Künstliche Intelligenz - wer steuert wen? - 7. Sendung Zukunft in Arbeit - Arbeit ohne Zukunft

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„Künstliche Intelligenz - Wer steuert wen?“ - das Thema der ver.di Digitalkongress 2020 Podiumsdiskussion. Es sprechen:
• Welf Schröter, er ist Autor und Gründer des Forums soziale Technikgestaltung
• Florian Haggenmiller, er ist ver.di Gewerkschaftssekretär im Bereich Innovation und Gute Arbeit
• Birgit Forthofer, sie ist Betriebsrätin bei der Telekom
• Dagmar Boedicker, die das Forum Informatiker_Innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF e.V.) vertrat und
• Marco Stipek, der als Gründer und Geschäftsführer von Geek Space 9 GmbH die Unternehmersicht beisteuerte

weitere Informationen unter: www.zukunftinarbeit.eu
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48:49 min, 45 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.03.2020 / 18:02

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt
Serie: Zukunft in Arbeit - Arbeit ohne Zukunft?
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 20.03.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
[Sendekennungen und Fördervereinjingle enthalten]

Am 6. und 7. März fand im DGB Gewerkschaftshaus der Ver.di Digitalisierungskongress 2020 statt. Trotz einiger Absagen konnten mehr als 60 Teilnehmer_Innen einer vielfältigen Podiumsdiskussion folgen und sich an sechs Panels genannten Workshops zu diversen Themen beteiligen. An der Podiumsdiskussion, die sich um die Frage drehte: „Künstliche Intelligenz - Wer steuert wen?“ nahmen teil:

• Welf Schröter, er ist Autor und Gründer des Forums soziale Technikgestaltung
• Florian Haggenmiller, er ist ver.di Gewerkschaftssekretär im Bereich Innovation und Gute Arbeit
• Birgit Forthofer, sie ist Betriebsrätin bei der Telekom
• Dagmar Boedicker, die das Forum Informatiker_Innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF e.V.) vertrat und
• Marco Stipek, der als Gründer und Geschäftsführer von Geek Space 9 GmbH die Unternehmersicht beisteuerte .

Die Moderation übernahm Christine Wittig, Mitfrau der Digitalcourage e.V. Ortsgruppe München und Geschäftsführerin der Linksystem München GmbH.

Im ersten Fragenblock ging es zunächst darum, was unter Künstlicher Intelligenz verstanden wird und wie der derzeitige Entwicklungsstand ist.

Für Marco Stipek ist der wichtigste Aspekt der Künstlichen Intelligenz das machine learning, abgekürzt ML. Das bedeutet im Wesentlichen, dass man auf der Grundlage großer Datenmengen automatisiert bestimmte Regeln und Muster erkennen kann. Das beste Beispiel für maschinelles Lernen ist die Spracherkennung des Smartphones. Seit den 80er Jahren haben Informatiker_Innen versucht, Muster der realen Welt zu verstehen und Regelwerke zu erstellen, damit Computer diese auch erkennen können. Diese Regeln sind die vielzitierten Algorithmen. Das Vorgehen hatte seine Grenzen an der mangelnden Allgemeingültigkeit dieser Regeln, hier also der Sprache und ihrer Komplexität. Der große Sprung, der in den letzten Jahren passierte, ist, dass man nun auf das Verständnis der Programmierer_Innen, z.B. für Sprache, verzichtet, die Daten statt dessen unsortiert in Hochleistungscomputer gießt und versucht, ihnen beizubringen, die Algorithmen selber zu finden. Nun haben aber auch die Expert_Innen keine Vorstellung mehr davon, was die Maschine eigentlich tut und ob oder wie man das, was sie tut, noch beeinflussen kann. Das ist für Stipek die derzeitige Ausgangslage.

Welf Schröter hält den Begriff der Künstlichen Intelligenz für irreführend und wenig hilfreich, um den Umgang mit ihr zu gestalten. Er unterscheidet drei Aspekte in der Diskussion, zum einen Marketingnarrative, zum zweiten die Leistung der Informatiker_Innen und deren reduzierten Intelligenzbegriff, und zum dritten die gewerkschaftliche Sicht. Hören wir ihm zu, wie er sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der digitalisierten Welt vorstellt:

