Macht oder Ethik? und die kalifornische Ideologie

ID 96162
1. Teil (Hauptteil)
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Macht oder Ethik? Ist das ein Widerspruch? Geht Ethik überhaupt ohne Macht? Die Zukunfts-Philosophin und Buchautorin Melanie Vogel analysiert in ihrem Vortrag warum wir einen Ethik-Kodex in der Technik brauchen und gibt dazu Denkanstöße.

Über die Entwicklungen im Silicon Valley machten sich schon in den 1990ern viele Gedanken, da bildete sich der Begriff der ‚kalifornischen Ideologie‘.

Teil 1: Vortrag von Melanie Vogel, Zukunftsphilopophin und Autorin von Futability, Bonn
Teil 2: Beitrag von Stefan Stanjek, Sozialwissenschaftler, Hamburg
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36:11 min, 33 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.07.2019 / 16:18

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt
Serie: Arbeitswelt im Wandel
Entstehung

AutorInnen: Karin Bergs
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 03.07.2019
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
2. Teil: Die kalifornische Ideologie (Kurzfassung)
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12:53 min, 12 MB, mp3
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Anmerkung: In Teil 1 sind 2 Sendekennungen enthalten, passend für Musikpausen, bei: ca. 11:45 und 23:20 Minuten

Skript Teil 2:
Die kalifornische Ideologie (basierend auf Richard Barbrook / Andy Cameron, in P. Reclam 19476 v.2017), eine Kurzfassung von Stefan Stanjek, Hamburg

Der neue Glaube ans Digitale entwickelte sich aus einer seltsamen Verschmelzung der kulturellen Boheme von San Francisco mit den Hightechindustrien des Silicon Valley. Das ist der Kern! Hier verbindet die kalifornische Ideologie den frei schwebenden Geist der Hippies mit dem unternehmerischen Antrieb der jungen Startup-Unternehmer und Investoren. Oft genug waren sie personell identisch, Steve Jobs, Wosniak, Engelberg und viele andere, die nur noch Experten kennen. Stark war der Glaube an das emanzipatorische Potenzial der neuen Informationstechnologien. Hier schien eine Erneuerung der Demokratie möglich im Geiste Jeffersons, in der alle Individuen sich frei im Cyberspace zum Ausdruck bringen können. Kampf also der zentrierten Macht, den erstickenden Bürokratien, den vielen einengenden Vorschriften der realen Welt. Alle Macht dem freien Netz!

Die radikalen Hippies waren oft Liberale im sozialen Sinn des Begriffs. Sie traten eher für universalistische d.h. allgemeingültige, rationale und progressive Ideale wie Demokratie, Toleranz, Selbstverwirklichung und soziale Gerechtigkeit ein. Verwöhnt durch über 20 Jahre wirtschaftliches Wachstum der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, glaubten sie, dass die Geschichte auf ihrer Seite stünde, nur noch nach vorn sich entwickele. „Ökotopia“ (so ein wichtiger Romantitel), eine neue ökologische, nachhaltige und nachdenkende Gesellschaft schien machbar. Doch man sollte auch sehen: Die Hippiebewegung war gespalten. Einige predigten „zurück zur Natur“, andere glaubten, dass der technologische und vor allem digitale Fortschritt ihre liberalen Prinzipien unweigerlich zu einer gesellschaftlichen Tatsache machen würde (Steward Brand). Und sie verbanden dies gleichzeitig mit einem Hin zur naturnahen kommunitären Gemeinschaft unter Einschluss der neuen Techniken und Medien. Das waren keine Maschinenstürmer, im Gegenteil. Sie erfanden das erste Computerspiel.

