"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Raststatt

ID 85255
  Extern gespeichert!
AnhörenDownload
So tief hat der Betrug bei den Abgaswerten von deutschen Dieselfahrzeugen die Welt erschüttert, dass sogar die ehrwürdige Hüterin des Nachlasses kritischer Geister wie Karl Marx, Theodor Adorno und Nepomuk Müller, die Zeitschrift Konkret, von einem Verbrechen an der Volksnase oder an der Volkslunge, auf jeden Fall von kriminellen Machenschaften sprach, und das will etwas heißen, weil es die Konkret üblicherweise mit dem Strafrecht nicht so genau nimmt aus der Erkenntnis heraus, dass das Strafrecht ja eine fast paradigmatische Ausgeburt des bürgerlichen Staates ist, den man ohnehin zu bekämpfen hat, weil es bekanntlich kein richtiges Leben im falschen gibt
Audio
10:36 min, 6371 kB, mp3
mp3, 82 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.10.2017 / 08:37

Dateizugriffe: 78

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 04.10.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
So tief hat der Betrug bei den Abgaswerten von deutschen Dieselfahrzeugen die Welt erschüttert, dass sogar die ehrwürdige Hüterin des Nachlasses kritischer Geister wie Karl Marx, Theodor Adorno und Nepomuk Müller, die Zeitschrift Konkret, von einem Verbrechen an der Volksnase oder an der Volkslunge, auf jeden Fall von kriminellen Machenschaften sprach, und das will etwas heißen, weil es die Konkret üblicherweise mit dem Strafrecht nicht so genau nimmt aus der Erkenntnis heraus, dass das Strafrecht ja eine fast paradigmatische Ausgeburt des bürgerlichen Staates ist, den man ohnehin zu bekämpfen hat, weil es bekanntlich kein richtiges Leben im falschen gibt.

Habt ihr das jetzt verstanden, liebe Hörerinnen und Hörer? Nein? Sehr gut, denn es gibt hier nichts zu verstehen, außer dass sich die Konkret offenbar tatsächlich aus eigenem Antrieb über das aufgeregt hat, worüber sich alle anderen ebenfalls aufgeregt haben, während wir in der neutralen Schweiz nur milde unseren Kopf geschüttelt haben: Wie kann es kommen, dass die deutschen, aber mit Sicherheit auch die französischen, japanischen und US-amerikanischen Automobilkonzerne jene Diesel-Abgaswerte nicht einhalten, welche sie selber über ihre teuren Lobbyisten den Umweltbehörden aller Länder untergejubelt haben? Das ist doch absurd, da liegt doch ein grund­legender Irrtum vor bezüglich des Funktionierens der Regulierung im westlichen Demokratien. Wir haben euch, werte Automobil- und überhaupt Wirtschaftskonzerne und -verbände, doch nicht deswegen praktisch alle Freiheiten bei der Gesetzgebung eingeräumt, dass ihr eure eigenen Vorschriften nicht einhaltet. Das ist absurd! Dagegen müssen wir protestieren! Nicht wegen Kriminalität, sondern wegen eines schweren Verstoßes gegen das ganze Sinnsystem, welches unsere Demokratie-Fiktion im Innersten zusammen hält! Wie bescheuert ist das denn!

Während sich also die deutsche Öffentlichkeit mit offener Lunge darüber aufregt, dass ihre Leitfossilien anstelle von, was weiß ich, fünf Parts per Million an Stickoxiden halt sieben Parts per Million in die Luft blasen, bleibt sie außerordentlich stumm darüber, dass die Deutsche Bundesbahn den Gütertransportkorridor von Rotterdam nach Genua für volle sieben Wochen lahm gelegt hat. Angeblich war es ein Versehen. Kann man, oder genauer: könnt Ihr euch vorstellen, dass die Deutsche Bahn für Planungs- und Ingenieurarbeiten an besagter Hauptlinie einen Auszubildenden beauftragt, der noch nicht mal eine Ahnung hat davon, dass beim Ausheben von Tunnels auch im flachen Gelände manchmal Wasser und Erdreich eindringen können? – Dafür braucht es nun wirklich keine Kenntnis der Plattentektonik, so etwas stellt das ABC für Tiefbau-Ingenieure dar, und wenn es zu solchen Elementarschäden kommt, dann liegt entweder eine katastrophale Sorglosigkeit auf allen Ebenen vor. Oder aber es handelt sich geradewegs um Absicht, um eine schlecht kaschierte Sabotageaktion des Unternehmens Deutsche Bahn auf jenen Unternehmens­zweig, den dieses Unternehmen schon lange gar nicht mehr betreiben möchte. Die Deutsche Bahn sieht sich nämlich als internationalen Straßentransport- und Logistik-Giganten, und für einen solchen Konzern ist ein nationales Eisenbahnnetz natürlich ein Klotz am Bein.