[Einspieler: Welf Schröter 03:10 min] Dannach Sendekennung bei Minute: 13:04

An Dagmar Boedicker ging anschließend die Frage, ob es für politische und ethische Steuerung der bereits auf Hochtouren laufenden Prozesse nicht schon zu spät sei oder ob es vielleicht sogar positive Beispiele gebe. Sie wies aus der Sicht von Digitalaktivist_Innen des FifF, von Digitalcourage oder auch des Chaos Computer Club darauf hin, dass die Auseinandersetzung von Vertreter_Innen der MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) mit den gesellschaftlichen Folgen ihrer Arbeit und ihrer Produkte derzeit stark zu wünschen übrig ließe. In vergangenen Jahrzehnten sei die Zusammenarbeit mit den Sozialwissenschaften, die ihrerseits Verständnisprobleme in die entgegengesetzte Richtung haben, schon mal deutlich besser gewesen. Für sie drückt sich das in der Erfahrung aus, in Politik und Wirtschaft nicht gehört zu werden. Diskurse an der Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaft wären jetzt aber am dringendsten, um zu beleuchten und voranzubringen, was für die Gestaltung der Zukunft wünschenswert seu und was bewusst nicht verwirklicht werden solle. Daher fehle es auch an erfolgreichen Vorbildern für eine gelingende ethisch-politische Steuerung. Diskussionen über Fragen politischer Regulierung fänden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Florian Haggenmiller führte als Nächstes die Sicht der Gewerkschaften auf die Umsetzung der jüngsten Veröffentlichung von ver.di mit dem Titel „Ethische Leitlinien für die Entwicklung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz: Gemeinwohl und Gute Arbeit by design“ aus. Die klare Position der Gewerkschaften sei, dass der Mensch die KI-Systeme kontrollieren müsse und nicht anders herum. Im Einzelnen forderte er:

[Einspieler: Florian Haggenmiller 02:33 min]

Welf Schröter ergänzte die gewerkschaftliche Perspektive um eine kritische Würdigung des Menschenbildes der KI:

[Einspieler: Welf Schröter 01:28 min] Dannach Sendekennung bei Minute: 13:04

Und auch der Unternehmer Marco Stipek formulierte drängende Fragen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz:

[Einspieler: Marco Stipek 0:42 min]

Alle Beteiligten waren sich einig, dass es ein hohes Maß an Sprachlosigkeit zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gebe, die an KI interessiert bzw. von ihr betroffen sind und sich bezüglich der Hoffnungen, aber auch der Befürchtungen, die mit ihr verbunden sind, stark unterscheiden: Unternehmer, Arbeitnehmer, MINT-Wissenschaftler einerseits, Sozial- und Geisteswissenschaftler andererseits, und nicht zuletzt wir alle als Bürger, Konsumenten, oder auch Anspruchsberechtigte. Ein besonders eindringliches Beispiel für gesellschaftliche Folgen von algorithmusunterstützten Entscheidungsprozessen schilderte Marco Stipek aus der Hartz-IV-Verwaltung, welches auch auf KI übertragbar sei:

[Einspieler: Marco Stipek 01:14 min]

Hier ergab sich ein Moment eher seltener Einmütigkeit zwischen der kritischen Informatiker_In, an diesem Abend war es Dagmar Boedicker von FifF e.V., und dem Unternehmer in Person von Marco Stipek. Bezüglich der ethischen Einrahmung von KI hat Frau Boedicker aber eine klare Ansage, bevor die Moderatorin Christine Wittig mit einem kurzen Überblick den ersten Teil der Diskussion abschließt:

[Einspieler: Dagmar Boedicker mit Christine Wittig 01:57 min] - Dannach Förderverein bei: Minute 18:38

Der zweite Fragenblock wendete sich der Künstlichen Intelligenz in den Betrieben zu: Wie behält der Mensch die Oberhand? Mit einiger Besorgnis wurde auch gefragt: Schaffen wir das noch? Und wie sieht es mit der betrieblichen Mitbestimmung aus? Dazu gab es einen Erfahrungsbericht aus der Telekom von der Betriebsrätin Birgit Forthofer. Eingangs beschrieb sie, wie Kolleg_Innen in einfachen Tätigkeiten oder solche, die Leistungseinschränkungen bzw. Schwerbehinderung haben, von sogenannten Front-End-Assistenten, also Robotern, unterstützt würden. Es seien bisher sogar schon ganze Tätigkeitsfelder weggefallen oder automatisiert worden. Die Menschen müssten in der Folge andere Arbeiten übernehmen. Mensch und Maschine arbeiteten hier also schon zusammen, beispielsweise übernähme ein sogenannter „Persönlicher Interaktiver Assistent“ im Kundengespräch einen Teil der Arbeitsvorgänge, während der Berater weiter mit dem Kunden rede. Es komme auch vor, dass Maschinen miteinander arbeiteten und dabei an ihre Grenzen kämen, sodass wieder an Menschen übergeben werde. Es sei eine große Herausforderung, neue Tätigkeiten zu schaffen für Mitarbeiter_Innen, die durch Maschinen aus ihrer bisherigen Arbeit freigesetzt würden. Hören wir nun Birgit Forthofer zu den Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertretung:

[Einspieler: Birgit Forthofer 01:49 min]