Von den originellen Theorien des Kanadiers Marshall McLuhans beeinflusst (Wikipedia ruft), glaubten sie, dass die Konvergenz der Medien, der Computer und der Telekommunikation zwangsläufig die elektronische Agora also den elektronischen Marktplatz, ein weltweites elektronisches „Dorf“ entstehen ließe: einen virtuellen Platz, auf dem jeder seine Meinung ohne Angst vor Zensur äußern kann. Die Raumdimension sei abgeschafft. Überall entstünden Mensch zu Mensch Beziehungen wie im kleinsten Dorf, eine tiefe zwei- oder mehrseitige Beziehung ohne Delegation von Funktionen oder Macht. Der kollektive Dialog im Netz überwindet die individuelle, einsame Lektüre. Es entstanden in den Siebzigern eine ausufernde alternative Presse plus Leserpartizipation (Whole World Catalog), kollektive Radiostationen, Clubs für den Eigenbau von Computern und der Entwicklung von Software (Homebrew Club) und Videogruppen. Die Medienaktivisten der Kollektive glaubten, sich an vorderster Front des Kampfes für die Schaffung eines neuen Amerika zu befinden. Hin zu direkter Demokratie in allen gesellschaftlichen Institutionen. Es entstand eine neue virtuelle Klasse: die Techno-Intelligenz der Kognitionsforschung, IT –Ingenieure, Computerwissenschaftler, Computerspielprogrammierer etc. Sie besaßen und besitzen eine beträchtliche Autonomie hinsichtlich ihrer Arbeit und ihres Arbeitsplatzes. Folglich wurde der kulturelle Unterschied zwischen den kommerziellen „Systemmenschen“ und den Hippies ziemlich unscharf. Durch Zeitverträge gebunden wurde Arbeit an Software und Hardware zum wesentlichen Mittel der Selbstverwirklichung. Die kalifornische Ideologie spiegelt daher gleichzeitig die Disziplin der Marktökonomie und die Freiheiten des künstlerischen Hippietums wider – besonders bei Google. Eine manchmal bizarre Mischung. Zen und Maloche…

Die konservative Rechte applaudierte ebenfalls den neuen Informationstechnologien, weil sie große Chancen für die Privatwirtschaft sahen, sich digital zu erneuern: digitaler Kapitalismus. Man könnte von einer rückwärts gerichteten Utopie sprechen. Welche Tendenz würde sich durchsetzen? Demokratisierung oder Gewinnmaximierung?

Die schon jetzt legendäre Harvard Professorin Shoshana Zuboff analysierte 1988, die Entwicklung der Hypermedien sei ein Schlüsselelement für die nächste Stufe des Kapitalismus. Die direkte Einführung der Medien, Computer und Telekommunikationstechnologien in die Fabrik und in das Büro sei der Höhepunkt eines langen Prozesses der Trennung der Arbeitskraft von der direkten Beteiligung an der Produktion. Alle großen industriellen Wirtschaften würden ihre Bevölkerung vernetzen, um die Produktivitätsziele der digitalen Arbeit zu erreichen.

Aber unbekannt sind die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen, die aus der Möglichkeit der Menschen erwachsen, nahezu unbeschränkte Informationsmengen auf globalem Niveau herzustellen, zu analysieren und zu nutzen. Wird die Ankunft der Hypermedien die Utopie der neuen Linken oder die der neuen Rechten verwirklichen? Die kalifornische Ideologie glaubte und glaubt an beides und verzichtet auf eine Kritik an einer von beiden. Auf der Seite der antikommerziellen Reinheit stand der Guru Howard Rheingold aus der Gegenkultur. Für ihn eröffneten die Hypermedien eine antikapitalistische Perspektive zugunsten einer neuen IT –Geschenkökonomie. Auf der anderen Seite hat die Zeitschrift Wired, die monatlich erscheinende Bibel der virtuellen Klasse, unkritisch die Ansichten Newt Gingrichs, des sehr konservativen republikanischen Führers des Repräsentantenhauses präsentiert. Er ist kein Befürworter der elektronischen Agora, des solidarischen Austausches. Er behauptet recht hellsichtig, dass neue elektronische Handelsplätze entstehen würden: „Im Cyberspace wird ein Markt nach dem anderen durch den technologischen Fortschritt von einem natürlichen Monopol in einen verwandelt, in dem die Konkurrenz die Regel ist.“ Das mit der Konkurrenz ist so eine Sache… Gleichwohl, in dieser Version der kalifornischen Ideologie wird jedem Mitglied der virtuellen Klasse die Chance versprochen, ein erfolgreicher Hightechunternehmer zu werden. Es wird gefordert, der Staat solle sich mit Regulierungen von den visionären, ressourcereichen IT -Unternehmern fernhalten. Gefordert wird ein freier Markt im Cyberspace, Verschlüsselungscodes, digitales Geld, Breitbandnetze, Verifikationsmechanismen. Also das was man braucht, um Güter und digitale Dienstleistungen auszutauschen. Mit einem Wort: Transaktionsinstrumente zum Nulltarif. Wie in den Kolonien des 16. Jahrhunderts. Nur dieses Mal virtuell.

