Diogenes außer Rand und Band – eine Filmkritik mit Anmerkungen zum Freiburger Häuserkampf

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In ihrem Film "Diogenes in Freiburg, politische Hintergründe der Häuserkämpfe in den 70er und 80ern" gehen Bodo Kaiser und Sigi Held der Geschichte der Freiburger HausbesetzerInnenbewegung nach. Gelegenheit, nicht nur den Film zu besprechen, sondern auch etwas über dieses Ding an der Dreisam zu reflektieren, das Häuserkampf genannt wurde und die Schwarzwaldmetropole durchgeschüttelt hat wie keine andere Kette von Ereignissen nach dem Krieg. Dabei helfen auch die eigenen Erinnerungen. Verwendet wird ein kurzer Ausschnitt einer Sondersendung von Radio Verte Fessenheim, dem Vorgängerradio von Radio Dreyeckland. Zu sehen ist der Film:
Audio
13:47 min, 13 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.10.2016 / 11:01

Dateizugriffe: 2198

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur
Serie: Morgenradio
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 07.10.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Diogenes außer Rand und Band – eine Filmkritik mit Anmerkungen zum Freiburger Häuserkampf

Letzten Donnerstag hatten wir Sigi Held wegen der Aufführung des Films: Diogenes in Freiburg, politische Hintergründe der Häuserkämpfe in den 70er und 80ern von Bodo Kaiser und Sigi Held angerufen. Dfann wollte er gar, dass ich mir den Film ansehe. Solches habe ich getan. Den Bericht darüber könnt ihr nun, etwas nachgewürzt und gesalzen mit eigenen Erinnerungen anhören.

In Interviews treten auf:

Der abgeklärte Bernd Nosticsch, der sich im August 1975 aus dem Fenster lehnt, um der Räumung der Freiau zuzusehen. Später kann er es dann aber doch nicht lassen, etwas dabei zu sein.

Ein weiterer abgeklärter Interviewpartner, Heinz Auweder vom linken Buchladen Jos Fritz, steuert ebenfalls seine Kritik bei.

Warum er dabei war, weiß wenigstens Uwe Wehrle. Als Gymnasiast wird er von Kommunisten agitiert, ist begeistert von der Kulturrevolution, so wie sie vermittelt wurde, nämlich als Jugendrevolte. Als Punk macht er eine solche Revolte schließlich selbst.

Als Lehrling in einer Druckerei ist Günter Ihrig nicht begeistert vom Kapitalismus und schließt sich früh der Häuserkampfbewegung an. Bis zu 14 Stunden am Tag ist er politisch aktiv. Im Interview wehrt er sich gegen seinen Spitznamen „der General“. Generäle hätte die Bewegung doch gar keine gehabt.

Dass die Szene keine Generäle hatte, hat dem Polizisten Wagner die Arbeit schwer gemacht. Wie Rädelsführer ausmachen, wenn alles so spontan abläuft? Zu seinen Aufgaben gehörte es, in geräumten Häusern die Papiere der BewohnerInnen durchzulesen. Außerdem plaudert er über Erfolge und Fehler der Polizeitaktik.

Als zweiter Vertreter der Staatsseite tritt Rolf Böhme auf. 1982 wurde er mit dem Verprechen, soziale Konflikte nichtmehr mit Gewalt zu lösen, zum Oberbürgermeister gewählt. Zwischen den Zeilen vermittelt er, dass es wichtig war, die Häuserkampfbewegung zu beseitigen, um die freiburger Wirtschaft flott zu machen, wofür ihm das Verdienst gebühre. Der einst schlechte Zustand der freiburger Wirtschaft, ist dann komischerweise auch ein Grund für die Häuserkampfbewegung.

Jemand der am Rand der Szene stand, ohne sich in dieser Position lediglich zu sonnen, ist Stefan Rost. Mit dem von ihm initiierten Mietshäusersyndikat hat er letztlich die soziale Seite des Häuserkampfes weitergeführt. Dass er im Kapitalismus als Kleinunternehmer enden würde, wurde ihm damals von einem Hausbesetzer prophezeit. Der Kritiker sitzt heute im Gemeinderat, das Mietshäusersyndikat floriert, ohne dass Stefan wirklich Unternehmer geworden wäre. Über Radikalität als Fetisch hätte die Bewegung auch mal diskutieren können.

Größte Schwierigkeiten hatten die Filmemacher, eine Frau als Interviewpartnerin zu gewinnen. Schließlich konnten sie die heutige Anwältin und Stadträtin Maria Viethen zu einem Interview bewegen. Dieses Interview hat dem Film gut getan.

