im Leben schaffen würde, nehmen wir also an, dass sich hinter diesem Volljockel ein halbwegs rationales Individuum verbirgt, das nicht im Traum daran denkt, eine Mauer hochzuziehen an der Grenze zu Mexiko, aus dem einfachen Grund, weil da ja eh schon ein Zaun steht, und zwar nicht aus Maschen-, sondern aus Stacheldraht; nehmen wir mal an, dass das komplett konsistenz- und hirnlose Herumgejockel pure Show ist und dass der Hauptdarsteller durchaus über Realismus und Geschäftssinn verfügt – wäre ihm dann eigentlich nicht der Vorzug zu geben gegenüber der einhundertprozentigen Filzgestalt Hillary Clinton?

Ich weiß, ich weiß: Selbstverständlich nicht, von wegen erste Frau als Präsidentin und so weiter und so fort. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Donald Trump eine weitaus bessere erste Frau als US-amerikanische Präsidentin wäre. Gleichzeitig und mit Bezug auf seine Realsatire muss ich rein logisch einräumen, dass meine und unsere allgemeine Wahrnehmung der Politik nichts weiter ist als der Ausdruck jenes allgemeinen sozialdemokratischen Medienkonsenses, von dem ich ebenfalls schon seit Jahren berichte und der, auf eine etwas weniger spektakuläre Art und Weise, aber eben doch kaum ein Abbild der realen Realität, der wirklichen Welt liefert, sondern durch die Vortäuschung eines echten Journalismus eben erst Recht den Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft verstellt.

Könnte ja sein, oder?

Kommentare
17.05.2016 / 08:07 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in der Frühschicht 17-5-2016
gesendet. Danke!