200 Güterzüge passieren die Stelle bei Rastatt unter normalen Bedingungen. Nach dem Sabotage-Akt waren es null, dann stieg die Zahl der umgeleiteten Güterzüge bis auf immerhin über 80, bevor die Strecke jetzt endlich wieder in Betrieb genommen wurde. Der Rest wurde auf den Rhein verlagert beziehungsweise, wie es sich für ein internationales Straßentransport- und Logistik-Unternehmen gebührt, auf die Straße. Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Parts per Million an Stockoxiden und anderen Teilen dadurch in die Luft eingespeist wurden, einmal abgesehen von den anderen Schadstoffen oder den wirtschaftlichen Auswirkungen? Die neutralen Schweizerischen Bundesbahnen sprechen von Einnahmemausfällen in Millionenhöhe. Aber wir fragen uns noch viel grundsätzlicher: Jetzt haben wir also einen Tunnel durch die Alpen gebohrt, damit die ohnehin meistens sinnlosen Warentransporte wenigstens halbwegs umweltfreundlich auf der Schiene vorgenommen werden können, und dann zeigen uns die Italiener im Süden den Arsch, indem sie ihre eigene Infrastruktur nicht anpassen und stattdessen einfach ihre Tarife erhöhen, und im Norden sabotiert die Deutsche Bahn das ganze Projekt?
Logischerweise erinnern wir uns an den Versuch von Mercedes, in den 1990-er Jahren die Eisen­bahnindustrie zu zertrümmern mit ihrem Vehikel AD Tranz. Wir stellen fest, dass die Zugver­bin­dung zwischen Zürich und München gegenwärtig mit Fernbussen sichergestellt werden, da die Ingenieure der Deutschen Bahn auch in dieser Gegend tätig geworden sind, abgesehen davon, dass die Strecke auch nach jahrzehntelangem Klönen immer noch zum Teil einspurig und nicht einmal elektrifiziert ist auf deutschem Boden. Dafür realisiert die Infrastrukturabteilung fantastische Pro­jekte wie den Tiefbahnhof Stuttgart 21. Es gibt Leute, welche behaupten, dass die Deutsche Bahn dem Bund jährlich ein paar Millionen abliefert, welche ihr dann bei der Infra­struk­tur und beim Fahrzeugpark abgehen. Was ist da los? Wäre ich die Konkret, ich würde mal hier losheulen wie eine Fliegersirene. Da ich aber bloß ein objektiver und neutraler Kommentator bin, fordere ich bloß die sofortige Verhaftung des gesamten Vorstandes der Deutschen Bahn AG, in erster Linie natürlich des Vorsitzenden Dr. Richard Lutz. Wegen mildernder Umstände nicht in Haft genommen wird der Vorstand Infrastruktur, der von der Funktion her zuoberst auf der Liste stehen müsste; aber es handelt sich um Ronald Pofalla, den ehemaligen Chef des Bundeskanzleramtes, der von Politiks wegen in diese Charge gerutscht ist und von Infrastruktur tatsächlich keine Ahnung hat, was in Deutschland offensichtlich nach wie vor ein hinreichender Grund ist, so jemanden in eine solche Position zu wählen. Ebenfalls nicht in Haft genommen wird der zuständige Verkehrsminister Dobrindt, welcher seine Unfähigkeit seinerseits seit geraumer Zeit unter Beweis stellt.