An den Unternehmer Marco Stipek schloss sich hier die Frage an, ob Künstliche Intelligenz auch eine Chance für betriebliche Entwicklung sei und wie man Menschen bei ihrem Einsatz einbinden könne. Er fand die Frage durchaus schwierig zu beantworten und wies auf das Problem der Bildung hin für das, was er generell digitale Kulturtechniken nannte. Diese seien das Rüstzeug für digitale Gesellschaften. Wir müssten nicht jedes Detail lernen, aber ein Grundverständnis erwerben. In der derzeitigen Übergangsphase müsse und würde viel Weiterbildung in den Betrieben geleistet. Durch den Fachkräftemangel hätten Unternehmer von sich aus eine hohe Motivation dazu, fortzubilden. Zudem seien die Techniken oft gar nicht so schwierig, wie sie sich anhörten, wenn das neue Vokabular in diesen Bereichen erst noch erschlossen werden müsse. Für die Unternehmerseite sieht er gute Chancen. Hier ergriff er die Gelegenheit, den Ball an die Gewerkschaften zurück zu werfen mit der Frage, ob sie nicht ebenfalls die vorhandenen Daten und Techniken anwenden könnten, um aus Arbeitnehmersicht nachteilige Entwicklungen abzuwenden.

Florian Haggenmiller ergänzte angesichts des Beispiels der Telekom, wie wichtig eine frühzeitige Beteiligung der Beschäftigten sei. Je früher und je glaubwürdiger ihnen dargelegt werden könne, wie sie die Veränderungen, die sie beträfen, mitgestalten und letztlich von ihnen profitieren könnten, desto höher sei dann ihre Motivation und die Qualität ihrer Arbeit. Dieser Umstand motiviere die Arbeitgeber zu solchen Gesamtbetriebsvereinbarungen.

Welf Schröter erläuterte dann aus den Erfahrungen des Forums soziale Technikgestaltung, dass es dort schon Planspiele zur „Betriebsratsarbeit auf Basis autonomer Softwaresysteme“ gegeben habe. Daraus sei ein Modell entwickelt worden, das inzwischen zur Qualifizierung von Kolleg_Innen aus Betriebs- und Personalräten zum Einsatz käme. Dadurch kämen Diskussionen und Entwicklungen in Gang, die die Mitbestimmung optimieren könnten. Beschäftigte könnten auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern kommen, dadurch dass Mitbestimmung dann optimaler, zielgenauer und exakter organisiert werden und Betriebsräte in Echtzeit auf die Arbeitgeberseite reagieren könnten. Um welche Dimensionen es hierbei geht, hören wir nochmal von ihm selbst:

[Einspieler: Welf Schröter 00:55 min]

Als Zwischenergebnis konnte an dieser Stelle schon festgehalten werden, dass alte Gewerkschaftsforderungen eine neue Aktualität gewonnen hätten: Bildung, Solidarität und zeitgemäße, auch technikaffine Formen der betrieblichen Mitbestimmung seien wichtiger denn je.

Im dritten Fragenblock ging man noch einen Schritt weiter und untersuchte aus verschiedenen Perspektiven die Auswirkungen der KI auf die Gesellschaft: Wie ist hier die/der Einzelne gefragt? Wie sind Bildungssysteme, wie ist die Politik der einzelnen Staaten und auf EU-Ebene gefordert, damit Individuen, als Privatpersonen und als Arbeitnehmer, ihre Beteiligung und Mitbestimmung ausüben können? Denn nur so könnten Gesellschaften einen angstfreien und erfolgreichen Umgang mit der KI gestalten.

Eine breite, gesamtgesellschaftliche Einordnung leistete wiederum Welf Schröter und die ist so eindringlich, dass wir sie uns in einem längeren Einspieler anhören:

[Einspieler: Welf Schröter 05:33 min] Dannach Sendekennung bei 32:13

Die Telekom-Betriebsrätin Birgit Forthofer antwortete auf die Frage, wo sie die Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Ausgestaltung Künstlicher Intelligenz im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang sieht:

[Einspieler: Birgit Forthofer 1:40 min]

An die kritische Informatikerin Dagmar Boedicker ging die Frage, welchen Rahmen man dem Einsatz Künstlicher Intelligenz in gesellschaftlichen Prozessen geben kann und welche Schwierigkeiten es dabei gibt. Daran anschließend erläuterten sowohl der Unternehmer Marco Stipek als als auch der Gewerkschafter Florian Haggenmiller und Wolf Schröter vom Forum soziale Technikgestaltung verschiedene Aspekte dieser Rahmengebung, deshalb hören wir jetzt die gewichtige Abschlussrunde der Podiumsdiskussion zum Thema „Künstliche Intelligenz – Wer steuert wen?“ in ganzer Länge:

[Einspieler: Schlussrunde 11:08 min]

Soweit also die Podiumsdiskussion zum Thema „Künstliche Intelligenz – Wer steuert wen?“ im Rahmen des ver.di Digitalisierungskongresses 2020 in München. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass wir alle in unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen, als Bürger_Innen, als Beschäftigte, als Aktive in diversen gesellschaftlichen Gruppierungen uns unbedingt an diesen Prozessen beteiligen müssen, um sie aktiv im Sinne unserer Rechte und Interessen mitgestalten zu können.