Kleiner Bericht aus Chemnitz + Audiodatei

ID 91038
 
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Viel Text und ein kurzes Audioschnipsel vom Pressegespräch mit dem Besitzer des Chemnitzer Restaurants Schalom (der am 27.08.2018 Opfer eines Überfalls wurde).
Audio
04:30 min, 10 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 17.09.2018 / 17:47

Dateizugriffe: 1241

Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Religion, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Joerg B.
Radio: Radio T, Chemnitz im www
Produktionsdatum: 17.09.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Bericht aus Chemnitz
(Textbericht und dazugehörige Audiodatei)

Auch wenn die Schlagzeilen inzwischen etwas kleiner sind, in Chemnitz ist immer noch etwas los.

Es gibt jede Woche mehrere Kundgebungen und Demonstrationen verschiedener Anmelder sowie die so genannten „Vorfälle“.

Ein Bündnis aus Kulturaktivisten, Veranstaltern und CWE (Chemnitzer Stadtmarketing und Wirtschaftsförderungsgesellschaft) besetzt seit drei Wochen immer Montags den Marx-Kopf mit einer Kulturveranstaltung und klaut den Rechten damit den symbolträchtigen Lieblingsplatz und -tag sowie die dazugehörige innerstädtische Demonstrationsroute. Heute organisiert das Fuego Ala Isla Festival die Kultur am Kopp (siehe auch T-Jah & Pupa Sock → FRN 91035).

Pro Chemnitz, PEGIDA und Nazihooligans marschieren seitdem Freitags. Die Teilnehmerzahlen bei den rechten Märschen gehen langsam zurück, sind aber immer noch sehr hoch. Letzten Freitag (14.09.2018) beteiligten sich rund 3.500 Personen (Quelle: Polizeidirektion Chemnitz).

Im Nachgang der letzten Freitagsdemonstration „kontrollierte“ eine so genannte „Bürgerwehr“ die Schlossteichinsel. Sie bedrohte zuerst eine Geburtstagsfeier vermeintlicher Linker und anschließend eine multiethnische Gruppe von Jugendlichen. Die Polizei war schnell vor Ort, nahm 15 Mitglieder der „Bürgerwehr fest, von denen immer noch sechs einsitzen. Der Haftbefehl erging wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch*.

Inzwischen gibt es die ersten zwei Urteile nach beschleunigtem Verfahren gegen rechte Demonstranten der ersten Demos (mit hohem Anteil von Nazihooligans) in Chemnitz. Das Gericht verhängte gegen einen 33-Jährigen wegen Zeigens des Hitlergrußes und Widerstand gegen die Polizei eine Haftstrafe von acht Monaten, ausgesetzt für drei Jahre auf Bewährung. Hinzu komme eine Geldstrafe von 2000 Euro. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ebenso das Urteil im zweiten Verfahren gegen einen 34-Jährigen, der bereits eine Vielzahl von Vorstrafen, darunter wegen Körperverletzungsdelikten hat. Er wurde wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu 5 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Gericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht gegeben seien. Beide Urteile sind für sächsische Verhältnisse ungewöhnlich hart.

Rechtsanwalt Martin Kohlmann**, Chef von Pro Chemnitz und meistens Anmelder der rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz bekommt inzwischen Ärger mit der Staatsanwaltschaft aus ganz anderen Gründen. Der vor einigen Tagen abfotografierte Haftbefehl gegen die möglichen Täter des tödlichen Angriffs auf Daniel H. (Auslöser der Auseinandersetzungen in Chemnitz) wurde auch von ihm im Internet veröffentlicht.
„Wegen der illegalen Veröffentlichung eines Haftbefehls im Zusammenhang mit dem Tod eines 35-jährigen Deutschen in Chemnitz hat die Staatsanwaltschaft die Fraktionsräume der Gruppe „Pro Chemnitz“ im Rathaus durchsucht. Zudem wurden am Montag die Wohnung und Anwaltskanzlei des Fraktionsvorsitzenden Martin Kohlmann durchsucht, sowie zwei weitere Wohnungen. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren gegen drei Beschuldigte. Ihnen wird vorgeworfen, eine Kopie des Haftbefehls gegen einen der Tatverdächtigen im Fall des vor mehr als zwei Wochen getöteten 35-jährigen Deutschen auf einer Facebook-Seite veröffentlicht zu haben.“