Die Frage bleibt unbeantwortet, warum keine weitere ehemalige Aktivistin vor die Kamera wollte. Natürlich hatte die Szene ihre Mackerstrukturen, aber auch davon hätte frau ja erzählen können. Hausbesetzen war kein Männersport, wie heute das Wählen der AfD. In den späteren Jahren, als Maria Viethen nichtmehr aktiv war, gab es auch ein nur von Frauen besetztes Haus. Dabei kamen die Frauen einer der Grundideen der Häuserkampfbewegung am nächsten, der Politik der ersten Person. Etwas für andere machen, aber auch für sich selbst.

Die Interviews sind ohne die Fragen als Monologe in den Film geschnitten. Es gibt keine kritischen Dialoge zwischen dem Interviewer und den Interviewten. Die Rolle, das gesagte zu relativieren, übernimmt manchmal die Montage von Interviewausschnitten. Dadurch entsteht stellenweise eine Art Dialog. Vor allem aber erzählen auch die eingestreuten Bilder und Filmsequenzen sehr viel von damals und heute. Dabei profitiert der Film von Bodo Kaisers reichlichem Filmmaterial und auch vom Material der Medienwerkstatt.

[Woher kamen die Massen und wie hörte das auf]


Die Massen kamen aus verschiedenen Gründen. Dabei war ein Gefühl der Stärke nach der erfolgreichen Besetzung des Bauplatzes des AKW-Wyhl zusammen. Unterschwellig gab es auch das Gefühl, Widerstand leisten zu müssen, weil man vor der Geschichte nicht wieder versagen wollte. Das war der diffuse nachholende Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den die RAF auf die Spitze trieb. In ihrer Zuspitzung führte das zur Alternative „Mensch oder Schwein“, wie es Holger Meins vor seinem Tod im Hungerstreik formulierte. Letztendlich auch eine Art Politik der 1. Person und zwar nur noch der ersten Person.

Die Radikalen waren oft die aktivsten und auch diejenigen, die sich am ehesten trauten, den Mund aufzumachen. Aber aus der Haltung, dass alles außer Widerstand Gift ist, ließen sich keine umsetzbaren politischen Ziele mehr formulieren. Selbst die Legalisierung von besetztem Wohnraum war vielen schon meilenweit entfernt von ihrer Politik.

Im Film stellt der ehemalige OB Rolf Böhme sichtlich erleichtert fest, dass die sogenannte Pfingstrandale in Freiburg zu einem Konsens bezüglich des Endes der Hausbesetzungszeit geführt habe. Man kann es auch umgekehrt sehen. Die Stadt hatte ihre Bereitschaft verkündet, keine Hausbesetzungen mehr zu dulden. Als sich die grüne Gemeinderatsfraktion vorbehaltlos hinter einen brutalen Polizeieinsatz gegen ein Fest zum 6. Jahrestag der Besetzung des Hauses Wilhelmstraße 36 stellte, war es klar, dass die halbweiche Linie im Umgang mit Hausbesetzungen in Freiburg vorbei war. Die Pfingstrandale war die Reaktion darauf. Dass sich einige davon noch tatsächlich etwas erhofften, zeigt wie weit ein Teil der Szene die Welt drumherum schon ausgeblendet hatte.

Apropos Gewalt:

Die Gewalt der einen Seite stand im Polizeibericht, wo die Sachschäden großzügig geschätzt wurden. Die Badische Zeitung übernahm die mitunter recht parteiischen Polizeiberichte, als seien sie die objektive Wahrheit. Auf eigene Recherche wurde verzichtet. Verletzte DemonstrationsteilnehmerInnen, taten dagegen gut daran, sich heimlich behandeln zu lassen, um einer Anzeige zu entgehen. Nach einer Demonstration, einen Tag nach der Räumung des Schwarzwaldhofes, bei der einige Farbeier gegen das Landgericht geworfen worden waren, zählten die Demosanis 130 Verletzte, darunter 70 mit schweren Kopfverletzungen. Trotz Gefahr der Anzeige, wurden 50 Verletzte an die Ambulanz der Uniklinik abgegeben, 20 an die Augenklinik. Einem Jugendlichen wurde ein Rückenwirbel gebrochen. 5 Polizisten wurden nach Ende der Demonstration durch Steinwürfe verletzt. Anders als bei „Scherbennacht“ und „Pfingstrandale“ prägten die Medien keinen Begriff wie „Nacht der Freiburger Polizeirandale“.