Aber nichts dergleichen wird geschehen. In Deutschland herrscht seit Langem die ewige Auto­mobil-Fastnacht, welche erwachsene Menschen in Narren verwandelt, und solchen Automobil-Narren ist es völlig egal, wenn die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen die Eisenbahn in den Ruin treiben. Die Automobil-Narren jammern darüber, dass ihr Diesel fünf statt drei Parts per Million an Stickoxiden in die Atmosphäre jagt, aber darüber, dass sie unersetzlichen fossilen Treibstoff verbrauchen neben der sinnlosen Verschwendung von Rohstoffen für den gesamten Automobil-Verkehr, darüber machen sie sich keine Gedanken. Ich will mich dabei nicht mehr als nötig über das Automobil beschweren, erstens, weil ich nicht den Adorno machen will mit dem richtigen Leben im falschen Automobil oder so ähnlich, zweitens, weil ich die erschlagende Dominanz dieses Verkehrsmittels rein faktisch nur anerkennen kann, und drittens, weil die gewaltigen praktischen Fortschritte in der Technik rund um das Automobil schlicht nicht zu bestreiten sind. Man sollte sich bloß davor hüten, mit dem Auto in der Stadt herumzufahren, das macht nämlich die Stadt kaputt. Man sollte das Auto auch nicht für längere Distanzen benutzen, das schadet der Umwelt und den Menschen ebenso. Man sollte auch die Transporte so weit als möglich auf der Schiene erledigen. Auf dieser Grundlage scheint mir eine halbwegs vernünftige Koexistenz der Systeme machbar. Aber wie gesagt: Die Automobilindustrie und ihre Verbündeten in Staat und Bahnunternehmen sind immer wieder damit beschäftigt, die Eisenbahn ganz und gar zu zerstören bis auf ein paar Vorzeige-Schnellverbindungen, und dies müsste tatsächlich nicht mehr moralisch, sondern strafrechtlich geahndet werden.

Es wird nichts werden damit, stattdessen verhandeln im Moment die kanadische Bombardier und eure fantastische Siemens darüber, ihr Eisenbahngeschäft zusammenzulegen, man weiß nicht so recht, ob dahinter erneut eine Sabotageabsicht von BMW, Audi und Mercedes-Benz steckt oder eventuell doch der Druck der nun schnell aufschießenden chinesischen Eisenbahnindustrie, welche ich an dieser Stelle mal vorsichtshalber mit vorauseilendem Dank überschütten will: Danke, Danke, Danke, lieber Xi Jinping, dass du mit deiner neuen Seidenstraße, neuen Hochgeschwindigkeits­zügen und einer, bitte noch viel aggressiveren Markteroberungsstrategie aus dem Osten herbei rollst und den unsäglichen Klüngel aus Automobilwirtschaft und Politik beiseite fegst, welcher den Schienenverkehr nach wie vor massiv behindert, statt ihn als die zukunftsweisende Mobilitätslösung voranzutreiben. Weiter so, lieber Xi Jinping. Vielleicht kannst du Gerd Schröder mit einem Posten im Aufsichtsrat der chinesischen Volksrepublik beschenken, um so mindestens eine indirekte Anbindung an die deutsche Politik zu besorgen.

An diesem Schröder und Putinversteher lassen die deutschen und internationalen Medien im Moment wieder kein gutes Haar, nachdem er auch noch ganz und gar umsonst im Vorstand von Rosneft Einsitz genommen hat. Dabei sind seine lokal-geopolitischen Ansichten und Motive, also die Einschätzung von Russland im Verhältnis zu Europa, weitgehend korrekt. Den Schmäh mit der Annektion der seit Jahrhunderten, mindestens aber seit 1774 in russischem Besitz befindlichen Krim schenken wir uns einfach, die Stories rund um die Ukraine, deren letztes Prachtsstück in der Lieferung der Raketentechnik an Nordkorea besteht, schenken wir uns ebenfalls. Solche Sachen verstellen eine korrekte Einschätzung Russlands. Was den Putin beziehungsweise seine Innenpolitik angeht, so kann ich doch immerhin vermelden, dass er seinem Freund Nawalny bereits wieder einen Freundschaftsdienst erwiesen hat und ihn erneut hat verhaften lassen, erneut anstatt ihn direkt heraus umzubringen. Ein wahrhaft großzügiger Despot. Und was schließlich Nordkorea betrifft, so muss man trotz den großartigen ukrainischen Langstreckenraketen vermuten, dass diese Raketen im Fall eines ernsthaften Angriffs noch im Flug von US-amerikanischen Technikern demontiert und umgedreht würden, das wissen wohl alle Menschen auf der Welt; die tatsächliche Gefahr, die von Pyongjang ausgeht, ist jene für Südkorea, das mit konventionellen Waffen jederzeit und flächendeckend zu erreichen ist. Wie die Balance zwischen dem Norden und dem Süden militärisch aussieht, kann ich nicht beurteilen, da unsere gleichgeschalteten Medien immer und ausschließlich über den Norden berichten. Aber eines hat mir in letzter Zeit doch eingeleuchtet: Wenn es Nordkorea nicht gäbe, gäbe es auch keinen Grund mehr für eine US-amerikanische Militärpräsenz auf dem asiatischen Festland. Ich gehe mal davon aus, dass es im Kern darum geht und um nichts weiter.