Unterschlagen wird dabei, dass diese Entwicklung nur mit massiven staatlichen Fördergeldern möglich war, insbesondere seitens der militärischen Forschung. Von ihr kamen große Aufträge für private Firmen. IBM produzierte den ersten programmierbaren digitalen Computer erst, als die Firma vom Verteidigungsministerium während des Koreakrieges dazu aufgefordert wurde. Seitdem wurde die Entwicklung der aufeinanderfolgenden Computergenerationen direkt oder indirekt vom Verteidigungshaushalt der USA gefördert. Die Firmen erkannten in den fünfziger Jahren nicht den zukünftigen Massenmarkt, das blieb erst den Siebzigern und vor allem Apple und dann Amazon vorbehalten.

Auch die Geschichte des Internet widerspricht den Behauptungen der Ideologen des freien Marktes. Während der ersten 20 Jahre seiner Existenz hängt die Entwicklung des Netzes fast vollständig von der amerikanischen Regierung ab. Große Summen an Steuergeldern flossen seitens des amerikanischen Militärs oder der Universitäten in die Herstellung der Netzinfrastruktur und subventionierten den Gebrauch seiner Dienste. Gleichzeitig wurden viele der entscheidenden Programme und Anwendungen von Hobbyprogrammierern oder von Spezialisten in ihrer Freizeit ausgearbeitet – erst in den Siebzigern. Wirtschaftsplanung geschieht in den USA verdeckt über den Verteidigungshaushalt. Das ist wichtig, um hinter die Ideologie des Privateigentums zu schauen. Begleitet wurde dies von den kollektiven Mythen der New Age Bewegung der Hippies, Surfen, Naturkost, Entspannungsdrogen, Popmusik, Künstlergemeinschaften, Landkommunen, neue vegetarische / vegane Ernährung etc. Die Hippies konnten den Vorrang und die überwältigende Dominanz des Marktes nicht infrage stellen, andererseits ärgerten sie sich über die Versuche derjenigen, die Machtpositionen einnehmen, wenn sie in ihre individuelle Autonomie eingreifen. Es kam zu einer seltsamen Vermischung der neuen Linken und der neuen Rechten im Rahmen der kalifornischen Ideologie und somit innerhalb der virtuellen Klasse. Steve Jobs! Vor allem der antistaatliche Affekt sorgte für die Versöhnung alternativer und neoliberaler Ideen vermittels des technischen Fortschritts. Und so kommt es zu einem bizarren Mischmasch aus anarchistischer Hippie- Weltanschauung mit dem ökonomischem Neoliberalismus des „freien“ Unternehmertums (frei von Regulierungen). Die neue Rechte fordert die Befreiung von allen regulativen Beschränkungen. Selbst wenn die neue virtuelle Klasse die von den Hippies erzielten Freiheiten genießt, sind die meisten nicht mehr aktiv mit der Verwirklichung von „ganzheitlichen“ Ökoutopien beschäftigt. Sie akzeptieren, dass individuelle Freiheit nur unter den Bedingungen des technischen Fortschritts und des „freien Marktes“ erreicht werden kann. Nicht Solidarität ist das Ideal, sondern der einsame Hacker der in der virtuellen Welt der Information den Großen eine Nase dreht. Geht es dabei um das klassische liberale Ideal des selbstgenügsamen Individuums (a la Robinson Crusoe)? Man fühlt sich in den USA unwillkürlich an den Cowboy, den Westernhelden erinnert. Und schon sind wir mitten in der amerikanischen Ideologie, im amerikanischen Traum. Thomas Jefferson schrieb die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und war gleichzeitig der Eigentümer von nahezu 200 Sklaven als Plantagenbesitzer in Virginia.

Die enorme ökonomische und soziale Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft – auch vermittels des Digitalen - lässt sie die Technologien der möglichen Freiheit zu Maschinen der Herrschaft werden? Die Perfektionierung des Geistes, des Körpers und des Verstandes mittels KI und IT, wird sie die soziale Spaltung eher vertiefen und die sozialen Privilegien der virtuellen Klasse absichern? Und was ist aus dem Traum einer neuen egalitären Gesellschaft dabei geworden? Rigide Selbstoptimierung einerseits, ganz neue Herrschaftsformen andererseits?

Kommentare
04.07.2019 / 17:30 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 4.7.. Vielen Dank!