Das soll nicht heißen, dass die Szene nur ein Opfer war. Natürlich gab es Jugendliche, die Gewalt geil fanden. Auch sonst wurde Gewalt in der Szene zunehmend akzeptiert. Am Anfang flogen, wenn überhaupt, vor allem Farbeier. Jahre später waren es Steine und Molotowcocktails. Vorher rüstete aber auch die Polizei auf, vom Gummiknüppel zu dicken Holzknüppeln, die selbst Motorradhelme mit einem Schlag spalten konnten. Auch hätte man den Polizisten Wagner gerne gefragt, wohin die Hundertschaften der Polizei in der Scherbennacht so plötzlich verschwunden waren und warum.
Der Anstieg der Gewalt war indessen nicht die tiefere Ursache für das Scheitern der Bewegung. Ein paar Tage nach der berüchtigten Scherbennacht, gingen 21 000 für den Erhalt des Schwarzwaldhofes auf die Straße. Doch je mehr sich die Hausbesetzerinnenszene radikalisierte, um so weniger war sie in der Lage und bereit, ein Ziel zu formulieren, das auf Dauer politisch zu vermitteln war. Verhandlungen wurden ohnehin abgelehnt. Wer hätte sie auch führen sollen? Eine Sprecherin, einen Vorsitzenden, ein Exekutivkomitee, ein Verhandlungskomitee oder einen General gab es nicht. Solche Dinge waren gegen die utopische, anarchistische Vision der Bewegung. Am Ende, das merkt man aus den letzten Flugblättern recht deutlich, hatte es sich die Szene auch in ihrer eigenen politischen Welt recht bequem gemacht.

Der Schwenk zum Antiimperialismusn ersetzte die Politik vor Ort. Die Bewohnerinnen der unterdrückten Länder, waren dann auch lieb genug, nicht aufs Plenum zu kommen und gegen ihre Vereinnahmung zu protestieren. Auf die Demo kamen sie aber auch nicht. Die aus kleinen Akten des Ungehorsams über Jahre gewachsene Fähigkeit, Gewalt auszuüben, war nun das letzte, was ihr noch Bedeutung verlieh.

Wenn man gegen einen Recyclinghof in der Wiehre demonstriert, reicht es, seine Nachbarn hinter sich zu haben. Auch ein Theoriezirkel kann sich isolieren. Aber für die Art von Konfrontation, die die Häuserkampfbewegung betrieb, reichte es nicht, für sich in der eigenen ideologischen Welt zu sitzen, wie der griechische Philosoph Diogenes in seinem Fass. Es wäre interessant gewesen, den Gründen für die in den letzten Jahren wachsende Selbstisolation der Szene nachzugehen. Doch offenbar haben die Filmemacher nicht intensiv nachgefragt. Dass Böhme sagt, die Szene sei ohnehin am Ende gewesen und dass jemand über ungerechte Kritik an der Spechtpassage jammert, verrät nichts über die Ursachen.

Wenn es der Szene auch insgesamt an einem realisierbaren Projekt fehlte, so gab es innerhalb der Bewegung doch genug Leute, die heimlich oder offen ihre Projektwünsche hatten. Die Taktik Böhmes war es nun, eben solche einzelnen Projekte zu verwirklichen. Auf diesem Umweg war die HausbesetzerInnenbewegung kommunalpolitisch unheimlich erfolgreich.

Projekte, die entweder aus Teilen der HausbesetzerInnenbewegung entstanden oder ohne den Furor der Hausbesetzungen wohl nicht realisiert worden wären, sind:

Das Cräsh, der Drifters Club, das Jazzhaus, das E-Werk, das Kommunale Kino, das Grethergelände, das Kinder- und Jugendtheater, Radio Dreyeckland, Susi und mehr oder weniger die Spechtpassage. Auch die KTS würde es nicht geben, hätte es nicht einmal Dreisameck und Schwarzwaldhof gegeben. Von den gut 60 Häusern, die in Freiburg in 17 Jahren besetzt wurden, wurde etwa die Hälfte erst nach Monaten oder Jahren geräumt. Auch dass auf dem Gelände des Schwarzwaldhofes schließlich Wohnraum für StudentInnen geschaffen wurde, ist kein Zufall.

Nicht immer ging es so aus. Ein besetztes Haus mit 36 Zimmern in der Hummelstraße musste einem Parkplatz für 7 Autos weichen. Andere Häuser wurden zugemauert oder erhielten nur zum Schein Gardienen. In ein Haus zogen gleich nach dem Rauswurf der BesetzerInnen, Spielautomaten und ein Bordell ein. Ordnung und Recht, sie müssen halt sein.

Es gab nicht nur diejenigen, die am Ende doch noch ihr Projekt bekamen, es gab auch Leute, die kaputt gingen. Günter spricht es als einziger in dem Film an. Es wäre einer der Punkte zum Nachfragen gewesen.

Was hat die Zeit den Überlebenden gebracht? Der Polizist Wagner fand es eine interessante Zeit in seinem Leben. Wenn das schon jemand sagt, der eigentlich mit der Verhinderung dieser Zeit beschäftigt war, kann es nicht ganz falsch sein. Eine Wiederholung, meint der Polizist Wagner, kann es nicht geben. So wie sie war kommt die Zeit der Hausbesetzungen sicher nicht wieder. Heute geht es nichtmehr so sehr um Freiräume für uns, sondern um eine offene Gesellschaft, offen für Flüchtlinge. Trotzdem, muss Freiburg wirklich so brav enden wie es heute erscheint? Es war nicht immer so.