Inzwischen wurden weitere Anzeigen gegen Übergriffe am Rande rechter Demonstrationen öffentlich, die zum Teil schon einige Tage zurück liegen. Betroffen ist unter anderem das jüdische Restaurant Schalom, welches von einer größeren Gruppe Vermummter nach dem ersten großen „Trauermarsch“ rechter Gruppen angegriffen wurde. Am 12.09.2018 besuchte daraufhin Petra Köpping (SPD), Staatsministerin für Gleichstellung und Integration in Sachsen das Schalom und versicherte dem Besitzer Uwe Dziuballa die Solidarität der Landesregierung. Im Pressegespräch erzählte Uwe Dziuballa unter anderem über die wütenden Beschimpfungen per eMail und Facebook. Ihm wird von rechten Kreisen vorgeworfen den Überfall erfunden zu haben, da der Vorfall nicht im Polizeibericht auftaucht und er selbst seine Fotos von den Angreifenden nicht ins Internet stellt***. Die Beweismittel - Fotos, Steine, Eisenstange und Glasflaschen - sind allerdings samt Anzeige gegen unbekannt bei der Polizei. Warum weder die Polizeidirektion Chemnitz noch das LKA Sachsen oder die Generalstaatsanwaltschaft Dresden über den Angriff informiert haben ist unklar. Spezialisten des sächsischen Extremismus-Abwehrzentrums haben in dem Fall inzwischen die Ermittlungen übernommen. Der Wirt des Lokals habe Anzeige erstattet, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Es müsse von einem antisemitischen Hintergrund ausgegangen werden. Die Ermittlungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen. Der Ministeriumssprecher sagte, derzeit laufe noch die Auswertung der gesicherten Spuren. Er würden auch Gäste des Lokals befragt, zudem werde das Bildmaterial ausgewertet.

Außerdem werden zwei Angriffe von vermummten Kleingruppen auf einzelne Flüchtlinge durch die Polizei untersucht.


*Polizeidirektion Chemnitz: Offizieller Polizeibericht (Auszug)
„Gegen 21.15 Uhr begaben sich mindestens 15 Personen im Alter von bis 33 Jahren auf die Schlossteichinsel, wo zu diesem Zeitpunkt eine gut zehnköpfige Gruppe deutscher Jugendlicher und junger Erwachsener bei einer Geburtstagsfeier weilte. Einige der zunächst unbekannten Männer verlangten von den Feiernden die Ausweise. Weitere Zeugen  berichteten, dass sich die Männer als Bürgerwehr bezeichneten. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen brachen daraufhin und aufgrund der bedrohlichen Situation ihre Feier ab, versuchten rasch zu verschwinden und wählten den Notruf. Angegriffen wurden sie nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht.
Die 15 Personen liefen daraufhin zu einer weiteren, auf der Schlossteichinsel sitzenden, siebenköpfigen Gruppe (Deutsche, Iraner und Pakistaner) und kreisten diese ein. Dabei fielen zunächst fremdenfeindliche Äußerungen. In der weiteren Folge wurde ein 26-jähriger Iraner durch einen Gegenstand leicht verletzt.“

**Kohlmann war Mitglied der rechtsextremen Partei Republikaner, bevor er „Pro Chemnitz“ mitgründete und ist als Anwalt der rechten Szene bekannt. Er verteidigt einen Reichsbürger, der versucht haben soll, einen Polizisten zu töten, und war der Anwalt eines Mannes, der auf einer Pegida-Demo Galgen mit den Namen von Politikern getragen hatte sowie eines Holocaustleugners. Kohlmann verteidigte auch die inzwischen verurteilten Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“. Im Prozess drohte er den Richtern mit Rachejustiz nach einem „Systemwechsel“.

*** Siehe Audiodatei.

Kommentare
18.09.2018 / 07:28 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in der Frühschicht 18.9.2018
vorgelesen und gesendet. Danke!
 
18.09.2018 / 10:03 die meike, Radio Dreyeckland, Freiburg
gelesen und gesendet im mora von heut
danke!